Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsschrift. Unklarheit hinsichtlich Rechtsmittelkläger

 

Normenkette

ZPO §§ 518, 519b; ArbGG § 77

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Beschluss vom 16.03.1989; Aktenzeichen 6 Sa 61/87 – (richtig: 61/88))

ArbG Hamburg (Urteil vom 15.03.1988; Aktenzeichen 5 Ca 194/86)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 16. März 1989 – 6 Sa 61/87 – (richtig: 61/88) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Im Ausgangsverfahren hat der Kläger auf Zahlung von Lohn und Wettbewerbsentschädigung in Höhe von insgesamt DM 12.500,– nebst Zinsen sowie auf Feststellung geklagt, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe durch die Kündigung der Beklagten vom 10. Juni 1986 nicht vor dem 30. Juni 1986 geendet. Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 15. März 1988 die Beklagte zur Zahlung von DM 1.666,66 brutto nebst Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Dieses Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 26. Mai 1988 zugestellt worden. Am 27. Juni 1988 (Montag) ging in der gemeinsamen Annahmestelle bei dem Amtsgericht Hamburg eine von Rechtsanwalt K U unterzeichnete Berufungsschrift mit folgendem Inhalt ein:

„Berufung

In Sachen des J H, H, 2000 Hamburg Kläger und Berufungskläger Prozeßbevollmächtigte: RAe K U und M W, Hamburg

gegen

die Verwaltungsgesellschaft A GmbH, vertr. d. Frau R P u. Frau I L, F str. 101, 2000 Hamburg Beklagte und Berufungsbeklagte Prozeßbevollmächtigte: I. Instanz:

RAe. U u. W, M Allee 87, 2000 Hamburg

legen wir hiermit namens und im Auftrage unserer Partei gegen das am 15. 3.1988 verkündete, am 26.05.1988 von Amts wegen zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg – Gesch.-Z.: 5 Ca 194/86 – Berufung ein. …”

Das Urteil des Arbeitsgerichtes war dem Schriftsatz nicht beigefügt. Die Berufungsschrift lag der Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts Hamburg am 28. Juni 1988 vor. Am 30. Juni 1988 wurden die erstinstanzlichen Akten angefordert, diese lagen dem Landesarbeitsgericht am selben Tage vor. Gemäß richterlicher Verfügung vom 25. Juli 1988 wies die Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichtes den Kläger mit Schreiben vom 28. Juli 1988 (dem Klägervertreter am 3. August 1988 zugegangen) auf Bedenken gegen die Ordnungsgemäßheit der Berufungseinlegung hin, da nicht erkennbar sei, für wen Berufung eingelegt worden sei, sowie auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung.

Mit Schriftsatz vom 17. August 1988 hat der Kläger vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt mit der Begründung, durch ein Versehen einer gut ausgebildeten und zuverlässigen Mitarbeiterin sei sowohl für ihn als auch für die Beklagte die Sozietät U und W als Prozeßbevollmächtigte – bei der Beklagten mit dem Zusatz I. Instanz – genannt worden. In der Sozietät würden erst seit kurzem Speicherschreibmaschinen benutzt. Durch Tastendruck sei fälschlicherweise ein zweites Mal der Textbaustein „Sozietät U und W” in den Schriftsatz eingefügt worden. Bei der Unterzeichnung des Schriftsatzes habe sein Prozeßbevollmächtigter seine Aufmerksamkeit auf die Wiedergabe der Fristen und nicht auf das Rubrum gerichtet, da dort erfahrungsgemäß keine Fehler gemacht würden. Ein Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers habe wegen der Zuordnung der Parteirolle im Rechtsmittelverfahren und der Bezeichnung Prozeßbevollmächtigter I. Instanz der Beklagten nicht entstehen können. Auch tatsächlich habe eine Unklarheit über die Person des Rechtsmittelklägers nicht bestanden. Die der Berufungsschrift beigefügte Empfangsbestätigung sei zurückgesandt worden. Auch habe das Landesarbeitsgericht mit Beschluß vom 19. Juli 1988 die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß verlängert. Dieser Beschluß lasse keine Zweifel des Vorsitzenden Richters an der Person des Rechtsmittelklägers erkennen.

Mit Beschluß vom 16. März 1989 hat das Landesarbeitsgericht Hamburg die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Hamburg vom 15. März 1988 – - unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages des Klägers vom 17. August 1988 als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt, die am 27. Juni 1988 eingelegte Berufung erweise sich als unzulässig, weil sie die Person des Rechtsmittelklägers nicht zweifelsfrei erkennen lasse. Da die Berufung am letzten Tag der Frist bei der gemeinsamen Annahmestelle eingegangen sei und in der Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts Hamburg erst am folgenden Tage vorgelegen habe, hätten andere Unterlagen innerhalb der Berufungsfrist vom Gericht nicht herangezogen werden können. Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers seien auch nicht durch die unterschiedliche Bezeichnung der Rechtsanwälte U und W als Prozeßbevollmächtigte erster Instanz der Beklagten einerseits und als Prozeßbevollmächtigte des Klägers ohne diesen Zusatz andererseits ausgeräumt worden. Die Angabe eines Prozeßbevollmächtigten erster Instanz erfolge zwar gewöhnlich bei der Parteibezeichnung des jeweiligen Gegners, weil dessen Prozeßbevollmächtigter für die Rechtsmittelinstanz noch nicht bekannt sei. Dies sei jedoch nicht zwingend. Auch durch die Zuordnung der Parteirollen für das Berufungsverfahren seien Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers nicht behoben worden. Auch bei der selbständigen Anschlußberufung könne die Partei, die zuerst das Rechtsmittel eingelegt habe, als Berufungskläger bezeichnet werden. Eine feststehende Übung, eine selbständige Anschlußberufung ausdrücklich als solche zu bezeichnen, bestehe zumindest im Bereich des Landesarbeitsgerichtes Hamburg nicht.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sei zurückzuweisen, die verspätete Berufungseinlegung beruhe auf einem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Klägers, das dieser sich zurechnen lassen müsse.

Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionsbeschwerde begehrt der Kläger die Aufhebung dieses Beschlusses. Der Kläger wiederholt im wesentlichen sein Vorbringen aus der Vorinstanz und vertritt die Ansicht, das Landesarbeitsgericht habe nach einer Verfahrensdauer von einem dreiviertel Jahr plötzlich und für ihn unerwartet die Berufung als unzulässig angesehen. Dies stelle eine Überraschungsentscheidung und somit einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 GG dar. Im übrigen zeige die Bezeichnung der Anschlußberufung der Beklagten als solche, daß eine regelmäßige Übung, die Anschlußberufung schlicht als Berufung zu bezeichnen, nicht bestehe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.

1. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden und nach § 77 ArbGG, § 519 b Abs. 2 ZPO zulässig.

2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 64 Abs. 6 ArbGG, § 518 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gehört die Erklärung, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird (RGZ 96, 117, 118; 125, 240, 241; 144, 314, 315; BGHZ 21, 168, 170; 65, 114, 115; BGH Urteil vom 6. Februar 1985 – I ZR 235/83 – NJW 1985, 2651; BGH Beschluß vom 9. Juli 1985 – VI ZB 8/85 – AP Nr. 52 zu § 518 ZPO; BAGE 9, 159 = AP Nr. 6 zu § 518 ZPO; 16, 204, 206 = AP Nr. 1 zu § 620 BGB; 21, 368, 369 = AP Nr. 1 zu § 553 ZPO; BAGE 22, 156, 158 = AP Nr. 1 zu § 8 ArbGG 1953). Den Belangen der Rechtssicherheit des Verfahrens ist auch dann genügt, wenn eine verständige Würdigung des Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung jeden Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausschließt (BAGE 22, 156, 158 = AP aaO; BGH Beschluß vom 13. Juli 1988 – VIII ZR 65/88 – NJW RR 1988, 1528 f.; BGHZ 21, 168, 173). Die Angabe, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird, muß allerdings nicht in der Rechtsmittelschrift enthalten sein; es genügt, wenn sie sich innerhalb der Rechtsmittelfrist aus anderen, dem Gericht vorliegenden Unterlagen eindeutig entnehmen läßt (BGHZ 21, 168, 173; 65, 114, 115; BGH Beschluß vom 9. Juli 1985, aaO; BAGE 21, 369, 370 = AP aaO; BAGE 24, 233 = AP Nr. 4 zu § 553 ZPO; BAG Beschluß vom 13. Oktober 1972 – 2 AZR 282/72 – AP Nr. 5 zu § 553 ZPO; BAG Beschluß vom 25. Mai 1973 – 2 AZR 99/73 – AP Nr. 6 zu § 553 ZPO).

3. Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Berufungsschrift nicht. Es ist nicht zweifelsfrei erkennbar, für welche Partei der Unterzeichner der Berufungsschrift die Berufung eingelegt hat.

a) Zwar spricht zunächst die Bezeichnung der Prozeßpartei mit ihren Parteirollen und die Benennung der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten als derjenigen I. Instanz dafür, daß der Kläger auch Rechtsmittelführer ist.

Dem Berufungsgericht ist aber darin zuzustimmen, daß wegen der Möglichkeit einer Anschlußberufung nicht zweifelsfrei erkennbar ist, für wen das Rechtsmittel eingelegt worden ist. Gemäß § 521 ZPO kann sich der Berufungsbeklagte der Berufung anschließen. Eine Kennzeichnung der Anschlußberufung als solche ist weder gesetzlich vorgesehen noch wird dies von der Rechtsprechung (vgl. BGH FamRZ 1984, 659) gefordert. Da über Hauptberufung und Anschlußberufung in einem Verfahren entschieden wird, sind die Parteibezeichnungen der Hauptberufung maßgeblich. Vorliegend war der Berufungsschrift eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des vorinstanzlichen Urteils nicht beigefügt. Das Landesarbeitsgericht konnte daher die Möglichkeit der Anschlußberufung innerhalb der Berufungsfrist nicht ausschließen.

b) Auch die vom Unterzeichner der Berufungsschrift gewählte allgemeine Formulierung der Berufungseinlegung namens „seiner Partei” läßt wegen der Benennung des Unterzeichners als Prozeßbevollmächtigter sowohl des Klägers als auch der Beklagten keinen Schluß auf die vertretene Partei zu. Die Zweifel an der Erkennbarkeit des Rechtsmittelführers werden auch nicht durch die Benennung der von dem Unterzeichner vertretenen Rechtsanwaltssozietät als Prozeßbevollmächtigte der Beklagten I. Instanz beseitigt. Zwar erfolgt in einer Rechtsmittelschrift die Angabe der Prozeßbevollmächtigten I. Instanz regelmäßig beim Rechtsmittelgegner, da der Prozeßbevollmächtigte der Rechtsmittelinstanz noch nicht bekannt ist. Da die vom Unterzeichner der Berufungsschrift vertretene Rechtsanwaltssozietät aber offenbar einer Partei zu Unrecht als Prozeßbevollmächtigte zugerechnet war, konnte der Fehler auch die Bezeichnung als „Prozeßbevollmächtigte I. Instanz” umfassen.

Da der am letzten Tag der Frist eingelegten Berufung eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils nicht begefügt war, konnten nur in der Berufungsschrift selbst enthaltene Umstände zur Ermittlung der Person des Rechtsmittelklägers herangezogen werden.

c) Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich nicht um eine gegen den Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs verstoßende Überraschungsentscheidung. Bereits mit Schreiben des Gerichtes vom 28. Juli 1988 war der Kläger auf Bedenken des Gerichtes bezüglich der Ordnungsgemäßheit der Berufungseinlegung und auf die daher beabsichtigte Verwerfung hingewiesen worden. Die Ansicht des Klägers, tatsächlich habe keine Unklarheit über die Person des Rechtsmittelführers bestanden, wie die alsbaldige Zustellung der Berufungsschrift an den Rechtsmittelgegner und die Verlängerung der Begründungsfrist zeige, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Grundsatz, daß die Berufungsschrift den Rechtsmittelführer erkennen lassen muß, erfährt nur insoweit eine Ausnahme, als auch außerhalb der Berufungsschrift liegende Umstände, von denen das Gericht innerhalb der Berufungsfrist Kenntnis erlangt hat, berücksichtigt werden können. Später erkennbar werdende Umstände bleiben unberücksichtigt. So war die Zustellung der Berufungsschrift an die Beklagte veranlaßt worden, nachdem – nach Ablauf der Berufungsfrist – die Akte des Arbeitsgerichtes beim Landesarbeitsgericht eingegangen war. Die Vorakte konnte somit zur Ermittlung des Rechtsmittelführers herangezogen worden sein. Auch aus der späteren Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist kann nicht auf die zweifelsfreie Erkennbarkeit des Rechtsmittelführers bei Ablauf der Berufungsfrist geschlossen werden.

4. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger auch eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist verweigert. Gemäß § 233 Abs. 1 ZPO kann eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nur dann gewährt werden, wenn eine Partei an der Einhaltung einer Frist durch Naturereignisse oder unabwendbare Ereignisse verhindert war. Ob die Frist des Wiedereinsetzungsantrages gewahrt worden ist, kann dahingestellt bleiben. Die Versäumung der Berufungsfrist beruht jedenfalls auf einem Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Klägers, das dieser gemäß § 233, § 85 Abs. 2 ZPO gegen sich gelten lassen muß. Die vom Büropersonal angefertigten Rechtsmittelschriften sind sowohl wegen der Bedeutung eines solchen bestimmenden Schriftsatzes als auch wegen der – von der Rechtsprechung nach strengem Maßstab beurteilten – inhaltlichen Anforderungen vom Rechtsanwalt sorgfältig zu überprüfen (BGH LM Nr. 2 zu § 553 ZPO; BGH LM Nr. 37 zu § 232 ZPO; BGH Beschluß vom 29. April 1982 – I ZB 2/82 – VersR 1982, 769, 770). Entgegen der Ansicht des Klägers ist bei der Überprüfung des Rubrums kein geringerer Sorgfaltsmaßstab anzuwenden als bei der Kontrolle der Daten. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hätte also auch die Erkennbarkeit des Rechtsmittelführers überprüfen müssen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Bitter, Ascheid

 

Fundstellen

Dokument-Index HI969664

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