Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung - Streitgegenstand
Leitsatz (redaktionell)
Es verstößt gegen § 308 Abs 1 Satz 1 ZPO, wenn das Gericht in einem Streit über die Entfernung eines Abmahnungsschreibens den beklagten Arbeitgeber ohne entsprechenden Antrag für berechtigt erklärt, erneut schriftlich abzumahnen.
Verfahrensgang
Gründe
Die Parteien haben über die Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers gestritten. Nachdem das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet wurde, haben sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitig beantragt, die Kosten des Rechtsstreits dem Gegner aufzuerlegen.
I. Die Beklagte hat dem Kläger zwei Abmahnungen erteilt. Die erste hat sie mit ihrem Schreiben vom 18. März 1992 erteilt, die zweite mit ihrem Schreiben vom 30. März 1992. Die Abmahnung vom 30. März 1992 enthält u. a. den Vorwurf, der Kläger habe Kalbfelle fehlerhaft kantiert, indem er zunächst zuviel und dann zuwenig abgeschnitten habe.
Gegen beide Abmahnungen hat sich der Kläger zur Wehr gesetzt. Im ersten Rechtszug hat er beantragt, beide Abmahnungen zurückzunehmen und aus seiner Personalakte zu entfernen. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, die Abmahnung vom 18. März 1992 zurückzunehmen und das Abmahnungsscheiben vom selben Tag aus der Personalakte zu entfernen; die gegen die Abmahnung vom 30. März 1992 gerichtete Klage wurde abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom
30. März 1992 aus der Personalakte des Klägers zu
entfernen.
Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Landesarbeitsgericht unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie folgt entschieden:
"...
Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom
30.03.1992 aus der Personalakte des Klägers zu
entfernen.
Die Beklagte wird für berechtigt erklärt, binnen
Monatsfrist nach Rechtskraft dieser Entscheidung
hinsichtlich des Vorwurfes des fehlerhaften Kan-
tierens dem Kläger unter dem ursprünglichen Datum
des 30.03.1992 eine neue Abmahnung zu erteilen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu
1/4 und die Beklagte zu 3/4 zu tragen. ..."
Gegen dieses Urteil hat nur der Kläger Revision eingelegt. Er hat den Antrag angekündigt, die Beklagte zu verurteilen, auch die Abmahnung vom 30. März 1992 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Die Beklagte hat den Antrag angekündigt, die Revision zurückzuweisen. Die Beklagte hat die Abmahnung inzwischen aus der Personalakte des Klägers entfernt. Von der ihr durch das zweitinstanzliche Urteil eingeräumten Möglichkeit einer erneuten Abmahnung hat sie keinen Gebrauch gemacht.
II. Die Kosten des Rechtsstreits sind gemäß § 91 a ZPO der Beklagten aufzuerlegen.
Über die Kosten ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Dazu ist zunächst zu klären, welches Verfahrensziel der Kläger mit seiner Revision verfolgt.
Nach dem Wortlaut des Antrages würde er nur begehren, was ihm schon im zweiten Rechtszug zugesprochen worden ist, nämlich die Entfernung der Abmahnung vom 30. März 1992 aus der Personalakte. Indessen ist sein Antrag ausweislich der Begründung und unter Berücksichtigung der Urteilsgründe des angefochtenen Urteils dahin zu verstehen, daß der Kläger den Ausspruch des Berufungsgerichts beseitigt wissen will, der die Beklagte für berechtigt erklärt hat, binnen Monatsfrist nach Rechtskraft des Berufungsurteils unter dem ursprünglichen Datum des 30. März 1992 hinsichtlich des Vorwurfs des fehlerhaften Kantierens eine erneute Abmahnung zu erteilen. Nur insoweit ist der Kläger durch das Berufungsurteil beschwert.
Nach dem bisherigen Streitstand hätte die hiergegen gerichtete Revision des Klägers Erfolg haben müssen. Das Landesarbeitsgericht hat - wie der Kläger zu Recht rügt - mit diesem Urteilsausspruch, mit dem es die Beklagte zu einer erneuten Abmahnung für berechtigt erklärte, gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen. Nach dieser Vorschrift ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist.
Mit dem im zweiten Rechtszug zuletzt gestellten Antrag hat der Kläger nur noch die Entfernung der schriftlichen Abmahnung vom 30. März 1992 aus seiner Personalakte begehrt. Gegenstand dieses Antrags war daher - entsprechend der Rechtsprechung des erkennenden Senats - die Entfernung des Schreibens aus der Personalakte, das die vom Kläger als unrechtmäßig angesehene Abmahnung enthielt. Der Grund dafür, weshalb die schriftliche Abmahnung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen gewesen sein sollte, ist nicht Teil des Streitgegenstandes, sondern Begründung des Klageanspruchs. Dies hat das Landesarbeitsarbeitsgericht verkannt, indem es gemeint hat, es habe im Rahmen des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO dem Kläger lediglich ein weniger als beantragt zuerkannt. Diesen Erwägungen wäre allenfalls näherzutreten, wenn der Kläger die Frage der Rechtmäßigkeit der Abmahnung - unbeschadet ihrer Form - zu einem selbständigen Gegenstand seiner Klage gemacht hätte. Das aber ist ausweislich seines zuletzt gestellten Antrags wie auch der dazu gegebenen Begründung nicht zu entnehmen. Der Antrag ging nur noch dahin, das Abmahnungsschreiben aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann vor dem Tatsachengericht dadurch geheilt werden, daß eine Partei dasjenige, was ihr zuviel zuerkannt worden ist, im nächsthöheren Rechtszug in ihren Willen aufnimmt und als prozessuales Begehren geltend macht. Dieser Wille kann dadurch zum Ausdruck kommen, daß die Partei mit ihrem Antrag auf Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels und der dazu gegebenen Begründung an dem festhält, was sie ursprünglich nicht beantragt hatte, ihr aber vom Gericht zuerkannt wurde. Für das Revisionsverfahren scheidet eine solche Heilungsmöglichkeit jedoch schon deshalb aus, weil es sich um eine Klageerweiterung handelte und diese im dritten Rechtszug grundsätzlich unzulässig ist (BAG Beschluß vom 13. Juni 1989 - 1 ABR 4/88 - BAGE 62, 100, 105; vgl. zur Unzulässigkeit der Klageerweiterung in der Revision auch BAG Urteil vom 18. Dezember 1974 - 5 AZR 66/74 - AP Nr. 30 zu § 615 BGB).
Daher konnte vorliegend der Verstoß des Landesarbeitsgerichts gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht dadurch geheilt werden, daß die Beklagte den Antrag angekündigt hatte, die Revision zurückzuweisen. Waren aber - wie rechtskräftig feststeht - beide Abmahnungsschreiben aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, so hätte der Klage insgesamt stattgegeben werden müssen: Die Beklagte konnte in der Revisionsinstanz nicht mehr verlangen, daß sie entsprechend der fehlerhaften Entscheidung des Berufungsgerichts berechtigt blieb, eine neue Abmahnung zu erteilen.
Griebeling Reinecke Schliemann
Krogmann Ackert
Fundstellen
Haufe-Index 440401 |
DStR 1995, 947 (K) |
NJW 1995, 1374 |
NJW 1995, 1374-1375 (LT) |
EBE/BAG 1995, 36 (LT1) |
JR 1996, 132 |
NZA 1995, 461 |
NZA 1995, 461-462 (LT1) |
AP § 611 BGB Abmahnung (LT1), Nr 14 |
AR-Blattei, ES 20 Nr 31 (LT1) |