Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit einer Betriebsratswahl
Normenkette
BetrVG 1972 § 19
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 9. März 1999 – 1 TaBV 14–16/98 – aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Betriebsrats und der Arbeitgeberin wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Bremen vom 17. Juni 1998 – 7 BV 8–10/98 – abgeändert.
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Nichtigkeit einer in der Zeit vom 2. bis 12. Dezember 1997 durchgeführten Betriebsratswahl.
Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 5) betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Vielzahl von Verbrauchermärkten im gesamten Bundesgebiet. Nach dem gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG abgeschlossenen Zuordnungstarifvertrag vom 5. Februar 1997 ist das Verkaufsgebiet in vier Regionen (Nord, Süd, West und Ost) aufgeteilt. Die Region Nord ist in drei Regionsbezirke unterteilt, die für die Betriebsratswahl jeweils einen Betrieb bilden.
In der Zeit vom 2. bis 12. Dezember 1997 wurde im Regionsbezirk Nord II die Betriebsratswahl als gemeinsame Wahl für Angestellte und Arbeiter durchgeführt. Es war ein 19-köpfiger Betriebsrat zu wählen, und zwar für die Gruppe der Angestellten 16 Betriebsratsmitglieder und für die Gruppe der Arbeiter drei Betriebsratsmitglieder. Als Wahlvorschläge standen zwei Listen zur Wahl (Liste 1 = HBV; Liste 2 = DAG). Von den 2.888 Wahlberechtigten der Region Nord II wählten 1.953 Mitarbeiter, davon 386 durch Briefwahl. Dazu gehörten 41 Arbeitnehmer des Marktes Q.
Die 41 Briefwahlunterlagen aus dem Markt Q sammelte die Beteiligte zu 2) bei sich zu Hause. Diese 41 Stimmen wurden bei der Stimmenauszählung – mit Ausnahme von 3 aus anderen Gründen ungültigen Stimmen – deshalb für ungültig erklärt, weil sich die Stimmzettel nicht in den dafür vorgesehenen weißen DIN-A6-Wahlumschlägen befanden, sondern offen in den braunen DIN-A5-Umschlägen lagen.
Eine Anfechtung der Wahl erfolgte innerhalb der gesetzlichen Frist nicht. Mit ihrem am 23. Januar 1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag haben die Beteiligten zu 1)–3), sämtlich Arbeitnehmer des Marktes Q, jedoch die Nichtigkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht. Sie haben behauptet, die Briefwahlunterlagen der Arbeitnehmer des Marktes Q seien nachträglich manipuliert worden, um die Stimmen ungültig zu machen. Dies ergebe sich daraus, daß die Wähler selbst ihre Stimmzettel ordnungsgemäß in die dafür vorgesehenen kleinen weißen Wahlumschläge gesteckt und diese dann zusammen mit der Erklärung über die persönliche Stimmabgabe in den braunen DIN-A5-Umschlag eingetütet hätten.
Die Beteiligten zu 1)–3) haben beantragt
festzustellen, daß die Betriebsratswahl bei der Beteiligten zu 5) für die Region Nord II (2. bis 12. Dezember 1997) nichtig ist.
Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie haben bestritten, daß es bei der Briefwahl zu einer nachträglichen Manipulation der Unterlagen gekommen sei. Vielmehr hätten die Briefwähler selbst ihre Unterlagen fehlerhaft angeordnet.
Das Arbeitsgericht hat die Nichtigkeit der Wahl festgestellt. Die Beschwerde des Betriebsrats und der Arbeitgeberin ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen der Betriebsrat und die Arbeitgeberin ihr Verfahrensziel der Zurückweisung des Antrags weiter. Die Beteiligten zu 1) bis 3) beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückweisung des Antrags. Denn die Betriebsratswahl vom 2. bis 12. Dezember 1997 ist nicht nichtig. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts beruht auf einer rechtsfehlerhaften Subsumtion des Sachverhalts unter den Begriff der Nichtigkeit.
I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Voraussetzungen einer Wahlnichtigkeit ausgegangen. Danach ist eine Betriebsratswahl nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, daß auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt. Es muß demnach ein sowohl offensichtlicher als auch besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften vorliegen (vgl. z.B. BAG 28. November 1977 – 1 ABR 36/76 – BAGE 29, 392 = AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 6; zuletzt BAG 22. März 2000 – 7 ABR 34/98 – AP AÜG § 14 Nr. 8, auch zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen).
II. Bei der Subsumtion des vorliegenden Sachverhalts hat das Landesarbeitsgericht jedoch diesen Maßstab verlassen. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
1. Auf der Grundlage seines Beweisergebnisses, die Wahlunterlagen von 38 Briefwählern seien nachträglich anders angeordnet worden, als dies tatsächlich von den Wahlberechtigten vorgenommen worden war, stellt das Landesarbeitsgericht zwar zutreffend fest, daß ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vorliegt. Das Landesarbeitsgericht begründet indessen weder die Offensichtlichkeit, noch die Schwere dieses Verstoßes näher. Vielmehr führt es insoweit im wesentlichen nur aus, eine „Wahlmanipulation” sei ein so massiver Eingriff in das Wahlverfahren, daß er nicht sanktionslos bleiben könne. Angesichts der Schwierigkeiten einer Wahlanfechtung genüge es nicht, wenn ein solcher Verstoß lediglich die Anfechtbarkeit der Wahl zur Folge habe.
2. Diese Begründung des Landesarbeitsgerichts ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sich die schwerwiegenden Rechtsfolgen einer Wahlnichtigkeit nicht damit rechtfertigen lassen, einer Wahlanfechtung stünden Schwierigkeiten entgegen. Durch die Anforderungen an eine Wahlanfechtung gibt der Gesetzgeber der Rechtssicherheit und dem Schutz einer betrieblichen Interessenvertretung erkennbar den Vorrang vor einer Einhaltung von Wahlvorschriften. Dieser Vorrang besteht auch hinsichtlich der Rechtsfolgen der Wahlanfechtung. Selbst bei einem Erfolg der Wahlanfechtung bleibt der Betriebsrat bis zum rechtskräftigen Abschluß des gerichtlichen Verfahrens im Amt. Demgegenüber sind die Rechtsfolgen der Nichtigkeit einer Wahl wesentlich schwerwiegender; die Anforderungen an die Feststellung einer Nichtigkeit sind daher deutlich höher und keinesfalls geringer als die einer Wahlanfechtung. Die Unmöglichkeit einer Wahlanfechtung darf daher nicht zur Begründung einer Nichtigkeit herangezogen werden. Erst recht nicht läßt sich argumentieren, ein Wahlverstoß dürfe nicht „sanktionslos” bleiben. Wenn die Voraussetzungen der im Gesetz vorgesehenen Wahlanfechtung im konkreten Fall nicht (mehr) vorliegen, so berechtigt dies allein nicht dazu, die schwerwiegendere Rechtsfolge der Nichtigkeit anzunehmen.
III. Auf der Grundlage des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts kann der Senat selbst abschließend entscheiden, daß die vorliegende Betriebsratswahl nicht nichtig ist.
1. Ein besonders schwerer Verstoß kann nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht angenommen werden. Eine nachträgliche Veränderung der Zusammenstellung der Wahlunterlagen in der Absicht, die betroffenen Briefwahlstimmen ungültig zu machen und damit das Wahlergebnis in bestimmter Richtung zu beeinflussen, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Aus dem Beweisergebnis des Landesarbeitsgerichts ergibt sich nur, daß die Wahlunterlagen bei der Auszählung der Stimmen anders zusammengestellt waren, als es bei ihrer Abgabe durch die Wahlberechtigten der Fall gewesen war. Es hat aber nicht festgestellt, auf welche Weise und in welcher Absicht dies geschehen ist. Die Vermutung einer absichtlichen „Manipulation” begründet das Landesarbeitsgericht nicht.
2. Erst recht fehlt es an der erforderlichen Evidenz des Wahlverstoßes. Das Landesarbeitsgericht ist zu seiner Feststellung, die Briefwahlstimmen seien nach ihrer Abgabe verändert worden, nur mittels einer komplizierten Beweiswürdigung auf der Grundlage einer umfangreichen Beweisaufnahme gelangt. Im Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsratswahl war daher eine Nichtigkeit der Wahl nicht erkennbar. Die Folgen einer Wahlnichtigkeit sind schwerwiegend. Die Nichtigkeitsgründe müssen daher evident sein. Sind sie erst aufgrund umfangreicher und langwieriger Ermittlungen feststellbar, ist es nicht zu rechtfertigen, daß in einem solchen Fall die Wahl nicht einmal mehr dem Anschein einer ordnungsgemäßen Wahl entsprechen soll (vgl. z.B. BAG 29. April 1998 – 7 ABR 42/97 – AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 58 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 82).
IV. Auf die Frage, ob die Nichtigkeit der Wahl nur angenommen werden kann, wenn der Wahlverstoß das Wahlergebnis beeinflussen konnte, kommt es nicht an. So bleibt offen, ob an der Auffassung festgehalten werden kann, für die Feststellung der Nichtigkeit einer Betriebsratswahl komme es nicht darauf an, ob das Wahlergebnis durch den Wahlverstoß beeinflußt worden ist (BAG 24. Januar 1964 – 1 ABR 14/63 – BAGE 15, 235 = AP BetrVG 1952 § 3 Nr. 6; Richardi BetrVG 7. Aufl. § 19 Rn. 74; a.A.mit guten Gründen GK-Kreutz BetrVG 6. Aufl. § 19 Rn. 136).
Unterschriften
Dörner, Steckhan, Schmidt, Nottelmann, Meyer
Fundstellen