Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattungsanspruch des Rechtsmittelbeklagten bei Rücknahme des Rechtsmittels vor Begründung. Kostenerstattungsanspruch des Rechtsmittelbeklagten bei Rechtsmittelrücknahme: Erstattungsfähigkeit der Prozeßgebühr des Prozeßbevollmächtigten bei Antrag auf Zurückweisung vor Begründung der Berufung. s. BGH 17. Dezember 2002 – X ZB 27/02 – NJW 2003, 1324
Orientierungssatz
- Die Erstattungsfähigkeit einer Anwaltsgebühr nach § 91 ZPO ist grundsätzlich von der Notwendigkeit der die Gebühr auslösenden Maßnahme zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung abhängig.
- Es besteht im Normalfall kein Anlaß für den Berufungsgegner, mit der Vertretungsanzeige seines Prozeßbevollmächtigten vor Begründung der Berufung zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung anzukündigen.
- Beantragt der Prozeßbevollmächtigte des Berufungsbeklagten die Zurückweisung der Berufung, bevor diese begründet wird, so ist dem Berufungsbeklagten im Falle der Rücknahme der Berufung nur die halbe Prozeßgebühr zu erstatten.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 1, § 32
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 12. August 2002 – 6 Ta 60/02 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 216,61 Euro
Tatbestand
I. Die Beklagte hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Senftenberg vom 7. August 2001 – 1 Ca 724/01 – am 18. September 2001 Berufung eingelegt und den Antrag angekündigt, das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Mit dem am 28. September 2001 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz haben sich die Prozeßbevollmächtigten des Klägers bestellt und die Zurückweisung der Berufung beantragt. Am 10. Oktober 2001 hat die Beklagte die eingelegte Berufung zurückgenommen. Das Arbeitsgericht hat die dem Kläger von der Beklagten zu erstattenden Kosten auf 582,37 Euro festgesetzt und dabei eine Prozeßgebühr iHv. 13/10 als erstattungsfähig angesehen. Auf die Beschwerde der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf lediglich 365,76 Euro nebst Zinsen festgesetzt und dabei eine 13/20-Gebühr nach dem Streitwert der Hauptsache und eine 13/10-Gebühr nach dem Kostenstreitwert berücksichtigt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Festsetzung der vollen 13/10-Gebühr weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO nF ist gegen einen Beschluß des Beschwerdegerichts die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Beschwerdegericht sie in dem Beschluß zugelassen hat. Das Rechtsbeschwerdegericht ist gem. § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO nF an die Zulassung gebunden.
Die §§ 574 ff. ZPO gelten jedenfalls für Beschwerden, die dem Recht der Zivilprozeßordnung unterliegen (BAG vom 20. August 2002 – 2 AZB 16/02 – AP KSchG 1969 § 5 Nr. 14 = EzA KSchG § 5 Nr. 34). Dazu gehört das Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 ff. ZPO (GK-ArbGG/Wenzel Stand Mai 2003 § 78 Rn. 120).
Die Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig, insbesondere ist die gem. § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO nF einzuhaltende Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses gewahrt (§ 222 Abs. 1 und 2 ZPO iVm. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB).
2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
a) Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, der Kläger sei nach Einlegung der Berufung durch die Beklagte seinerseits berechtigt gewesen, sich auf seine Rechtsverteidigung einzurichten und die dafür gebotenen Maßnahmen zu veranlassen; hierzu habe auch die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Prozeßvertretung gehört.
Das Beschwerdegericht hat jedoch nur eine 13/20-Prozeßgebühr als erstattungsfähig angesehen. Das Entstehen einer Gebühr führe noch nicht zu ihrer Erstattungsfähigkeit. Erstattungsfähig sei sie nur dann, wenn der Antrag iSd. § 91 ZPO notwendig war. Notwendig sei aber nur eine nach dem Streitwert von 15.000,00 DM berechnete 13/20-Gebühr gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1, § 32 BRAGO, nicht aber die durch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung ausgelöste 13/10-Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO.
b) Die hiergegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde sind nicht begründet.
Es ist mit der überwiegend in Rechtsprechung (OLG Nürnberg 10. Januar 2000 – 10 WF 4338/99 – MDR 2000, 415; OLG Karlsruhe 2. September 1996 – 11 W 95/96 – Rpfleger 1997, 128) und Schrifttum (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte 15. Aufl. § 31 Rn. 20) vertretenen Ansicht davon auszugehen, daß der Rechtsmittelbeklagte einen Rechtsanwalt für die Rechtsmittelinstanz beauftragen und dieser seine Vertretung gegenüber dem Rechtsmittelgericht anzeigen darf, sobald das Rechtsmittel eingelegt ist.
Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts ist aber die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der einmal bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf.
Die Beklagte hat ihre Berufung innerhalb der Berufungsfrist zurückgenommen. Eine nachträgliche Ermäßigung der angefallenen vollen 13/10-Prozeßgebühr auf eine halbe 13/10-Prozeßgebühr gem. § 32 Abs. 1 BRAGO ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen, nachdem der Kläger mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 27. September 2001 den Antrag auf Zurückweisung der Berufung angekündigt hat (vgl. LAG Sachsen-Anhalt 16. Juni 2000 – 10 Ta 112/00 –). Denn ein solcher Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist jedenfalls im Sinne des Gebührenrechts als Sachantrag anzusehen, so daß dem zum Prozeßbevollmächtigten bestellten Rechtsanwalt des Rechtsmittelbeklagten, der einen Schriftsatz mit diesem Inhalt bei Gericht eingereicht hat, die volle Prozeßgebühr zusteht (BGH 13. Oktober 1969 – III ZR 186/66 – BGHZ 52, 385; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte 15. Aufl. § 31 Rn. 20 und § 32 Rn. 15).
Für die Entstehung einer Gebühr kommt es nicht darauf an, ob die den gesetzlichen Gebührentatbestand ausfüllenden Maßnahmen erforderlich waren. Ihre Erstattungsfähigkeit nach § 91 ZPO ist jedoch grundsätzlich von der Notwendigkeit der Maßnahmen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung abhängig. Die Erstattung der aufgewandten Kosten kann eine Partei nur insoweit erwarten, als sie der ihr aus dem Prozeßrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (BVerfG 30. Januar 1990 – 2 BvR 1085/89 – NJW 1990, 3072, 3073).
Es besteht im Normalfall kein Anlaß für den Berufungsgegner, mit der Vertretungsanzeige seines Prozeßbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung anzukündigen (BGH 17. Dezember 2002 – X ZB 27/02 – NJW 2003, 1324; LAG Thüringen 12. Dezember 2000 – 8 Ta 138/2000 – MDR 2001, 477; OLG Naumburg 18. Februar 1997 – 4 W 243/96 – Anwaltsblatt 1999, 56).
Die Beklagte hat mit dem Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 17. September 2001 nicht nur Berufung eingelegt, sondern zugleich beantragt, das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Auch diese Verbindung der Berufungseinlegung mit einem Sachantrag führt entgegen einer vereinzelt in Rechtsprechung (OLG Köln 15. September 1997 – 17 W 243/97 – BB 1997, 2452) und Literatur (MünchKommZPO-Belz 2. Aufl. Bd. 1 § 91 Rn. 39) vertretenen Auffassung nicht dazu, daß die Ankündigung des Antrags auf Zurückweisung der Berufung als notwendig angesehen werden könnte. Denn entscheidend ist, daß sich der Berufungsbeklagte erst nach Vorliegen der Berufungsbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf das erstinstanzliche Urteil sachlich auseinandersetzen kann (LAG Sachsen-Anhalt 16. Juni 2000 – 10 Ta 112/00 –; LAG Thüringen 12. Dezember 2000 – 8 Ta 138/2000 –; OLG Koblenz 13. Juni 2001 – 14 W 395/01 –; OLG Naumburg 21. September 2001 – 13 W 166/01 –; offengelassen LAG Schleswig-Holstein 23. April 2001 – 1 Ta 45 e/01 – NZA-RR 2001, 494). Es ist nicht ersichtlich, welche Prozeßförderung von einem Antrag auf Zurückweisung der Berufung ausgehen könnte, solange mangels einer Berufungsbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist (OLG München 29. Juli 1997 – 11 W 1953/97 – Anwaltsblatt 1998, 214). Dies gilt unabhängig davon, ob die Berufung ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt wurde oder nicht (OLG Nürnberg 17. Juli 1992 – 4 W 1674/92 – JurBüro 1993, 91).
Auch das Prinzip der “Waffengleichheit” besagt nicht, daß es dem Rechtsmittelgegner stets möglich sein muß, Anwaltskosten in gleicher Höhe erstattet zu verlangen, wie sie dem Rechtsmittelführer entstanden sind (BGH 17. Dezember 2002 – X ZB 27/02 – NJW 2003, 1324).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann
Fundstellen
Haufe-Index 980893 |
NJW 2003, 3796 |
JurBüro 2004, 200 |
NZA 2003, 1293 |
ZAP 2004, 116 |
AGS 2004, 82 |
RVGreport 2004, 35 |
BAGReport 2004, 28 |
KammerForum 2004, 58 |