Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Leiharbeitsrichtlinie auf Rote-Kreuz-Schwestern
Leitsatz (amtlich)
Der Senat ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union gem. Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um die Beantwortung der folgenden Frage:
Findet Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit Anwendung auf die Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein anderes Unternehmen zur Arbeitsleistung nach dessen fachlicher und organisatorischer Weisung, wenn sich das Vereinsmitglied bei seinem Vereinsbeitritt verpflichtet hat, seine volle Arbeitskraft auch Dritten zur Verfügung zu stellen, wofür es von dem Verein eine monatliche Vergütung erhält, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet, und der Verein für die Überlassung den Ersatz der Personalkosten des Vereinsmitglieds sowie eine Verwaltungskostenpauschale erhält?
Normenkette
AÜG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2; BetrVG § 99 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1; Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. L 327 vom 5. Dezember 2008 S. 9) Art. 1 Abs. 1; Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. L 327 vom 5. Dezember 2008 S. 9) Art. 1 Abs. 2; Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. L 327 vom 5. Dezember 2008 S. 9) Art. 2; Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. L 327 vom 5. Dezember 2008 S. 9) Art. 3 Abs. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Tenor
I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gem. Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um die Beantwortung der folgenden Frage ersucht:
Findet Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit Anwendung auf die Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein anderes Unternehmen zur Arbeitsleistung nach dessen fachlicher und organisatorischer Weisung, wenn sich das Vereinsmitglied bei seinem Vereinsbeitritt verpflichtet hat, seine volle Arbeitskraft auch Dritten zur Verfügung zu stellen, wofür es von dem Verein eine monatliche Vergütung erhält, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet, und der Verein für die Überlassung den Ersatz der Personalkosten des Vereinsmitglieds sowie eine Verwaltungskostenpauschale erhält?
II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.
Tatbestand
A.Gegenstand des Ausgangsverfahrens
Die Arbeitgeberin beschäftigt etwa 190 Arbeitnehmer. Sie betreibt in Essen eine stationäre Klinik. Am Verfahren beteiligt ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.
Die Arbeitgeberin und die DRK-Schwesternschaft Essen e. V. (Schwesternschaft) schlossen im Jahr 2010 eine als „Gestellungsvertrag” bezeichnete Vereinbarung. Nach dieser übernimmt es die Schwesternschaft, Angehörige der pflegenden und pflegenahen Berufe bei der Arbeitgeberin einzusetzen. Bei diesem Personal handelt es sich um Vereinsmitglieder der Schwesternschaft. Während ihrer Tätigkeit in der Klinik unterliegen die Mitglieder der Schwesternschaft den fachlichen und organisatorischen Weisungen der Arbeitgeberin. Für die Überlassung erhält die Schwesternschaft von der Arbeitgeberin ein Gestellungsentgelt. Dies umfasst die Bruttopersonalkosten und eine 3%ige Verwaltungskostenpauschale. Die Schwesternschaft verfügt seit Dezember 2011 über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
Die Schwesternschaft ist in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins organisiert. In § 1 Unterabs. 3, § 2 ihrer Satzung bezeichnet sie sich als eine Gemeinschaft, die „den Mitgliedern die Ausübung ihres Berufes im caritativen Geist unter dem Zeichen des Roten Kreuzes ermöglicht und das Zusammengehörigkeitsbewusstsein festigt”. Die Schwesternschaft ist „selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke”. Nach der Vereinssatzung können Personen eine Mitgliedschaft zur Berufsausübung begründen, wenn sie berechtigt sind, einen Beruf in der Kranken- und Gesundheitspflege auszuüben. Diese Vereinsmitglieder sind verpflichtet, der Schwesternschaft ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Ihre Tätigkeit üben sie entweder bei der Schwesternschaft oder im Rahmen von Gestellungsverträgen bei Dritten in Einrichtungen der Krankheits- und Gesundheitspflege aus. Sie erhalten ua. eine monatliche Vergütung, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet, Reise- und Umzugskosten, eine Anwartschaft auf ein zusätzliches Ruhegeld, Erholungsurlaub sowie eine Fortzahlung der Vergütung bei einer durch Unfall oder Krankheit verursachten Arbeitsunfähigkeit. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kann ein Mitglied aus der Schwesternschaft ausgeschlossen werden.
Die Schwesternschaft ist über ihre Mitgliedschaft im Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz e. V. dem Deutschen Roten Kreuz e. V. (DRK) angeschlossen. Dieses ist Teil der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. Den bundesweit 33 Schwesternschaften des DRK gehören insgesamt rund 22.000 Rotkreuzschwestern und -pfleger an. Diese sind sowohl in eigenen Einrichtungen der DRK-Schwesternschaften als auch im Rahmen von Gestellungsverträgen in Einrichtungen anderer Rechtsträger tätig.
Die DRK-Schwesternschaft Essen e. V. schließt seit dem Jahr 2003 mit Pflegekräften keine Arbeitsverträge mehr ab. Sie nimmt diese nur als Vereinsmitglieder auf.
Eine dieser Schwestern ist Frau K. Sie sollte im Betrieb der Arbeitgeberin ab dem 1. Januar 2012 auf der Grundlage des mit der Schwesternschaft im Jahr 2010 abgeschlossenen Gestellungsvertrags auf unbestimmte Zeit im Pflegedienst eingesetzt werden. Der Betriebsrat verweigerte mit Schreiben vom 2. Dezember 2011 seine Zustimmung zur Einstellung, weil der Einsatz von Frau K nicht vorübergehend sei und damit gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verstoße. Die Arbeitgeberin setzt Frau K seit dem 1. Januar 2012 im Rahmen einer vorläufigen personellen Maßnahme in ihrer Klinik im Pflegedienst ein.
In dem von der Arbeitgeberin eingeleiteten Beschlussverfahren hat diese die gerichtliche Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Einstellung von Frau K beantragt. Sie hat gemeint, der geltend gemachte Zustimmungsverweigerungsgrund bestehe nicht. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz finde keine Anwendung, weil Frau K Vereinsmitglied der Schwesternschaft und nicht deren Arbeitnehmerin sei. Die Vorinstanzen haben die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung von Frau K ersetzt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats.
Entscheidungsgründe
B.Das einschlägige nationale Recht
I. Gesetzliche Vorschriften
1. Betriebsverfassungsgesetz
§ 99 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 des zuletzt durch Gesetz vom 20. April 2013 (BGBl. I S. 868) geänderten Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) lauten in der Fassung vom 25. September 2001:
„§ 99 Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen
(1) In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, … zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. …
(2) Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn
- die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz, … verstoßen würde,
…”
Eine Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG setzt nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Inhaber des Einsatzbetriebs voraus. Die Voraussetzungen von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liegen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits dann vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen (BAG 23. Juni 2010 – 7 ABR 1/09 – Rn. 13, BAGE 135, 26).
2. Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
§ 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des zuletzt durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28. April 2011 (– Missbrauchsverhinderungsgesetz – BGBl. I S. 642) geänderte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) lauten in der ab dem 1. Dezember 2011 geltenden Fassung:
(1) Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen wollen, bedürfen der Erlaubnis. Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend. …”
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verbietet § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der seit dem 1. Dezember 2011 geltenden Fassung die nicht nur vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher. Auf dieses gesetzliche Verbot kann sich der im Betrieb eines Entleihers gebildete Betriebsrat gegenüber der Übernahme eines Leiharbeitnehmers berufen (zuletzt BAG 30. September 2014 – 1 ABR 79/12 – Rn. 17). In einem solchen Fall muss der Einsatz des Leiharbeitnehmers beim entleihenden Unternehmen unterbleiben.
II. Die nationale Rechtsprechung zur Anwendung des AÜG
1. Die Geltung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG setzt voraus, dass es sich bei der zur Arbeitsleistung an einen Entleiher überlassenen Person um einen Arbeitnehmer des Verleihers handelt (BAG 9. November 1994 – 7 AZR 217/94 – zu II der Gründe, BAGE 78, 252). Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz enthält selbst keine Definition des Arbeitnehmerbegriffs. Ebenso fehlt im nationalen Recht eine für alle arbeitsrechtlichen Gesetze geltende Definition der Arbeitnehmereigenschaft. Bei der Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist deshalb von dem durch die Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Arbeitnehmerbegriff auszugehen. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (zuletzt BAG 17. September 2014 – 10 AZB 43/14 – Rn. 18).
2. Mitglieder der DRK-Schwesternschaften sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Arbeitnehmer im Sinne des im nationalen Recht verwandten allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs. Sie erbringen ihre Arbeitsleistung zwar in fremdbestimmter persönlicher Abhängigkeit. Rechtsgrundlage für die von ihnen geschuldeten Dienste ist aber kein privatrechtlicher Vertrag, sondern der privatautonom begründete Vereinsbeitritt zu der Schwesternschaft und die damit verbundene Pflicht, den Vereinsbeitrag in der Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen. Ein Rechtssatz, wonach bei solchen Diensten ausschließlich ein Arbeitsverhältnis begründet wird, besteht im nationalen Recht nicht. Entsprechend der grundgesetzlich geschützten Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) können abhängige Dienste auch als Mitgliedschaftsbeitrag erbracht werden, soweit durch die Arbeitspflichten zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen werden. Eine solche Umgehung hat das Bundesarbeitsgericht angesichts der für die Vereinsmitglieder in den Satzungen und Mitgliedsordnungen der Schwesternschaften vorgesehenen Leistungen verneint (BAG 6. Juli 1995 – 5 AZB 9/93 – zu B I 2 b und c der Gründe, BAGE 80, 256).
C. Einschlägige Vorschriften des Unionsrechts
Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. L 327 vom 5. Dezember 2008 S. 9 – RL 2008/104/EG) lauten:
„Artikel 1 |
Anwendungsbereich |
(1) Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.
(2) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, bei denen es sich um Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht.
…
Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.
Artikel 3 |
Begriffsbestimmungen |
(1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) ‚Arbeitnehmer’ eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist;
…”
D. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefrage:
I. Die Entscheidung über den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin hängt von der Begründetheit des vom Betriebsrat geltend gemachten Zustimmungsverweigerungsgrunds aus § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ab. Bei dem beabsichtigten Einsatz von Frau K handelt es sich um eine Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Über diese hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet. Der danach zulässige Antrag der Arbeitgeberin wäre abzuweisen, wenn Frau K während ihres Einsatzes bei der Arbeitgeberin als Arbeitnehmer iSd. Art. 1 Abs. 1 RL 2008/104/EG anzusehen wäre und die Überlassung gegen Erstattung der Bruttopersonalkosten zuzüglich einer Verwaltungskostenpauschale eine wirtschaftliche Tätigkeit der Schwesternschaft iSd. Art. 1 Abs. 2 RL 2008/104/EG darstellt. Würde dieser Sachverhalt von der RL 2008/104/EG erfasst, wären § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AÜG nach den Grundsätzen der unionsrechtskonformen Auslegung dahingehend auszulegen, dass der Einsatz von Frau K eine nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung darstellt, die nach nationalem Recht unzulässig ist.
II. Der Senat vermag nicht mit der für ein letztinstanzliches Gericht gebotenen Sicherheit zu beurteilen, ob er die im nationalen Recht geltenden Grundsätze für die Arbeitnehmereigenschaft bei der Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG heranziehen kann und welche Anforderungen für eine wirtschaftliche Tätigkeit nach Unionsrecht gelten.
1. Es ist nicht hinreichend geklärt, ob das Unionsrecht der Heranziehung
der im nationalen Recht geltenden Grundsätze entgegensteht, die für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft von Personen gelten, die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG Dritten zur Arbeitsleistung überlassen werden.
a) Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a RL 2008/104/EG bezeichnet der Ausdruck „Arbeitnehmer” eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist. Nach der dort bestimmten Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten ist bei der Auslegung des nationalen Rechts nicht von dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff auszugehen.
b) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann das Unionsrecht aber selbst dann, wenn sich die Definition des Arbeitnehmerbegriffs nach nationalem Recht richtet, das den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen begrenzen. Die in einer Richtlinie verwendeten Begriffe können danach nur in dem Umfang entsprechend dem nationalen Recht und/oder der nationalen Praxis definiert werden, soweit die praktische Wirksamkeit der Richtlinie und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gewahrt bleiben. Die Mitgliedstaaten dürfen – so der Gerichtshof – daher keine Regelung anwenden, die die Verwirklichung der mit einer Richtlinie verfolgten Ziele gefährden und sie damit ihrer praktischen Wirksamkeit berauben können. Insbesondere darf ein Mitgliedstaat nicht unter Verletzung der praktischen Wirksamkeit der jeweiligen Richtlinie nach seinem Belieben bestimmte Personalkategorien von dem durch diese bezweckten Schutz ausnehmen (EuGH 1. März 2012 – C-393/10 – [O'Brien] Rn. 34 ff.).
c) Es ist nicht eindeutig, ob die mit der RL 2008/104/EG verfolgten Ziele in Frage gestellt werden, wenn die im nationalen Recht für die Leiharbeit geltenden Vorschriften nur dann eingreifen, wenn die Person, die einem entleihenden Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen wird, mit dem Verleiher einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.
aa) Nach Art. 2 RL 2008/104/EG ist es Ziel der Richtlinie, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.
bb) Danach könnte es mit Unionsrecht unvereinbar sein, wenn den Mitgliedern der Schwesternschaften die in der RL 2008/104/EG vorgesehenen Schutzvorschriften nur deshalb vorenthalten bleiben, weil ihr Rechtsverhältnis nach nationalem Recht nicht als Arbeitsverhältnis anzusehen ist. Leiharbeitnehmer und Mitglieder der Schwesternschaften sind gleichermaßen in ihren Rechtsverhältnissen zur Leistung abhängiger Arbeit gegen Zahlung einer Vergütung verpflichtet. Beide Personalkategorien können entleihenden Unternehmen nach deren Weisungen zur Arbeitsleistung überlassen werden. Auch die Tätigkeit der als Leiharbeitsunternehmen und entleihenden Unternehmen handelnden Rechtsträger unterscheidet sich nicht. Daher ist die Herausnahme von Personen aus dem Anwendungsbereich der RL 2008/104/EG, die entleihenden Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen werden, auch für das wettbewerbsrechtliche Verhältnis von Leiharbeitsunternehmen im Pflegebereich von Bedeutung.
cc) Dafür, dass die Einordnung des zwischen Verleiher und der zur Arbeitsleistung überlassenen Person bestehenden Rechtsverhältnisses für das Unionsrecht keine Bedeutung hat, könnte auch der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Alt. 2 RL 2008/104/EG sprechen. Der Abschluss eines Arbeitsvertrags ist nur für das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft nach der 1. Alternative erforderlich. Als Arbeitnehmer sind nach der 2. Alternative die Personen anzusehen, die mit einem Leiharbeitsunternehmen ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind. Dies kann dahingehend verstanden werden, dass sich die betreffende Person gegenüber dem Verleiher – unabhängig von der Art des dadurch begründeten Rechtsverhältnisses – nur zur Erbringung von fremdbestimmten Dienstleistungen nach dessen Weisungen verpflichtet haben muss.
2. Ebenso kann der Senat nicht beurteilen, ob die Überlassung von Mitgliedern der Schwesternschaft an entleihende Unternehmen das Merkmal der „wirtschaftlichen Tätigkeit” iSd. Art. 1 Abs. 2 RL 2008/104/EG erfüllt. Nach dessen Wortlaut steht zwar die fehlende Verfolgung eines Erwerbszwecks durch das Leihunternehmen der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht entgegen. Das könnte zwar für die Erstreckung der RL 2008/104/EG auch auf die Überlassung von Leiharbeitnehmern durch gemeinnützige Rechtsträger sprechen. Die Beantwortung dieser Frage betrifft aber die Auslegung des Unionsrechts, die nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof obliegt.
Unterschriften
Schmidt, K. Schmidt, Koch, Hromadka, Ralf-P. Hayen
Fundstellen
Haufe-Index 7944191 |
BAGE 2016, 131 |
ZTR 2015, 400 |
EzA 2015 |
ArbRB 2015, 233 |
GesR 2016, 82 |
PflR 2015, 515 |