Entscheidungsstichwort (Thema)
Europäische Union. Freizügigkeit der Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
Der Europäische Gerichtshof wird im Wege der Vorabentscheidung zu folgender Frage angerufen:
Sind Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1612/68 dahingehend auszulegen, daß eine unterschiedliche Behandlung wegen der Staatsangehörigkeit in Bezug auf Arbeitsbedingungen unterbleiben muß, wenn das Arbeitsverhältnis einer ständig in Algier lebenden belgischen Staatsangehörigen, die als Paßstellenhilfskraft an der Deutschen Botschaft in Algier tätig ist, dort begründet wurde und ausschließlich und dauernd dort erfüllt wird?
Normenkette
EGV Art. 48 Abs. 2, Art. 177 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3, Art. 227; EWGV 1612/68 Art. 7 Abs. 1, 4; Gesetz über den auswärtigen Dienst (GAD) §§ 31-33; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 116
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 06.08.1993; Aktenzeichen 4 (14) Sa 128/93) |
ArbG Bonn (Urteil vom 22.12.1992; Aktenzeichen 1 Ca 1929/92) |
Tenor
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Der Europäische Gerichtshof wird im Wege der Vorabentscheidung zu folgender Frage angerufen:
Sind Artikel 48 Abs. 2 EGV und Artikel 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1612/68 dahingehend auszulegen, daß eine unterschiedliche Behandlung wegen der Staatsangehörigkeit in Bezug auf Arbeitsbedingungen unterbleiben muß, wenn das Arbeitsverhältnis einer ständig in Algier lebenden begischen Staatsangehörigen, die als Paßstellenhilfskraft an der Deutschen Botschaft in Algier tätig ist, dort begründet wurde und ausschließlich und dauernd dort erfüllt wird?
Von Rechts wegen!
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin als nichtentsandte Beschäftigte belgischer Staatsangehörigkeit an der Deutschen Botschaft in Algier einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit deutschen nichtentsandten Botschaftsangestellten hat.
Die Klägerin ist seit dem 1. April 1982 bei der Deutschen Botschaft in Algier als Paßstellenhilfskraft beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde in Algerien begründet. Die Klägerin war bereits zuvor dort ansässig und hält sich dauernd in Algerien auf.
Die Klägerin wird als nichtentsandte Beschäftigte nichtdeutscher Staatsangehörigkeit im Sinne der §§ 31, 33 des Gesetzes über den Auswärtigen Dienst (GAD) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ist gemäß § 33 GAD nach der Ortsüblichkeit gestaltet.
Mit Schreiben vom 19. November 1991 verlangte die Klägerin von der Beklagten Gleichbehandlung mit deutschen nichtentsandten Angestellten. Diese werden gemäß § 32 GAD nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten deutschen nicht entsandten Angestellten vom 28. September 1973 (TV Ang Ausland) beschäftigt. Eine Beschäftigung nach dem TV Ang Ausland wäre für die Klägerin günstiger als nach der Ortsüblichkeit. Die Beklagte lehnte das Verlangen der Klägerin ab.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beschäftigung nach der Ortsüblichkeit verstoße gegen das in Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 (ABl EG Nr. L 257/4) enthaltene Diskriminierungsverbot. Danach sei eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgrund der Staatsangehörigkeit untersagt.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin gemäß den Bestimmungen des Tarifvertrages zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten deutschen nicht entsandten Angestellten (TV Ang Ausland) zu beschäftigen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, § 32 GAD verstoße als zwingendes nationales Recht nicht gegen Gemeinschaftsrecht nach Art. 48 EGV und Art. 7 Verordung Nr. 1612/68. Gemeinschaftsrecht sei nicht anwendbar, weil dessen räumlicher Geltungsbereich auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschränkt sei (Art. 227 EGV) und die Klägerin nicht grenzüberschreitend im Binnenmarkt, sondern ausschließlich in einem Drittstaat tätig sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
II.
Der erkennende Senat ruft den Europäischen Gerichtshof mit der Bitte um Vorabentscheidung an, weil sich der geltend gemachte Anspruch der Klägerin den Vorschriften des nationalen Rechts nicht entnehmen läßt und von der Auslegung der Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Verordnung Nr. 1612/68 abhängt (Art. 177 Abs. 1 Buchst. a EGV). Die aufgeworfene Rechtsfrage ist damit entscheidungserheblich, sie ist bisher vom Europäischen Gerichtshof noch nicht entschieden worden.
1. Die unmittelbare Anwendung des TV Ang Ausland scheidet aus. Die Klägerin ist belgische Staatsangehörige; der TV Ang Ausland gilt nur für Deutsche im Sinne von Art. 116 Grundgesetz (§ 1 TV Ang Ausland). Dies entspricht der gesetzlichen Bestimmung des § 32 GAD. Arbeitsverhältnisse nichtentsandter Beschäftigter, die nicht Deutsche sind, werden dagegen nach der Ortsüblichkeit gestaltet (§ 33 GAD).
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz oder gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vorliegt.
Der Gleichheitssatz wird von den Tarifvertragsparteien bei der Schaffung von Tarifnormen nur dann verletzt, wenn sie es versäumen, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise zu beachten sind. Dabei ist es nicht Sache der Gerichte zu überprüfen, ob die Tarifvertragsparteien jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben, sondern sie sind vielmehr nur befugt zu kontrollieren, ob die getroffene Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschreitet, was nur dann der Fall ist, wenn Differenzierungen vorgenommen werden, für die sachlich einleuchtende Gründe nicht vorhanden sind (BAG Urteil vom 24. März 1993 – 4 AZR 265/92 – AP Nr. 106 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, m.w.N., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; BVerfG Beschluß vom 15. Oktober 1985 – 2 BvL 4/83 – BVerfGE 71, 39).
Die Differenzierung zwischen deutschen und nichtdeutschen Ortskräften im TV Ang Ausland und im GAD ist vertretbar und weder sachfremd noch willkürlich. Den Deutschen im Ausland sollen im wesentlichen dem bundesrepublikanischen Standard angepaßte Lebensverhältnisse ermöglicht und die Integration in das deutsche soziale Netz aufrecht erhalten werden. Bei den nichtdeutschen Ortskräften handelt es sich demgegenüber üblicherweise um Angehörige des Staates, in dem sich die diplomatische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland befindet. Es ist sachgerecht, diese Beschäftigten nicht gegenüber ihren Mitbürgern und Mitbürgerinnen zu bevorzugen oder zu benachteiligen, sondern ihre Arbeitsverhältnisse nach der Ortsüblichkeit zu gestalten. Dies ist auch Ausdruck des Respekts vor der Souveränität und den nationalen Gepflogenheiten des Gastlandes. Die Klägerin ist zwar nicht algerische, sondern belgische Staatsangehörige, also nicht Bürgerin des Gastlandes. Jedoch ist es nicht sachgerecht, sie allein deshalb besser zu stellen. Bei der Klägerin kommt wie bei algerischen Staatsangehörigen der Gesichtspunkt der Integration in das deutsche soziale Netz nicht in Betracht.
2. Der Anspruch der Klägerin auf Anwendung des TV Ang Ausland könnte sich vorliegend allein aus Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 Verordnung Nr. 1612/68 ergeben. Danach ist jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstiger Arbeitsbedingungen verboten (Art. 48 Abs. 2 EGV; Art. 7 Abs. 1 Verordnung Nr. 1612/68). Bestimmungen in Tarifverträgen sind nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen (Art. 7 Abs. 4 Verordnung Nr. 1612/68).
a) Der Geltungsbereich von EGV und Verordnung Nr. 1612/68 beschränkt sich grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (Art. 227 Abs. 1 EGV; Art. 7 Abs. 1 Verordnung Nr. 1612/68).
Das Gebäude der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Algerien, in dem das Arbeitsverhältnis der Klägerin durchgeführt wird, ist nach Art. 22 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 unverletzlich. Das Missionsgebäude gehört aber weiterhin zum Staatsgebiet des Empfangsstaates Algerien und nicht zu dem des Entsendestaates Bundesrepublik Deutschland (vgl. BAG Urteil vom 10. Mai 1962 – 2 AZR 397/61 – AP Nr. 6 Internationales Privatrecht, Arbeitsrecht; Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 2. Aufl., S. 272 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 7. Aufl., Rz 1016).
b) Für berufliche Tätigkeiten, die teilweise oder vorübergehend außerhalb des Gebiets der Gemeinschaft ausgeübt werden, hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 12. Dezember 1974 in der Rechtssache 36/74 (EuGHE 1974, 1405) und vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 237/83 (EuGHE 1984, 3153) festgestellt, daß Personen, die diese Tätigkeiten ausüben, die Eigenschaft von im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates beschäftigten Arbeitnehmern besitzen, sofern das Arbeitsverhältnis einen räumlichen Bezug zum Gebiet der Gemeinschaft oder doch eine hinreichend enge Verbindung mit diesem Gebiet aufweist. In dem zuletzt entschiedenen Fall des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 27. September 1989 – Rs 9/88 – EuGHE 1989, 2989, 3005, 3010) wurde festgestellt, daß das Kriterium der Verbindung auch für den Fall eines Arbeitnehmers gilt, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist und eine Dauertätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auf einem Schiff ausübt, das die Flagge eines anderen Mitgliedstaates führt. Da ein Schiff zum Hoheitsgebiet eines Staates gehört und im entschiedenen Fall des Europäischen Gerichtshofs dieses Schiff unter der Flagge eines Mitgliedstaates der Europäischen Union fuhr, wurde eine hinreichend enge Verbindung mit dem niederländischen Hoheitsgebiet und damit zu den Innengrenzen der Europäischen Union angenommen.
Nach Ansicht des erkennenden Senats ist vorliegend ein räumlicher Bezug zum Gebiet der Gemeinschaft oder eine hinreichend enge Verbindung mit diesem Gebiet nicht gegeben. Die Rechtsbeziehungen der Parteien sind in Algerien entstanden, weil die Parteien dort das Arbeitsverhältnis begründet haben. Der Arbeitsort liegt ständig außerhalb der Außengrenzen der Europäischen Union. Da sich die Klägerin unabhängig von ihrer Beschäftigung bei der Deutschen Botschaft auch dauerhaft in Algerien aufhält, liegt kein räumlicher Bezug und keine sonstige hinreichend enge Verbindung zum Gebiet der Gemeinschaft vor.
III.
Für den erkennenden Senat besteht im vorliegenden Fall eine Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof (Art. 177 Abs. 3 EGV), weil seine Entscheidung selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann und die Auslegung von Gemeinschaftsrecht betrifft.
Die Pflicht zur Vorlage entfällt nicht deshalb, weil die Auslegung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß keinerlei Raum für vernünftige Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (sog. acte-clair-Theorie). Dies würde die Überzeugung des nationalen Gerichts voraussetzen, daß für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Europäischen Gerichtshof der gleiche Grad an Gewißheit besteht. Dabei sind die besonderen Auslegungsschwierigkeiten des Gemeinschaftsrechts zu beachten, die in der autonomen Begriffsbildung und den verschiedenen – gleichverbindlichen – sprachlichen Fassungen bestehen (EuGH Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs 283/81 – EuGHE 1982, 3415, 3428 = AP Nr. 11 zu Art. 177 EWG-Vertrag; BAG Beschluß vom 21. Mai 1992 – 2 AZR 449/91 – AP Nr. 96 zu § 613 a BGB, a.E., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Eine derartige Offenkundigkeit i.S. der „acte-clair-Theorie” ist vorliegend nicht gegeben. Entscheidend für die Vorlagepflicht ist nicht, ob der erkennende Senat Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht hat. Allein entscheidend ist, daß der Senat nicht mit Gewißheit ausschließen kann, daß andere Gerichte der Gemeinschaft keine Zweifel bei Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu der aufgeworfenen Rechtsfrage haben. Demzufolge ist das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Ehrenamtlicher Richter Fürbeth ist aus dem Richteramt ausgeschieden und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Dr. Peifer, Femppel
Fundstellen
Haufe-Index 1087171 |
BAGE, 117 |
BB 1994, 1644 |
NZA 1994, 1135 |