Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit der Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
1. Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag und Artikel 7 Absätze 1 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ist auf einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der ständig in einem Drittland lebt und aufgrund eines dort geschlossenen und dauernd dort erfüllten Arbeitsvertrags von einem anderen Mitgliedstaat bei dessen Botschaft in diesem Drittland beschäftigt wird, hinsichtlich aller Aspekte des Arbeitsverhältnisses anwendbar, die das Recht des den Betroffenen beschäftigenden Mitgliedstaats regelt.
2. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV über die Auslegung des EG-Vertrags ist für das vorlegende Gericht in dem betreffenden Verfahren bindend.
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Beschluß des Senats vom 23. Juni 1994 (BAGE 77, 117 = AP Nr. 18 zu Art. 48 EWG-Vertrag).
Normenkette
EGV Art. 48, 177, 227; Gesetz über den auswärtigen Dienst (GAD) §§ 31-33
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 06.08.1993; Aktenzeichen 4 (14) Sa 128/93) |
ArbG Bonn (Urteil vom 22.12.1992; Aktenzeichen 1 Ca 1929/92) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 6. August 1993 – 4 (14) Sa 128/93 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 22. Dezember 1992 – 1 Ca 1929/92 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung, der Revision und des Zwischenstreits vor dem Europäischen Gerichtshof zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin als nichtentsandte Beschäftigte belgischer Staatsangehörigkeit an der Deutschen Botschaft in Algier einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit deutschen nichtentsandten Botschaftsangestellten hat.
Die Klägerin ist seit dem 1. April 1982 bei der Deutschen Botschaft in Algier als Paßstellenhilfskraft beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde in Algerien begründet. Die Klägerin war bereits zuvor dort ansässig und hält sich dauernd in Algerien auf. Die Klägerin wird als nichtentsandte Beschäftigte nichtdeutscher Staatsangehörigkeit im Sinne der §§ 31, 33 des Gesetzes über den Auswärtigen Dienst (GAD) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ist gemäß § 33 GAD nach der Ortsüblichkeit gestaltet.
Mit Schreiben vom 19. November 1991 verlangte die Klägerin von der Beklagten Gleichbehandlung mit deutschen nichtentsandten Angestellten. Diese werden gemäß § 32 GAD nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten deutschen nicht entsandten Angestellten vom 28. September 1973 (TV Ang Ausland) beschäftigt. Eine Beschäftigung nach diesem Tarifvertrag wäre für die Klägerin günstiger als nach der Ortsüblichkeit. Die Beklagte lehnte das Verlangen der Klägerin ab.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beschäftigung nach der Ortsüblichkeit verstoße gegen das in Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 (ABl EG Nr. L 257/4) enthaltene Diskriminierungsverbot. Danach sei eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgrund der Staatsangehörigkeit untersagt.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin gemäß den Bestimmungen des Tarifvertrages zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten deutschen nicht entsandten Angestellten (TV Ang Ausland) zu beschäftigen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, § 32 GAD verstoße als zwingendes nationales Recht nicht gegen Art. 48 EGV und Art. 7 der Verordung (EWG) Nr. 1612/68. Gemeinschaftsrecht sei nicht anwendbar, weil dessen räumlicher Geltungsbereich auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschränkt sei (Art. 227 EGV) und die Klägerin nicht grenzüberschreitend im Binnenmarkt, sondern ausschließlich in einem Drittstaat tätig sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Durch Beschluß vom 23. Juni 1994 (BAGE 77, 117 = AP Nr. 18 zu Art. 48 EWG-Vertrag) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung von Gemeinschaftsrecht angerufen. Der Europäische Gerichtshof hat die Auslegungsfrage mit Urteil vom 30. April 1996 – Rs C 214/94 – Ingrid Boukhalfa/Bundesrepublik Deutschland beantwortet.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
I. Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, gemäß den Bestimmungen des Tarifvertrages zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten deutschen nicht entsandten Angestellten (TV Ang Ausland) beschäftigt zu werden.
1. Die Anwendung des TV Ang Ausland auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin kommt nach dem nationalen Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht. Dies hat der erkennende Senat im Beschluß vom 23. Juni 1994 in dieser Sache im einzelnen begründet. Auf seine dortigen Ausführungen (vgl. BAGE 77, 117 = AP Nr. 18 zu Art. 48 EWG-Vertrag, zu I 1 der Gründe) nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
2. Der Anspruch der Klägerin auf Anwendung des TV Ang Ausland auf ihr Arbeitsverhältnis in Algerien ergibt sich jedoch aus Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68. Nach diesen Bestimmungen ist jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen verboten (Art. 48 Abs. 2 EGV; Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68). Bestimmungen in Tarifverträgen sind nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen (Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68). Dies gilt für den TV Ang Ausland, soweit er nichtentsandte Beschäftigte deutscher Botschaften in Drittländern, die Bürger anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind, nicht in seinen Geltungsbereich einbezieht.
a) Der Geltungsbereich von EGV und der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 beschränkt sich grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (Art. 227 Abs. 1 EGV; Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68). Danach kann die Klägerin sich nicht auf das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot berufen mit der Begründung, sie arbeite auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland.
Zwar ist das Gebäude der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Algerien, in dem das Arbeitsverhältnis der Klägerin durchgeführt wird, nach Art. 22 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 unverletzlich. Es gehört aber weiterhin zum Staatsgebiet des Empfangsstaates Algerien und nicht zu dem des Entsendestaates Bundesrepublik Deutschland (vgl. BAG Urteil vom 10. Mai 1962 – 2 AZR 397/61 – AP Nr. 6 Internationales Privatrecht, Arbeitsrecht; Menzel/Ipsen, Völkerrecht, 2. Aufl., S. 272 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 7. Aufl., Rz 1016). Dennoch kann die Klägerin sich auf die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts berufen.
b) Für berufliche Tätigkeiten, die teilweise oder vorübergehend außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten ausgeübt werden, hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 12. Dezember 1974 (– Rs 36/74 – EuGHE 1974, 1405), vom 12. Juli 1984 (– Rs 237/83 – EuGHE 1984, 3153) und vom 27. September 1989 (– Rs 9/88 – EuGHE 1989, 2989, 3005, 3010) festgestellt, daß Personen, die diese Tätigkeiten ausüben, die Eigenschaft von im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates beschäftigten Arbeitnehmern besitzen, sofern das Arbeitsverhältnis einen räumlichen Bezug zum Gebiet der Gemeinschaft oder doch eine hinreichend enge Verbindung mit diesem Gebiet aufweist.
c) Nach diesen Grundsätzen kann auch die Klägerin sich als Staatsangehörige des Mitgliedstaats Belgien der Beklagten gegenüber auf das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot berufen.
Die Rechtsbeziehungen der Parteien sind in Algerien entstanden, weil die Parteien dort das Arbeitsverhältnis begründet haben. Für mehrere Teilfragen des Arbeitsverhältnisses gilt jedoch deutsches Recht. Der Arbeitsvertrag der Klägerin wurde nach dem Recht der Beklagten geschlossen, die die Klägerin beschäftigt. Nach einer Klausel im Arbeitsvertrag ist der Gerichtsstand für alle sich aus dem Vertrag ergebenden Streitigkeiten zwischen den Parteien Bonn und später Berlin. Die Klägerin gehört hinsichtlich der Rentenversicherung dem deutschen Sozialversicherungssystem an; sie ist auch in der Bundesrepublik Deutschland, wenn auch nur beschränkt, einkommenssteuerpflichtig. Die Arbeitsbedingungen bestimmen sich nur aufgrund einer Verweisung des deutschen Gesetzesrechts nach algerischem Recht.
Diese vertragliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses der Parteien hat den erkennenden Senat veranlaßt, in dem genannten Beschluß vom 23. Juni 1994 (a.a.O.) dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob Art. 48 Abs. 2 EGV und Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 dahingehend auszulegen sind, daß eine unterschiedliche Behandlung wegen der Staatsangehörigkeit in Bezug auf Arbeitsbedingungen unterbleiben muß, wenn das Arbeitsverhältnis einer ständig in Algier lebenden belgischen Staatsangehörigen, die als Paßstellenhilfskraft an der Deutschen Botschaft in Algier tätig ist, dort begründet wurde und ausschließlich und dauernd dort erfüllt wird.
In dem genannten Urteil vom 30. April 1996 (a.a.O.) hat der Europäische Gerichtshof unter Bezugnahme auf den Inhalt des Arbeitsvertrags die Frage des Senats wie folgt beantwortet:
Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag und Artikel 7 Absätze 1 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ist auf einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der ständig in einem Drittland lebt und aufgrund eines dort geschlossenen und dauernd dort erfüllten Arbeitsvertrags von einem anderen Mitgliedstaat bei dessen Botschaft in diesem Drittland beschäftigt wird, hinsichtlich aller Aspekte des Arbeitsverhältnisses anwendbar, die das Recht des den Betroffenen beschäftigenden Mitgliedstaats regelt.
Wie der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung weiter ausgeführt hat, sind demgegenüber die sonstigen Umstände des Falles, nämlich daß der Arbeitsort ständig außerhalb der Außengrenzen der Europäischen Union liegt und die Klägerin sich unabhängig von ihrer Beschäftigung bei der deutschen Botschaft dauerhaft in Algerien aufhält, nicht geeignet, die Anknüpfungspunkte, die zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts führen, in Frage zu stellen.
An diese vom Europäischen Gerichtshof getroffene Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist der Senat im vorliegenden Rechtsstreit gebunden (vgl. EuGH Urteil vom 3. Februar 1977 – Rs 52/76 Benedetti/Munari – EuGHE 1977, 163; Grabitz/Hilf, KEU, Stand Oktober 1995, Art. 177 EGV Rz. 70; Groeben/Boeckh/Thiesing/Ehlermann, EWG-Vertrag, 4. Aufl., 177 EGV Rz 86). Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze ist auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Beklagten der TV Ang Ausland anzuwenden, der die Arbeitsbedingungen der bei den Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten deutschen nichtentsandten Angestellten regelt. Soweit § 1 dieses Tarifvertrags die Klägerin als Bürgerin der Europäischen Union in seinen Geltungsbereich nicht einbezieht, ist diese diskriminierende Bedingung nichtig (Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68). Unerheblich ist, daß die tarifvertragliche Diskriminierung durch §§ 32 und 33 GAD gesetzlich vorgegeben war (vgl. EuGH Urteil vom 12. Februar 1974 – Rs 152/73 Sotgin/Deutsche Bundespost – EuGHE 1974, 153, 166).
Zu einer ergänzenden Auslegungsfrage des Senats an den Europäischen Gerichtshof geben weder dessen Ausführungen im Urteil vom 30. April 1996 noch die ergänzenden Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 12. Juli 1996 einen Anlaß.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Soltau, Matiaske
Fundstellen
Haufe-Index 1087188 |
BAGE, 11 |
JR 1997, 308 |
NZA 1997, 434 |
MDR 1997, 580 |