Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat
Leitsatz (amtlich)
Ein unternehmenszugehöriger Arbeitnehmervertreter in einem nach dem BetrVG 1952 mitbestimmten Aufsichtsrat ist mit Beginn der Freistellungsphase einer Altersteilzeit im sog. Blockmodell nicht mehr beschäftigt iSd. § 76 Abs. 2 BetrVG 1952. Ist er der einzige Arbeitnehmervertreter bzw. der einzige Vertreter seiner Arbeitnehmergruppe verliert er mit dem Eintreten in die Freistellungsphase seine Wählbarkeit. Damit endet seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat.
Normenkette
BetrVG 1952 § 76 Abs. 2 Sätze 2-3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 1. März 2000 – 5 TaBV 4/99 – aufgehoben.
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Hamburg vom 3. September 1999 – 3 BV 10/99 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der zu 1) beteiligte Antragsteller weiterhin dem Aufsichtsrat der Arbeitgeberin als Arbeitnehmervertreter angehört.
Die Arbeitgeberin ist eine Kreditversicherungs Aktiengesellschaft. Der am 31. Januar 1939 geborene Antragsteller war bei ihr seit dem 1. April 1981 als Klimamonteur beschäftigt. Mit Wirkung ab dem 1. Juli 1997 schloß er mit der Arbeitgeberin eine Altersteilzeitvereinbarung. Danach war er bis zum 30. April 1999 in Vollzeit tätig. Bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses am 28. Februar 2001 war eine Freistellung ohne Arbeitsverpflichtung vereinbart (sog. Blockmodell). Der Vertrag sah für die gesamte Dauer der Altersteilzeit eine Vergütung in Höhe der Hälfte der bisherigen Vergütung zuzüglich einer Aufstockungszahlung vor.
Der Antragsteller war als einer von fünf Arbeitnehmervertretern in den nach § 76 BetrVG 1952 gebildeten 15köpfigen Aufsichtsrat der Arbeitgeberin gewählt worden. Der Antragsteller ist der einzige Vertreter aus der Gruppe der Arbeiter. Ihm wurde wegen des Eintritts in die Freistellungsphase die Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung vom 24. Juni 1999 unter Hinweis auf den Verlust der Wählbarkeitsvoraussetzungen nach § 76 Abs. 2 BetrVG 1952 verwehrt.
Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, mit Eintritt in die Freistellungsphase nach der vereinbarten Altersteilzeit im Blockmodell sei seine Wählbarkeit als einziger Arbeitnehmervertreter der Gruppe der Arbeiter nicht entfallen. Zu den gesetzlichen Voraussetzungen der Wählbarkeit gehöre nicht die tatsächliche Beschäftigung im Betrieb des Unternehmens. Auch bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis sei er noch betriebszugehörig.
Der Antragsteller hat beantragt
festzustellen, daß er auch über den 30. April 1999 hinaus ordentlicher Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Arbeitgeberin ist.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Die übrigen Beteiligten haben keinen Antrag gestellt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin weiterhin die Abweisung des Antrags. Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Der Antragsteller hat mit dem Eintreten in die Freistellungsphase der vereinbarten Altersteilzeit nach dem Blockmodell eine Voraussetzung für seine Wählbarkeit zum Aufsichtsrat der Arbeitgeberin verloren. Damit hat seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat mit Ablauf des 30. April 1999 geendet.
1. Das Amt eines Arbeitnehmervertreters in einem Aufsichtsrat nach dem BetrVG 1952 endet mit dem Wegfall einer Voraussetzung für die Wählbarkeit(vgl. BAG 3. Oktober 1989 – 1 ABR 12/88 – AP BetrVG 1952 § 76 Nr. 28, zu B III 2 d der Gründe; ErfK/Oetker § 76 BetrVG 1952 Rn. 74; Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 76 BetrVG 52 Rn. 130; GK-BetrVG/Kraft 6. Aufl. § 76 BetrVG 1952 Rn. 94; MünchArbR/Wißmann 2. Aufl. § 383 Rn. 16).
2. Für die Wahl des einzigen Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat bzw. des einzigen Vertreters einer Arbeitnehmergruppe gilt die besondere Wählbarkeitsvoraussetzung des § 76 Abs. 2 BetrVG 1952. Nach § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG 1952 muß der einzige Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in einem Betrieb des Unternehmens beschäftigt sein. Sind mehrere Arbeitnehmer zu wählen, müssen sich unter diesen mindestens zwei Arbeitnehmer aus den Betrieben des Unternehmens befinden, darunter ein Arbeiter und ein Angestellter, § 76 Abs. 2 Satz 3 BetrVG 1952. Trotz des unterschiedlichen Wortlauts – einerseits „beschäftigt in”, andererseits „sich befinden” – verlangen § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG 1952 einheitlich für den einzigen Arbeitnehmervertreter bzw. für den einzigen Gruppenvertreter, daß sie in einem Betrieb des Unternehmens beschäftigt sein müssen. Für eine differenzierende Auslegung der Wählbarkeitsvoraussetzungen des einzigen Arbeitnehmervertreters bzw. des einzigen Gruppenvertreters besteht nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift kein Anlaß(vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 76 BetrVG 52 Rn. 67, 68 und 72; GK-BetrVG/Kraft § 76 BetrVG 1952 Rn. 41; ErfK/Oetker § 76 BetrVG 1952 Rn. 32; MünchArbR/Wißmann § 383 Rn. 11 und 26; Dietz/Richardi BetrVG 6. Aufl. § 76 BetrVG 1952 Rn. 72 ff. und Dietz BetrVG 1. Aufl. § 76 Rn. 37).
3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Antragsteller mit Eintritt in die Freistellungsphase der Altersteilzeit nach dem Blockmodell nicht mehr beschäftigt im Sinne des § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG 1952. Als einziger Vertreter der Gruppe der Arbeiter hat er mit Ablauf des 30. April 1999 eine Voraussetzung seiner Wählbarkeit verloren. Damit hat seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat geendet.
a) Die Vorschrift des § 76 Abs. 2 BetrVG 1952 verlangt für die Wählbarkeit des einzigen Arbeitnehmervertreters bzw. des einzigen Gruppenvertreters, daß sie Arbeitnehmer des mitbestimmten Unternehmens sind und darüber hinaus auch in einem unternehmenszugehörigen Betrieb beschäftigt sind. Dieses zusätzliche Merkmal der Beschäftigung dient erkennbar nicht nur der formellen Zuordnung zu einem Betrieb des Unternehmens. Vielmehr deutet es darauf hin, daß neben einem Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen die Wählbarkeit darüber hinaus eine Eingliederung in betriebliche Abläufe zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung voraussetzt.
b) Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch Sinn und Zweck der Norm. Die Mitbestimmungsregelungen des BetrVG 1952 sollen die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen bei der Unternehmensführung sicherstellen. Dazu ordnet das BetrVG 1952 ein Drittel der Sitze im Aufsichtsrat den gewählten Vertretern der Arbeitnehmer zu. Ist nur ein einziger Arbeitnehmervertreter zu wählen, muß es sich um einen unternehmenszugehörigen Arbeitnehmer handeln. Entsprechendes gilt in größeren Aufsichtsräten hinsichtlich der Gruppenvertreter. Auf diese Weise sichert das Gesetz den unternehmenszugehörigen Arbeitnehmern eine Teilhabe an unternehmerischen Entscheidungen, von denen sie selbst unmittelbar betroffen sein werden.
c) Ein ruhendes Arbeitsverhältnis, in dem die wechselseitigen Hauptleistungspflichten bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses suspendiert sind, erfüllt die Voraussetzungen einer Beschäftigung im Sinne des § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG 1952 nicht. Allerdings führt nicht jede tatsächliche Unterbrechung der Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung dazu, daß eine Beschäftigung im Sinne der Vorschrift des § 76 Abs. 2 BetrVG 1952 nicht mehr vorliegt. Nach Sinn und Zweck der Norm ist es gerechtfertigt, zumindest noch solche Arbeitnehmer als Beschäftigte im Sinne des § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG 1952 anzusehen, die zwar vorübergehend keine Arbeitsleistung erbringen, aber in den Betrieb zurückkehren werden. Denn diese Arbeitnehmer haben ein berechtigtes Interesse an den Entscheidungen des Aufsichtsrats schon deswegen, weil sie davon nach ihrer voraussichtlichen Rückkehr in den Betrieb unmittelbar betroffen sein werden. Im Unterschied zu den Tatbeständen, in denen Arbeitnehmer für eine bestimmte Zeit keine Arbeitsleistung erbringen, handelt es sich bei der Freistellungsphase im Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach dem Willen der Vertragsparteien nicht mehr um eine vorübergehende Unterbrechung der Tätigkeit. Vielmehr ist das Blockmodell gerade dadurch gekennzeichnet, daß der Arbeitnehmer mit Beginn der Freistellung seine Tätigkeit im Betrieb beendet und keine gesicherte Rückkehrmöglichkeit mehr besteht. Unabhängig davon, daß nach dem Eintritt in die Freistellungsphase der unmittelbare Bezug zu den betrieblichen Abläufen auf Dauer verloren zu gehen droht, fehlt es damit an einer künftigen Betroffenheit von den Entscheidungen des Aufsichtsrats.
4. Die gegenteiligen, aus der Entstehungsgeschichte der Norm und der Gleichbehandlung gegenüber sonstigen Altersteilzeitvereinbarungen gezogenen Schlußfolgerungen des Landesarbeitsgerichts sind nicht zwingend.
a) Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion für ein Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb (BT-Drucks. 1. Wahlperiode 1949 Nr. 970) sah in § 46 allgemein vor, daß der Aufsichtsrat mindestens zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen sollte. Nach dem Regierungsentwurf (BT-Drucks. 1. Wahlperiode 1949 Nr. 1546) sollte ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder aus den Wahlvorschlägen der Arbeitnehmer zu wählen sein, wozu der Betriebsrat die Vorschlagsliste aus den wählbaren Arbeitnehmern aufstellen sollte. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs sollten die vorgeschlagenen Personen wählbare Arbeitnehmer der unternehmenszugehörigen Betriebe sein. Demgegenüber sollten nach § 4 des Entwurfs eines „Gesetzes zur Neuordnung der Wirtschaft” der SPD-Fraktion die Betriebsvertretung oder die Belegschaftsmitglieder des Unternehmens in der Regel zur Hälfte bei den Vorschlägen der Gewerkschaften berücksichtigt werden. Die auf Grund der Beratung im Ausschuß für Arbeit entstandene Gesetzesfassung des § 76 Abs. 2 BetrVG 1952 war dann das Ergebnis der Diskussion um die Beteiligung unternehmensfremder Arbeitnehmervertreter in einem mitbestimmten Aufsichtsrat (vgl. BT-Drucks. 1. Wahlperiode 1949 Nr. 3585). Dieser in den parlamentarischen Beratungen gefundene Kompromiß läßt aber nicht erkennen, daß für die Wählbarkeit der zwingend aus den Reihen der unternehmenszugehörigen Arbeitnehmer zu wählende Aufsichtsratsmitglieder bereits eine formelle Zuordnung zum Unternehmen aufgrund eines Arbeitsverhältnisses genügt.
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Verlust der Wählbarkeit im Sinne des § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG 1952 bei einer Altersteilzeitvereinbarung nach dem Blockmodell gegenüber anderen Formen der Altersteilzeit sachlich gerechtfertigt. Die nach den sonstigen Altersteilzeitvereinbarungen statthafte Reduzierung der Arbeitszeit auf die Hälfte der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im Mindestumfang von 18 Stunden führt zu keiner Änderung der betrieblichen Eingliederung. Die Arbeitnehmer bleiben, wenn auch in Teilzeit, als unternehmensangehörige Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt.
Unterschriften
Dörner, Schmidt, Linsenmaier, Niehues, U. Zachert
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.10.2000 durch Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558088 |
BAGE, 163 |
BB 2000, 2413 |
BB 2001, 832 |
DB 2000, 2228 |
DB 2001, 706 |
EBE/BAG 2001, 36 |
ARST 2001, 105 |
ARST 2001, 19 |
ARST 2002, 76 |
FA 2001, 27 |
FA 2001, 88 |
NZA 2001, 461 |
SAE 2001, 207 |
AG 2001, 313 |
AP, 0 |
AuS 2000, 57 |
PP 2001, 31 |
www.judicialis.de 2000 |