Leitsatz (amtlich)
In den Fällen der Kündigung eines Betriebsratsmitglieds bei Betriebsstillegung oder Stillegung der Betriebsabteilung, in der das Betriebsratsmitglied beschäftigt ist (§ 13 Abs. 2 und 3 KSchG) handelt es sich um eine ordentliche Kündigung. Das Betriebsratsmitglied, dem gekündigt worden ist, braucht solchen Falles für seine Klage die Dreiwochenfrist des § 3 KSchG nicht einzuhalten.
Normenkette
KSchG § 13 Abs. 2-3, § 3
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.08.1954; Aktenzeichen 1 Sa 126/54) |
ArbG Ludwigshafen (Urteil vom 20.05.1954; Aktenzeichen 1 Ca 314/54) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landesarbeitsgerichts Mainz vom 19. August 1954 – 1 Sa 126/54 – und des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 20. Mai 1954 – 1 Ca 314/54 – aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der jetzt 56 Jahre alte, verheiratete Kläger stand seit 1937 in Diensten der Beklagten. Zunächst als Zimmermann beschäftigt, wurde er 1941 mit der Aufsicht über die Schreinerei, 1945 mit der Aufsicht über die Bauabteilung betraut. In dieser wurden früher 17, im Herbst 1953 noch 10 Arbeiter beschäftigt. Der Kläger war Meister und wurde am 1. September 1946 in das Angestelltenverhältnis übernommen. Er war als Angestelltenvertreter Mitglied des Betriebsrats und dessen stellvertretender Vorsitzender.
Die Beklagte nahm im Herbst 1953 Rationalisierungsmaßnahmen vor und sprach in diesem Zusammenhang mit Zustimmung des Landesarbeitsamts Kündigungen aus. In der Bauabteilung wurde 7 Arbeitern gekündigt, so daß 3 Arbeiter verblieben. Dem Kläger kündigte die Beklagte am 9. September 1953 zum 31. März 1954. Gleichzeitig bot sie ihm an, als Lohnempfänger weiter tätig zu sein, was der Kläger ablehnte. Als Grund für diese Kündigung gab sie die Auflösung der Bauabteilung an.
Im Februar 1954 versuchte ein Gewerkschaftsvertreter, bei der Beklagten im Interesse des Klägers zu intervenieren. Dieser Versuch blieb erfolglos. Der Kläger erhob am 6. April 1954 Klage mit dem Antrag auf Feststellung, daß die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung vom 9. September 1953 zum 31. März 1954 unwirksam sei. Er hat vorgetragen, es könne nicht von einer Stillegung, sondern nur von einer Verkleinerung der Bauabteilung die Rede sein. Diese stelle keine selbständige Abteilung dar. Die 3 Arbeiter der Bauabteilung, denen nicht gekündigt werden sei, würden wenigstens teilweise mit ihren früheren Arbeiten weiter beschäftigt. Sie bedürften nach wie vor der Beaufsichtigung durch einen Meister. In 2. Instanz hat der Kläger behauptet und unter Beweis gestellt, es sei der Beklagten möglich, ihn anstelle des inzwischen pensionierten Abteilungsmeisters in der Rohrpresserei weiter zu beschäftigen, wozu eine besondere Vorbildung nicht erforderlich sei.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, die 3 Arbeiter der – als selbständige Betriebsabteilung anzusehenden – Bauabteilung, denen nicht gekündigt worden sei, seien infolge der Auflösung der Bauabteilung anderen Abteilungen zugewiesen worden, so daß eine Beaufsichtigung durch einen besonderen Meister nicht mehr erforderlich sei. Später sei auch die Schreinerei aufgelöst worden. In anderen Abteilungen könne sie den Kläger nicht als Meister beschäftigen, da er dazu fachlich nicht geeignet sei und alle übrigen Meisterstellen besetzt seien. Schließlich sei die Klage verspätet eingereicht.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Urteil des Landesarbeitsgerichts zugelassen worden. Sie ist frist- und formgerecht eingereicht, somit zulässig. Sie ist auch begründet.
Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil sie nicht innerhalb der Dreiwochenfrist des § 3 KSchG erhoben worden ist. Es hat ausgeführt, daß auch eine Kündigung nach § 13 Abs. 2 und 3 KSchG eine außerordentliche Kündigung darstelle, die aus wichtigem Grund erfolge. Auf eine solche Kündigung finde gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 KSchG die Fristbestimmung des § 3 KSchG Anwendung.
Dieser u.a. auch von Küchenhoff (RdA 1955 S. 256 ff.) vertretenen, von der Revision bekämpften Ansicht vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Der Kündigungsschutz der Betriebsratemitglieder ist in § 13 KSchG besonders geregelt. Diese Bestimmung findet sich im 2. Abschnitt des KSchG, während die Vorschrift, wonach eine Kündigungsschutzklage binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden muß (§ 3), im 1. Abschnitt des Gesetzes steht. Nach § 11 Abs. 4 KSchG finden die Vorschriften des 1. Abschnittes, nach dessen § 3 die Klage innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden muß, auf eine Kündigung, die bereits aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 bezeichneten Gründen rechtsunwirksam ist, keine Anwendung.
Es kann dahingestellt bleiben, ob dann eine Ausnahme zu machen ist, wenn die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds aus einem Grunde erfolgt, der den Arbeitgeber nach dem Gesetz zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt. Für diesen Fall wird im Hinblick auf § 11 Abs. 1 Satz 2 KSchG teilweise die Ansicht vertreten, daß die Dreiwochenfrist eingehalten werden müsse (vgl. die Zusammenstellung bei Hueck, KSchG, 3. Aufl., § 13 Anm. 31). Hier handelt es sich aber nicht um die fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde. Vielmehr beruft sich die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Kündigung auf § 13 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 KSchG, nämlich darauf, daß die Betriebsabteilung, in der der Kläger beschäftigt war, stillgelegt worden und eine Übernahme in eine andere Abteilung aus betrieblichen Gründen nicht möglich sei.
Eine auf einen solchen Tatbestand gestützte Kündigung erfüllt nicht die Voraussetzungen des Begriffs der außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG. Das ergibt sich namentlich daraus, daß § 13 Abs. 2 aaO die Kündigung “frühestens” zum Zeitpunkt der Stillegung zuläßt, es sei denn, daß die Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Bei einer nach Gesetz oder Vertrag längeren Kündigungsfrist ist sonach die Kündigung erst zu deren Ablauf möglich. Hieraus folgt, daß in § 13 Abs. 2 und 3 KSchG keine Befugnisse zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung begründet worden sind. Vielmehr wird hier bestimmt, daß eine ordentliche Kündigung bei Stillegung zulässig ist, aber frühestens zu dem Stillegungszeitpunkt. Da somit die aus den Gründen des § 13 Abs. 2 und 3 KSchG erklärten Kündigungen ordentliche Kündigungen sind, ist auf sie gemäß § 11 Abs. 4 KSchG die Dreiwochenfrist des § 3 aaO nicht anzuwenden. Ebenso Hueck, KSchG, 3. Aufl., § 13, Anm. 9 und Anm. 31 am Ende und LAG Hamm, AP 54 Nr. 7.
Es ist der Beklagten zuzugeben, daß hierdurch der Gedanke, der zur Schaffung des § 3 KSchG geführt hat, beeinträchtigt wird, nämlich: die Frage der Wirksamkeit einer Kündigung innerhalb einer möglichst kurz bemessenen Frist zu klären. Aber diese Beeinträchtigung der Rechtssicherheit bei einer Anzahl von Kündigungen hat der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen, wie die Herausnahme dieser Kündigungen aus der Regelung des 1. Abschnittes des KSchG im § 11 Abs. 3 und 4 zeigt. Eine Änderung dieser Rechtslage, mag sie noch so erwünscht sein, dürfen die an das Gesetz gebundenen Gerichte nicht vornehmen; sie muß vielmehr nach dem Grundsatz der Gewaltentrennung dem Gesetzgeber überlassen bleiben.
Ist nach alledem die Klage nicht schon deshalb unbegründet, weil der Kläger die Dreiwochenfrist des § 3 KSchG nicht eingehalten hat, so greift auch der von der Beklagten geltend gemachte Einwand der Verwirkung nicht durch. Der Kläger ist seiner Rechte aus dem KSchG nicht dadurch verlustig gegangen, daß er rund 7 Monate mit der Einreichung der Klage gewartet hat. Allein infolge Zeitablaufs tritt eine Verwirkung noch nicht ein. Zu diesem Zeitablauf muß vielmehr ein Verhalten des Gläubigers hinzukommen, das bei dem Schuldner zu der berechtigten Annahme führt, daß nichts mehr gefordert werden solle. Weiter muß hinzukommen, daß sich der Schuldner auf Grund des Verhaltens des Gläubigers darauf eingerichtet hat, daß keine Forderung mehr gestellt werde. Eine Verwirkung liegt demnach nur dann vor, wenn es auf Grund der vorgenannten Umstände gegen Treu und Glauben verstoßen würde, nunmehr doch noch die Forderung geltend zu machen.
Dafür, daß diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Streitfall nichts hervorgetreten. Die Beklagte hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nichts dafür vorgetragen, daß der Kläger jemals zu erkennen gegeben hätte, er sei mit der Kündigung einverstanden und wolle nichts gegen sie unternehmen. Wenn der Kläger vom September 1953 bis Februar 1954 gewartet hat, ohne gegen die Kündigung anzugehen, so ist diese Frist zwar verhältnismäßig lang. Die Länge der Zeit allein ist jedoch nicht entscheidend. Es kommt hinzu, daß dem Kläger, auf Grund seiner langen Betriebszugehörigkeit eine längere Kündigungsfrist zustand, und zwar bis zum 31. März 1954. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat der Kläger noch innerhalb dieser Kündigungsfrist den Versuch gemacht, durch Vermittlung der Gewerkschaft mit der Beklagten zu einer Vereinbarung zu kommen. Hierauf konnte die Beklagte also erkennen, daß der Kläger gegen die Kündigung Einwendungen erheben wollte. Daß sich der Beklagte, hätte der Kläger diesen Versuch oder eine persönliche Gegenvorstellung eher unternommen, anders eingerichtet haben würde, als sie es in Wirklichkeit gegen hat, ist nicht festgestellt. Eine Verwirkung scheidet hiernach aus, zumal der Kläger die Klage wenige Tage nach Ablauf der Kündigungsfrist eingereicht hat.
In dem von der Beklagten behaupteten Fall der Streitlegung einer Betriebsabteilung schreibt § 13 Abs. 3 Satz 1 KSchG vor, daß das Betriebsratsmitglied, das der stillzulegenden Betriebsabteilung angehört hat, in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen ist. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, so steht die Stillegung einer Betriebsabteilung sinngemäß der Stillegung ganzen Betriebes gleich, und die Kündigung ist zum Zeitpunkt der Stillegung der Abteilung zulässig. Zwar hat der Beklagte den Kläger eine andere Stellung in ihrem Betrieb angeboten, aber nicht als Meister, sondern als Lohnempfänger. Sie hat ihm somit sowohl einen geringerwertigen Arbeitsposten wie auch eine geringere Entlohnung angeboten Das kann nicht als eine Erfüllung der Verpflichtung der Beklagten aus § 13 Abs. 3 Satz 1 KSchG angesehen werden und der Kläger war danach berechtigt, dieses Angebot abzulehnen. Seine Ablehnung steht seiner Klage somit auch nicht entgegen.
Das Berufungsgericht hat von seinem rechtsirrtümlichen Standpunkt hinsichtlich der Dreiwochenfrist aus die Frage nicht geprüft, ob die Kündigung im Hinblick auf § 13 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 KSchG zulässig ist oder nicht. Das angefochtene Urteil muß deshalb aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht wird in der neuen Verhandlung zu prüfen haben, ob es sich um eine Stillegung einer Betriebsabteilung im Sinne des § 13 Abs. 3 KSchG handelt. Wird diese Frage bejaht, so wird der Vorderrichter weiter zu prüfen haben, ob es aus betrieblichen Gründen unmöglich war, den Kläger auf einen einigermaßen gleichwertigen Arbeitsposten zu im wesentlichen gleichen Arbeitsbedingungen in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen: Erst wenn auch die Unmöglichkeit einer solchen Übernahme festgestellt werden kann, entfällt der besondere Kündigungsschutz des Klägers als Betriebsratsmitglied.
Unterschriften
Nipperdey, Dr. Schröder, Wichmann, Max Beyreis, Wieland
Fundstellen
Haufe-Index 1766820 |
BAGE, 341 |
NJW 1957, 887 |