Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung. neues Arbeitsverhältnis
Normenkette
Tarifvertrag vom 6. Juli 1992 zur sozialen Absicherung (TV SozSich) § 2; BAT-O § 29 Abschn. B Abs. 7; KSchG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 14. Januar 1994 – 2 Sa 313/93 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg vom 6. April 1993 – 2 (3) Ca 2711/92 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Abfindungsanspruch zusteht.
Die Klägerin war bei dem Beklagten als Krippenerzieherin beschäftigt. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis wegen mangelnden Bedarfs nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 4 Ziff. 2 Einigungsvertrag am 30. September 1992 zum 31. Dezember 1992. Vor Ausspruch der Kündigung war der Klägerin eine Tätigkeit in einem Asylbewerberheim angeboten worden. Ob es sich hierbei um ein konkretes und für die Klägerin zumutbares Angebot handelte, ist zwischen den Parteien streitig. Seit 11. Januar 1993 ist die Klägerin bei dem Beklagten im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme befristet bis zum 31. Dezember 1993 beschäftigt worden.
Die Klägerin hat von dem Beklagten eine Abfindung in Höhe von 10.000,– DM verlangt und dabei auf § 2 des Tarifvertrages vom 6. Juli 1992 zur sozialen Absicherung (TV SozSich) verwiesen Dort heißt es:
„§ 2 Abfindung
(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil
a) er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder
…
erhält eine Abfindung. …
(2) Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr der Beschäftigungszeit (§ 19 BAT-O ohne die nach der Übergangsvorschrift Nr. 3 hierzu berücksichtigten Zeiten bzw. die vergleichbaren, für die Arbeiter geltenden Bestimmungen) ein Viertel der letzten Monatsvergütung (§ 26 BAT-O zuzüglich der allgemeinen Zulage) bzw. des letzten Monatstabellenlohnes (§ 21 Abs. 3 MTArb-O, § 20 Abs. 2 BMT-G-O ggf. zuzüglich des Sozialzuschlags), mindestens aber die Hälfte und höchstens das Fünffache dieser Vergütung bzw. dieses Lohnes. Sie darf den Betrag von 10.000,– DM nicht übersteigen; …
…
(4) Wird Übergangsgeld nach dem Einigungsvertrag gewährt, entfällt die Abfindung nach diesem Tarifvertrag. Neben der Abfindung steht Übergangsgeld nach tariflichen Vorschriften nicht zu.
…
(5) Eine Abfindung steht nicht zu, wenn
a) die Kündigung aus einem vom Arbeitnehmer zu vertretenden Grund (z.B. Ablehnung eines anderen angebotenen Arbeitsplatzes, es sei denn, daß ihm die Annahme nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise nicht zugemutet werden kann) erfolgt ist oder
…
(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT ein und ist die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.
(7) Absatz 6 gilt entsprechend, wenn innerhalb des gleichen Zeitraums ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch folge aus § 2 Abs. 1 Buchst. a TV SozSich. Ihm stehe nicht entgegen, daß sie im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ab 11. Januar 1993 von dem Beklagten beschäftigt worden sei. Diese Tätigkeit sei wegen ihrer Befristung rechtlich nicht mit dem durch die Kündigung beendeten Arbeitsverhältnis vergleichbar, weil dieses auf unbestimmte Zeit bestanden habe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 10.000,– DM nebst 4 % Zinsen seit 18. Januar 1993 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, die Klägerin könne, da sie ab 11. Januar 1993 wieder bei ihm beschäftigt gewesen sei, nach § 2 Abs. 6 TV SozSich die Abfindung nicht verlangen. Die Dauer des neuen Arbeitsverhältnisses sei dabei ohne Bedeutung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zur Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts und zur Abweisung der Klage.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nach § 2 Abs. 1 Buchst. a TV SozSich einen Anspruch auf Abfindung in der eingeklagten Höhe. Dieser sei nicht nach § 2 Abs. 5 Buchst. a TV SozSich ausgeschlossen, da der Klägerin vor Ausspruch der Kündigung ein konkreter und zumutbarer Arbeitsplatz nicht angeboten worden sei. Der Anspruch verringere sich auch nicht nach § 2 Abs. 6 TV SozSich. Die befristete Beschäftigung der Klägerin bei dem Beklagten in der Zeit vom 11. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 1993 sei nicht als ein Arbeitsverhältnis im Sinne der Tarifvorschrift anzusehen. Damit sei nur ein unbefristetes Arbeitsverhältnis gemeint. Nach Sinn und Zweck der tariflichen Regelung solle der Verlust eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses abgefunden werden. Ein befristetes Arbeitsverhältnis begründe aber nicht den kündigungsschutzrechtlichen Besitzstand eines Arbeitsverhältnisses, das auf unbestimmte Dauer bestehe.
Diese Auslegung ergebe sich auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, da eine Abfindung auch sonst nur dann ausgeschlossen sei, wenn Daueransprüche, z.B. auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, entstünden.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
II. Die Klage ist unbegründet.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Abfindung nach § 2 TV SozSich.
Zwar erfüllt die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Buchst. a TV SozSich, denn der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis wegen mangelnden Bedarfs nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 4 Ziff. 2 Einigungsvertrag zum 31. Dezember 1992 gekündigt. Dem Anspruch der Klägerin steht jedoch § 2 Abs. 6 TV SozSich entgegen. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
a) Nach dieser Bestimmung verringert sich der Anspruch auf Abfindung, wenn der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT eintritt und die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer ist als die der Abfindung zugrundeliegende Anzahl von nach § 2 Abs. 2 TV SozSich zu berechnenden Bruchteilen der Monatsvergütung. Das Arbeitsverhältnis, das die Klägerin ab 11. Januar 1993 zu dem Beklagten (Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O) begründet hat, führt zur Anwendung des § 2 Abs. 6 TV SozSich.
Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, von dem nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei der Tarifauslegung entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung auszugehen ist (vgl. BAG Urteil vom 9. März 1983 – 4 AZR 61/80 – BAGE 42, 86 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 9. Juli 1980 – 4 AZR 560/78 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seeschiffahrt; BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), kommt es auf die Arbeitsbedingungen des neuen Arbeitsverhältnisses nicht an (vgl. auch Nr. 6 RdSchr. des BMI vom 15. Juli 1992 Abschn. B Unterabschn. X (GMBl. S. 750, 756) abgedruckt bei Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT-O, Stand Dezember 1994, TV soziale Absicherung, zu § 2 und Uttlinger/Breier, BAT-O, Stand Dezember 1994, TV soziale Absicherung, Hinweis Nr. 1). Für eine anderslautende Auslegung findet sich im Tarifwortlaut kein Anhaltspunkt. Somit ist auch ein befristetes Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT/BAT-O ein neues Arbeitsverhältnis im Sinne § 2 Abs. 6 TV SozSich.
b) Auch aus Sinn und Zweck der Tarifvorschrift folgt kein anderes Ergebnis. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien soll der Arbeitnehmer eine Abfindung erhalten, wenn er den Arbeitsplatz wegen mangelnden Bedarfs verliert. Nach § 2 Abs. 6 TV SozSich soll diese sich jedoch verringern, wenn er, sei es auch mit zeitlichem Abstand, in ein neues Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eintritt. Darauf, ob das neue Arbeitsverhältnis befristet oder auf unbestimmte Zeit geschlossen ist, kommt es nicht an. Offenbar gehen die Tarifvertragsparteien davon aus, daß durch die Einkünfte aus dem neuen Arbeitsverhältnis der Bedarf entfällt, der durch den wegfallenden Teil der Abfindung abgedeckt werden sollte.
c) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, aus dem tariflichen Gesamt Zusammenhang ergebe sich, daß nur ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit den Anspruch auf Abfindung verringert, überzeugt nicht. Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abstellt, daß ein befristetes Arbeitsverhältnis einen kündigungsschutzrechtlichen Besitzstand von vornherein nicht begründet, verkennt es, daß dies auch für ein Arbeitsverhältnis, das auf unbestimmte Zeit geschlossen ist, zunächst gilt (vgl. § 1 Abs. 1 KSchG). Auch der Bestimmung des § 2 Abs. 7 TV SozSich, nach der ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zur Verringerung der Abfindung führen kann, läßt sich nichts für die Differenzierung des Berufungsgerichts entnehmen. Auch Rentenansprüche können zeitlich begrenzt sein, sofern es sich nicht um solche auf Altersruhegeld handelt (vgl. §§ 94, 100 Abs. 3, 102 SGB VI).
d) Nach § 2 Abs. 6 TV SozSich hat die Klägerin keinen Anspruch auf Abfindung der Höhe nach, weil der Zeitraum zwischen den Arbeitsverhältnissen weniger als einen Kalendermonat betrug. Zwischen der Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses der Klägerin am 31. Dezember 1992 und der Begründung ihres neuen befristeten Arbeitsverhältnisses am 11. Januar 1993 liegen zehn Kalendertage.
2. Damit kann dahinstehen, ob der Anspruch schon nach § 2 Abs. 5 Buchst. a TV SozSich ausgeschlossen wäre.
III. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Spiegelhalter, Elias
Fundstellen
Haufe-Index 1087220 |
AuA 1995, 431 |