Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Eingruppierung. Beschäftigungszeiten bei Betriebsübergang. Einseitiges Bestimmungsrecht bei der tariflichen Anerkennung von Beschäftigungszeiten durch einen Betriebserwerber
Orientierungssatz
1. Ob die vor einem Betriebsübergang beim Veräußerer geleisteten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung von bestimmten, für die Eingruppierung oder Einstufung bedeutungsvollen Beschäftigungszeiten anzurechnen sind oder nicht, hängt von der konkreten Tarifnorm ab, für die sie herangezogen werden sollen. Die Tarifvertragsparteien sind weitgehend frei zu entscheiden, ob und ggf. welche Vorbeschäftigungszeiten tariflich gewichtet werden sollen.
2. Bei der Einstufung von Arbeitnehmern in die Vergütungstabelle nach dem MTV Pro Seniore sind im Allgemeinen nur die Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen, die unmittelbar im Dienst der Pro Seniore AG oder einer der im MTV ausdrücklich genannten Tochtergesellschaften erbracht worden sind.
3. Die gerichtliche Kontrolle bei der Ausübung von einseitigen Leistungsbestimmungen durch den Arbeitgeber auf Grund tariflich eingeräumten Ermessens erstreckt sich nicht auf das vom Arbeitgeber vorgenommene Verfahren, speziell nicht auf die von ihm (möglicherweise fehlerhaft) angenommenen Rechtsgrundlagen, sondern allein auf das Ergebnis der Ermessensentscheidung.
4. Entscheidet sich ein Arbeitgeber für die im Tarifvertrag allgemein vorgesehene Bewertung von Vorbeschäftigungszeiten, ohne von der tariflich eingeräumten Möglichkeit einer hiervon abweichenden Entscheidung Gebrauch zu machen, bedarf es für die Annahme, diese Entscheidung entspreche nicht billigem Ermessen iSv. § 315 Abs. 3 BGB, besonderer Anhaltspunkte im Einzelfall.
Normenkette
BGB §§ 315, 613a Abs. 1; TVG § 1 Abs. 2; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Februar 2007 – 10 Sa 1869/06 – aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. August 2006 – 65 Ca 9760/06 – auch insoweit zurückgewiesen hat als die Beklagte verurteilt worden war, an die Klägerin mehr als 1.426,05 Euro nebst den darauf entfallenden Zinsen zu zahlen.
In diesem Umfang wird das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Beklagten abgeändert und die Zahlungsklage abgewiesen.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beklagte zu 93 Prozent und die Klägerin zu 7 Prozent zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch um die sich aus der Beschäftigungszeit der Klägerin bei der Beklagten ergebende tarifliche Vergütung.
Die 62jährige Klägerin, die Mitglied der Gewerkschaft ver.di ist, wurde am 1. Januar 1994 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Stationshilfe mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 22 Stunden eingestellt. Sie ist seitdem in dem Heim in der L… in Berlin beschäftigt (“Residenz L…”). Zuletzt erhielt sie eine monatliche Bruttovergütung von 806,30 Euro. Die Beklagte übernahm die Einrichtung durch einen Betriebsübergang im August 1998.
Am 24. September 2004 unterzeichneten die Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG (Pro Seniore AG) und die Gewerkschaft ver.di verschiedene Tarifverträge, nämlich den Manteltarifvertrag (MTV) mit den Anlagen A und B, den Tarifvertrag über eine Zuwendung und den Vergütungstarifvertrag Nr. 1. Der betriebliche Geltungsbereich der Tarifverträge wurde – in teilweise voneinander abweichenden Formulierungen – auf die in der Anlage A zum MTV auf die im Einzelnen aufgeführten 21 zum Konzern der Pro Seniore AG gehörenden Seniorenbetriebsgesellschaften mit insgesamt ebenfalls aufgeführten 96 “Residenzen” (Einrichtungen) erstreckt. Die Beklagte ist in der Anlage A zum Manteltarifvertrag vom 24. September 2004 angeführt.
Auf Grund rechtskräftig gewordener Teilentscheidungen steht fest, dass die Klägerin nach der VergGr. X der Anlage B – Beschäftigte in der Tätigkeit von gewerblichen Arbeitnehmern – zum MTV zu vergüten ist.
Die Klägerin hat – soweit für die Revision noch von Interesse – die Auffassung vertreten, dass auch die Zeiten vor dem Betriebsübergang als tarifliche Betriebszugehörigkeitszeiten anzurechnen seien. Daher berechne sich die ihr zustehende Vergütung nach einer Betriebszugehörigkeitsstufe in der Vergütungstabelle, die den Zeitraum ab dem 1. Januar 1994 berücksichtige. Sie begehrt noch die Zahlung der Differenz zwischen der erhaltenen Vergütung und der ihrer Ansicht nach zutreffenden tariflichen Vergütung für die Monate von September 2005 bis einschließlich Mai 2006 in rechnerisch unstreitiger Höhe.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.627,91 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB gem. § 247 BGB seit dem 6. Mai 2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat zuletzt noch die Auffassung vertreten, dass für die Bestimmung der Betriebszugehörigkeitsstufe nicht der Beginn des Arbeitsverhältnisses maßgeblich sei, sondern nur die bei der Beklagten seit dem Betriebsübergang bestehende Betriebszugehörigkeit.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte nach einer Teilrücknahme, mit der sie in der Sache die Verpflichtung zur Zahlung von monatlich 964,75 Euro brutto anerkennt, nur noch die nach ihrer Ansicht fehlerhafte Berücksichtigung der Beschäftigungsjahre der Klägerin vor dem Betriebsübergang im August 1998.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist im zuletzt noch aufrechterhaltenen Umfang begründet. Der Klägerin steht keine höhere als die zuletzt von der Beklagten anerkannte Vergütung zu. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschäftigungsjahre der Klägerin vor dem Betriebsübergang bei der Berechnung der tariflichen Betriebszugehörigkeitszeiten zu Unrecht berücksichtigt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung zu dem in der Revision noch streitigen Teil des umfassenden Rechtsstreites der Parteien damit begründet, dass bei der Einstufung der Klägerin in der Betriebszugehörigkeitsstufe, die nach dem MTV neben der Vergütungsgruppe die der Klägerin zustehende Vergütung bestimmt, auch die Jahre vor dem Betriebsübergang auf die Beklagte zu berücksichtigen seien.
II. Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Klägerin kann die Berücksichtigung der Beschäftigungsjahre vor August 1998 nicht verlangen.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Die Beklagte ist als tarifvertragsschließende Partei beim Abschluss des Tarifvertrages von der Konzernmuttergesellschaft wirksam vertreten worden (vgl. dazu Senat 17. Oktober 2007 – 4 AZR 1005/06 – NZA 2008, 713, 715). Die Klägerin ist Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ver.di.
2. Ferner hat das Landesarbeitsgericht rechtskräftig festgestellt, dass die Klägerin in der VergGr. X der Anlage B zum MTV eingruppiert ist und die ihr zu zahlende Vergütung deshalb der Vergütungstabelle zu dieser Vergütungsgruppe zu entnehmen ist. Dies wird in der Revision von der Beklagten zuletzt nicht mehr angegriffen.
3. Die Revision der Beklagten ist begründet, soweit sie nur noch rügt, das Landesarbeitsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Klägerin Vergütung nach Stufe 5 bzw. 6 der Vergütungstabelle zur VergGr. X beanspruchen kann. Die bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten vor dem 1. August 1998 zurückgelegten Beschäftigungszeiten bleiben entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bei der Ermittlung der zutreffenden Stufe außer Betracht. Das ergibt die Auslegung der maßgebenden Regelungen des Tarifvertrages.
a) Die Anlagen 1 und 2 zum VTV Nr. 1 weisen zu jeder Vergütungsgruppe eine in mehrere “Stufen” gestaffelte Vergütung aus. Die hier maßgebende Vergütungstabelle der Angestellten “West” ist in insgesamt 15 Stufen aufgeteilt, diejenige der Angestellten im “Pflegebereich West” in neun Stufen usw. Zu der jeweiligen Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer Stufe enthält der MTV folgende Regelung:
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Beschäftigungszeit
1. Beschäftigungszeit ist die Zeit, die der Arbeitnehmer nach vollendetem 18. Lebensjahr bei demselben Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis verbracht hat.
2. Als Beschäftigungszeit im Sinne des Absatz 1 gilt auch der Wechsel eines Arbeitnehmers innerhalb der im Geltungsbereich genannten Einrichtungen (Anlage A).
3. Eine Verpflichtung zur Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist und wieder eingestellt wird, es sei denn, dass er
a) wegen Ableistung des Wehrdienstes oder eines ihn ersetzenden anderen öffentlichen Dienstes,
b) wegen Elternzeit,
c) wegen Arbeitsunfall oder Krankheit,
d) wegen beruflicher Fortbildung
das Arbeitsverhältnis unterbrochen hat.
…
§ 12b
Grundvergütung
1. Von Beginn des Monats an, in dem ein Angestellter seine Tätigkeit bei der Pro Seniore AG oder deren Tochtergesellschaften beginnt oder begonnen hat, erhält er die Anfangsgrundvergütung (erste Stufe) seiner Vergütungsgruppe.
2. Die Einstufung erfolgt nach Beschäftigungsjahren. Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern können dabei angerechnet werden.
3. Nach je zwei Beschäftigungsjahren erhält der Angestellte bis zum Erreichen der Endgrundvergütung (letzte Stufe) die Grundvergütung der nächsthöheren Stufe seiner Vergütungsgruppe.
4. Wird der Angestellte höhergruppiert, erhält er vom Beginn des Monats an, in dem die Höhergruppierung wirksam wird, in der Aufrückungsgruppe die Grundvergütung der Stufe, in der er sich in der bisherigen Vergütungsgruppe befand.”
b) Die Anwendung dieser Regelungen führt mit Inkrafttreten des MTV zu der Einreihung der Klägerin in die Stufe 4, da hierfür die Zeit seit dem Betriebsübergang im August 1998 maßgebend ist. Davor liegende Beschäftigungszeiten bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten können nach dem MTV nicht berücksichtigt werden.
aa) Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (st. Rspr., vgl. nur Senat 7. Juni 2006 – 4 AZR 316/05 – BAGE 118, 232, 237 mwN).
bb) Danach schließt der Wortlaut des MTV Pro Seniore, der bei der Auslegung eines Tarifvertrages als Normenwerk vorrangige Bedeutung hat, die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern aus. Hierzu gehört auch die Rechtsvorgängerin der Beklagten; dies hat der Senat für eine Parallelkonstellation hinsichtlich einer vergleichbaren Konzerntochtergesellschaft und deren Rechtsvorgängerin am 17. Oktober 2007 (– 4 AZR 1005/06 – Rn. 51 bis 62, NZA 2008, 713, 718 f.) bereits entschieden. Hieran hält der Senat auch nach erneuter Überprüfung fest.
(1) Der MTV weist drei verschiedene Arten von Beschäftigungszeiten aus, nämlich die Beschäftigungszeiten bei demselben Arbeitgeber (§ 11 Ziff. 1 MTV), die Tätigkeit bei der Pro Seniore AG oder deren Tochtergesellschaften (§ 12b Ziff. 1 MTV) – dem entspricht sinngemäß “der Wechsel” eines Arbeitnehmers innerhalb der im Geltungsbereich genannten Einrichtungen (§ 11 Ziff. 2 MTV) –, und Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern (§ 12b Ziff. 2 Satz 2 MTV).
(2) Die Einreihung in die Stufe der Vergütungsgruppe richtet sich entsprechend § 12b Ziff. 1 MTV in der Grundregel nach der Dauer der Tätigkeit bei der Pro Seniore AG oder deren Tochtergesellschaften. Damit haben die Tarifvertragsparteien zunächst nicht den Bestand eines Arbeitsverhältnisses als solchen, sondern die Tätigkeit für einen bestimmten Arbeitgeber zum Ausgangspunkt der Berechnung tariflich relevanter Beschäftigungszeiten gemacht. Dies wird dadurch unterstrichen, dass der Begriff der Beschäftigungszeit im Sinne einer Legaldefinition für diesen Tarifvertrag in § 11 Ziff. 1 MTV an “denselben Arbeitgeber” anknüpft.
Der Begriff “derselbe Arbeitgeber” umfasst eine identische (juristische oder natürliche) Person, hier jeweils nur eine der in Anlage A aufgeführten Betriebsgesellschaften oder die Pro Seniore AG. Aus dem Begriff selbst heraus ist eine Erstreckung auf andere juristische oder natürliche Personen nicht möglich, wie sich darin zeigt, dass selbst für andere Konzern-Tochtergesellschaften der Anlage A sowie für die Pro Seniore AG eine ausdrückliche Sonderregelung vereinbart wurde. Nach § 11 Ziff. 2 MTV werden Beschäftigungszeiten, die nicht bei “demselben Arbeitgeber”, aber bei einer anderen der in der Anlage A zum MTV genannten Betriebsgesellschaften verbracht worden sind, den in § 11 Ziff. 1 MTV genannten Beschäftigungszeiten bei “demselben Arbeitgeber” gleichgestellt.
(3) Die von der Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten geleistete Dienstzeit ist bei der Berechnung der Beschäftigungszeit für die tarifliche Einreihung in der Vergütungstabelle außer Betracht zu lassen. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten ist ein anderer Arbeitgeber, und der Wortlaut des MTV geht davon aus, dass Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern nicht automatisch der Beschäftigungszeit bei dem aktuellen Arbeitgeber, hier: der Beklagten, gleichzustellen sind. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten ist auch keine der in Anlage A zum MTV genannten Betriebsgesellschaften, so dass auch eine Anrechnung nach § 11 Ziff. 2 MTV ausscheidet.
cc) Die entgegengesetzte Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist unzutreffend.
(1) Dies gilt zunächst, soweit das Landesarbeitsgericht sich darauf beruft, dass der Rechtsvorgänger und frühere Betriebsinhaber mit Rücksicht auf § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht als “anderer Arbeitgeber” im Sinne des MTV anzusehen sei. Denn die Auslegung des MTV ergibt, dass auch § 613a Abs. 1 BGB nicht zu einer Berücksichtigung der vor dem Betriebsübergang absolvierten Beschäftigungszeiten führen kann.
(a) Bei der gemeinsamen Schaffung und Ausgestaltung von Normen, in denen Bestandteile der Vergütung eines Arbeitnehmers geregelt werden, sind die Tarifvertragsparteien weitgehend frei. Es ist ihnen insbesondere nicht verwehrt, bei der Festlegung von Kriterien für die Bemessung von Vergütungsbestandteilen den in der Vergangenheit absolvierten Beschäftigungszeiten eines Arbeitnehmers, die dieser unmittelbar bei seinem Arbeitgeber erbracht hat, größere Bedeutung beizumessen als denjenigen, die er bei einem anderen Arbeitgeber erbracht hat, auch wenn das Arbeitsverhältnis von dem anderen Arbeitgeber auf den aktuellen Arbeitgeber nach § 613a Abs. 1 BGB übergegangen ist. § 613a BGB gewährt Bestandsschutz. Die Vorschrift schützt die Arbeitnehmer gegen den durch den Betriebsübergang bewirkten Verlust von Rechtspositionen, die sie bei ihrem bisherigen Arbeitgeber gehabt haben. Soweit diese durch den Zeitraum der bisherigen Beschäftigung beeinflusst sind, nehmen auch diese Beschäftigungszeiten an dem durch § 613a BGB bewirkten Schutz teil.
(b) Dies gilt aber nur für solche Rechte, die bereits bei dem Veräußerer bestanden haben. Soweit Rechte erst bei dem Erwerber begründet werden, die vorher nicht bestanden haben, ist der Schutz für den Bestand einzelner Elemente des bisherigen Arbeitsverhältnisses nicht gewährleistet. Dies gilt insbesondere, wenn die Rechte erst in einem Zeitraum nach Durchführung des Betriebsübergangs begründet werden und vom Arbeitnehmer somit erst beim Betriebserwerber erlangt werden können (MünchKommBGB/Müller-Glöge 4. Aufl. § 613a Rn. 98). Das hat das Bundesarbeitsgericht für die betriebliche Altersversorgung bereits entschieden (19. Dezember 2000 – 3 AZR 451/99 – BAGE 97, 1, 6, mwN; 19. April 2005 – 3 AZR 469/04 – AP BetrAVG § 1 Betriebsveräußerung Nr. 19 = EzA BetrAVG § 1b Nr. 3). Es gilt jedoch auch für Leistungen, die durch einen nach dem Betriebsübergang abgeschlossenen Tarifvertrag erstmals normiert werden. Der Bestandsschutz der bisherigen Arbeitsbedingungen der Klägerin war dabei nicht nur in Bezug auf den vorhergegangenen Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 BGB gewährleistet, sondern auch über die Besitzstandsklausel in § 24 MTV. Den für die Erhöhung der bisherigen Vergütungen und deren Berechnungsregeln bestehenden Spielraum der Tarifvertragsparteien haben die Pro Seniore AG und die Gewerkschaft ver.di mit der neuen Vergütungsordnung im MTV und den dort vereinbarten Anrechnungsregeln nicht überschritten (Senat 17. Oktober 2007 – 4 AZR 1005/06 – NZA 2008, 713, 716).
(2) Die Klägerin kann sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht auf die in § 12b Ziff. 2 Satz 2 MTV erwähnte Möglichkeit einer “Anerkennung” von Beschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber berufen.
(a) Das Landesarbeitsgericht ist im Sinne einer selbständig tragenden Zweitbegründung davon ausgegangen, dass die Klägerin sich auch darauf stützen kann, dass die früheren Beschäftigungszeiten bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als von dieser anerkannt zu gelten haben und deshalb bei der Bestimmung der Vergütungsstufe innerhalb der Tabelle zu berücksichtigen sind. Das Gericht sei befugt, eine ersetzende Entscheidung zu treffen, weil die Beklagte die Ausübung des ihr zustehenden Leistungsbestimmungsrechts verzögert habe oder wenn man von einer negativen Entscheidung der Beklagten ausgehe, diese jedenfalls unbillig sei. Insofern sei allein die Entscheidung für die Anerkennung der früheren Beschäftigungsjahre ermessensfehlerfrei im Sinne von § 315 Abs. 3 Satz 2 1. Alt. BGB.
(b) Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Ersetzung einer von der Beklagten nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht getroffenen Anerkennungsentscheidung durch eine gerichtliche Entscheidung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ist genauso wenig möglich wie die Korrektur einer von der Beklagten getroffenen ablehnenden Entscheidung.
(aa) Es ist bereits sehr fraglich, ob der Tarifvertrag mit dieser Formulierung den Arbeitnehmern einen subjektiven Anspruch darauf gewährt, dass Vorbeschäftigungszeiten, die nach der differenzierten tariflichen Regelung nicht zu berücksichtigen sind, dennoch zu berücksichtigen sind, oder ob es sich nicht lediglich um eine deklaratorische Angabe darüber handelt, dass dem Arbeitgeber im Einzelfall freisteht, über die tariflichen Vorgaben hinaus auch Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen und sie bei der Bemessung des Tariflohns wirksam werden zu lassen. Dafür spricht, dass die Tarifvertragsparteien mit der Anerkennungsmöglichkeit zwar in Erwägung gezogen haben, dass es (weitere) andere Arbeitgeber geben kann, hinsichtlich derer sich die Frage der Anrechnung von Beschäftigungszeiten mit tariflicher Relevanz stellen kann. Sie haben aber diese Frage nur gestellt und nicht mit einer im Einzelnen bestimmten und zwingenden Regelung beantwortet. Insbesondere ist weder ein Verfahren noch sind inhaltliche Kriterien für die “Anerkennung” von Beschäftigungszeiten in diesem Sinne geregelt worden.
(bb) Eine gerichtliche Ermessensentscheidung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB scheidet aber vorliegend im Einzelfall schon deshalb aus, weil es dafür an den materiellrechtlichen Voraussetzungen fehlt. Denn die Beklagte hat die Entscheidung der Nichtanrechnung getroffen und diese ist auch nicht unbillig.
Dabei spielt es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine Rolle, ob die Beklagte den MTV für anwendbar gehalten hat oder nicht. Fest steht, dass nach dem Willen der Beklagten die Beschäftigungszeiten der Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten keine Berücksichtigung bei der Berechnung der ihr zustehenden Vergütung finden sollten und sollen. Ob diese Entscheidung unter Heranziehung der Kriterien billigen Ermessens und deren sorgfältiger Abwägung getroffen worden ist oder ob sie auf der (konkret fehlsamen) Annahme der Nichtanwendbarkeit des MTV beruht, spielt für die Frage ihrer Rechtmäßigkeit keine Rolle. Die dadurch jedenfalls im Ergebnis durch die Beklagte vorgenommene “einseitige Leistungsbestimmung” ist vom Gericht nicht auf ihr ordnungsgemäßes Zustandekommen zu überprüfen, sondern auf ihre Billigkeit; es findet keine Verfahrenskontrolle, sondern eine Ergebniskontrolle statt. Dem Gericht wäre deshalb eine eigene Ermessensentscheidung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. BGB, wie sie das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat, auch dann verwehrt, wenn der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung von einer Nichtgeltung der ermächtigenden Norm ausgegangen wäre oder die danach maßgebenden Kriterien nicht nur falsch gewichtet, sondern gar nicht herangezogen hätte.
(cc) Die Entscheidung der Beklagten ist nicht unbillig. Wenn man überhaupt von einer (Ermessens-)Bindung der Beklagten ausgehen will, entspricht die Entscheidung der Nichtberücksichtigung im Ergebnis den tariflichen Wertungen. Die Gegenargumente des Landesarbeitsgerichts dagegen widersprechen den erkennbaren Gewichtungen, die in dem von den Tarifvertragsparteien gewählten Wortlaut der Tarifnormen zum Ausdruck kommen.
Die Tarifvertragsparteien haben – wie dargelegt – ein differenziertes System der Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten für die Einstufung in der Vergütungstabelle vereinbart. Für die Konstellation eines Betriebsübergangs haben die Tarifvertragsparteien des MTV eindeutig festgelegt, dass die beim Rechtsvorgänger zurückgelegten Zeiten generell unberücksichtigt bleiben sollen. Entscheidend ist danach allein die Beschäftigungszeit bei einem bestimmten Arbeitgeber (§ 11 Ziff. 1, § 11 Ziff. 2, § 12b Ziff. 1 MTV), nicht in einem bestimmten Betrieb. Diese allgemeine Wertung des Tarifvertrages schließt es aus, im Wege der gerichtlichen Billigkeitsbestimmung den Arbeitgeber dazu zu zwingen, in einer genauso allgemeinen gegenteiligen Wertung Beschäftigungszeiten bei einem Betriebsveräußerer anzuerkennen, wie es das Landesarbeitsgericht im Streitfall ohne jeden Bezug auf eine konkrete Besonderheit des Arbeitsverhältnisses getan hat.
(dd) Es kommt hinzu, dass das Landesarbeitsgericht nicht ein einziges Kriterium einbezogen oder auch nur genannt hat, das gegen eine Anerkennung derartiger Beschäftigungszeiten spricht. Hierzu hat die Beklagte in der Revision noch einmal darauf hingewiesen, dass mangels anderer Bestimmungen im MTV alle sachlichen Gründe, insbesondere auch solche finanzieller und arbeitsmarktpolitischer Art, vom Arbeitgeber herangezogen werden können. Dazu gehörte zB die Möglichkeit, bei Fachkräftemangel gegenüber Konkurrenten bei Abwerbung von Pflegekräften diesen marktgerechte Bedingungen anzubieten. Die Beklagte habe jedoch entschieden, derzeit grundsätzlich keine Anerkennung anderweitiger als der tariflich vorgesehenen Beschäftigungszeiten vorzunehmen.
Auf der anderen Seite hat das Landesarbeitsgericht Gesichtspunkte einbezogen, die an anderer Stelle im MTV abschließend gewertet worden sind. So geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass auch der Sinn und Zweck von Beschäftigungsstufen als Erfahrungsstufen für die Anerkennung der früheren Zeiten spreche, insbesondere wenn auch bis zum Inkrafttreten des MTV eine nach Beschäftigungsjahren gestaffelte Vergütungstabelle das Gehalt des Arbeitnehmers bestimmt hatte. Gerade hinsichtlich der Beschäftigungsstufen aber haben die Parteien des MTV in § 24 eine ausdrückliche Übergangsregelung zur Besitzstandswahrung getroffen, wonach bei einem nach Inkrafttreten des MTV niedrigeren Gesamteinkommen des tarifunterworfenen Arbeitnehmers, dessen Vergütung vorher nach einer solchen Stufung erfolgte, diese bisherige Stufung auch bei der Berechnung der Vergütung nach dem neuen MTV bestehen bleiben sollte. Daraus ergibt sich, dass die Tarifvertragsparteien zunächst grundsätzlich davon ausgegangen sind, dass eine solche Stufung gerade nicht erhalten bleiben sollte, und dass ferner für eine bestimmte Konstellation, nämlich eine dadurch bewirkte Schlechterstellung als bisher, ein konkreter Besitzstandsschutz eingreifen soll. Haben die Tarifvertragsparteien dies aber geregelt, so scheidet es aus, eine Nichtberücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten, die diese Regelungen wortgetreu exekutiert, als unbillig anzusehen und als allein rechtsfehlerfrei die gegen den MTV erfolgte Anrechnung.
c) Daraus ergibt sich für den Streitzeitraum ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer monatlichen Grundvergütung von 1.022,32 Euro, ein in der Höhe von der Vergütungsstufe unabhängigen Anspruch auf einen Ortszuschlag von 575,03 Euro sowie auf eine allgemeine Zulage in Höhe von 90,97 Euro. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin nur mit 22 Stunden wöchentlich beschäftigt ist und die Grundvergütung auf der Basis von 38,5 Wochenstunden nach Maßgabe von § 13 Abs. 2 MTV Pro Seniore zu berechnen ist, ergibt sich daraus eine Gesamtvergütung von 964,75 Euro. Dem steht ein von der Beklagten gezahltes Gehalt von monatlich 806,30 Euro gegenüber. Im neunmonatigen Streitzeitraum hat die Klägerin daher einen Anspruch auf eine Vergütungsdifferenz von insgesamt 1.426,05 Euro brutto. Die darüber hinausgehende Forderung der Klägerin ist unbegründet.
III. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind unter Berücksichtigung der Teilrücknahme der Revision anteilig nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens in der Revision zu verteilen, § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 565, § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Gleiches gilt für die durch die Revisionsentscheidung geänderten Entscheidungen der Vorinstanzen und deren danach neu zu bewertenden Kostenverteilungen.
Unterschriften
Bepler, Creutzfeldt, v. Dassel, Dierßen
Der Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Wolter ist wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschrift gehindert.
Bepler
Fundstellen
Haufe-Index 2039642 |
BB 2008, 2233 |
BB 2008, 2290 |