Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilzeitbeschäftigte Postarbeiterin. Tariflohnerhöhung

 

Normenkette

BeschFG 1985 Art. 1 § 2 Abs. 1; BeschFG 1985 § 6 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; EWGVtr Art. 119 Abs. 1; BGB § 134

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 22.10.1991; Aktenzeichen 10 Sa 42/91)

ArbG Berlin (Urteil vom 10.05.1991; Aktenzeichen 21 Ca 716/90)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. Oktober 1991 – 10 Sa 42/91 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin einen um 5 v. H. höheren tariflichen Monatslohn zu zahlen.

Die Klägerin, Jahrgang 1943, ist seit 1970 als ständige Arbeiterin im Postdienst beschäftigt. Ihre Wochenarbeitszeit beträgt seit 1. Oktober 1978 20 Stunden, sie erhält Monatslohn nach Lohngruppe V des Tarifvertrags für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb), der kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung gilt. In § 10 Abs. 6 TV Arb ist bestimmt:

„Der Monatslohn gemäß Absatz 1 erhöht sich für vollbeschäftigte Arbeiter der Lohngruppen Ia bis VII um 5 v. H., wenn sie

  1. eine Postdienstzeit von 15 Jahren

    und

  2. das 40. Lebensjahr

    vollendet haben; er erhöht sich mit Beginn des Monats, in dem die Voraussetzungen nach a) und b) erfüllt werden.”

Die Klägerin hat gemeint, durch die Beschränkung des Anspruchs auf vollbeschäftigte Arbeitnehmer werde sie als Teilzeitkraft unzulässig benachteiligt.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte der Klägerin monatlich 5 v. H. des tariflichen Monatslohns ab Dezember 1990 zusätzlich zum tariflichen Monatslohn zu zahlen hat.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, § 10 Abs. 6 TV Arb sei auch insoweit wirksam, als danach teilzeitbeschäftigte Arbeiter anders zu behandeln seien als vollbeschäftigte.

Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Beklagte zur Zahlung eines um 5 v. H. höheren Monatslohns verurteilt. Die Klägerin hat Anspruch darauf, mit den vollbeschäftigten Arbeitern gleichbehandelt zu werden. Soweit § 10 Abs. 6 TV Arb den Anspruch auf diese Arbeiter beschränkt, ist er nichtig.

I. Der Ausschluß der teilzeitbeschäftigten Arbeiter vom Anspruch auf den erhöhten Monatslohn verstößt gegen Art. 1 § 2 Absatz 1 BeschFG. Nach dieser Bestimmung darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.

1. Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG findet seit dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens (1. Mai 1985) auf das im Jahr 1970 begründete Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung (vgl. BAG Urteil vom 25. Januar 1989 – 5 AZR 161/88 – BAGE 61, 43, 46 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 24. Oktober 1989 – 8 AZR 5/89 – BAGE 63, 181, 186 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG, zu II 3 der Gründe, und zuletzt BAG Urteil vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT, zu I 2 der Gründe).

2. § 10 TV Arb gilt zwischen den Parteien. Diese haben einzelvertraglich die Anwendung des TV Arb vereinbart. Die Klägerin hat die Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 TV Arb mit Ausnahme der Vollbeschäftigung erfüllt. Sie hat das 40. Lebensjahr vollendet und eine Postdienstzeit von 15 Jahren erfüllt.

3. Der Ausschluß der teilzeitbeschäftigten Arbeiter vom Anspruch auf den erhöhten Monatslohn stellt eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den vollbeschäftigten Arbeitern dar, ist ausschließlich durch die Teilzeitarbeit bedingt und nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

a) Die Klägerin wird gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitern unterschiedlich behandelt.

Die Bestimmung des Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG gilt nicht nur für einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, sondern auch für Arbeitsverträge, durch die teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gegenüber vollzeitbeschäftigten benachteiligt werden (vgl. BAG Urteile vom 25. Januar 1989 und vom 24. Oktober 1989 und zuletzt vom 7. November 1991, jeweils a.a.O.).

b) Die unterschiedliche Behandlung erfolgt wegen der Teilzeitarbeit. Dies ergibt sich aus dem Tarifwortlaut, der ausdrücklich einen Anspruch auf die tarifliche Leistung nur den vollzeitbeschäftigten Arbeitern zugesteht und somit die übrigen Arbeiter allein deshalb, weil ihre Arbeitszeit kürzer ist, von der Regelung ausschließt.

c) Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten rechtfertigen, bestehen nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das unterschiedliche Arbeitspensum des Teilzeitbeschäftigten und des Vollzeitbeschäftigten kein ausreichender sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung (vgl. BAGE 66, 17, 20 = AP Nr. 8 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; BAGE 66, 314, 317 = AP Nr. 12 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 b (1) der Gründe, und BAG Urteil vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT, zu I 3 c aa der Gründe). Die Menge der Arbeitsleistung stellt daher für sich genommen keinen sachlichen Grund dar, um den Teilzeitbeschäftigten von der Gewährung einer tariflichen Leistung auszuschließen.

Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der Klägerin kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht darin gesehen werden, daß durch § 10 Abs. 6 TV Arb ursprünglich die Löhne der älteren und schon länger beschäftigten Arbeiter an die Besoldung der entsprechenden Beamten angeglichen werden sollten. Es bedarf keiner Entscheidung des Senats, ob dies eine unterschiedliche Behandlung teilzeitbeschäftigter Arbeiter rechtfertigen würde. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten besteht dieser Grund für die in § 10 Abs. 6 TV Arb geregelte Lohnerhöhung nicht mehr, weil das Lohnniveau zwischenzeitlich so sehr gestiegen sei, daß es dieser tariflich bestimmten Angleichung nicht mehr bedürfe. Damit ist nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten der etwaige sachliche Grund für die Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten und vollzeitbeschäftigten Arbeitern jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum entfallen. Soweit die Beklagte außerdem darauf hinweist, die Tarifregelung begünstige inzwischen sogar die Arbeiter gegenüber den Beamten und sei deshalb in Übereinstimmung mit dem Bundesrechnungshof als „ein zu beseitigender Anachronismus” anzusehen, verkennt sie, daß es Aufgabe der Tarifvertragsparteien und nicht des Gerichts ist, eine tarifpolitisch als überholt angesehene tarifliche Regelung aufzuheben oder zu ändern.

d) Der Ausschluß der Klägerin von der Lohnerhöhung ist auch nicht deshalb wirksam, weil die unterschiedliche Behandlung tariflich geregelt ist.

Zwar räumt Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG nach seinem Wortlaut den Tarifvertragsparteien die Befugnis ein, von der Vorschrift des Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG zuungunsten des Arbeitnehmers abzuweichen. Demgegenüber hat der Dritte Senat (BAG Beschluß vom 29. August 1989 – 3 AZR 370/88 – BAGE 62, 334, 338 = AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985) angenommen, Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG gestatte es den Tarifvertragsparteien nicht, vom Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG konkretisiert und niedergelegt ist, abzuweichen. Der erkennende Senat hat sich dem Dritten Senat im Ergebnis angeschlossen (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP, a.a.O., zu I 3 d der Gründe). Zu Recht haben Schüren/Kirsten (Anm. zu AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985) und Kraft/Raab (Anm. zu EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 3) darauf hingewiesen, daß sich das Verbot der Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bereits aus der unmittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte, insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 GG, ergibt (vgl. Urteil des Senats vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP, a.a.O.).

4. Der Verstoß gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG führt gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte diskriminierenden Tarifregelung. Dies hat zur Folge, daß die Klägerin in Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Maßgabe des § 10 Abs. 6 TV Arb behandelt werden muß (BAGE 63, 181, 187 = AP, a.a.O., zu II 4 der Gründe; BAGE 66, 314, 322 = AP, a.a.O., zu II 3 der Gründe, und BAG Urteil vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP, a.a.O., zu I 4 der Gründe). Die Klägerin hat somit Anspruch auf den um 5 v. H. höheren Monatslohn.

II. Da die Revision der Beklagten bereits aus den vorstehenden Gründen in der Sache keinen Erfolg hat, kommt es nicht darauf an, ob die Benachteiligung der Klägerin, wie von ihr geltend gemacht und vom Arbeitsgericht angenommen, auch gegen Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag verstößt.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Hilgenberg, Ziegenhagen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081341

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge