Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung eines Flugzeugführers. Tarifänderung. Rückwirkung
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Verhältnis von zwei zeitlich aufeinander folgenden Normen desselben Normgebers gilt, soweit dies beabsichtigt ist, das Ablösungsprinzip. Die Tarifvertragsparteien können danach grundsätzlich jederzeit einen von ihnen früher selbst vereinbarten Tarifvertrag abändern, einschränken oder aufheben.
2. Für die Frage, ob ein Tarifvertrag rückwirkend und abändernd in einen tariflichen Anspruch eingreift, ist auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung abzustellen.
3. Eine echte Rückwirkung liegt daher nur dann vor, wenn im Zeitpunkt der einen tariflichen Anspruch betreffenden Tarifänderung alle Tatbestandsvoraussetzungen für dessen endgültige Entstehung erfüllt waren.
Normenkette
TVG § 1 Rückwirkung; BGB § 242
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 04.05.2006; Aktenzeichen 11 Sa 457/04) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.12.2003; Aktenzeichen 15 Ca 4535/03) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 4. Mai 2006 – 11 Sa 457/04 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Höhe der dem Kläger zustehenden tariflichen Vergütung.
Der Kläger steht seit dem 17. September 1995 als Flugzeugführer in den Diensten des beklagten Luftfahrtunternehmens, der Deutschen Lufthansa Aktiengesellschaft (DLH). Er übt ab 1. Februar 1996 die Tätigkeit eines I. Offiziers aus. Sein Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 25. September 1995. In Ziff. 2 dieses Arbeitsvertrags ist bestimmt, dass sich “die gegenseitigen Rechte und Pflichten” ua. aus den Tarifverträgen der “Lufthansa in ihrer jeweils geltenden Fassung” ergeben.
Seit dem 1. Februar 2001 war die Vergütung des Cockpitpersonals in dem von der Vereinigung Cockpit mit der Beklagten am 8. Juni 2001 abgeschlossenen Vergütungstarifvertrag Nr. 8 (im Folgenden VTV Nr. 8) geregelt. Nach Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 belief sich der sog. Steigerungsbetrag der Stufensteigerung nach jeweils einem Beschäftigungsjahr bei dem I. Offizier einschließlich Senior First Officer, dessen Grundvergütung in der ersten Stufe 7.900,00 DM betrug, bei einer Grundvergütung “unterhalb von DM 11.290,--” auf 565,00 DM (große Stufensteigerung), bei einer “Grundvergütung von DM 11.290,-- oder mehr” auf 226,00 DM (kleine Stufensteigerung). Nach dieser Tarifsystematik wird mit der sechsten großen Stufensteigerung der Schwellenwert (“Tabelleneckwert”) erreicht, so dass danach kleine Stufensteigerungen bis zu einem Höchstbetrag folgten. Für die Umrechnung der Vergütungssätze des VTV Nr. 7 in diejenigen des VTV Nr. 8, in dem die Umbasierung von 13 auf 12 Monatsgehälter und eine zweiprozentige Tabellenerhöhung vereinbart sind, wurde der exemplarisch auf mehrere Stellen hinter dem Komma ermittelte Steigerungsprozentsatz auf zwei Stellen hinter dem Komma gerundet (“kaufmännische Rundung”). In denjenigen Fällen, in denen eine Abrundung vorgenommen wurde, lag das Gehalt des Flugzeugführers nach der sechsten großen Stufensteigerung minimal (“wenige Pfennige”) unterhalb des – bei Tarifänderungen in der Folgezeit entsprechend angepassten und in Euro umgerechneten – Tabelleneckwerts von ursprünglich 11.290,00 DM, so dass dieser Flugzeugführer Anspruch auf eine siebente große Stufensteigerung hatte. Der Tabelleneckwert lag im Januar 2003, mit dessen Ablauf der Kläger wiederum ein Beschäftigungsjahr in der Vergütungsgruppe der I. Offiziere vollendete, geringfügig über seiner Vergütung.
Am 7. Februar 2003 schlossen die Tarifvertragsparteien den Änderungstarifvertrag Nr. 1 zum VTV Nr. 8 (ÄndTV Nr. 1) ab, der den ursprünglichen Schwellenwert ab 1. Februar 2001 auf 11.288,22 DM absenkte. Dieser Tabelleneckwert lag knapp unter der Monatsvergütung des Klägers. Ebenfalls am 7. Februar 2003 schlossen die Tarifvertragsparteien den Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum VTV Nr. 8 (ÄndTV Nr. 2), der die Korrektur nach dem ursprünglich vereinbarten Tabelleneckwert bereits erfolgter siebenter Stufensteigerungen regelt. Dieser sieht vor, danach folgende Steigerungen abgesenkt vorzunehmen, wobei sich der Absenkungsbetrag nach dem überschießenden Betrag in Höhe der auf der Grundlage des neuen Schwellenwerts zu Unrecht erfolgten Stufensteigerung bestimmt. Auch für den ÄndTV Nr. 2 bestimmten sie dessen Inkrafttreten zum 1. Februar 2001.
Zum Februar 2003 erhöhte die Beklagte die Monatsvergütung des Klägers um den kleinen Steigerungsbetrag. Flugzeugführer, die zusammen mit dem Kläger den die Eingruppierung in die Beschäftigungsgruppe der I. Offiziere begründenden Lehrgang besucht, aber bereits im Dezember 1995 oder in der ersten Hälfte des Monats Januar 1996 zum I. Offizier ernannt worden sind, erhielten zu den für sie maßgebenden Steigerungszeitpunkten im Dezember 2002 bzw. Januar 2003 die große Stufensteigerung.
Soweit für die Revision noch von Interesse macht der Kläger mit seiner Klage für die Monate Februar 2003 bis September 2004 die Differenz zu einer um eine große Stufensteigerung erhöhten Grundvergütung geltend, für die Monate Oktober 2004 bis Januar 2005 einen geringeren Betrag von jeweils 72,92 Euro.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, diese Beträge stünden ihm nach der tariflichen Regelung zu. Die Herabsetzung des Tabelleneckwerts durch den ÄndTV Nr. 1 beinhalte eine unzulässige Rückwirkung. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Änderungstarifvertrags sei der Anspruch auf ein um die große Stufensteigerung erhöhtes Gehalt bereits entstanden gewesen. Die Voraussetzungen, unter denen ein rückwirkender tarifvertraglicher Eingriff in entstandene Ansprüche ausnahmsweise zulässig sei, seien vorliegend nicht erfüllt. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten auf die ursprüngliche Regelung vertrauen können. Um Rundungsfehler, wie sie die Beklagte als Rechtfertigung für den ÄndTV Nr. 1 anführe, hätte sich das Cockpitpersonal nicht kümmern müssen, zumal eine Tabelle Bestandteil der Tarifverträge sei.
Der Kläger hat mit seiner im Berufungsrechtszug geänderten Klage beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
1. an ihn 4.375,40 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus dem Nettobetrag von jeweils 218,77 Euro brutto seit dem 28. Februar 2003, dem 28. März 2003, dem 28. April 2003, dem 28. Mai 2003, dem 28. Juni 2003, dem 28. Juli 2003, dem 28. August 2003, dem 28. September 2003, dem 28. Oktober 2003, dem 28. November 2003, dem 28. Dezember 2003, dem 28. Januar 2004, dem 28. Februar 2004, dem 28. März 2004, dem 28. April 2004, dem 28. Mai 2004, dem 28. Juni 2004, dem 28. Juli 2004, dem 28. August 2004 sowie dem 28. September 2004 zu zahlen,
2. an ihn 291,68 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus dem Nettobetrag von jeweils 72,92 Euro brutto seit dem 28. Oktober 2004, dem 28. November 2004, dem 28. Dezember 2004 sowie dem 28. Januar 2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der ÄndTV Nr. 1 habe nur die ursprünglich vereinbarte Tarifsystematik herstellen sollen. Aus den ursprünglich in § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 angegebenen Werten folge, dass die Tarifvertragsparteien nur sechs große Stufensteigerungen hätten vorsehen wollen. Zwar hätten tatsächlich einige I. Offiziere auch nach dem siebenten Beschäftigungsjahr die große Stufensteigerung erhalten. Dies beruhe darauf, dass die ihnen nach dem vorhergehenden Vergütungstarifvertrag zustehenden Vergütungen mit einem gerundeten Prozentwert umgerechnet worden seien. Dies habe bei einigen I. Offizieren zu einer nach der Tarifeinigung nicht beabsichtigten geringfügigen Unterschreitung des Tabelleneckwerts geführt. Um die Vergütungssystematik herzustellen und die unterschiedlich erfolgten Steigerungen zu korrigieren, hätten die Tarifvertragsparteien die ÄndTV Nr. 1 und 2 abgeschlossen. Gegenüber den Mitarbeitern, die danach vor Abschluss des ÄndTV Nr. 1 zu Unrecht eine große Stufensteigerung erhalten hätten, habe sie entsprechend der Regelung des ÄndTV Nr. 2 die folgenden Steigerungen abgesenkt vorgenommen. Überschießend gezahlte Beträge habe sie zurückgefordert.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren aus dem Berufungsrechtszug weiter und erstrebt klageerweiternd die Feststellung der Unwirksamkeit der ÄndTV Nr. 1 und 2. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat seine Berufung im Ergebnis mit Recht zurückgewiesen. Aus der Begründung zum Nichtbestehen des Zahlungsanspruchs folgt zugleich die Unbegründetheit des in der Revisionsinstanz erstmals gestellten Feststellungsantrags.
I. Die Feststellungsklage des Klägers ist gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
1. Der Antrag ist dahin auszulegen, dass der Kläger die Anwendbarkeit von Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 in der ursprünglichen Fassung auf sein Arbeitsverhältnis begehrt. Diese Auslegung wird seinem erkennbaren Rechtsschutzbegehren gerecht. Die Wirksamkeit der Änderungstarifverträge will er im Hinblick darauf geklärt wissen, welche tarifliche Regelung auf ihn anwendbar war. Von der Anwendbarkeit des VTV Nr. 8 in seiner ursprünglichen Fassung hängen die behaupteten weiteren Entgeltansprüche für die Zeit seit Februar 2004 ab, deren Durchsetzung die geltend gemachte Feststellung erleichtern soll.
2. In dieser Auslegung hat die Feststellungsklage einen zulässigen Inhalt. Gegenstand einer Feststellungsklage kann die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrags oder Tarifwerks auf ein Arbeitsverhältnis sein (Senat 15. März 2006 – 4 AZR 75/05 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 38 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 31 mwN). Auch die Erweiterung der Klage um den Feststellungsantrag in der Revision ist zulässig. Klageänderungen und Klageerweiterungen werden in der Revisionsinstanz aus prozessökonomischen Gründen ausnahmsweise ua. zugelassen, wenn sich der neue Antrag auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt stützt (zB Senat 28. Januar 1998 – 4 AZR 426/96 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Rundfunk Nr. 23; BAG 9. November 2005 – 5 AZR 105/05 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 196 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 132). Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat die für den Feststellungsantrag erforderlichen Feststellungen getroffen, weil es die Wirksamkeit der Tarifänderungen als Vorfrage beim Zahlungsbegehren des Klägers geprüft hat.
II. Die Klage ist sowohl hinsichtlich der in der Revision allein noch auf tarifliche Vorschriften gestützten Zahlungsansprüche als auch hinsichtlich des Feststellungsantrags unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch nach Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 auf die geforderten Vergütungsdifferenzen für die Zeit von Februar 2003 bis Januar 2005 in der zwischen den Parteien unstreitigen Höhe von insgesamt 4.667,08 Euro. Der ÄndTV Nr. 1 greift nicht rückwirkend in entstandene Ansprüche des Klägers ein.
a) Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der VTV Nr. 8 sowie die dazu abgeschlossenen ÄndTV Nr. 1 und 2 Anwendung.
b) Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Kläger nach dem ÄndTV Nr. 1 keinen Anspruch auf die mit der Klage geforderten Vergütungsdifferenzen hat. Die große Stufensteigerung steht dem Kläger, der alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen gem. Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 erfüllt, deshalb nicht zu, weil seine Vergütung im Januar 2003 den Tabelleneckwert, bis zu dem große Stufensteigerungen erfolgen, nach Maßgabe des ÄndTV Nr. 1 überstieg. Der Kläger macht diesbezüglich allein geltend, der ÄndTV Nr. 1 sei – ebenso wie der ÄndTV Nr. 2 – unwirksam. Dies ist nicht der Fall.
aa) Der Kläger vertritt die Auffassung, die ÄndTV Nr. 1 und 2 enthielten einen Eingriff in abgeschlossene und abgewickelte Sachverhalte, so dass eine echte Rückwirkung vorliege. Eine Fallgestaltung, für die eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit einer echten Rückwirkung anerkannt sei, liege nicht vor. Daher sei die Tarifänderung unwirksam. Die Unwirksamkeit erstrecke sich auf die gesamte Regelung, weil diese nicht sinnvoll teilbar sei.
bb) Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Trotz der rückwirkenden Inkraftsetzung des ÄndTV Nr. 1 entfaltet die dort vereinbarte Herabsetzung des Tabelleneckwerts für den betroffenen Personenkreis keine echte Rückwirkung. Vielmehr ist lediglich ein Teil des Vergütungsanspruchs des Klägers für Februar 2003 von einer unechten Rückwirkung betroffen. Insoweit überwiegt das Regelungsinteresse der Tarifvertragsparteien an der Tarifänderung das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der Regelung.
(1) Im Verhältnis von zwei zeitlich aufeinander folgenden Normen desselben Normgebers gilt, soweit dies beabsichtigt ist, das Ablösungsprinzip. Die Tarifvertragsparteien können danach grundsätzlich jederzeit einen von ihnen früher selbst vereinbarten Tarifvertrag abändern, einschränken oder aufheben (Wiedemann/Wank TVG 7. Aufl. § 4 Rn. 261; Jacobs/Krause/Oetker Tarifvertragsrecht § 7 Rn. 194). Die spätere Regelung löst die frühere ab (sog. Zeitkollisionsregel – vgl. Senat 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309, 315; BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 152/03 – BAGE 108, 176, 182). Eine Ablösung können die Tarifvertragsparteien auch ausdrücklich normieren. Eine solche ausdrücklich normierte Ablösung der Regelung des für die Höhe der Jahressteigerung maßgebenden Tabelleneckwerts in Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 sieht der ÄndTV Nr. 1 vor.
(2) Der ÄndTV Nr. 2 ist nicht deshalb unwirksam, weil die Tarifvertragsparteien sein Inkrafttreten rückwirkend zum 1. Februar 2001 vereinbart haben.
(a) Aus dem Ablösungsprinzip, nach dem die jüngere Tarifregelung der älteren vorgeht, ergibt sich, dass eine Tarifnorm stets unter dem Vorbehalt steht, durch eine nachfolgende tarifliche Regelung verschlechtert oder ganz gestrichen zu werden. Soweit Änderungen der Tarifnorm Sachverhalte berühren, die in der Vergangenheit liegen, haben die Tarifvertragsparteien allerdings die Grenzen für eine Rückwirkung einzuhalten, die auch vom Gesetzgeber zu beachten sind. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt (Senat 11. Oktober 2006 – 4 AZR 486/05 – NZA 2007, 634 und – 4 AZR 522/05 – AiB 2007, 418; 17. Mai 2000 – 4 AZR 216/99 – BAGE 94, 349, 357; 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309, 328 f.; BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 152/03 – BAGE 108, 176, 182; 18. September 1997 – 2 AZR 614/96 – RzK I 3e Nr. 67). Die den Tarifvertragsparteien in Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumte Normsetzungsbefugnis umfasst die rückwirkende Inkraftsetzung von verschlechternden Bedingungen nur insoweit, als sie nicht den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzen, wie ihn das Bundesverfassungsgericht für die Rückwirkung von Gesetzen aus Art. 20 GG ableitet (Senat 5. Juli 2006 – 4 AZR 381/05 – AP TVG § 1 Nr. 38 = EzA TVG § 1 Rückwirkung Nr. 8). Dabei ist das Vertrauen in den Bestand des tariflichen Anspruchs unabhängig davon schutzwürdig, ob der Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit gilt oder ob dessen Anwendung vertraglich vereinbart ist (Senat 11. Oktober 2006 – 4 AZR 486/05 – aaO und – 4 AZR 522/05 – aaO).
(b) Die Grundsätze zur Zulässigkeit rückwirkender Normänderungen unterscheiden zwischen echter und unechter Rückwirkung (Senat 23. Februar 2005 – 4 AZR 172/04 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 33 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 12). Eine echte Rückwirkung oder Rückbewirkung von Rechtsfolgen liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfG 13. Mai 1986 – 1 BvR 99, 461/85 – BVerfGE 72, 175, 196 mwN; 31. Mai 1960 – 2 BvL 4/59 – BVerfGE 11, 139, 145 f.). Eine Rückwirkung in Form der unechten Rückwirkung ist gegeben, wenn der Normsetzer an Rechtssetzungen und Lebenssachverhalte anknüpft, die in der Vergangenheit begründet wurden, auf Dauer angelegt waren und noch nicht abgeschlossen sind (BVerfG 30. September 1987 – 2 BvR 933/82 – BVerfGE 76, 256, 346). Eingriffe durch Neuregelungen sind hier nur zulässig, wenn entweder die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung nicht geeignet war, ein Vertrauen der Betroffenen in ihren Fortbestand zu begründen, oder die für die Änderung sprechenden Gründe bei Abwägung dem Vertrauensschutz vorgehen (BAG 14. Oktober 2003 – 9 AZR 678/02 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 31; 22. Februar 2000 – 3 AZR 39/99 – AP BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 13 = EzA BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 3).
(aa) Dem ÄndTV Nr. 1 kommt keine echte Rückwirkung zu. Er greift nicht in bei Abschluss des Tarifvertrags bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände ein oder bewirkt Rechtsfolgen für einen vor dem Abschlussdatum liegenden Zeitraum. Vielmehr folgt aus den Tarifänderungen vom 7. Februar 2003, dass der herabgesetzte Tabelleneckwert trotz des vereinbarten rückwirkenden Inkrafttretens der ÄndTV Nr. 1 und 2 erstmalig für mit der Vergütung für Februar 2003 wirksam werdende Stufensteigerungen Anwendung finden soll. Auch in die Vergütung für Februar 2003 greift die am 7. jenes Monats vereinbarte Tarifänderung nicht mit echter Rückwirkung ein. Denn nach der tariflichen Regelung zum “Zeitpunkt von Vergütungsänderungen” in Teil 1 § 5 VTV Nr. 8 fällt die Änderung des Schwellenwerts am 7. Februar 2003 auf einen Zeitpunkt, als für den Kläger noch kein Anspruch auf den höheren Steigerungsbetrag entstanden war.
Entgegen der Auffassung der Revision folgt nicht bereits aus Art. 2 ÄndTV Nr. 1, dass eine echte Rückwirkung vorliegt. Dort haben die Tarifvertragsparteien zwar den 1. Februar 2001 als Tag des Inkrafttretens der Tarifeinigung bestimmt, also einen rund zwei Jahre vor dem Tarifvertragsabschluss liegenden Zeitpunkt. Zwar kann regelmäßig aus einer Rückdatierung des Inkrafttretens auf den Willen einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen geschlossen werden, bezeichnet doch das Inkrafttreten den Zeitpunkt, ab dem die Norm Wirkung entfalten soll (Maurer Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz in: HStR III 3. Aufl. § 79 Rn. 20). Die Regel kennt aber Ausnahmen. Trotz Inkraftsetzung von Tarifregeln zu einem Zeitpunkt, der vor dem Abschluss des Tarifvertrags liegt, kann eine Rückwirkung fehlen (Houben NZA 2007, 130). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die in dem ÄndTV Nr. 1 bestimmte Rückwirkung haben die Tarifvertragsparteien durch den am selben Tag geschlossenen ÄndTV Nr. 2 zurückgenommen, nach welchem von den Tarifvertragsparteien nicht gewollte Leistungen durch abgesenkte Stufensteigerungen in der Zukunft abgeschmolzen werden. Der Sache nach ist die rückwirkende Absenkung des Tabelleneckwerts für die Stufensteigerungen zum 1. Februar 2001 lediglich deshalb erfolgt, um einen Ausgangswert für dessen Weiterentwicklung in der Folgezeit auf Grund von Tarifsteigerungen und der Euroeinführung festzulegen. Im Ergebnis hat der ÄndTV Nr. 1 für keinen Zeitraum zwischen rückbezogener Inkraftsetzung zum 1. Februar 2001 und seinem Abschluss am 7. Februar 2003 eine echte Rückwirkung für Vergütungsansprüche.
Wie der Senat in der ähnlich gelagerten Sache – 4 AZR 573/06 – in derselben Sitzung entschieden hat, entfaltet der ÄndTV Nr. 1 keine Rückwirkung für Mitarbeiter, die bis zum 15. Januar 2003 ein Beschäftigungsjahr als I. Offiziere vollendet haben. Diese hatten spätestens ab Januar 2003 erstmals einen weiteren Steigerungsbetrag zu erhalten. Wenn für sie dabei Ansprüche auf der Grundlage des ursprünglichen Tabelleneckwerts entstanden sind, die ihnen nach dem abgesenkten Tabelleneckwert nicht zustehen, greift die Übergangsregelung des ÄndTV Nr. 2 ein. Diese sieht vor, dass in den genannten Fällen die zukünftig erfolgenden Steigerungen der Grundvergütung um den überschießenden Betrag der erfolgten Steigerung abzusenken sind. Bei bereits erfolgter Steigerung um den höheren Stufenbetrag soll also die Grundvergütung des Cockpitmitarbeiters unverändert bleiben, auch wenn er den höheren Steigerungsbetrag nach dem geänderten Tabelleneckwert nicht mehr beanspruchen konnte. Erst mit den bei Vollendung weiterer Beschäftigungsjahre anstehenden Stufensteigerungen ist eine Rückführung auf das nach dem abgesenkten Tabelleneckwert zustehende Niveau der Grundvergütung beabsichtigt. Rechtswirkungen entfaltet die Tarifeinigung somit für diesen Personenkreis erstmalig im Zeitpunkt der nächsten anstehenden Stufensteigerung. Dies ist aber ein Zeitpunkt, der vom Abschluss der Änderungstarifverträge aus betrachtet in der Zukunft liegt.
Auch gegenüber Mitarbeitern, die wie der Kläger im Februar 2003 zur Stufensteigerung anstanden, führt die Absenkung des Tabelleneckwerts durch den ÄndTV Nr. 1 nicht zu einer echten Rückwirkung. Für die Frage, ob ein Tarifvertrag rückwirkend und abändernd in einen tariflichen Anspruch eingreift, ist auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung abzustellen (Senat 11. Oktober 2006 – 4 AZR 486/05 – NZA 2007, 634 und – 4 AZR 522/05 – AiB 2007, 418; BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 152/03 – BAGE 108, 176, 183). Eine echte Rückwirkung liegt daher nur dann vor, wenn im Zeitpunkt der einen tariflichen Anspruch betreffenden Tarifänderung alle Tatbestandsvoraussetzungen für dessen endgültige Entstehung erfüllt waren. Danach liegt eine echte Rückwirkung des Eingriffs in den Vergütungsanspruch des Klägers ab Februar 2003 nicht vor. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts waren nämlich die Klageansprüche nicht mit der Vollendung des weiteren Beschäftigungsjahres Ende Januar 2003 am 1. Februar 2003 entstanden. Aus dem Wortlaut des Teils 1 § 3 Abs. (3) Satz 2 VTV Nr. 8, nach welchem “die Grundvergütung bei Vollendung von jeweils einem Beschäftigungsjahr” zu erhöhen ist, kann nicht auf eine Entstehung eines eigenständigen Anspruchs auf den Steigerungsbetrag im Zeitpunkt der Vollendung des Beschäftigungsjahres geschlossen werden. Die tarifliche Regelung sieht keinen selbständigen, von der Monatsvergütung unabhängigen Anspruch auf Zahlung der Steigerungsbeträge vor. Diese sind vielmehr Bestandteil der Grundvergütung und entstehen erst mit den Entgeltansprüchen für den jeweiligen Monat. Die Entstehung des Anspruchs auf eine Stufensteigerung ist in Teil 1 § 5 VTV Nr. 8 geregelt. Diese Vorschrift enthält keine bloße Fälligkeitsregel, sondern bestimmt einen Zeitraum, während dessen die Voraussetzungen für den Steigerungsbetrag vorgelegen haben müssen, damit ein entsprechender Vergütungsanspruch entstanden sein kann. Danach war bei Abschluss des ÄndTV Nr. 1 zugunsten des Klägers auch ein anteiliger Anspruch auf den höheren Steigerungsbetrag für die bereits verstrichenen Tage des Monats Februar 2003 noch nicht entstanden. Zwar stand dem Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits ein anteiliger Anspruch auf die Februarvergütung zu. Dieser Anspruch umfasste aber noch nicht eine anteilige Forderung auf den Betrag der großen Stufensteigerung. Dies folgt aus der Regelung in Teil 1 § 5 Satz 2 VTV Nr. 8. Diese Bestimmung lautet:
“§ 5 Zeitpunkt von Vergütungsänderungen
Erfüllen Mitarbeiter die Voraussetzungen für Umgruppierung, Steigerungsbeträge oder Gewährung von Zulagen zwischen dem 1. und 15. eines Monats, erhalten sie die neue Vergütung rückwirkend ab dem 1. dieses Monats; sind die Voraussetzungen nach dem 15. eines Monats erfüllt, erhalten sie die neue Vergütung ab dem 1. des nachfolgenden Monats. Bei Fortfall der Voraussetzungen ist sinngemäß zu verfahren. Fällt der Termin einer Umgruppierung mit dem eines Steigerungsbetrages zusammen, wird zuerst der Steigerungsbetrag berücksichtigt und dann die Umgruppierung vorgenommen.”
Danach ist die für die Entstehung des Anspruchs auf Steigerungsbeträge maßgebende Regelung sinngemäß auf den Fortfall von Voraussetzungen anzuwenden. Teil 1 § 5 Satz 1 VTV Nr. 8 sieht vor, dass der Eintritt der Voraussetzungen bis zum 15. eines Monats sich auf die Vergütung für den laufenden Monat auswirkt, ihr späterer Eintritt hingegen erst im Folgemonat. Die sinngemäße Anwendung dieser Regelung auf den Fortfall von Voraussetzungen nach Teil 1 § 5 Satz 2 VTV Nr. 8 bedeutet, dass bei Fortfall in der ersten Monatshälfte der Anspruch für den laufenden Monat entfällt, ein späterer Fortfall sich erst im Folgemonat auswirken soll. Aus beiden Sätzen zusammen folgt deshalb, dass der Anspruch auf den Steigerungsbetrag erst entstanden ist, wenn die Voraussetzungen hierfür über den 15. des laufenden Monats hinaus fortbestehen. Vorher besteht daher zugunsten des Cockpitmitarbeiters nur eine verfallbare Anwartschaft auf die Vergütungserhöhung.
Damit ist vorliegend ein tariflicher Anspruch zu beurteilen, dessen Voraussetzungen über einen längeren Zeitraum erfüllt sein müssen. Hinsichtlich solcher Ansprüche gilt, dass eine Modifizierung oder Aufhebung während dieses Zeitraums keine echte Rückwirkung bedeutet. Es fehlt an dem hierfür erforderlichen abgeschlossenen Tatbestand (Houben NZA 2007, 130, 131). So hat der Senat auch entschieden, dass die Beseitigung eines Bewährungsaufstiegs in eine höhere Vergütungsgruppe während des Zeitraums seiner Erfüllung durch den Arbeitnehmer Verfassungsgrundsätze nicht verletzt (14. Juni 1995 – 4 AZR 225/94 – AP TVG § 1 Rückwirkung Nr. 13).
Vorliegend bedeutet dies, dass bei Abschluss des ÄndTV Nr. 1 der Anspruch des Klägers auf einen Steigerungsbetrag nach Teil 1 § 3 Abs. (3) Satz 2 VTV Nr. 8 auch für die ersten Februartage noch nicht endgültig entstanden war. Dies wäre erst der Fall gewesen, wenn bis zum 15. Februar 2003 die Voraussetzungen einschließlich der Unterschreitung des Tabelleneckwerts erfüllt gewesen wären. Da aber infolge seiner Absenkung am 7. Februar 2003 die Vergütung des Klägers seit diesem Tag über dem Tabelleneckwert lag, unterhalb dessen die Beklagte den höheren Steigerungsbetrag schuldete, konnte der Anspruch auf die Stufensteigerung nicht entstehen. Eine echte Rückwirkung liegt damit nicht vor.
(bb) Die Herabsetzung des Tabelleneckwerts durch den ÄndTV Nr. 1 enthält nach alledem bezüglich des Anspruchs des Klägers für Februar 2003 auf den durch eine große Stufensteigerung bedingten Vergütungsmehrbetrag eine unechte Rückwirkung, wie auch das Landesarbeitsgericht mit Recht angenommen hat. Der Tarifvertragsabschluss am 7. Februar 2003 fällt in den für die Entstehung des Vergütungsanspruchs für Februar 2003 nach Teil 1 § 5 Satz 1 und 2 VTV Nr. 8 maßgeblichen Zeitraum. Die Herabsetzung des Schwellenwerts wirkte auf das insoweit entstehende Recht des Klägers ein und entwertete dessen Rechtsposition, indem sie dessen endgültige Entstehung hinderte.
Diese rückwirkende Tarifänderung ist zulässig. Das Regelungsinteresse der Tarifvertragsparteien überwiegt deutlich das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der ursprünglich vereinbarten Regelung. Gründe für eine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Klägers sind nicht ersichtlich. Der streitige Steigerungsbetrag ist nur ein verhältnismäßig geringer Bestandteil seiner Vergütung. Vertrauensschutz auslösende Vermögensdispositionen gerade bezüglich dieses geringen Vergütungsteils sind nicht ersichtlich und generell wenig wahrscheinlich. Wenn der Kläger sein Vertrauen insbesondere auf die Vollendung des Beschäftigungsjahres Ende Januar 2003 und damit auf einen Umstand vor Abschluss des ÄndTV Nr. 1 stützt, verkennt er die tarifliche Regelung des Teils 1 § 5 VTV Nr. 8, die – wie dargelegt – auf das Fortbestehen aller Voraussetzungen und damit auch der Unterschreitung des Tabelleneckwerts bis zum 15. Februar 2003 abstellt. Ein hinreichendes Regelungsinteresse der Tarifvertragsparteien ergibt sich demgegenüber bereits aus den bei der Tarifanwendung zu Tage getretenen Unterschieden in den tariflichen Vergütungsansprüchen von Cockpitmitarbeitern mit gleicher Qualifikation und ähnlichem beruflichen Werdegang. Diese Unterschiede beruhen auf den in den Überleitungsregeln zum VTV Nr. 8 (dort Protokollnotiz III zu I. bis III.) zur Überführung der Altbeschäftigten angegebenen Prozentwerten, um die deren Vergütung in verschiedenen Rechenschritten zu erhöhen war. Die Tarifvertragsparteien haben insoweit eine Überführung der nach dem Vergütungstarifvertrag Nr. 7 für das Cockpitpersonal vom 31. März 2000 (VTV Nr. 7) bestehenden Vergütungsstufen für I. Offiziere genau auf die sich aus der Regelung in Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 ergebenden Beträge beabsichtigt. Da sie aber die dazu erforderlichen, auf mehrere Stellen hinter dem Komma lautenden Werte auf zwei Stellen nach dem Komma gerundet in den Tarifvertrag aufgenommen haben, ist es zu kleinen Über- bzw. Unterschreitungen der neuen Stufenwerte gekommen. Die Korrektur dieser unbeabsichtigten Ungleichbehandlung rechtfertigt den Eingriff in den als Teil des Vergütungsanspruchs für Februar 2003 entstehenden Anspruch auf den höheren Steigerungsbetrag. Danach besteht auch kein Anspruch auf die geforderte Vergütungsdifferenz für die Folgezeit.
2. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die Feststellungsklage unbegründet ist. Denn die ÄndTV Nr. 1 und 2 sind nicht unwirksam.
III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Bepler, Creutzfeldt, Bott, Jürgens, Rupprecht
Fundstellen