Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung: Sozialarbeiterin in sozial-psychiatrischer Beratungsstelle
Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit einer Sozialarbeiterin mit staatlicher Anerkennung und Zusatzqualifikation “Soziotherapie” in einer sozialpsychiatrischen Beratungsstelle der sozialmedizinischen Abteilung eines Gesundheitsamtes einer Großstadt erfüllt im allgemeinen nicht das Merkmal der “Bedeutung” i.S.d. Fallgruppen 15, 16 der VergGr. IVa der Vergütungsgruppen für den Sozial- und Erziehungsdienst der Anlage 1a zum BAT/VKA.
Normenkette
BAT 1975 §§ 22-23; VergGr. Vb, IVb, IVa “Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst” der Anlage 1a zum BAT/VKA vom 19. Juni 1970 i.d.F. vom 24. April 1991
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin, insbesondere noch darüber, ob die Klägerin ab 1. Dezember 1992 Anspruch auf Vergütung nach VergGr. IVa BAT/VKA hat.
Die am 22. Mai 1958 geborene Klägerin erwarb am 18. Juli 1979 den Grad einer Diplom-Sozialarbeiterin (FH) und ist seit dem 1. August 1980 berechtigt, die Berufsbezeichnung “staatlich anerkannte Sozialarbeiterin” zu führen. 1987/88 nahm sie an einer Weiterbildung des “Instituts für Soziotherapie” in Fritzlar der Gesellschaft für Berufspädagogik teil und erwarb den Titel einer “Soziotherapeutin”. Aufgrund des Arbeitsvertrages vom 8. Juni 1988 steht sie seit dem 15. Juni 1988 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, zunächst mit einem Beschäftigungsumfang von 20 Stunden in der Woche, in der Zeit vom 9. Januar bis 24. August 1989 und seit dem 1. September 1989 vollzeitbeschäftigt. Ab 1. Januar 1995 arbeitete sie 32 Stunden wöchentlich (Zusatzvertrag vom 19. Dezember 1994), dann ab 1. Juli 1996 wieder “Vollzeit”. Ab 2. September 1996 ist sie nach § 50 BAT im Sonderurlaub.
§ 2 des Arbeitsvertrages vom 8. Juni 1988 lautet:
“Das Arbeitsverhältnis regelt sich nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 und den Tarifverträgen, die ihn ergänzen, ändern oder ersetzen. Änderungen vorstehend genannter Bestimmungen gelten vom Tage des Inkrafttretens auch für dieses Arbeitsverhältnis.”
Die Klägerin war zunächst im Rahmen des Jugendamtes der Beklagten in dem von der Beklagten unterhaltenen “S…-Jugendzentrum”, seit dem 1. September 1989 in einem Übergangswohnheim für Aussiedler des Sozialamtes der Beklagten eingesetzt. Seit dem 1. Juli 1992 ist sie in der “sozial-psychiatrischen Beratungsstelle” für Erwachsene der sozial-medizinischen Abteilung des Gesundheitsamtes der Beklagten beschäftigt. Zur sozial-medizinischen Abteilung des Gesundheitsamtes gehören noch die sozialpsychiatrische Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche und die Behindertenberatungsstelle. In der Hygieneabteilung ist die AIDS-Beratungsstelle angesiedelt.
In der “Arbeitsplatzbeschreibung zur Feststellung der Eingruppierung eines Angestellten nach § 22 BAT” vom 14. August 1992 betreffend die Klägerin heißt es:
“
Arbeitsvorgänge
Nr. |
kurze Beschreibung |
Anteil an Gesamtzeit in v.H. |
1. |
Klientenbezogene Sozialarbeit |
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1.1 |
Zielgruppe |
Chronisch und akut psychisch schwer kranke Menschen, Behinderte und gerontopsychiatrische Patienten, Personen in Konfliktsituationen unter Berücksichtigung ihres sozialen Umfeldes und Personen mit schweren Persönlichkeitsstörungen. |
Neben den o.a. Zielgruppen fällt ein nicht geringer Anteil des Arbeitsaufwandes auf chronische Suchtmittelabhängige, die wegen des erheblichen Grades ihrer Störung aus allen anderen Betreuungsketten herausfallen. Bei allen Patientengruppen handelt es sich überwiegend um Personen vor oder nach einer stationären, teilstationären Maßnahme, die vielfach freiheitsentziehenden Maßnahmen (nach Bürgerlichem Recht, Unterbringungsrecht) unterliegen. |
Bei allen Patientengruppen besteht die Gefahr der Verwahrlosung oder sie ist bereits eingetreten. |
|
1.2 |
Sozialarbeiterische Beratung und Betreuung |
40 % |
– |
Psychosoziale Einzel- und Gruppenberatung und kontinuierliche sozial-therapeutisch orientierte Betreuung von chronisch psychisch Kranken |
– |
Beratung Angehöriger, Freunde und Beteiligter zur Stützung des unmittelbaren sozialen Umfeldes des Betroffenen, auch bei krisenhaften Situationen |
– |
Krisenintervention als zeitlich begrenztes sozialarbeiterisches Handeln, ggf. unter Einbeziehung anderer Fachgruppen, zur Abwendung einer akuten Gefahrensituation (Herausfinden des auslösenden Ereignisses nach Art, Umfang, Bedeutung und betroffenen Personen mit dem Ziel der Problemlösung). |
Vertretung der Stadt K… im Unterbringungsverfahren nach dem Hess. Freiheitsentziehungsgesetz (HFEG) |
1.3 |
Koordination |
30 % |
– |
Koordination (Entwicklung, Abstimmung, Begleitung und Unterstützung) der Durchführung von Rehabilitations-, Therapie- oder Eingliederungsplänen unter Einbeziehung unterschiedlicher Fachgruppen und Dienste unter Beachtung sozialrechtlicher Zuordnung solcher Maßnahmen |
– |
Stadtteil- und gemeinwesensorientierte Beratungsarbeit zur Verbesserung der Akzeptanz der zu Betreuenden in ihrem sozialen Umfeld |
1.4 |
Erstellung von sozialarbeiterischen Gutachten (Sozialberichte) |
10 % |
Sozialberichte zu Sozialrechtssachen, insbesondere zu Fragen der Hilfen in besonderen Lebenslagen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) |
Sozialberichte in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei Betreuungssachen und freiheitsentziehenden Maßnahmen nach dem Landesunterbringungsrecht |
2. |
Förderung von Netzwerken |
5 % |
2.1 |
Entwicklung von Kooperationsfragen im Arbeitsfeld mit Institutionen der psychosozialen Versorgung und beteiligten Verwaltungen mit dem Ziel der Weiterentwicklung eines Verbundsystems |
Mitwirkung in Kooperationsgremien |
Mitwirkung bei Öffentlichkeits- und Fortbildungsveranstaltungen im Fachbereich |
3. |
Praktikantenanleitung |
5 % |
4. |
Schwerpunkt: Wohnen und betreutes Wohnen für psychisch Kranke |
10 % |
– |
Kontakte zu Trägern des sozialen Wohnungsbaus |
– |
Förderung unterschiedlichster Wohnmöglichkeiten für psychisch Kranke |
– |
Beteiligung an der Fachdiskussion |
– |
Zusammenarbeit mit Institutionen, Gremien, Einzelpersonen, die mit obiger Problematik befaßt sind. |
”
Im Rahmen der sozial-psychiatrischen Beratungsstelle betreut die Klägerin einen Bezirk im Gebiet der Beklagten, der etwa 40.000 Einwohner umfaßt. Sie arbeitet überwiegend mit einem Personenkreis, der psychische Störungen und psychiatrische Krankheitsbilder aufweist. Dazu gehören Personen in schweren psychosozialen Belastungs- und Konfliktsituationen, mit chronischen Belastungs- und Konfliktsituationen, mit chronischen Psychosen, geronto-psychiatrischen Krankheitsbildern, mit schweren Persönlichkeitsstörungen oder mit schwerer Suchtproblematik und sozialen und körperlichen Folgeschäden, die ihre finanziellen und persönlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können oder durch Suchtmittelmißbrauch in lebensbedrohliche Situationen kommen. Bei diesem Personenkreis wird die Klägerin auch im Rahmen der Krisenintervention tätig, wenn der allgemeine soziale Dienst, Beratungsstellen, niedergelassene Ärzte oder sonstige Institutionen keine Möglichkeit der Hilfe mehr haben. In diesen Fällen hat sie eine vorläufige medizinische Diagnose und eine Sozialanamnese vorzunehmen mit der anschließenden Entscheidung, ob Hilfe nötig, ambulante Hilfe ausreichend oder stationäre Hilfe oder sogar eine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus nach dem Hessischen Freiheitsentziehungsgesetz (HFEG) in Betracht kommen. Sie überwacht den Übergang von der Krisenintervention zur Betreuung in Koordination mit dem zuständigen Sozialarbeiter. Ebenso wird sie bei HIV-Infizierten oder an AIDS Erkrankten gerufen, wenn die “normale” Hilfe nicht mehr funktioniert. Daneben hat die Klägerin die Angehörigen oder Bezugspersonen der Kranken zu betreuen oder zu beraten, ferner Personen im Auftrag von anderen Behörden und Gerichten sozial-psychiatrisch zu begutachten. Mit Schreiben vom 16. Februar 1994 bevollmächtigte die Beklagte die Klägerin, für die Beklagte alle Anträge nach dem Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher, rauschgift- oder alkoholsüchtiger Personen (HFEG) vom 19. Mai 1952 – GVBl S. 111 – bei den zuständigen Amtsgerichten zu stellen und die Beklagte in den Unterbringungsverfahren vor diesen Gerichten zu vertreten sowie alle erforderlichen Erklärungen rechtsverbindlich für die Beklagte abzugeben. Weiterhin wurde sie ermächtigt, im Sinne des § 10 HFEG die sofortige Ingewahrsamnahme anzuordnen und zu vollziehen.
Im Gesundheitsamt der Beklagten finden seit 15 Jahren in vierzehntägigem Rhythmus eine psychiatrische Fortbildung durch Fachärzte und außerdem eine sonstige Fortbildung durch Ärzte und Psychoanalytiker statt.
Die Klägerin erhielt zunächst Vergütung nach VergGr. Vb, dann nach VergGr. IVb. Aufgrund eines Beschlusses des Magistrats der Beklagten aus dem Jahre 1974 erhielten die in der sozialpsychiatrischen Beratungsstelle eingesetzten Sozialarbeiter ab 1. August 1974 eine persönliche Zulage in Höhe von zwei Dritteln des Unterschiedsbetrages zwischen den VergGr. IVb und IVa BAT. Diese Zulage wurde durch Beschluß des Magistrats der Beklagten vom 26. Mai 1986 wieder gestrichen und im Wege der Besitzstandswahrung nur noch an diejenigen weitergezahlt, die sie bereits erhielten.
Mit Schreiben vom 1. Oktober 1991 verlangte die Klägerin von der Beklagten erfolglos Vergütung nach VergGr. III BAT rückwirkend zum 1. Januar 1991. Die Beklagte vertrat die Auffassung, daß die Klägerin in VergGr. IVb Fallgruppe 17 eingruppiert sei. Für die Zeit ab 1. Juli 1992 hielt sie die VergGr. IVb Fallgruppe 16 der Vergütungsgruppen für den Sozial- und Erziehungsdienst für maßgebend. Mit einem Brief vom 10. Juli 1992, dessen Eingang bei der Beklagten nicht festgestellt werden konnte, beantragte die Klägerin erneut höhere Bezahlung, diesmal nach VergGr. IVa BAT. Sie sei in VergGr. IVa Fallgruppe 15 ab dem 1. Juli 1992 eingruppiert. Nachdem die Klägerin unter dem 7. Juni 1993 der Beklagten eine Kopie des Schreibens vom 10. Juli 1992 übersandt hatte, lehnte die Beklagte das Begehren der Klägerin mit Schreiben vom 19. Juli 1993 ab. Mit der beim Arbeitsgericht am 19. Januar 1994 eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Ziel weiterverfolgt, ab 1. Juli 1992 nach VergGr. IVa BAT/VKA vergütet zu werden.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie benötige Kenntnisse auf den Rechtsgebieten der Geschäftsfähigkeit, des Betreuungsgesetzes und der Unterbringungsangelegenheiten, des Hessischen Freiheitsentziehungsgesetzes, des Bundessozialhilfegesetzes, der Vorschriften zur Eingliederung Behinderter, des Rentenrechts einschließlich der Voraussetzungen für Ausländer und des Arbeitsförderungsgesetzes und darüber hinaus ein ganz besonderes spezielles und komplexes Erfahrungswissen über den Umgang mit den genannten, besonders gefährdeten oder bereits verwahrlosten Personen. Sie habe nicht nur die psychische Betreuung zu regeln, sondern gegebenenfalls auch finanzielle Hilfen zu veranlassen. Bei stationärer Behandlung erstelle sie in Kooperation mit den behandelnden Ärzten und Therapeuten den Therapieplan. Die besondere Schwierigkeit ihrer Tätigkeit ergebe sich aus folgendem: Während es in der Regel möglich sei, mit dem Personenkreis der Protokollerklärung Nr. 12 durch ein Gespräch in Kommunikation zu treten, seien die von ihr zu betreuenden psychisch Kranken außerstande oder nur eingeschränkt in der Lage, ohne Hilfe für sich zu sorgen. In allen Fällen, in denen die zahlreichen vergleichbaren Organisationen, wie der Bewährungshilfeverein, AIDS-Beratungsstellen und Sozialarbeiter für Heimbewohner und Übergangswohnheime aufgrund besonderer Krisensituationen nicht mehr weiterkämen, werde die sozial-psychiatrische Beratungsstelle eingeschaltet. Auch die Beklagte verlange eine Zusatzqualifikation ihrer Mitarbeiter in der sozial-psychiatrischen Beratungsstelle. Jeder Mitarbeiter des Teams, in dem sie arbeite, müsse über entsprechende Kenntnisse psychoanalytischen Denkens verfügen, um bei Fallbesprechungen und in der Therapieplanung theoretisch folgen zu können, diese Theorie als Arbeitsgrundlage für sich selbst verwenden und das Fachgespräch mit den Kollegen führen zu können. Die Klägerin werde mit Entscheidungsnotwendigkeiten über die ganze Breite eines am Rechts- und Wirtschaftsleben teilnehmenden Menschen konfrontiert. Dabei werde ihre Tätigkeit noch dadurch erschwert, daß auch ein betreuter Klient neben seinem Betreuer rechtswirksame Erklärungen abgeben könne. Nur aufgrund ihrer Zusatzausbildung zur Soziotherapeutin sei sie in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Die Bedeutung ihrer Tätigkeit folge aus den Auswirkungen, die derart gestörte Personen auf die Allgemeinheit hätten, und daraus, daß es kaum eine andere Tätigkeit gebe, die gravierender und umfassender in private Lebensverhältnisse eingreife. Ihre Tätigkeit habe insofern eine entscheidende Bedeutung für den weiteren Lebensweg der Patienten. Bei der Erstellung von Sozialberichten müsse die gesamte Lebenssituation der zu Beurteilenden überprüft und zusammengefaßt werden.
Nachdem das Arbeitsgericht im Hinblick auf § 70 BAT dem Begehren der Klägerin erst ab 1. Dezember 1992 entsprochen hatte, hat sie zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 1992 Vergütung nach VergGr. IVa BAT zu zahlen nebst 4 % Zinsen auf die sich seit dem 1. Dezember 1992 jeweils ergebenden Nettovergütungsdifferenzen zur VergGr. IVb, jeweils seit dem 15. eines jeden Monats, beginnend ab 15. Dezember 1992.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Heraushebung der Tätigkeiten der Klägerin durch fachlich herausragende Anforderungen sei nicht gegeben. In der Protokollerklärung Nr. 12 werde der Personenkreis berücksichtigt, zu dem die von der Klägerin zu betreuenden Personen gehörten.
Das Arbeitsgericht hat der Sache nach dem Klagebegehren der Klägerin ab 1. Dezember 1992 entsprochen und im übrigen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der beklagten Stadt das arbeitsgerichtliche Urteil geändert und die Klage in vollem Umfange abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren zuletzt gestellten Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage, soweit über sie mangels Anschlußberufung der Klägerin zu entscheiden war, im Ergebnis zutreffend abgewiesen.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Friedrich, E. Wehner, v. Dassel
Fundstellen
Haufe-Index 893910 |
RdA 1998, 61 |
RiA 1998, 289 |