Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichbehandlung bei Rehabilitationsmaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
Wird der Ausbildungsvertrag eines behinderten Auszubildenden in einer Einrichtung der Berufsförderung Behinderter im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme nach § 56 AFG mit entsprechenden Leistungen des Arbeitsamts an den Auszubildenden durchgeführt, so hat der Auszubildende aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Gleichbehandlung keinen Anspruch gegen den Ausbildenden auf Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, das der Ausbildende aufgrund besonderer tariflicher Regelung an Auszubildende außerhalb einer Rehabilitationsmaßnahme gewährt.
Normenkette
AFG § 56; BGB §§ 242, 611; BBiG §§ 10, 18, 28, 48; SGB I §§ 10, 29 Abs. 1 Nr. 2; A Reha vom 30. Juli 1975 i.d.F. vom 1. Oktober 1986 §§ 2, 24 Abs. 3
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 27.09.1988; Aktenzeichen 7/15 Sa 721/88) |
ArbG Marburg (Urteil vom 20.04.1988; Aktenzeichen 1 Ca 16/88) |
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für die Jahre 1986 und 1987 Urlaubs- und Weihnachtsgeld schuldet.
Nach § 1 Abs. 2 ihrer Satzung dient die beklagte Anstalt, die in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins geführt wird, mit allen Einrichtungen der beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung Sehgeschädigter. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben unterhält sie insbesondere:
“
- die Carl-Strehl-Schule, eine staatlich anerkannte weiterführende Sonderschule für Sehgeschädigte
- Rehabilitationskurse für Sehgeschädigte
- ein Ausbildungszentrum für Rehabilitationstrainer (Schwerpunkt Jugendrehabilitation)
- Wohnheime für Schüler und Rehabilitanden
- die Emil-Krückmann-Bücherei, eine Hochschulbücherei für Blinde
- eine Blindenschriftdruckerei mit Verlag
- eine internationale Dokumentationsstelle (Archiv) für Sehgeschädigtenfragen
- Einrichtungen für die Entwicklung, die Herstellung und den Vertrieb von Lehr-, Lern- und sonstigen Hilfsmitteln für Sehgeschädigte
- eine Beratungsstelle für Sehgeschädigte in Studien- und Ausbildungsfragen.
- Bei Bedarf können weitere Einrichtungen geschaffen werden.”
Nach § 2 Abs. 1 und Abs. 2 der Satzung dient die Anstalt ausschließlich und unmittelbar wissenschaftlichen, gemeinnützigen und mildtätigen Zwecken. Sie verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke.
Der am 9. April 1966 geborene Kläger ist sehbehindert. Er wurde vom 1. September 1984 bis zum 21. Januar 1988 von der Beklagten im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme der Bundesanstalt für Arbeit (§ 56 AFG) zum Informationselektroniker ausgebildet. Die Parteien schlossen am 31. August 1984 einen formularmäßigen Berufsausbildungsvertrag, der von der Industrie- und Handelskammer Kassel in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen wurde. Im Berufsausbildungsvertrag ist eine Vergütung ausdrücklich nicht vereinbart, die vorgedruckten Angaben in der Rubrik “E.… Vergütung” sind durchgestrichen. Unter dem Abschnitt “H.… Sonstige Vereinbarungen” heißt es in dem Vertrag dagegen: “Ausbildungsgeld in der zustehenden Höhe wird vom Träger der Rehabilitationsmaßnahme gezahlt.” Diese Klausel ist im Vertragstext vom Arbeitsamt Marburg – Berufsberatung für Behinderte – gestempelt und unterschrieben.
Das vom Arbeitsamt unmittelbar an den Kläger gezahlte Ausbildungsgeld betrug zuletzt 355,-- DM monatlich. Der Kläger erhielt außerdem vom Arbeitsamt monatliche Leistungen für Unterkunft und Verpflegung in Höhe von 495,-- DM. Die Beklagte beschäftigte neben dem Kläger noch andere Auszubildende, die nicht behindert waren und nicht vom Arbeitsamt gefördert wurden. Diesen Auszubildenden zahlte die Beklagte jährlich ein Urlaubsgeld und ein Weihnachtsgeld. Das Urlaubsgeld betrug für 1986 und 1987 je 300,-- DM, das Weihnachtsgeld belief sich für 1986 auf 755,-- DM und für 1987 auf 873,-- DM. Nach Darstellung der Beklagten handelt es sich hierbei um tarifliche Leistungen. Der Kläger erhielt diese Leistungen nicht. Das hält er für ungerechtfertigt. Er verlangt Gleichbehandlung und hat vorgetragen:
Die Beklagte dürfe ihn nicht schlechter behandeln als ihre anderen Auszubildenden. Sie müsse ihm aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes ebenfalls Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld für 1986 und 1987 gewähren. Dieser Verpflichtung stehe nicht entgegen, daß das Arbeitsamt ihm Ausbildungsgeld gezahlt habe. Mit der entsprechenden Vertragsbestimmung sei das Arbeitsamt lediglich als Zahlstelle bezeichnet worden. Die Zahlungsverpflichtung der Beklagten für die Ausbildungsvergütung aufgrund des Ausbildungsvertrages sei unberührt geblieben.
Demgemäß hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.228,-- DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Zwischen den Parteien habe kein Ausbildungsverhältnis im üblichen Sinne bestanden. Der Kläger habe als Teilnehmer an einer Ausbildungsmaßnahme der Bundesanstalt für Arbeit zu dieser in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis gestanden. Daneben habe ein Vertragsverhältnis zwischen der Bundesanstalt und ihr, der Beklagten, als der beauftragten Ausbildungseinrichtung bestanden. Der Kläger habe vom Arbeitsamt keine Ausbildungsvergütung erhalten, sondern Leistungen zum Lebensunterhalt in Form von Ausbildungsgeld. Die Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter- A Reha –, nach der allein sich die Förderung des Klägers gerichtet habe, sehe die Gewährung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht vor. Schließlich sei der Kläger mit anderen Auszubildenden auch deshalb nicht vergleichbar, weil er wegen der Leistungen des Arbeitsamts für Unterkunft und Verpflegung mehr als diese erhalten habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten Urlaubs- und Weihnachtsgeld aus dem rechtlichen Gesichts punkt der Gleichbehandlung nicht verlangen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwischen den Parteien habe ein Berufsausbildungsverhältnis auf der Grundlage des Berufsausbildungsvertrages vom 31. August 1984 bestanden. Diesen Vertrag müsse die Beklagte gegen sich gelten lassen. Allein die Beklagte sei in der Lage, die Pflichten des Ausbildenden aus dem Ausbildungsvertrag gegenüber dem Kläger zu erfüllen. Zu diesen Pflichten gehöre auch gemäß § 10 Abs. 1 BBiG, daß der Ausbildende dem Auszubildenden eine angemessene Vergütung gewähre. Da diese Vorschrift gemäß § 18 BBiG unabdingbar sei, bedeute die im Berufsausbildungsvertrag enthaltene Klausel, wonach das Ausbildungsgeld in der zustehenden Höhe vom Träger der Rehabilitationsmaßnahme gezahlt werde, bei gesetzeskonformer Auslegung lediglich, daß der Beklagten gestattet gewesen sei, sich für die Zahlung der Ausbildungsvergütung an den Kläger des Arbeitsamtes als eines Dritten zu bedienen. Da die Beklagte im übrigen aber alle Pflichten aus dem Ausbildungsvertrag selbst zu erfüllen habe, müsse sie dem Kläger auch ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld gewähren. Rechtsgrundlage für diesen Anspruch sei der Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser gelte auch im Ausbildungsverhältnis. Da die Beklagte den anderen Auszubildenden, die nicht von der Bundesanstalt für Arbeit gefördert wurden, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gezahlt habe, müsse sie diese Leistung auch dem Kläger gegenüber erbringen. Einen sachlichen Grund, den Kläger von dieser Leistung auszuschließen, habe die Beklagte nicht.
Diese Begründung wird von der Revision zu Recht angegriffen. Das Landesarbeitsgericht hat bei seinen Erwägungen im wesentlichen auf die Rechtsbeziehungen der Parteien abgestellt und nicht ausreichend berücksichtigt, daß dem Ausbildungsverhältnis eine Rehabilitationsmaßnahme der Bundesanstalt für Arbeit zugrunde lag und diese Maßnahme nur im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses durchgeführt worden ist. Charakteristisch für den Streitfall ist das Vorliegen eines dreiseitigen Rechtsverhältnisses, an dem beteiligt sind der Kläger, die Beklagte und die Bundesanstalt für Arbeit als Träger der Rehabilitationsmaßnahme. Diese besondere Ausgestaltung kann für die Frage der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht ohne Auswirkungen bleiben.
II.1. Der beruflichen Ausbildung behinderter Jugendlicher kommt große Bedeutung zu. Das Gesetz erkennt ihnen ausdrücklich ein Recht auf Bildungsförderung zu. Wer körperlich, geistig oder seelisch behindert ist oder wem eine solche Behinderung droht, hat ein Recht auf die Hilfe, die u. a. notwendig ist, um ihm einen seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz in der Gemeinschaft, insbesondere im Arbeitsleben, zu sichern. Dies geschieht u. a. durch berufsfördernde Leistungen, insbesondere auch durch Berufsfindung, Arbeitserprobung und Berufsvorbereitung, berufliche Anpassung, Ausbildung, Fortbildung und Umschulung (§§ 10, 29 Abs. 1 Nr. 2 SGB I). Die Berufsausbildung Behinderter kann in Betrieben erfolgen, ist dort aber oftmals wegen der Art oder der Schwere der Behinderung nicht möglich. Sie wird daher häufig in Rehabilitationszentren, Berufsförderwerken und in Werkstätten für Behinderte durchgeführt (vgl. Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., S. 341; Weher, Berufsbildungsgesetz, Stand März 1989, § 10 Anm. 8; Gedon/Spiertz, Berufsbildungsrecht, Stand August 1989, § 48 Erläuterung 1). Die Rehabilitationszentren sind gemeinnützige Einrichtungen, die sich mit öffentlichen Mitteln der Wiedereingliederung Behinderter widmen, und die satzungsmäßig keinen Gewinn erzielen oder jedenfalls nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen dürfen. Deshalb sind sie regelmäßig auch nicht in der Lage, eine Ausbildungsvergütung gemäß § 10 BBiG zu gewähren. Berufsausbildungsverträge Behinderter sehen oftmals auch keine Ausbildungsvergütung vor, sondern enthalten nur den Hinweis, daß ihnen ein Ausbildungsgeld vom Träger der Rehabilitationsmaßnahme gewährt wird (vgl. Natzel, aaO, S. 342; Weber, aaO). Nach § 56 AFG gewährt die Bundesanstalt für Arbeit (vertreten durch das jeweilige Arbeitsamt) die erforderlichen Hilfen, um die Erwerbsfähigkeit der Behinderten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und um die Behinderten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Zur Durchführung des Gesetzes hat der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit am 31. Juli 1975 eine “Anordnung über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (A Reha)” erlassen (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit – ANBA 1975 S. 994), die für den Anspruchszeitraum in der Fassung vom 1. Oktober 1986 (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit 1986 S. 1649) anzuwenden ist.
Nach § 24 dieser A Reha werden Leistungen zum Lebensunterhalt erbracht. Nach § 24 Abs. 3 A Reha bestehen die Leistungen bei Teilnahme an einer Ausbildungsmaßnahme in der Gewährung von Ausbildungsgeld. Die entstandenen Maßnahmekosten rechnet das Arbeitsamt mit dem Rehabilitationszentrum unmittelbar ab. Es erstattet neben den Maßnahmekosten auch die Beiträge für die Sozialversicherung.
2. Auch wenn man davon ausgeht, das Ausbildungsgeld gemäß § 24 Abs. 3 A Reha trete an die Stelle der nach § 10 BBiG vom Ausbildenden geschuldeten Vergütung, ist der Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf den Streitfall nicht anzuwenden. Da der Kläger (wie auch andere behinderte Jugendliche) der Beklagten im Rahmen einer mit öffentlichen Mitteln getragenen Rehabilitationsmaßnahme zugewiesen worden ist, unterscheidet sich die Rechtslage grundlegend von derjenigen, die bei einem Berufsausbildungsverhältnis der allgemeinen Art vorliegt, so daß es an den Voraussetzungen für eine Gleichbehandlung fehlt.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Ascheid, Schleinkofer, Dr. Frey
Fundstellen
Haufe-Index 872086 |
NJW 1990, 534 |
RdA 1990, 62 |