Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung - Erschleichung von Lohnfortzahlung
Orientierungssatz
Präklusion durch Vorprozeß? (Kündigung wegen erwiesener Straftat), Betriebsratsanhörung.
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger ist von Beruf Sozialpädagoge und seit dem 1. November 1981 bei dem Beklagten, seit dem 14. April 1986 in dessen Berufsbildungszentrum als Sozialarbeiter beschäftigt, und zwar gegen eine Vergütung von 4.200,-- DM brutto.
In der Zeit vom 9. bis 20. Juli 1987 war der Kläger arbeitsunfähig krank; für die Zeit vom 17. Juli bis 28. August 1987 hatte er vom Beklagten Urlaub bewilligt erhalten. Am 17. Juli 1987 flog der Kläger aufgrund der Buchung eines auf Indien-Reisen spezialisierten Reisebüros in seine Heimat nach Indien. Am 24. August 1987 telegrafierte er dem Beklagten, er befinde sich in ärztlicher Behandlung. Am 2. September 1987 ging dem Beklagten eine ärztliche Bescheinigung des Dr. N vom 25. August 1987 zu, in der es hieß, der Kläger befinde sich vom 24. August bis zum 18. September 1987 in ärztlicher Behandlung. Am 16. September 1987 flog der Kläger nach Deutschland zurück; er war alsdann wiederum arbeitsunfähig vom 21. bis 25. September 1987. Die für den Kläger zuständige Krankenkasse erkannte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des indischen Arztes für die Zeit vom 24. August bis zum 18. September 1987 an. Für diese Zeit leistete der Beklagte später auch Gehaltsfortzahlung.
Aufgrund von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers hatte der Beklagte die Herausgabe des Flugtickets verlangt. Das ihm am 28. September 1987 ausgehändigte Ticket war am 30. Juni 1987 aufgrund der Buchung des Reisebüros gelöst worden und an diesem Tage mit Hin- und Rückflugdatum versehen worden. Die Stelle, an der sich auf dem Ticket der Rückflugtermin befand, war durch einen Gepäckaufkleber verdeckt. Mit Hilfe kriminaltechnischer Unterstützung ließ der Beklagte diesen Gepäckaufkleber, der mit einem Spezialklebstoff aufgeklebt worden war, entfernen. Dabei wurde festgestellt, daß als Rückflugdatum der 16. September 1987 eingetragen war. In einer Anhörung hierzu äußerte sich der Kläger zu der Frage, weshalb er schon im Juni 1987 den Rückflug auf den 16. September 1987, also mehr als zwei Wochen nach Urlaubsende gebucht habe, nicht. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 13. Oktober 1987 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte in der ersten Instanz teilweise Erfolg, indem das Arbeitsgericht feststellte, das Arbeitsverhältnis sei erst zum 31. März 1988 wirksam beendet worden, während es im übrigen (wegen der außerordentlichen Kündigung) die Klage abwies (Urteil vom 7. Juni 1988 - 17 Ca 7867/87 - Arbeitsgericht Köln). Das Landesarbeitsgericht erklärte im Gegensatz zur Vorinstanz auch die fristgerechte Kündigung für unwirksam, weil der Betriebsrat zu einer Verdachtskündigung nicht angehört worden sei (Urteil vom 13. Januar 1989 - 9 Sa 980/88 - Landesarbeitsgericht Köln).
Mit Schreiben vom 31. Januar 1989 hörte der Beklagte nunmehr erneut den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristgerechten Verdachtskündigung an. Nach Widerspruch des Betriebsrats sprach der Beklagte mit Schreiben vom 10. Februar 1989 eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 1989 aus, gegen die sich die am 28. Februar 1989 beim Arbeitsgericht eingegangene, vorliegende Kündigungsschutzklage richtet.
Der Kläger hat dazu geltend gemacht, zunächst den Rückflug auf den 30. August 1987 gebucht zu haben, wobei es aufgrund eines Mißverständnisses mit dem Reisebüro zu einer Umbuchung auf den 16. September 1987 gekommen sei. Dies werde auch durch Bescheinigungen des Reisebüros vom 6. Oktober 1988 und 15. Juli 1989 bestätigt. In Indien habe er nicht sofort eine Umbuchung vom 16. September auf den zunächst geplanten Rückflug am 30. August 1987 durchführen lassen, weil es Probleme bei der Klimaumstellung mit seinem 2 1/2-jährigen Kind habe geben können. Auch aus einer weiteren ärztlichen Bescheinigung des Dr. N vom 29. September 1988 ergebe sich, daß er bereits am 7. August 1987 bei diesem Arzt in ärztlicher Behandlung gewesen sei, ebenso wie am 17. August 1987, 23. August 1987, 3. und 11. September 1987; er habe an einer traumatischen Myalgie und seit dem 3. September 1987 an Bronchitis gelitten. Möglicherweise habe sein Kind, dem er das Flugticket zum Spielen gegeben habe, den Gepäckaufkleber auf den Flugschein aufgeklebt.
Der Kläger hat weiter geltend gemacht, das Kündigungsrecht des Beklagten sei aufgrund der ersten Kündigung und der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozeß verbraucht. Denn dort habe das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß er tatsächlich arbeitsunfähig krank gewesen sei und somit entschuldigt gefehlt habe. Im übrigen verstoße die Kündigung auch gegen § 102 BetrVG, weil der Beklagte es im Rahmen des zweiten Anhörungsverfahrens versäumt habe, außer dem erstinstanzlichen Urteil und seinem Berufungsschriftsatz auch den des Klägers vorzulegen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien
bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündi-
gungserklärung des Beklagten vom 10. Februar
1989 nicht beendet werde und ungekündigt
fortbestehe.
Der Beklagte hat mit seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, nach dem vorangegangenen Kündigungsprozeß am Ausspruch einer erneuten Kündigung nicht gehindert zu sein, denn die erste Kündigung sei aus dem Gesichtspunkt einer für nachgewiesen erachteten eigenmächtigen Urlaubsverlängerung und zu Unrecht erschlichener Lohnfortzahlung ausgesprochen worden, was das Landesarbeitsgericht nicht für erwiesen angesehen habe; eine Verdachtskündigung habe das Gericht nicht gelten lassen, weil es insoweit an einer Betriebsratsanhörung gefehlt habe. Die erneute Anhörung des Betriebsrats sei korrekt erfolgt, da der Betriebsratsvorsitzende ohnehin über den gesamten Sachverhalt informiert gewesen sei und das damalige Berufungsvorbringen des Klägers keinen neuen Sachvortrag über das erstinstanzliche Urteil hinaus enthalten habe.
Im übrigen bestehe nach wie vor der dringende Verdacht, daß der Kläger seinen Urlaub eigenmächtig verlängert habe und sich die Lohnfortzahlung habe erschleichen wollen. Denn der Kläger habe bei seiner früheren Anhörung kein Wort von den späteren Umständen vorgebracht; auch die jetzigen Erklärungsversuche seien untauglich: Das 2 1/2-jährige Kind könne das Flugticket nicht mit einem Spezialaufkleber verändert haben, noch dazu ausgerechnet an der Stelle des Rückflugdatums. Der Kläger habe das Ticket auch erst auf ausdrückliche Aufforderung überreicht.
Hilfsweise beantragt die Beklagte Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung nach § 9 KSchG; dem ist der Kläger entgegengetreten.
Während das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat, hat das Landesarbeitsgericht unter Zurückweisung des Auflösungsantrags nach dem Klageantrag erkannt. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, um deren Zurückweisung der Kläger bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz (§ 565 ZPO), weil der Senat aufgrund des bisher festgestellten Sachverhalts nicht selbst über die Berechtigung der dem Kläger ausgesprochenen Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) entscheiden kann und auch die abschließende Interessenabwägung dem Tatsachenrichter vorbehalten bleiben muß.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial nicht gerechtfertigt, weil es entscheidend darauf ankomme, ob gerade wegen des Verdachts der dem Arbeitnehmer vorgeworfenen Vertragsverletzung/unerlaubten Handlung das Vertrauen zu ihm im Hinblick auf die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zerstört sei. Selbst wenn man mit dem Arbeitsgericht von einem starken Verdacht der eigenmächtigen Urlaubsverlängerung ausgehe, so sei doch ein Bezug zur konkreten Arbeitsleistung des Klägers nicht erkennbar, inwieweit nämlich der Arbeitgeber Vorbehalte gegen eine weitere Tätigkeit des Klägers habe. Bei der Interessenabwägung sei neben der sechsjährigen unbeanstandeten Tätigkeit des Klägers auch zu beachten, daß der Beklagte für die Zeit der angezweifelten Arbeitsunfähigkeit des Klägers entsprechende Gehaltsfortzahlung geleistet habe, daß damals also der Verdacht gegenüber dem Kläger wohl nicht so dringend gewesen sei; ggfs. habe der Beklagte die Gehaltsfortzahlung ablehnen sollen, so daß der Kläger im Rahmen einer Leistungsklage die behauptete Arbeitsunfähigkeit hätte unter Beweis stellen müssen. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit habe der Beklagte damit vor Ausspruch einer Kündigung einer etwaigen Betrugsabsicht wirksam begegnen können. Ein gegenüber dem Kläger bestehender Verdacht rechtfertige daher bei Abwägung aller Umstände die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht.
II. Dem kann nicht gefolgt werden.
1. Die Revision rügt zunächst mit Recht, das Landesarbeitsgericht sei im Rahmen der Interessenabwägung ohne rechtlichen Hinweis (§ 139 ZPO) als entscheidungserheblich davon ausgegangen, aufgrund der gewährten Lohnfortzahlung für den umstrittenen Zeitraum vom 24. August 1987 bis 18. September 1987 sei von einem widersprüchlichen Verhalten des Beklagten auszugehen, der einerseits wegen des Verdachts der Erschleichung von Lohnfortzahlung kündige, andererseits aber (unausgesprochen: freiwillig) Lohnfortzahlung gewähre. Hätte das Landesarbeitsgericht auf diesen von ihm für maßgeblich gehaltenen Umstand hingewiesen, so wäre vorgetragen worden, daß die Zahlung zur Vermeidung eines weiteren Prozesses aufgrund der Anmahnung der Prozeßbevollmächtigten des Klägers laut deren Schreiben vom 13. April 1989 erfolgt sei.
Die näheren Umstände der Gewährung von Lohnfortzahlung sind in der Tat für die Beurteilung von Bedeutung, ob dem Beklagten insoweit überhaupt ein widersprüchliches Verhalten im Rahmen der Interessenabwägung angelastet werden konnte. So wäre es etwa denkbar, daß der Beklagte unter Vorbehalt geleistet hätte oder daß der beim Beklagten kündigungsberechtigten Stelle die Tatsache der Lohnfortzahlung, wenn diese etwa von einer anderen Stelle verfügt wurde, nicht bekannt war. In diesen Fällen oder bei einer anderen denkbaren Sachlage könnte nicht ohne weiteres von einem widersprüchlichen Verhalten des Beklagten ausgegangen werden. Da das Landesarbeitsgericht im übrigen den Zeitpunkt der Zahlung nicht festgestellt hat - auch der Kläger hatte hierzu nichts vorgetragen -, mußte die Verwertung dieses Umstandes ohne einen entsprechenden richterlichen Hinweis für den Beklagten eine Überraschung darstellen, zumal das Arbeitsgericht bei seiner für den Beklagten günstigen Entscheidung diesem Umstand überhaupt keine Bedeutung beigemessen hatte.
Ob angesichts des bisherigen Vortrages des Klägers von einem widersprüchlichen Verhalten des Beklagten ausgegangen werden könnte, erscheint zumindest auch so lange zweifelhaft, als der Kläger sein Vorbringen nicht weiter substantiiert, etwa dergestalt, der Beklagte habe mit der Zahlung die bis dahin aufgetauchten Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit endgültig aufgegeben. Die Zahlung könnte auch damit zusammenhängen, daß der Beklagte sich auf den an den Kläger gerichteten Bescheid der Krankenkasse vom 29. Februar 1988 hin, mit dem diese für sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des indischen Arztes anerkannte, seinerseits zwar beim Gehaltsfortzahlungsanspruch zum Nachgeben entschloß, den im Nachhinein als untauglich anzusehenden Versuch der Erschleichung von Gehaltsfortzahlung unter dem Gesichtspunkt eines Vertrauensbruchs aber nach wie vor zu ahnden gedachte. Ob nicht insoweit völlig unabhängig von einer nachträglichen etwaigen Anerkennung der Gehaltsfortzahlungspflicht der dringende Verdacht einer versuchten schweren Vertragsverletzung als Grund für die Kündigung vorlag und sie rechtfertigte, ist bisher vom Landesarbeitsgericht nicht geprüft worden. Auch deshalb mußte die Entscheidung aufgehoben werden, um dem Tatsachengericht Gelegenheit zu geben, dies nachzuholen.
2. Die Revision beanstandet im übrigen an den materiellrechtlichen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu Recht, bei dringendem Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens könne grundsätzlich und unabhängig von der vom Arbeitnehmer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit ein Kündigungsgrund vorliegen. Dies dürfte jedenfalls für den Kläger, der als Ausbilder tätig ist in seiner Vertrauensposition als Sozialpädagoge gelten. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 4. Juni 1964 - 2 AZR 310/63 - BAGE 16, 72, 80 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, zu I 3 b der Gründe und vom 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - AP Nr. 18, aaO, zu II 1 der Gründe). Die den Kündigungssachverhalt verkürzende Argumentation des Berufungsgerichts (Urlaubsüberschreitung, deren Auswirkung für das Arbeitsverhältnis nicht ersichtlich sei) überzeugt nicht.
Das Bundesarbeitsgericht hat vielmehr in ständiger Rechtsprechung (vgl. aaO und ferner Urteil vom 30. April 1987 - 2 AZR 283/86 - AP Nr. 19, aaO, zu B I 2 a der Gründe) darauf abgestellt und hat damit den Anwendungsbereich der Verdachtskündigung schon einzuschränken versucht, es müsse gerade der Verdacht sein, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört oder zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt habe (vgl. dazu auch KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 277, 287; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 176; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., § 626 Rz 116). Insofern besteht gerade im vorliegenden Fall der vom Landesarbeitsgericht vermißte rechtlich erhebliche Zusammenhang zwischen der Verdachtskündigung und der vom Kläger geschuldeten Tätigkeit. Es ist aufgrund der ergänzenden Darstellung des Beklagten in der Revisionsinstanz unbestritten (§ 138 III ZPO), daß der Kläger als Sozialpädagoge für die Betreuung arbeitsloser und arbeitssuchender Jugendlicher und Erwachsener verantwortlich war, daß zu seinem Ausbildungsprogramm u. a. die Bearbeitung der Urlaubsanträge von Auszubildenden (Prüfung der Richtigkeit des Urlaubsanspruchs, Eintragung in die Abwesenheitskartei), die Anwesenheitskontrolle und Führung einer Abwesenheitskartei, die Nachforschung bei Fehlzeiten (Anrufe, Gespräche), die Ursachenforschung bei Fehlzeiten oder Fehlverhalten usw. gehörte. Sollte daher der dringende Verdacht bestehen, daß der Kläger selbst von vornherein eine Urlaubsüberschreitung mit einer vorgetäuschten oder später tatsächlich eingetretenen Arbeitsunfähigkeit geplant hatte und diesen Versuch zusätzlich durch das Aufbringen des Gepäckaufklebers auf dem Flugticket zu vertuschen suchte, so dürfte aufgrund eines solchen Verdachts das Vertrauen des Beklagten in die persönliche und charakterliche Geeignetheit und Redlichkeit des Klägers im Rahmen der ihm obliegenden Ausbildungsarbeit wohl zerstört sein.
Die Feststellung, ob ein solcher dringender Verdacht tatsächlich besteht und unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen die Kündigung rechtfertigt, obliegt der Tatsacheninstanz; diese Würdigung kann der Senat als Revisionsgericht nicht selbst übernehmen.
3. Allerdings hätte der Senat in der Sache selbst zu entscheiden gehabt, wenn sich - wie der Kläger unter dem Gesichtspunkt einer Präklusion des Kündigungsgrundes geltend macht - die Vorentscheidung aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt als im Ergebnis richtig dargestellt hätte (§ 563 ZPO). Dies ist jedoch nicht der Fall.
a) Der Beklagte ist aufgrund der Entscheidung im Vorprozeß der Parteien nicht mit dem Kündigungsgrund "Verdacht eines strafbaren bzw. vertragswidrigen Fehlverhaltens" ausgeschlossen. Der Streitgegenstand des vorliegenden und des Vorprozesses ist unterschiedlich: Im Vorprozeß der Parteien ging es um eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. Oktober 1987 wegen eines vom Beklagten für erwiesen erachteten Lohnfortzahlungsbetruges. Mit dem nachgeschobenen, auf den dringenden Tatverdacht gestützten Kündigungsgrund ist der Beklagte ausweislich der Entscheidungsgründe im Vorprozeß (Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 13. Januar 1989 - 9 Sa 980/88 - S. 19, 26) wegen insoweit fehlender Betriebsratsanhörung ausgeschlossen worden, während der Vorwurf der (vollendeten) eigenmächtigen Urlaubsverlängerung und zu Unrecht erschlichener Lohnfortzahlung angesichts der nachträglich vorgelegten Bescheinigungen des indischen Arztes nicht für erwiesen erachtet wurde (S. 16 der Entscheidungsgründe). Streitgegenstand des vorliegenden Prozesses ist dagegen eine ordentliche, lediglich auf den Verdacht eines strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens gestützten Kündigung (vgl. zum unterschiedlichen Streitgegenstand: BAGE 57, 231, 238 = AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969, zu B II 2 a der Gründe). Der Arbeitgeber ist in einem solchen Fall nicht gehindert, die im Vorprozeß lediglich an der fehlenden Betriebsratsanhörung, also aus formellen Gründen gescheiterte Verdachtskündigung zu wiederholen (vgl. KR-Becker, aaO, § 1 KSchG Rz 288 c; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 297).
Im Gegensatz zur Darstellung des Klägers in der Revisionsinstanz ist er im Vorprozeß wegen des Vorwurfs des Lohnfortzahlungsbetruges nicht "freigesprochen" worden, sondern der Tatvorwurf ist vom Gericht lediglich nicht für erwiesen erachtet worden. Das hindert den Beklagten nicht, wegen eines eventuell nach wie vor bestehenden Verdachts erneut zu kündigen. Denn im bloßen Verdacht liegt es von vornherein einbeschlossen, daß der Vorwurf der erwiesenen Tat unbegründet sein, der Verdacht aber fortbestehen kann. Im übrigen ist oben (unter II 1) bereits darauf hingewiesen worden, daß das Verhalten des Klägers auch bei gleichsam im Wege "überholender Kausalität" eingetretener Lohnfortzahlungspflicht kündigungsrechtlich relevant sein könnte.
b) Die vorliegende Kündigung scheitert auch nicht etwa an einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats (§ 102 Abs. 1 BetrVG). Die Nichtvorlage der Berufungsbegründung des Klägers aus dem Vorprozeß an den Betriebsrat macht die Anhörung nicht fehlerhaft (vgl. dazu BAGE 44, 201 = AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972 und BAGE 49, 136 = AP Nr. 37, aaO), weil - wie unbestritten geblieben ist (§ 138 Abs. 3 ZPO) - der Vorsitzende des Betriebsrats vor Einleitung des erneuten Anhörungsverfahrens über den Kündigungssachverhalt informiert und dem Betriebsrat sogar das vollständige Urteil des Vorprozesses der Parteien übermittelt war. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, seine Berufungsbegründung aus dem Vorprozeß habe neues (Entlastungs-) Vorbringen enthalten.
4. Der Senat beschränkt sich bei der Zurückverweisung des Rechtsstreits auf folgenden Hinweis: Das Landesarbeitsgericht wird erneut zu prüfen haben, ob nicht nur ein starker (S. 16 unten der Entscheidungsgründe), sondern ein dringender Verdacht im Sinne der zitierten Rechtsprechung begründet ist. Dabei ist von einer Vertrauensstellung des Klägers (oben zu II 2) auszugehen. Ob dem Beklagten ein widersprüchliches Verhalten aufgrund Gewährung der Gehaltsfortzahlung anzulasten ist, muß nach entsprechendem Tatsachenvortrag der Parteien neu gewertet werden (oben zu II 1); sollte ein solches widersprüchliches Verhalten tatsächlich vorliegen, wäre zu prüfen, ob darin eventuell ein Kündigungsverzicht oder z. B. ein Verwirkungstatbestand (§ 242 BGB) liegen könnte (vgl. dazu KR-Wolf, 3. Aufl., Grunds. Rz 340, 342; KR-Becker, aaO, § 1 KSchG Rz 170; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 39).
Vorsitzender Richter am Bundes- Dr. Ascheid Bitter
arbeitsgericht Hillebrecht ist
infolge Urlaubs an der Leistung
der Unterschrift verhindert.
Dr. Ascheid
Dr. Bobke Dr. Roeckl
Fundstellen
Haufe-Index 437558 |
EzB KSchG § 1, Nr 12 (ST1) |
EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung, Nr 1 (ST1) |