Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung von Erzieherin in Wohngruppe. Begriff der Heilpädagogik

 

Leitsatz (amtlich)

Heilpädagogische Tätigkeit in einer heilpädagogischen Gruppe iS von VergGr Vb Fallgruppe 1k BAT liegt auch vor, wenn nur erwachsene Schwerbehinderte in einer Wohngruppe betreut werden. Dabei werden staatlich anerkannte Erzieher nach den Übergangsvorschriften der Protokollnotiz Nr 3 zeitlich begrenzt den Sozialpädagogen gleichgestellt.

 

Normenkette

BAT 1975 §§ 22-23; BAT 1975 Anlage 1a, Teil II Abschn. G II VergGr. Vb (Erzieherin in Wohngruppe)

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 20.06.1989; Aktenzeichen 2 Sa 96/88)

ArbG Hamburg (Urteil vom 19.08.1988; Aktenzeichen 18 Ca 15/88)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 20. Juni 1989 – 2 Sa 96/88 – aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19. August 1988 – 18 Ca 15/88 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Urteilsformel zu Ziff. I und Ziff. II wie folgt gefaßt wird:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit ab 1. Mai 1987 Vergütung nach Vergütungsgruppe Vb BAT zu zahlen.

Die Beklagte hat auch die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin, die staatlich anerkannte Erzieherin ist, steht seit dem 15. Juli 1984 in den Diensten der Beklagten. Die Beklagte, die früher den Namen “A…” führte, ist eine von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands getragene Stiftung des bürgerlichen Rechts, die etwa 1.200 Behinderte in acht Heimbereichen betreut. Der Klägerin wurde die Tätigkeit einer Erzieherin in einer Wohngruppe des Heimbereichs 7 (“C…-Haus”), in dem 216 erwachsene Behinderte leben, übertragen. Das Heim ist organisatorisch in sechs Abteilungen gegliedert. Jede Abteilung besteht aus vier Gruppen; in jeder Gruppe leben neun erwachsene Behinderte, die rund um die Uhr versorgt werden.

Im Arbeitsvertrag vom 12. Juli 1984 haben die Parteien u. a. vereinbart:

“…

3.

Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23.2.1961 in der jeweils für die Angestellten der Freien und Hansestadt Hamburg geltenden Fassung sowie den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen.

Unberührt bleiben die abweichend vom BAT getroffenen Sonderregelungen gemäß der Dienstordnung der A…. Die Dienstordnung der A… ist beigefügt und ist Bestandteil dieses Vertrages.

5.

Die Vergütung richtet sich nach der Vergütungsgruppe Vc der Anlage 1a zum BAT bzw. Dienstvereinbarung Nr. –.”

In der Dienstordnung der A… vom 1. Januar 1982 heißt es in § 3:

  • Anstellungsverhältnis:
  • Auf die Anstellungsverhältnisse finden für die Angestellten der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23.2.1961 … in der jeweils für die Angestellten … der Freien und Hansestadt Hamburg geltenden Fassung Anwendung, soweit sich nicht aus dieser Dienstordnung etwas anderes ergibt.
  • Dienstvereinbarungen, die nach den Vorschriften der Mitarbeitervertretungsordnung der Alsterdorfer Anstalten zwischen dem Vorstand und der Mitarbeitervertretung geschlossen werden, gehen den Bestimmungen des BAT und MTL II vor.

Die am 1. Januar 1985 in Kraft getretene und inzwischen gekündigte Dienstvereinbarung Nr. 3 vom 7. Februar 1985 bestimmt u. a.:

  • Geltungsbereich

    Diese DV gilt für alle auf den Wohnabteilungen, Wohngruppen und Außenwohngruppen tätigen Angestellten der Heilerziehungs-, Heil- und Pflegeanstalt.

  • Eingruppierung

    Die Eingruppierung der Mitarbeiter nach Ziffer 1 richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen des Erziehungsdienstes der Anlage 1a, Teil II, Buchstabe G des BAT, es sei denn, ein Mitarbeiter erfüllt ein Tätigkeitsmerkmal, das unter der Ziffer III dieser DV aufgeführt ist.

  • Tätigkeitsmerkmale

    • Vergütungsgruppe Vc

      • Heilerzieher und Mitarbeiter mit gleichwertiger Ausbildung.
    • Vergütungsgruppe Vb

      Gruppenleiter

  • Protokollnotizen

    Die Protokollnotizen 1 – 14 zu den Tätigkeitsmerkmalen der Anlage 1a, Teil II, Buchstabe G für die Angestellten im Erziehungsdienst, finden auf diese DV Anwendung.

  • Übergangsvorschriften

    • Heilerzieher, die in Vergütungsgruppe Vb eingruppiert sind, verbleiben in dieser Vergütungsgruppe.
  • Nachwirkung

    Wird diese DV gekündigt, so gelten die Tätigkeitsmerkmale weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 1987 beantragte die Klägerin unter Berufung auf den Beschluß des erkennenden Senats vom 3. Dezember 1985 – 4 ABR 80/83 –, sie rückwirkend ab 1. Januar 1986 “nach Vb BAT einzugruppieren”. Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 5. November 1987 ab.

Mit der am 26. November 1987 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin zunächst die Feststellung begehrt, daß sie seit 1. Januar 1986 in die Vergütungsgruppe Vb des BAT einzugruppieren ist und die Beklagte verpflichtet ist, die Differenzbeträge zwischen der Vergütungsgruppe Vc und Vb BAT seit 1. Januar 1986 an die Klägerin nachzuzahlen.

Die Klägerin hat vorgetragen, ihre Tätigkeit als Erzieherin in einer Behindertengruppe erfülle das Tätigkeitsmerkmal der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1k des Teils II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT. Als Erzieherin im Sinne der Protokollnotiz Nr. 11 sei sie nach der Protokollnotiz Nr. 3 den Sozialarbeitern/Sozialpädagogen gleichgestellt. Das Tätigkeitsmerkmal der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1k des Teils II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT gelte auch dann, wenn die Gruppe nur aus erwachsenen Behinderten bestehe. Die Gruppe, in der die Klägerin arbeite, sei auch eine heilpädagogische Gruppe. Ihre Tätigkeit richte sich nach der von der Beklagten aufgestellten “Konzeption des C… -Hauses” und bestehe darin, den Gruppenmitgliedern für die Bereiche Alltag, Arbeit und Freizeit, soweit durch die Behinderung Verhaltensstörungen vorliegen, Angebote zu machen und Hilfestellung zu geben. Über das Lernen von Bewältigungstechniken bei Alltagsproblemen hinaus würden die Behinderten, soweit möglich, auch in weiteren Fähigkeiten gefördert, etwa im Bereich musischer, sportlicher und anderer Bedürfnisse.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

  • festzustellen, daß die Klägerin nach der Vergütungsgruppe Vb des BAT seit dem 15. April 1987 zu entlohnen ist,
  • die Beklagte zu verpflichten, die Differenzbeträge zwischen der Vergütungsgruppe Vc und Vb BAT seit dem 15. April 1987 an die Klägerin nachzuzahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und die Auffassung vertreten, das Tätigkeitsmerkmal der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1k des Teil II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT komme schon deshalb nicht zur Anwendung, weil die Gruppe, in der die Klägerin eingesetzt sei, nur aus erwachsenen Behinderten bestehe und deshalb die Voraussetzung der Protokollnotiz Nr. 5 nicht erfüllt werde. Diese sei auch nicht durch die Dienstvereinbarung Nr. 3 abbedungen. Da der BAT die Arbeit mit behinderten Erwachsenen nicht berücksichtige, habe sich die Beklagte mit ihrer Mitarbeitervertretung dahingehend geeinigt, im Rahmen der Lückenfüllung die Regelung für Angestellte im Erziehungsdienst zu vereinbaren, weil die Beklagte ein heilpädagogisches Heim im Sinne der Protokollnotiz Nr. 13 zu Teil II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT sei und für die Erzieher damit die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1e erfüllt seien. In der Dienstvereinbarung Nr. 3 sei die Anwendung aller Protokollnotizen vereinbart worden, um deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß die Tätigkeit mit behinderten Erwachsenen der Tätigkeit mit behinderten Kindern und Jugendlichen nicht gleichzustellen sei. Im übrigen sei die Klägerin auch nicht in einer heilpädagogischen Gruppe tätig. Die “heilpädagogische Gruppe” im Sinne der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1k des Teils II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT sei deutlich herausgehoben und mit den in den Vergütungsgruppen VII, VIb und Vc definierten Arbeiten nicht gleichzusetzen. Außerdem sei die Tätigkeit in einer heilpädagogischen Gruppe auf die Betreuung von ausschließlich mit Kindern und Jugendlichen besetzten Gruppen beschränkt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils mit der Maßgabe, daß festgestellt wird, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit ab 1. Mai 1987 Vergütung nach Vergütungsgruppe Vb BAT zu zahlen. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, soweit die Klägerin dies in der Revisionsinstanz begehrt hat. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin für die Zeit ab 1. Mai 1987 Vergütung nach Vergütungsgruppe Vb BAT zu zahlen. Denn die Klägerin erfüllt das Tätigkeitsmerkmal der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1k des Teils II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), die Dienstordnung vom 1. Januar 1982 sowie die Dienstvereinbarung Nr. 3 vom 7. Februar 1985 kraft einzelvertraglicher Vereinbarung Anwendung. Danach richtet sich die Vergütung der Klägerin nach den Tätigkeitsmerkmalen des BAT für Angestellte im Erziehungsdienst, es sei denn, daß sie ein Tätigkeitsmerkmal nach Ziff. III der Dienstvereinbarung vom 7. Februar 1985 erfüllt (Ziff. II der Dienstvereinbarung). Die Klägerin erfüllt aber kein Tätigkeitsmerkmal der Ziff. III der Dienstvereinbarung. Insoweit käme für sie nur das Merkmal der Vergütungsgruppe Vc Buchst. b “Heilerzieher und Mitarbeiter mit gleichwertiger Ausbildung” in Betracht. Heilerzieher kann danach nur ein entsprechend ausgebildeter Arbeitnehmer sein. Dies trifft etwa für die Ausbildung als Heilerziehungspfleger zu, dessen Tätigkeiten sich auf alle Aufgaben erstrecken, die aus der besonderen Lebenslage des behinderten Menschen erwachsen und der “die unmittelbare pädagogisch-pflegerische Verantwortung für eine Gruppe behinderter Menschen aller Altersstufen und Behinderungsgrade” trägt (Blätter zur Berufskunde, Band 2 – IV A 14, 2. Aufl. 1987, S. 2). Eine solche Ausbildung besitzt die Klägerin nicht. Ihre Ausbildung als Erzieherin kann auch der Ausbildung zum Heilerziehungspfleger nicht gleichgesetzt werden. Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.

Demgemäß kommen für die Eingruppierung der Klägerin nur die Tätigkeitsmerkmale des BAT für Angestellte im Erziehungsdienst in Betracht. Damit sind folgende Tätigkeitsmerkmale des Teils II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT für die Eingruppierung der Klägerin heranzuziehen:

Vergütungsgruppe Vb

  • Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung oder Jugendleiterinnen mit staatlicher Prüfung

    • in geschlossenen (gesicherten) Gruppen oder in Aufnahme-(Beobachtungs-) gruppen oder in heilpädagogischen Gruppen,
    • (Hierzu Protokollnotizen Nrn. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 14).

Protokollnotiz Nr. 3:

Erzieher(innen), Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen mit staatlicher Anerkennung als Erzieher oder Kindergärtnerin

oder

mit staatlicher Prüfung als Kindergärtnerin/Hortnerin

oder

mit staatlicher Prüfung als Krankenschwester/Krankenpfleger/Kinderkrankenschwester

sowie

Angestellte in der Tätigkeit von Erziehern (Erzieherinnen), Kindergärtnerinnen oder Hortnerinnen mit abgeschlossener mindestens gleichwertiger Fachausbildung

werden nach diesem Tätigkeitsmerkmal eingruppiert, wenn sie am 1. April 1970 die in dem Tätigkeitsmerkmal geforderte Tätigkeit ausüben oder ihnen bis zum 31. Dezember 1986 diese Tätigkeit übertragen wird.

Protokollnotiz Nr. 5:

In den Gruppen oder Heimen (einschl. Kindertagesstätten) von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen im Sinne dieses Tätigkeitsmerkmals brauchen sich nicht ausschließlich Kinder oder Jugendliche der genannten Art zu befinden; diese müssen jedoch im Durchschnitt überwiegen.

Die Klägerin ist in einer heilpädagogischen Gruppe i. S. der Vergütungsgruppe Vb BAT Fallgruppe 1k tätig. Obwohl sie die persönliche Voraussetzung dieser Fallgruppe (Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung oder Jugendleiterinnen mit staatlicher Prüfung) nicht erfüllt, kann sie nach dieser Fallgruppe eingruppiert werden, weil aufgrund der Protokollnotiz Nr. 3 Erzieher nach Vergütungsgruppe Vb BAT Fallgruppe 1k eingruppiert werden können, wenn ihnen bis 31. Dezember 1986 diese Tätigkeit übertragen wurde, was für die Klägerin zutrifft, weil sie seit 15. Juli 1984 bei der Beklagten als Erzieherin in einer Wohngruppe beschäftigt ist.

Mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag ist davon auszugehen, daß auch in der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1k des Teils II Abschnitt G Unterabschnitt II der Anlage 1a zum BAT der Begriff der Heilpädagogik so zu verstehen ist, wie er dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Auffassung der beteiligten Fachkreise entspricht. Dementsprechend ist unter einer heilpädagogischen Tätigkeit eine Tätigkeit zu verstehen, die mit besonderen, spezifischen Erziehungsformen die Förderung und Betreuung behinderter Menschen umfaßt (BAGE 50, 241 = AP Nr. 31 zu § 99 BetrVG 1972). Diese Voraussetzung erfüllt die Tätigkeit der Klägerin. In der Konzeption des C… -Hauses, in dem die Klägerin tätig ist, heißt es u. a.:

  • Leben und Wohnen

    Es ist unsere Aufgabe, jedem Bewohner eine Lebensform zu sichern, in der er – unter Inanspruchnahme erforderlicher Hilfen – sein Leben führen, Zufriedenheit empfinden und Lebenssinn erfahren kann. Alle Mitarbeiter verstehen sich als “Helfer zum Leben”, in dem jeder einzelne Bewohner seine Grundbedürfnisse verwirklichen kann.

    Dabei gehen wir davon aus, daß jeder Behinderte die gleichen Grundbedürfnisse wie ein Nichtbehinderter hat, nämlich außer den physiologischen Bedürfnissen (Bewegung, Essen, Schlaf …) das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit, Anerkennung, Unabhängigkeit und Entfaltung, sowie Spannung und Anregung, auch wenn sich diese Grundbedürfnisse bei jedem einzelnen in unterschiedlicher Form, Gewichtung und in unterschiedlich konkreten Wünschen äußern.

    Diesen Grundbedürfnissen jedes einzelnen muß die Lebensgestaltung in den verschiedensten Teilbereichen Rechnung tragen: Gestaltung des Wohnraums, der Versorgung, der Arbeit etc.

    Der Behinderte wird hier nicht als Objekt isolierter pflegerischer, therapeutischer oder lernorientierter Bemühungen verstanden, alle Einzelhilfen dienen dem umfassenden Ziel einer ganzheitlichen Entwicklung.

    Ein wesentliches Element sinnerfüllten Lebens ist auch die Möglichkeit des Wechsels von Kontaktpersonen und des Ortswechsels im Lebensalltag.

    Wir betrachten jeden Menschen als in jedem Lebensabschnitt lern- und entwicklungsfähig. Auch bei eindeutigen Hirnschädigungen ist nicht davon auszugehen, daß ein organischer Defekt notwendig zu einer Begrenzung der Lernfähigkeit im Sinne einer festen Obergrenze der Entwicklung führt.

    Die Mitarbeiter in den Wohngruppen haben als “Entwicklungshelfer” die Aufgabe, im Alltag des Bewohners immer wieder gezielte Lernhilfen zu geben, um ihm zu einer selbständigeren Lebensbewältigung zu verhelfen.

    Ebenso müssen die Mitarbeiter in den Wohngruppen ihre eigene Arbeit, ihre Umgangsweisen mit den Bewohnern reflektieren, sich also fragen, ob und wie ihr eigenes Verhalten und möglicherweise unbewußte Zielvorstellungen den einzelnen Behinderten an seiner Entwicklung hemmen oder fördern.

  • Bewohnerzentriertes Arbeitsverständnis

    • Sinnorientierung

      Jeder Bewohner soll sein Leben d. h. auch seine Tätigkeiten auf seiner Wohngruppe, im Arbeitsbereich, das Lernen im Förderbereich oder seine Freizeit als sinnvoll erleben können.

      Die verschiedenen Angebote und Tätigkeiten müssen seiner Erlebens- und Verstehensfähigkeit entsprechen, sie müssen eine nachvollziehbare Wirkung, ein Ergebnis im Zusammenhang seines Lebensalltages haben.

    • Förderung/Arbeit
    • Förderung:

    Aufgabe der Mitarbeiter im Wohnbereich ist, durch sinnvolle Angebote und angemessene Anforderungen an eine selbständigere Bewältigung des Lebensalltags dazu beizutragen, daß sich die Fähigkeiten jedes einzelnen Bewohners weiter entwickeln können.

Damit erweist sich, daß auch die im Wohnbereich tätige Klägerin mit besonderen, spezifischen Erziehungsformen die Behinderten ihrer Gruppe zu fördern und zu betreuen hat, so daß sie in einer heilpädagogischen Gruppe tätig ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es insoweit unerheblich, daß die Klägerin nur erwachsene Schwerbehinderte betreut. Eine solche Einschränkung ergibt sich aus der Tarifnorm (VergGr. Vb Fallgruppe 1k) nicht. Sie läßt sich auch nicht aus der Protokollnotiz Nr. 5 herleiten, da diese nur eingreift, wenn das Tätigkeitsmerkmal nur “körperlich, seelisch oder geistig gestörte oder gefährdete oder schwer erziehbare Kinder oder Jugendliche” erfaßt, was für das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Vb Fallgruppe 1k gerade nicht zutrifft. Heilpädagogische Tätigkeit kann auch an und mit behinderten oder beeinträchtigten Erwachsenen ausgeübt werden. Dies gehört zu den sozialpädagogischen Aufgaben (vgl. Böhm, Wörterbuch der Pädagogik, 12. Aufl. 1982, unter den Stichworten “Heilpädagogik” und dem synonymen Begriff “Sonderpädagogik”; Blätter zur Berufskunde, Band 2 – II B 30, 4. Aufl. 1988, S. 3) und neuerdings sogar zu den Aufgaben von Erziehern (Blätter zur Berufskunde, Band 2 – IV A 20, 6. Aufl. 1989, S. 2). Daraus folgt, daß in heilpädagogischen Gruppen i. S. der Vergütungsgruppe Vb BAT Fallgruppe 1k Behinderte jeder Altersstufe betreut werden können.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Merkmale des BAT für Angestellte im Erziehungsdienst auch nicht von vornherein auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen beschränkt. Dies ergibt sich einmal aus dem angeführten Berufsbild der Erzieher (Blätter zur Berufskunde, Band 2 – IV A 20, 6. Aufl. 1989, S. 2), aber auch aus dem BAT selbst, wenn etwa im Abschnitt für “Angestellte im Erziehungsdienst” nach Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 4 zu vergüten sind “Handwerksmeister … als Leiter von … Berufsförderungswerkstätten oder beschützenden Werkstätten”. Eine beschützende Werkstatt ist eine Einrichtung, in der Arbeitsmöglichkeiten für Personen geschaffen sind, die wegen ihrer Behinderung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes keine Arbeit finden können (vgl. § 16 Abs. 1 der inzwischen außer Kraft getretenen Eingliederungshilfe – VO vom 27. Mai 1964 – BGBl I, S. 339, 341). Eine beschützende Werkstatt dient damit der Eingliederung von Behinderten jeder Altersstufe in das Arbeitsleben. Abgesehen davon kommt es im vorliegenden Fall überhaupt nicht darauf an, ob im tariflichen Sinne Erziehungsdienst sich nur auf Kinder und Jugendliche erstreckt. Denn aufgrund der Dienstvereinbarung Nr. 3 ist die Klägerin nach den Tätigkeitsmerkmalen des Erziehungsdienstes einzugruppieren, womit jedenfalls nach der Dienstvereinbarung für die Eingruppierung unerheblich ist, daß die Klägerin nicht Kinder oder Jugendliche, sondern Erwachsene betreut.

Wenn die Beklagte demgegenüber meint, der Begriff der heilpädagogischen Gruppen im tariflichen Sinne sei auf Schwerstbehinderte zu beschränken, weil andernfalls die Vergütungsgruppen Vc Fallgruppe 1e und VIb Fallgruppe 2e leerliefen, ist dies unzutreffend. In Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1e und Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 2e sind Erzieher “in Gruppen von körperlich, seelisch oder geistig gestörten oder gefährdeten oder schwer erziehbaren Kindern oder Jugendlichen” eingruppiert. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß es sich auch im Sinne der Definition des Senats um heilpädagogische Gruppen handelt. Es ist vielmehr denkbar, daß ein Erzieher in Gruppen der in Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1e und Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 2e aufgeführten Art – auch in heilpädagogischen Heimen – Betreuungstätigkeiten ausübt, ohne spezifische Erziehungsformen im Hinblick auf die Behinderung der betreuten Kinder und Jugendlichen anzuwenden, während die heilpädagogische Tätigkeit Sozialpädagogen vorbehalten ist. Dann ist der Erzieher nicht in einer heilpädagogischen Gruppe tätig und daher in Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1e oder Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 2e zutreffend eingruppiert. Darüber hinaus ist zu beachten, daß die Eingruppierung von Erziehern nach Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1k nur durch die Protokollnotiz Nr. 3 ermöglicht wird. Wenn die Tarifvertragsparteien insoweit für eine begrenzte Zeit (vorliegend: Übertragung der Tätigkeit bis 31. Dezember 1986) die Anwendung der Vergütungsgruppen Vc Fallgruppe 1e und VIb Fallgruppe 2e einengen, hat dies der Senat zu beachten.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts läßt sich der Begriff der “heilpädagogischen Gruppe” nicht auf Gruppen begrenzen, die nach speziellen Merkmalen, wie der Art der Leiden und Gebrechen, zusammengesetzt sind, welche einheitliche heilpädagogische Maßnahmen erfordern. Dies ergibt sich weder aus dem Begriff der Heilpädagogik noch aus den in der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1k ebenfalls genannten “geschlossenen (gesicherten) Gruppen” und “Aufnahme-(Beobachtungs-)gruppen”. Auch für geschlossene oder gesicherte Gruppen und Aufnahme- oder Beobachtungsgruppen ist nicht unabdingbare Voraussetzung, daß sie je nach Art der Leiden und Gebrechen der Behinderten zusammengesetzt sind. Bei der Heilpädagogik geht es gerade um die individuelle Förderung eines jeden Behinderten nach seiner spezifischen Behinderung und Persönlichkeit, die auch bei Behinderten selten identisch sein dürfte (vgl. Böhm aaO). Dies ist Aufgabe der Klägerin, wie sich aus der Konzeption des C… -Hauses ergibt. Hierzu trifft auch das Landesarbeitsgericht die Feststellung, daß die Freizeitgestaltung der Behinderten durch die Klägerin sich an den ganz unterschiedlichen Bedürfnissen der einzelnen Betroffenen orientiert. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist für Heilpädagogik ein zielgerichtetes gruppentherapeutisches Vorgehen nicht entscheidend und keine tarifliche Voraussetzung.

Die Beklagte hat gemäß § 91 ZPO auch die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Neumann, Dr. Freitag, Dr. Etzel, Schaible, Pieschl

 

Fundstellen

Haufe-Index 873909

RdA 1990, 128

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