Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Zulage bei Höhergruppierung
Leitsatz (amtlich)
Verletzt der Arbeitgeber bei der Anrechnung übertariflicher Zulagen auf eine Tariferhöhung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, so führt das zur Unwirksamkeit der Anrechnung in ihrer vollen Höhe. Ohne Bedeutung ist insoweit, daß der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei entscheiden kann, ob und inwieweit er die für die Zulage insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel verringern will.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte im Zusammenhang mit der Umgruppierung des Klägers eine “Leistungszulage” ohne Zustimmung des Betriebsrats vermindern durfte, und ob sich im Fall der Verletzung des Mitbestimmungsrechts ein Anspruch des Klägers auf Fortzahlung der Zulage in der ursprünglichen Höhe ergibt.
Der Kläger ist bei dem beklagten Versicherungsunternehmen als Gruppenleiter im Fachgebiet “Leistung” tätig. In diesem Fachgebiet sind in der Bezirksdirektion Köln neben dem Kläger vier weitere Gruppenleiter beschäftigt; daneben gibt es dort noch zwei Gruppenleiter “Orga”. Auf das Arbeitsverhältnis wenden die Parteien die Tarifverträge für das private Versicherungsgewerbe an. Bis zum 30. September 1991 zahlte die Beklagte dem Kläger Gehalt nach Gruppe V der damaligen Fassung des einschlägigen Manteltarifvertrags. Darüber hinaus erhielt er verschiedene Zulagen. Hierzu heißt es in einem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 8. August 1985:
“wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, daß Sie rückwirkend ab 01.07.1985 eine Erhöhung der bisherigen Leistungszulage um brutto 100,00 DM auf monatlich brutto
500,00 DM
erhalten.
Nur der Ordnung halber machen wir auch heute darauf aufmerksam, daß diese Leistungszulage an Ihren jetzigen Arbeitsplatz gebunden ist. Sie wird ohne Rechtsanspruch und in stets widerruflicher Weise gewährt.
Ab 01.07.1985 erhalten Sie zu Ihren Bezügen nach TG V, 14. Berufsjahr, eine Tätigkeitszulage von monatlich brutto
100,00 DM.
Diese Tätigkeitszulage ist an Ihren jetzigen Arbeitsplatz und an die Gehaltsgruppe V gebunden. Sie entfällt – wenn gleich aus welchen Gründen – die Tätigkeit nicht mehr ausgeübt wird oder eine Höhergruppierung erfolgt.
Ab gleichem Zeitpunkt erhöht sich Ihre Verantwortungszulage um monatlich brutto 10,00 DM.
Diese Verantwortungszulage ist gemäß § 7 des Tarifvertrags tätigkeitsgebunden. Sie entfällt mit dem Tage, an dem Sie – gleich aus welchen Gründen – die Tätigkeit eines Gruppenleiters nicht mehr ausüben.
…”
Durch Änderungstarifvertrag wurde die Gehaltsgruppenordnung mit Wirkung zum 1. Januar 1991 neu gefaßt. Über die zutreffende Eingruppierung der Gruppenleiter nach den neuen Bestimmungen kam es zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat zum Streit. In einem zwei Gruppenleiter betreffenden Verfahren entschied der Senat durch Beschluß vom 12. Januar 1993 (BAGE 72, 123 = AP Nr. 101 zu § 99 BetrVG 1972), daß sie richtig in Gehaltsgruppe VII eingruppiert seien. Auch der Kläger wurde daraufhin rückwirkend zum 1. Januar 1991 in Gehaltsgruppe VII eingruppiert.
Während der Auseinandersetzungen über die richtige Eingruppierung nach der neuen Gehaltsgruppenordnung hatte die Beklagte dem Kläger zunächst unter dem 13. Dezember 1991 mitgeteilt, sie werde ihm rückwirkend zum 1. Januar 1991 Gehalt nach Gruppe VI zahlen. Weiter heißt es in diesem Schreiben:
“Die Leistungszulage wird mit 150,00 DM angerechnet. …
Die Tätigkeitszulage entfällt.”
Im Zusammenhang mit der Feststellung, daß er in Gehaltsgruppe VII eingruppiert sei, schrieb die Beklagte dem Kläger dann am 25. Mai 1993 u.a.:
“
rückwirkend ab 1. Januar 1991 erhalten Sie Bezüge nach Gehaltsgruppe VII, 14. Berufsjahr. Ihr monatliches Bruttogehalt beträgt somit zur Zeit 6.054,00 DM und setzt sich wie folgt zusammen:
Grundgehalt gemäß obiger Einstufung |
5.209,00 DM |
Verantwortungszulage |
365,00 DM |
Leistungszulage |
400,00 DM |
Sozialzulage |
40,00 DM |
Treuezulage |
40,00 DM |
Bruttogehalt |
6.054,00 DM. |
Wir weisen darauf hin, daß beabsichtigt ist, das System der Leistungszulagen gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat neu zu regeln.”
Dementsprechend legte die Beklagte trotz des Protests des Klägers den Nachzahlungen für die Zeit seit dem 1. Januar 1991 eine monatliche Leistungszulage in Höhe von 400,00 DM zugrunde. In gleicher Weise verfuhr sie bei drei weiteren Gruppenleitern “Leistung”, die vorher wie der Kläger eine Leistungszulage in Höhe von 500,00 DM monatlich erhalten hatten. Der fünfte Gruppenleiter im Fachgebiet “Leistung”, der erst 1991 in diese Position befördert worden war, erhielt von Anfang an nur 400,00 DM als Leistungszulage. Bei den beiden Gruppenleitern “Orga” hatte die Zulage vor Änderung der Gehaltsgruppenordnung 300,00 DM betragen und wurde von der Beklagten für die Zeit danach auf 200,00 DM festgesetzt. Die Zustimmung des Betriebsrats holte sie zu diesen Maßnahmen nicht ein.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe auch für die Zeit nach dem 1. Januar 1991 Anspruch auf die Leistungszulage in der unveränderten Höhe von 500,00 DM monatlich. Die Anrechnung der Zulage auf die Erhöhung seines Grundgehalts infolge der Neueingruppierung sei unwirksam, weil die Beklagte dabei das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt habe. Es sei auch nicht etwa die ursprüngliche Leistungszulage wegen der Umgruppierung entfallen und anschließend auf der Grundlage der neuen Eingruppierung eine andere Zulage gewährt worden. Die Leistungszulage sei nämlich, anders als die Tätigkeitszulage, nicht an die frühere Eingruppierung gebunden gewesen.
Nach Klageerweiterungen hat der Kläger zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
- an den Kläger 3.000,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen vom Nettobetrag seit dem 2. Juli 1993 zu zahlen,
- an den Kläger 1.700,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen vom Nettobetrag seit dem 22. Dezember 1994 zu zahlen,
- an den Kläger 500,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen vom Nettobetrag seit dem 4. Mai 1995 zu zahlen,
- an den Kläger ab Mai 1995 eine Leistungszulage in Höhe von weiteren 100,00 DM zuzüglich zu dem unstreitigen Betrag von 400,00 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Meinung hat der Kläger seit dem 1. Januar 1991 nur noch Anspruch auf Leistungszulage in Höhe von 400,00 DM monatlich. Eine mitbestimmungspflichtige Anrechnung der Zulage auf eine Erhöhung des Tarifgehalts liege nicht vor. Die ursprüngliche Zulage von 500,00 DM sei vielmehr am 1. Januar 1991 aufgrund der Umgruppierung automatisch und in voller Höhe entfallen, weil ihr Bestand an die frühere Gehaltsgruppe geknüpft gewesen sei. Anschließend sei auf der Grundlage der veränderten Eingruppierung eine neue Leistungszulage geschaffen worden. Sofern hierbei ein Mitbestimmungsrecht mißachtet worden sein sollte, könne dies keinen Anspruch des Klägers auf Fortzahlung der ursprünglichen Zulage begründen.
Selbst wenn es sich aber um eine Anrechnung gehandelt hätte, wäre sie nicht mitbestimmungspflichtig gewesen, weil sie beim Kläger und den drei allein mit ihm vergleichbaren Gruppenleitern “Leistung” gleichmäßig erfolgt sei. Wolle man dennoch unterstellen, es habe eine Anrechnung stattgefunden, bei der die Beklagte das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt habe, so könne auch dies den Anspruch des Klägers nicht begründen. Die Entscheidung der Beklagten, das Zulagenvolumen von insgesamt 3.000,00 DM auf nunmehr 2.400,00 DM und damit auf 80 % zu kürzen, sei nämlich auf jeden Fall mitbestimmungsfrei gewesen. Da auch die Zulage des Klägers auf 80 % gekürzt worden sei, könne ein Mitbestimmungsverstoß insoweit nicht zur Unwirksamkeit der Anrechnung führen, denn anderenfalls gehe diese Sanktion über das zum Schutz des Mitbestimmungsrechts Erforderliche hinaus.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein möglicher Mitbestimmungsverstoß könne nicht zur Unwirksamkeit der Anrechnung führen, wenn durch diese die Zulage um denselben Prozentsatz gekürzt werde wie der Dotierungsrahmen für alle Zulagen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es hat dies damit begründet, daß die Beklagte die Zulage mitbestimmungswidrig angerechnet habe, woraus sich die Unwirksamkeit der Anrechnung in vollem Umfang ergebe. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zurückzuweisen. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat auch nach der zum 1. Januar 1991 vorgenommenen Neueingruppierung Anspruch auf die Leistungszulage in der unverminderten Höhe von 500,00 DM. Die Anrechnung eines Teilbetrags von 100,00 DM der Zulage auf die sich aus der Neueingruppierung ergebende Erhöhung des tariflichen Grundgehalts ist unwirksam, weil die Arbeitgeberin dabei das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt hat.
I. Die Verminderung der Zulage ist nicht etwa automatisch aufgrund der Neueingruppierung des Klägers eingetreten, sondern beruht auf einem Gestaltungsakt der Beklagten.
Das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben der Beklagten vom 8. August 1985 dahin ausgelegt, daß – entgegen der im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten geäußerten Auffassung – der Anspruch auf die Leistungszulage nicht i.S. einer auflösenden Bedingung an die Eingruppierung des Klägers in die Gehaltsgruppe V gebunden war. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, daß in dem Schreiben für die dem Kläger ebenfalls gewährte Tätigkeitszulage ausdrücklich eine Bindung an den damaligen Arbeitsplatz des Klägers und an die Gehaltsgruppe V festgelegt ist, während im voranstehenden Absatz für die Leistungszulage eine Bindung nur an den Arbeitsplatz angegeben ist. Hieraus ergebe sich im Umkehrschluß, daß die letztgenannte Zulage nicht von der Gehaltsgruppe abhängig sein sollte.
Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Auslegung einer derartigen nichttypischen Willenserklärung durch die Tatsachengerichte ist vom Revisionsgericht nur daraufhin zu überprüfen, ob sie Verstöße gegen Denkgesetze, allgemeine Auslegungsregeln oder Erfahrungssätze enthält (BAGE 71, 164, 171 = AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B I 2 der Gründe). Für das Vorliegen solcher Fehler gibt es hier angesichts der deutlichen Worte im Schreiben der Beklagten keine Anhaltspunkte. Auch die Beklagte ist offensichtlich zunächst nicht von einer Bindung der Zulage an die Gehaltsgruppe des Klägers ausgegangen, denn sie hat, worauf das Landesarbeitsgericht zu Recht hinweist, in ihrem Schreiben an den Kläger vom 13. Dezember 1991 hinsichtlich der Leistungszulage selbst von einer Anrechnung, hinsichtlich der Tätigkeitszulage dagegen vom Entfallen gesprochen.
II. Die Kürzung der Zulage um 100,00 DM war nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Dabei ist es unerheblich, ob die Beklagte insoweit eine Anrechnung vorgenommen oder aber, wie sie auch geltend macht, die Zulage insgesamt widerrufen und gleichzeitig eine neue Zulage in verminderter Höhe gewährt hat.
1. Nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen besteht ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen dann, wenn sich durch die Anrechnung die bisherigen Verteilungsrelationen ändern. Das ist dann der Fall, wenn sich das Verhältnis der Zulagenbeträge zueinander verschiebt. Weiter ist das Mitbestimmungsrecht davon abhängig, daß für eine anderweitige Regelung der Anrechnung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Deshalb ist die Anrechnung mitbestimmungsfrei, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt. Das gleiche gilt, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird (BAGE 69, 134, 164 ff. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 4 – 6 der Gründe).
Dieses Mitbestimmungsrecht erstreckt sich allerdings nur auf generelle Regelungen und nicht auf die Gestaltung von Einzelfällen. Dabei hängt die Beantwortung der Frage, ob ein kollektiver und damit mitbestimmungspflichtiger Tatbestand vorliegt, nicht notwendigerweise von der Zahl der Betroffenen ab. Es sind generelle Regelungsfragen vorstellbar, die vorübergehend nur einen Arbeitnehmer betreffen; andererseits können individuelle Sonderregelungen auf Wunsch der betroffenen Arbeitnehmer gehäuft auftreten. Die Abgrenzung von Einzelfallgestaltungen zu kollektiven Tatbeständen richtet sich danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsform geht oder nicht. Hierbei kann allerdings die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, daß ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Es widerspräche dem Zweck des Mitbestimmungsrechts, wenn der Arbeitgeber es allein dadurch ausschließen könnte, daß er mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils “individuelle” Vereinbarungen trifft und dabei die Formulierung einer allgemeinen Regel vermeidet. Sonst könnte mit der Behauptung, nur individuell entscheiden zu wollen, jedes Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden (st. Rechtspr. des BAG, z.B. Beschluß vom 18. Oktober 1994 – 1 ABR 17/94 – AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B I 1 der Gründe).
2. Diese Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechts liegen hier vor.
a) Der Anwendung der angeführten Grundsätze steht nicht entgegen, daß die Kürzung der Zulage nicht im Zusammenhang mit einer generellen Anhebung der Tarifgehälter erfolgt ist, sondern aus Anlaß der Gehaltserhöhung, die sich für die Gruppenleiter aus der Neugestaltung der Gehaltsgruppenordnung ergab. Das folgt aus dem Zweck des Mitbestimmungsrechts, der darin liegt, die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten oder gar willkürlichen Lohngestaltung zu schützen. Die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sollen gesichert werden (BAGE 69, 134, 158 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 1a der Gründe). Kürzt der Arbeitgeber anläßlich einer Entgelterhöhung Zulagen und verschiebt er dadurch die Verteilungsrelationen, dann ist die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit unabhängig davon betroffen, ob eine allgemeine Tariferhöhung oder eine Änderung der Gehaltsgruppenordnung der Anlaß hierfür war.
So ist der Senat auch bereits in seinem Urteil vom 22. September 1992 (BAGE 71, 164, 171, 174 = AP Nr. 54 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu I 2 und zu II 3 der Gründe) davon ausgegangen, daß Gehaltserhöhungen infolge Tarifgruppenwechsels nicht nur individualrechtlich nach den für allgemeine Tariferhöhungen geltenden Grundsätzen die Anrechnung von Zulagen begründen können, sondern daß die Anrechnung auch im Fall des Tarifgruppenwechsels das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auslösen kann.
b) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß sich durch die Verminderung der Zulagen der Gruppenleiter um jeweils 100,00 DM die Verteilungsrelationen verändert haben. Während sich die Zulagenbeträge der Gruppenleiter “Leistung” zu denjenigen der Gruppenleiter “Orga” bis Ende 1990 wie fünf zu drei verhielten, verschob sich das Verhältnis durch die Kürzung auf zwei zu eins. Umstände, aus denen sich rechtliche oder tatsächliche Hindernisse für eine andere Gestaltung der Verteilungsrelationen hätten ergeben können, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind insoweit alle sechs Gruppenleiter zu berücksichtigen, bei denen die Anrechnung zum 1. Januar 1991 möglich war. Unerheblich ist, inwieweit die Gruppenleiter der beiden Fachgebiete in ihrer Tätigkeit miteinander vergleichbar sind. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist nach dessen Zweck gerade die vergleichende Wertung, aus der sich ergibt, ob die Veränderung der Verteilungsrelationen gerechtfertigt ist.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Beschluß des Senats vom 19. September 1995 (– 1 ABR 20/95 – AP Nr. 81 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 3 der Gründe), nach dem sich das Mitbestimmungsrecht dann, wenn in einem Unternehmen für Teile der Belegschaft verschiedenartige Entgeltsysteme bestehen, nicht auf das Verhältnis der einzelnen Entgeltsysteme zueinander erstreckt. Hier geht es nicht um verschiedenartige Vergütungssysteme, sondern für alle Gruppenleiter um Leistungszulagen, die sich lediglich in der Höhe unterscheiden.
c) Erfolglos hat die Beklagte in diesem Zusammenhang geltend gemacht, sie habe keine Anrechnung vorgenommen, sondern die ursprüngliche Zulage widerrufen und gleichzeitig eine neue Zulage gewährt. Der völlige Widerruf einer Zulage sei unabhängig davon, ob sich dadurch die Verteilungsrelationen änderten, mitbestimmungsfrei.
Es erscheint schon zweifelhaft, ob dem Tatbestand des angefochtenen Urteils Umstände entnommen werden können, aus denen auf einen derartigen Widerruf mit gleichzeitiger Neuvergabe geschlossen werden könnte. Immerhin hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 13. Dezember 1991 dem Kläger gegenüber nur die Anrechnung der Zulage im Umfang von (damals noch) 150,00 DM mitgeteilt und nicht von einem Widerruf gesprochen. Die Frage kann aber dahinstehen.
Selbst wenn man zugunsten der Beklagten das von ihr behauptete zweistufige Vorgehen unterstellt, ändert sich dadurch nichts am Vorliegen einer mitbestimmungspflichtigen Anrechnung. Das Mitbestimmungsrecht wird nämlich, wie der Senat mehrfach entschieden hat, nicht zwingend dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitgeber eine Zulage nicht nur teilweise, sondern voll anrechnet oder widerruft und auf dieser Grundlage gleichzeitig eine neue übertarifliche Leistung gewährt. Handelt der Arbeitgeber dabei aufgrund einer einheitlichen Konzeption, so ist die formale Aufspaltung in zwei Akte mitbestimmungsrechtlich unerheblich. Der gesamte Vorgang ist vielmehr als Einheit anzusehen mit der Folge, daß er als Teilanrechnung der ursprünglich gewährten Zulage insgesamt mitbestimmungspflichtig ist (z.B. Beschluß vom 17. Januar 1995 – 1 ABR 19/94 – AP Nr. 71 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 3 der Gründe). Im vorliegenden Fall ergibt sich die einheitliche Konzeption der Arbeitgeberin schon daraus, daß Widerruf und Neuvergabe gleichzeitig erfolgten und eine Zulage zum Gegenstand hatten, deren Empfängerkreis und Zweckbestimmung unverändert blieben.
d) Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß es sich bei der Anrechnung um einen kollektiven Tatbestand gehandelt hat. Sie betrifft Strukturformen des Entgelts und bedarf einer generellen Regelung. Die Beklagte gewährt die Zulage einer abstrakt umschriebenen Gruppe von Arbeitnehmern, nämlich den Gruppenleitern. Sie hat bei allen, die sich im Zeitpunkt der Höhergruppierung in dieser Position befanden, die Anrechnung vorgenommen. Zwar war mit den sechs Gruppenleitern nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Arbeitnehmern betroffen. Dieser Umstand ist aber für sich allein nicht geeignet, die Annahme eines kollektiven Tatbestandes auszuschließen. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß bei der Gewährung der Leistungszulage oder bei ihrer Anrechnung auf die durch die Neueingruppierung bedingte Gehaltserhöhung Besonderheiten einzelner Personen ohne inneren Zusammenhang mit anderen Arbeitnehmern eine Rolle gespielt hätten, sind nicht ersichtlich.
III. Der Betriebsrat hat der Anrechnung nicht zugestimmt. Das führt zu ihrer Unwirksamkeit (BAGE 69, 134, 170 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu D II der Gründe).
Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts, die sich insoweit auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (vom 5. Mai 1993 – 18 (5) Sa 1364/92 – DB 1993, 2602 f.) berufen haben, gilt auch im vorliegenden Fall die Sanktion der Rechtsunwirksamkeit für die Anrechnung, obwohl diese beim Kläger den Prozentsatz nicht übersteigt, um den die Beklagte das Gesamtvolumen der Leistungszulagen gekürzt hat (20 %). Zwar trifft es zu, daß bei der Entscheidung über eine Änderung des Dotierungsrahmens kein Mitbestimmungsrecht besteht; wenn aber die zur Umsetzung dieser Entscheidung erforderliche Anrechnung der Zulage auf die Erhöhung des Tarifgehalts die Verteilungsrelationen ändert, kann der Arbeitgeber nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen eine Kürzung erst durchführen, wenn die Zustimmung des Betriebsrats erteilt oder ersetzt worden ist (BAGE 69, 134, 170 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu D I der Gründe).
Ist die Maßnahme danach insgesamt mitbestimmungspflichtig, so kann sie auch nicht hinsichtlich der Unwirksamkeitsfolge in einen mitbestimmungsfreien Teil (Kürzung der Zulage um 20 %) und einen mitbestimmungspflichtigen Teil (20 % übersteigende Kürzung) zerlegt werden. Vielmehr muß die Unwirksamkeit die Anrechnung in ihrer vollen Höhe treffen. Das ergibt sich daraus, daß die Unwirksamkeitsfolge Sanktion für eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts ist, also auf das mitbestimmungswidrige Vorgehen des Arbeitgebers insgesamt zielt (Senatsurteil vom 19. September 1995 – 1 AZR 208/95 – AP Nr. 61 zu § 77 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe).
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, Gnade, Rösch
Fundstellen
NZA 1997, 277 |
SAE 1998, 118 |