Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Erkundigungspflicht bei Antrag auf Verlängerung einer Rechtsmittelfrist
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Prozeßbevollmächtigte rechtzeitig und ordnungsgemäß eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beantragt, deren Bewilligung er mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten konnte, geht der Antrag aber nicht vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist beim Bundesarbeitsgericht ein, so stellt es kein die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Begründungsfrist hinderndes Verschulden dar, daß der Prozeßbevollmächtigte sich nicht vor Ablauf der Frist wegen der Verlängerung erkundigt hat (Fortentwicklung von BAG 12.11.1962 1 AZB 21/62 = AP Nr 5 zu § 234 ZPO und BAG 26.3.1973 3 AZB 11/73 = AP Nr 27 zu § 519 ZPO; Anschluß an BGH Beschluß vom 2. Februar 1983 VIII ZB 1/83 = NJW 1983, 1741).
Normenkette
ZPO § 233; ArbGG § 74 Fassung: 1979-07-02
Verfahrensgang
ArbG Mannheim (Entscheidung vom 06.03.1985; Aktenzeichen 8 Ca 458/84) |
Gründe
1. Die Kläger haben mit ihrem am 20. Mai 1985 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 15. Mai 1985 gegen das ihre Klagen abweisende Urteil des Arbeitsgerichts form- und fristgerecht die zugelassene Sprungrevision eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist lief danach am 20. Juni 1985 ab. Bis dahin ging eine Revisionsbegründung nicht ein.
Mit dem am 2. Juli 1985 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 1. Juli 1985 haben die Kläger durch ihren Prozeßbevollmächtigten Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt und zugleich ihre Revisionen begründet. Zu ihrem Wiedereinsetzungsantrag haben sie folgendes vorgetragen: Ihr Prozeßbevollmächtigter habe am 18. Juni 1985 einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist unterzeichnet, der von ihm am 14. Juni 1985 diktiert worden war. Dieser Antrag sei im Postausgangsbuch für den 18. Juni 1985 erfaßt worden und von der Anwaltsgehilfin Sch gegen 17.00 Uhr in einen Briefkasten der Bundespost eingeworfen worden, der um 18.00 Uhr geleert wird. Der Prozeßbevollmächtigte habe davon ausgehen können, daß der Antrag auf Fristverlängerung noch am 19. Juni, spätestens aber am 20. Juni 1985 beim Bundesarbeitsgericht eingehe. Er habe auch erwarten können, daß dem Verlängerungsantrag stattgegeben werde.
Zur Glaubhaftmachung der zur Wiedereinsetzung vorgetragenen Tatsachen haben die Kläger Fotokopie aus dem Postausgangsbuch ihres Prozeßbevollmächtigten, eine Auskunft des Postamtes 3 Hamburg vom 1. Juli 1985 über die Brieflaufzeit und drei eidesstattliche Erklärungen überreicht.
2. Dem Antrag der Kläger, ihnen Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, war zu entsprechen, da der Prozeßbevollmächtigte der Kläger, für dessen Verschulden die Kläger einstehen müßten (§ 85 Abs. 2 ZPO), ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Revisionen einzuhalten (§ 233 ZPO). Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat glaubhaft gemacht, daß er am 18. Juni die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beantragt hatte und daß sein entsprechender Schriftsatz am 18. Juni gegen 17.00 Uhr in den Postbriefkasten gelangte. Er konnte damit rechnen, daß das Schreiben noch vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist beim Bundesarbeitsgericht einging. Das genügte nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG 32, 71 = AP Nr. 1 zu § 66 ArbGG 1979), um eine Verlängerung zu ermöglichen, die auch nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist noch wirksam erfolgen kann.
Da der Prozeßbevollmächtigte der Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten konnte, daß seinem Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist stattgegeben werde, stellt es auch kein die Wiedereinsetzung hinderndes Verschulden dar, wenn er sich nicht vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist wegen der Verlängerung erkundigte. Eine derartige Verpflichtung hatte das Bundesarbeitsgericht in früheren Entscheidungen bejaht (Beschluß vom 12. November 1962 - 1 AZB 21/62 - AP Nr. 5 zu § 234 ZPO; Beschluß vom 26. März 1973 - 3 AZB 11/73 - AP Nr. 27 zu § 519 ZPO; ebenso BGHZ 10, 307; 69, 395, 397). Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts beruhen auf der durch den Beschluß des Großen Senats vom 24. August 1979 (BAG 32, 71) aufgegebenen Rechtsprechung, eine wirksame Verlängerung von Rechtsmittelbegründungsfristen setze voraus, daß die Verlängerung vor Ablauf der Frist erfolgt und dem Rechtsmittelkläger auch bekannt wird. Nachdem die Frist zur Rechtsmittelbegründung noch nach ihrem Ablauf verlängert werden kann, ist ein entscheidender Unsicherheitsfaktor beseitigt, der die Annahme einer Sorgfaltspflicht des Prozeßbevollmächtigten nahelegte, sich vor Fristablauf zu vergewissern, ob dem Verlängerungsantrag entsprochen worden sei. Der Prozeßbevollmächtigte kann nunmehr davon ausgehen, daß er in der Regel seiner Sorgfaltspflicht genügt, wenn er alles Erforderliche veranlaßt hat, daß der Verlängerungsantrag vor Fristablauf beim Rechtsmittelgericht eingeht. Wenn er, wie beim Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, allgemein erwarten kann, daß dem Antrag stattgegeben wird, braucht er sich bei einem rechtzeitigen und ordnungsmäßigen Verlängerungsantrag nicht nach dessen Schicksal beim Gericht zu erkundigen. Das würde auf die Kontrolle hinauslaufen, ob keine Verzögerung bei der Briefbeförderung eingetreten ist. Eine dahingehende Sorgfaltspflicht obliegt dem Prozeßbevollmächtigten nicht, wenn es sich um die Einlegung eines Rechtsmittels oder den Eingang einer Rechtsmittelbegründung handelt (BVerfGE 53, 25 = AP Nr. 74 zu § 233 ZPO). Eine dahingehende Verpflichtung besteht auch dann nicht, wenn es um den Eingang eines rechtzeitig abgesandten Verlängerungsantrags geht (ebenso BGH Beschluß vom 2. Februar 1983, NJW 1983, 1741).
Mit der vorstehend vertretenen Ansicht setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu Erwägungen des Großen Senats in seinem Beschluß vom 24. August 1979 (BAG 32, 71 = AP Nr. 1 zu § 66 ArbGG 1979). Der Große Senat hat ausgeführt, für die von ihm entwickelte Zulässigkeit einer nachträglichen Fristverlängerung auf rechtzeitig gestellten Antrag sprächen auch im übrigen die weit überwiegenden Gründe. In diesem Zusammenhang hat er folgendes ausgeführt (BAG 32, 71, 82 = AP Nr. 1 zu § 66 ArbGG 1979, zu D III 4 d).
"Die Möglichkeit, die Rechtsmittelbegründungs-
frist noch nach Ablauf der ursprünglichen Frist
zu verlängern, trägt den Interessen der Par-
teien in angemessener Weise Rechnung.
Dem Rechtsmittelkläger wird in allen Fällen
geholfen, in denen seinem Antrag stattgegeben
werden soll und es lediglich an der rechtzei-
tigen Bekanntgabe fehlt. Die Unbilligkeit wird
vermieden, daß eine wirksame Fristverlängerung
trotz Bewilligung der Verlängerung durch den
Vorsitzenden deshalb nicht zustande kommt, weil
ein Anruf den Antragsteller verspätet erreicht
oder dem Vorsitzenden der rechtzeitig gestellte
Antrag, aus welchen Gründen auch immer, erst
nach Fristablauf vorgelegt wird oder werden kann.
Die Erkundigungslast kann dem Rechtsmittelkläger
damit allerdings nicht abgenommen werden. Er
muß sich immer so rechtzeitig von der Fristver-
längerung überzeugen, daß er die Begründung not-
falls noch fristgerecht fertigen kann, weil er
keinen Anspruch auf Verlängerung hat."
Die Erwägungen über die Pflicht des Rechtsmittelklägers, sich rechtzeitig von der Fristverlängerung zu überzeugen, sind für die Entscheidung des Großen Senats ersichtlich nicht tragend gewesen. Sie können sich nach ihrem Zusammenhang auch nicht auf den Fall beziehen, daß die Verlängerung - wie zulässig - erst gegen Ende der Frist beantragt und der Antrag dem Vorsitzenden erst nach Ablauf der Frist vorgelegt wird. Schließlich wird in dem Beschluß des Großen Senats nicht die Frage angesprochen, ob es als Verschulden im Sinne von § 233 ZPO zu werten ist, wenn der Prozeßbevollmächtigte - wie vorliegend - davon ausgeht und ausgehen kann, seinem Verlängerungsantrag werde mit großer Wahrscheinlichkeit entsprochen werden.
Dr. Thomas Dr. Gehring Schneider
Fundstellen
Haufe-Index 439991 |
BAGE 49, 319-322 (LT) |
BB 1986, 1160-1160 (LT1) |
DB 1986, 1528 |
NJW 1986, 603-603 (LT1) |
ARST 1987, 31 |
NZA 1986, 107-107 (LT1) |
SAE 1986, 123 |
AP § 233 ZPO 1977 (LT1), Nr 10 |
AP § 233 ZPO 1977, Nr 10 |
AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XA 1979 Entsch 9 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 160.10.1 (1979) Nr 9 (LT1-2) |
EzA § 233 ZPO, Nr 6 (LT1) |
MDR 1986, 171-171 (LT1) |