Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung einer Genossenschaft gegenüber einem Organvertreter
Leitsatz (amtlich)
Laut § 197 ZGB-DDR begründete Dienstverhältnisse bestanden seit 3. Oktober 1990 als freie Dienstverhältnisse nach § 611 BGB fort.
Normenkette
KSchG § 14 Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1; BGB § 611; AGB-DDR § 15; ZGB DDR § 197; EGBGB Art. 232; EGBGB § 6
Verfahrensgang
LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 08.12.1992; Aktenzeichen 2 Sa 42/92) |
ArbG Magdeburg (Urteil vom 03.06.1992; Aktenzeichen 6 Ca 52/91) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 8. Dezember 1992 – 2 Sa 42/92 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts Wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Der Kläger schloß am 15. Juli 1986 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft … (GWG), einen Arbeitsvertrag. Danach sollte er ab 15. Juli 1986 eine Tätigkeit als “Geschäftsführer auf der Grundlage des Statuts” ausüben. Seine Vergütung sollte sich nach der Gruppe A 11 des Rahmenkollektivvertrages Wohnungswirtschaft richten. Es wurde eine Kündigungsfrist von drei Monaten vereinbart. Im übrigen verwies der Arbeitsvertrag auf die “Rechte und Pflichten des Werktätigen und des Betriebes nach dem Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185)” – fortan AGB-DDR –.
Im September 1986 wurde der Kläger von der Mitgliederversammlung der GWG zum Vorstandsmitglied gewählt und vom Vorstand zum Vorstandsvorsitzenden berufen. Mit Schreiben vom 19. September 1986 teilte der Rat der Stadt M… – Abteilung Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft – dem Vorstand der GWG mit, daß für den Kläger als hauptamtlichen Vorsitzenden ein leistungsorientierter Zuschlag zum Grundgehalt festgesetzt worden sei.
Nach dem 3. Oktober 1990 wurde die Beklagte als im Handelsregister eingetragene Genossenschaft Rechtsnachfolgerin der GWG. Am 11. April 1991 beschloß die Vertreterversammlung der Beklagten, die Bestellung des Klägers zum geschäftsführenden hauptamtlichen Vorstandsvorsitzenden mit Wirkung vom 15. April 1991 zu widerrufen. Mit Schreiben vom 12. April 1991 wurde dem Kläger dieser Beschluß mitgeteilt. In dem Schreiben heißt es weiter:
“Aufgrund der Abberufung als Vorstandsvorsitzender sieht sich die Genossenschaft auch veranlaßt, den mit Ihnen abgeschlossenen Anstellungsvertrag (Arbeitsvertrag) vom 15.7.1986, mit der vormaligen Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft … aufzuheben.
Zur Erfüllung des Beschlusses der Vertreterversammlung vom 11.4.1991 kündige ich Ihnen den am 15.7.1986 abgeschlossenen Arbeitsvertrag fristgemäß unter Beachtung der vereinbarten dreimonatigen Kündigungsfrist mit Wirkung vom 15.4.1991 zum 15.7.1991.”
Mit seiner am 2. Mai 1991 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, Kündigungsgründe lägen nicht vor. Der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes stehe nicht entgegen, daß ihm durch den Arbeitsvertrag die Aufgabe eines Geschäftsführers zugewiesen worden sei. Auch die Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender habe er auf der Grundlage des Arbeitsvertrages ausgeübt. In der ehemaligen DDR sei der Begriff des Werktätigen weiter gewesen als der Begriff des Arbeitnehmers in der Bundesrepublik Deutschland. Allenfalls sei das Arbeitsverhältnis während seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender suspendiert worden. Auch in diesem Fall habe er die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt, da die Zeit eines suspendierten Arbeitsverhältnisses auf die Wartezeit anzurechnen sei.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. April 1991 nicht beendet worden sei, sondern fortbestehe.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, wegen der Stellung des Klägers als geschäftsführender Vorstandsvorsitzender genüge als Kündigungsgrund, daß der Kläger das vertrauen der Genossenschaftler verloren habe. Darüber hinaus sei die Kündigung des Klägers aus verhaltens- und betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung zu Recht für wirksam erachtet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger könne sich nicht auf das Kündigungsschutzgesetz berufen, da er die sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht erfüllt habe. Zwar sei das mit Vertrag vom 15. Juli 1986 begründete Arbeitsverhältnis bei der Berufung des Klägers zum Vorstandsvorsitzenden nicht beendet, sondern lediglich suspendiert worden. Dieses ruhende Arbeitsverhältnis sei dann nach der Abberufung des Klägers aus dem Amt des Vorstandsvorsitzenden wieder auf seinen ursprünglichen Inhalt zurückgeführt worden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers habe aber vom 15. Juli 1986 bis zu seiner Berufung als Vorstandsvorsitzender allenfalls zwei Monate und nach seiner Abberufung bis zum Zugang der Kündigung nur wenige Tage, insgesamt somit nicht sechs Monate bestanden.
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf die vorliegende Kündigung keine Anwendung. Ein den Kündigungsschutz auslösendes Arbeitsverhältnis lag nicht vor.
1. Mit dem Landesarbeitsgericht kann zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, daß ursprünglich am 15. Juli 1986 ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist. Dafür spricht der als “Arbeitsvertrag” bezeichnete Vertrag mit dem Hinweis, daß die “Rechte und Pflichten des Werktätigen und des Betriebes sich aus dem Arbeitsgesetzbuch der DDR ergeben”. Auch die Aufgabe als “Geschäftsführer auf der Grundlage des Statuts” schließt bei der vom Kläger bis zu seiner Berufung zum Vorstandsvorsitzenden ausgeübten Tätigkeit die für ein Arbeitsverhältnis erforderliche persönliche Abhängigkeit nicht aus.
2. Dieses Arbeitsverhältnis wurde im September 1986 mit der Berufung des Klägers zum Vorstandsvorsitzenden in ein freies Dienstverhältnis umgewandelt. Als geschäftsführender Vorstandsvorsitzender war der Kläger nunmehr nicht mehr abhängiger Arbeitnehmer, sondern weisungsberechtigtes Arbeitgeberorgan. Er vertrat seither die Rechtsvorgänger in der Beklagten nach außen und übte deren Arbeitgeberfunktion gegenüber den Arbeitnehmern aus. Das bisherige Rechtsverhältnis des Klägers als Arbeitnehmer wurde in ein der Organstellung als Vorstandsvorsitzender zugrunde liegendes freies Dienstverhältnis umgewandelt. Auch der nunmehr bezahlte leistungsorientierte Zuschlag zeigt, daß das Rechtsverhältnis auf eine neue Grundlage gestellt wurde.
Der Kläger kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg darauf berufen, in der ehemaligen DDR sei der Begriff des Werktätigen weiter gewesen als der Begriff des Arbeitnehmers in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar mag das in § 15 AGB-DDR in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung genannte “Arbeitsrechtsverhältnis” umfassender gewesen sein. Es umfaßte jedenfalls nicht die Bestellung von Organen juristischer Personen. Auch nach dem Recht der ehemaligen DDR wurde zwischen Zivilrechtsverhältnissen und Arbeitsrechtsverhältnissen unterschieden. So war anerkannt, daß persönliche Dienstleistungen im Sinne von § 197 ZGB-DDR im Gegensatz zu arbeitsrechtlichen Dienstleistungen nicht unter Einordnung in das Arbeitskollektiv des Betriebes erbracht wurden (vgl. Urteil des Senats vom 25. Februar 1993 – 8 AZR 370/92 –, n. v., zu I 1a der Gründe, mit Hinweis auf die dort zitierte DDR-Literatur).
3. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts wurde das ursprüngliche Arbeitsverhältnis mit der Bestellung des Klägers zum Vorstandsvorsitzenden beendet und nicht lediglich suspendiert. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Parteien im September 1986 neben dem der Organstellung des Klägers zugrunde liegenden Dienstverhältnis ein ruhendes Arbeitsverhältnis aufrechterhalten wollten, das im Falle des Widerrufs der Beklagten wieder aufleben sollte. Einen solchen Parteiwillen hat der Kläger auch selbst nicht behauptet.
Zu Unrecht beruft sich das Landesarbeitsgericht auf die Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts, wonach bei Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers das ursprüngliche, lediglich suspendierte Arbeitsverhältnis wieder aufleben könne (BAG Urteil vom 9. Mai 1985 – 2 AZR 330/84 – AP Nr. 3 zu § 5 ArbGG 1979). Diese Rechtsprechung setzt den Fall eines ursprünglichen, mit Bestandsschutz versehenen Arbeitsverhältnisses voraus. So hat der Zweite Senat entschieden, daß dann, wenn der Arbeitnehmer zwecks späterer Anstellung als GmbH-Geschäftsführer zunächst in einem Arbeitsverhältnis erprobt werden sollte, im Zweifel anzunehmen sei, daß mit Abschluß des Geschäftsführervertrages das ursprüngliche Arbeitsverhältnis beendet werde (BAG Urteil vom 7. Oktober 1993 – 2 AZR 260/93 – AP Nr. 16 zu § 5 ArbGG 1979). Im Streitfall ist zwischen den Parteien unstreitig, daß der Arbeitsvertrag vom 15. Juli 1986 nur wegen der geplanten Bestellung des Klägers zum Organ der Genossenschaft lediglich als “vorgeschaltetes” Arbeitsverhältnis abgeschlossen worden war. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, die Parteien hätten bei der Berufung des Klägers als Vorstandsvorsitzender das Arbeitsverhältnis lediglich suspendieren und als ruhendes Arbeitsverhältnis aufrechterhalten wollen.
4. Das zwischen den Parteien bestehende Dienstverhältnis wurde ab 3. Oktober 1990 ein freies Dienstverhältnis nach § 611 BGB. Mit der Geltung des BGB für das Beitrittsgebiet sind für wiederkehrende persönliche Dienstleistungen von dieser Zeit an die Vorschriften des BGB anzuwenden (Art. 232 § 6 EGBGB). Dies gilt auch für nach § 197 ZGB-DDR begründete Dienstverhältnisse (vgl. Oetker in MünchKomm zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Ergänzungsband zur 2. Aufl., Einigungsvertrag Rz 180). Durch den Widerruf der Bestellung des Klägers als geschäftsführender hauptamtlicher Vorstandsvorsitzender mit Wirkung zum 15. April 1991 ist der Kläger allenfalls ab 16. April 1991 in ein neues Arbeitsverhältnis zur Beklagten getreten. Dieses ist zum 15. Juli 1991 wirksam gekündigt worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger noch nicht die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Plenge, Hannig
Fundstellen
Haufe-Index 857059 |
NZA 1995, 571 |
AP, 0 |