Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich bei Betriebsänderung durch Personalabbau
Leitsatz (amtlich)
- Ob ein Personalabbau als Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG zu werten ist, hängt von der Zahl der beendeten Arbeitsverhältnisse ab. Dabei sind auch diejenigen Arbeitsverhältnisse mitzuzählen, die nur deshalb gekündigt werden müssen, weil die Arbeitnehmer dem Übergang auf einen Teilbetriebserwerber (§ 613a BGB) widersprochen haben und eine Beschäftigungsmöglichkeit im Restbetrieb nicht mehr besteht.
- Auch solche Arbeitnehmer haben Anspruch auf Nachteilsausgleich, wenn der Arbeitgeber vor der Betriebsänderung keinen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht (§ 113 Abs. 3 BetrVG).
- Bei der Festsetzung des Nachteilsausgleichs ist das Gericht nicht an § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG gebunden.
Normenkette
BetrVG § 111 S. 2 Nr. 1, § 112 Abs. 5, § 113; BGB § 613a; KSchG § 10
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren nur noch um einen Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG.
Der 1956 geborene Kläger war seit 1981 bei der Beklagten als Kundendiensttechniker beschäftigt. Er ist verheiratet und hat für ein Kind zu sorgen. Sein durchschnittliches monatliches Einkommen betrug zuletzt 6.040,00 DM brutto. Zu seinen Aufgaben gehörten Kundenberatung und -schulung, Tests vor Auslieferungen und Inbetriebnahmen.
Der Betrieb der Beklagten war in folgende Betriebsbereiche untergliedert: “Lastkontrollsysteme für die Anwendung bei Strom, Gas und Wasser” (im folgenden LAKS) mit sechs Mitarbeitern – darunter der Kläger –, “Systemtechnik” mit drei Mitarbeitern und “Vertrieb und Projektierung von Trendanlagen (digitale Reglerstationen)” (im folgenden DDC) mit neun Mitarbeitern; hinzu kam eine allgemeine kaufmännische Verwaltung mit fünf Mitarbeitern. Die Betriebsräume befanden sich in S… auf einem Industriegelände. Ebenfalls auf diesem Gelände lagen der Betrieb der Muttergesellschaft der Beklagten, der I… GmbH (im folgenden I… GmbH) sowie die Betriebe weiterer, ebenfalls zum I… -Konzern gehöriger Unternehmen. Die I… GmbH hat die Personalangelegenheiten der Beklagten bearbeitet, ob durch eine gemeinsame Personalabteilung oder als Dienstleistung ist zwischen den Parteien streitig.
In der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 12. Oktober 1994 wurde die Geschäftsführung beauftragt, die drei Betriebsbereiche zu veräußern und die allgemeine kaufmännische Verwaltung als Restbereich zum 31. Dezember 1994 aufzulösen.
Dem folgend veräußerte die Beklagte zum 1. Januar 1995 den Betriebsbereich LAKS an die Karl W… GmbH in E… bei München (im folgenden W… GmbH) und die Bereiche Systemtechnik und DDC an die I… GmbH. Die allgemeine kaufmännische Verwaltung wurde aufgelöst. Die Beklagte schloß mit folgenden drei Mitarbeitern Aufhebungsverträge: Der im Bereich DDC beschäftigte Herr D… schied zum 31. Dezember 1994 aus. Der kaufmännische Sachbearbeiter Einkauf, Herr F…, verließ die Beklagte zum 31. März 1995. Das Arbeitsverhältnis des Herrn Z…, Sachbearbeiter Materialwirtschaft in der kaufmännischen Verwaltung, endete einvernehmlich zum 31. August 1995. Die verbleibenden drei Mitarbeiterinnen in der kaufmännischen Verwaltung sind seit 1. Januar 1995 bei der I… GmbH beschäftigt.
Bei der Beklagten bestand ein ursprünglich aus drei Personen zusammengesetzter Betriebsrat. Ein Betriebsratsmitglied war im Frühjahr 1994, das Ersatzmitglied Ende September 1994 ausgeschieden. Der Betriebsrat wurde bei den genannten Maßnahmen nicht beteiligt.
Mit Schreiben vom 25. November 1994 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Betriebsteil LAKS, in dem er tätig war, werde ab 1. Januar 1995 auf die W… GmbH übertragen und die zugehörigen Arbeitsplätze würden von S… nach E… verlegt. Zugleich forderte sie den Kläger auf mitzuteilen, ob er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die W… GmbH und der Verlagerung seines Arbeitsplatzes nach E… zustimme. Der Kläger widersprach mit Schreiben vom 5. Dezember 1994 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses – ebenso wie vier weitere Kollegen aus dem Bereich LAKS. Am 20. Dezember 1994 kündigte die Beklagte dem Kläger schriftlich zum 31. Mai 1995. Mit Schreiben vom 30. Januar 1995 bot die W… GmbH dem Kläger an, das bestehende Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 1. Januar 1995 zu übernehmen und ihn als Servicetechniker zu den bisherigen Arbeitsbedingungen in S… weiterzubeschäftigen. Zu einer solchen Vereinbarung kam es aber nicht. Die Beklagte hat den Kläger bis 31. Mai 1995 weiterbeschäftigt.
Der Kläger hat mit dem Hauptantrag die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht, erstinstanzlich verbunden mit einem Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG. In der Berufungsinstanz hat er hilfsweise die Auffassung vertreten, ihm stehe ein Anspruch auf Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG zu, weil der Betriebsrat nicht beteiligt worden sei. Die Verlegung der Abteilung LAKS nach E… stelle eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung dar, ebenso der Zusammenschluß der Abteilung DDC mit der I… GmbH und die Stillegung der allgemeinen kaufmännischen Verwaltung. Die von § 111 BetrVG geforderte Betriebsgröße sei gegeben. Die Aufhebungsverträge mit den Mitarbeitern D…, F… und Z…, die Betriebsteilübergänge und die erfolgten Kündigungen müßten als einheitlicher Vorgang gesehen werden. Die Beklagte sei daher verpflichtet gewesen, mit den zwei noch vorhandenen Betriebsratsmitgliedern einen Interessenausgleich zu versuchen.
In der Berufungsinstanz hat der Kläger beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 20. Dezember 1994 nicht aufgelöst worden ist,
- hilfsweise
- die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Abfindung entsprechend § 10 KSchG für den Arbeitsplatzverlust zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat die Kündigung für wirksam gehalten. Der Kläger könne auch keinen Nachteilsausgleich verlangen. Der Betriebsteilübergang des Bereichs LAKS stelle keine Betriebsänderung dar und sei für die Kündigung auch nicht ursächlich. Die Kündigung sei allein wegen des Widerspruchs des Klägers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die W… GmbH und deshalb ausgesprochen worden, weil die Beklagte keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr gehabt habe. Die anderen Maßnahmen der Beklagten hätten sich auf den Kläger nicht ausgewirkt.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die Beklagte auf den zweitinstanzlich gestellten Hilfsantrag verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 21.140,00 DM zu bezahlen. Es hat die Revision für beide Parteien zugelassen.
Die Revision der Beklagten richtet sich gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung dem Grunde, hilfsweise auch der Höhe nach. Die unselbständige Anschlußrevision des Klägers beschränkt sich darauf, die Höhe der ausgeurteilten Abfindung anzugreifen.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich sowohl dem Grunde (I) wie auch der Höhe nach (II) im Ergebnis zu Recht bejaht.
I. Die Beklagte hat eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG durchgeführt, ohne dafür einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Der Kläger ist infolge dieser Maßnahme entlassen worden. Ihm steht daher ein Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs gem. § 113 Abs. 3 i. Verb. mit Abs. 1 BetrVG zu.
1. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl den Tatbestand der Verlegung eines wesentlichen Betriebsteils (§ 111 Satz 2 Nr. 2 BetrVG) als auch den einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation (§ 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG) als erfüllt angesehen. Soweit die Beklagte einwendet, Verlegung bzw. Änderung der Betriebsorganisation seien bezogen auf den Betriebsteil LAKS nicht ihr, sondern der W… GmbH als Übernehmerin zuzurechnen, kann das dahingestellt bleiben; die Gesamtheit aller Maßnahmen der Beklagten (Veräußerung von LAKS, Systemtechnik und DDC, Auflösung der kaufmännischen Verwaltung, Kündigung der dem Übergang der Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB widersprechenden Arbeitnehmer) bedeutet jedenfalls eine wesentliche Betriebseinschränkung nach § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG.
a) Eine Betriebseinschränkung kann nach ständiger Senatsrechtsprechung auch durch bloßen Personalabbau erfolgen (vgl. nur Urteil vom 2. August 1983 – 1 AZR 516/81 – BAGE 43, 222 = AP Nr. 12 zu § 111 BetrVG 1972; Urteil vom 7. August 1990 – 1 AZR 445/89 – AP Nr. 34 zu § 111 BetrVG 1972). Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung in § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG bestätigt. Voraussetzung für die Annahme einer wesentlichen Einschränkung ist, daß der Personalabbau eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfaßt. Maßgebend für die erforderliche Zahl von Entlassungen ist § 17 Abs. 1 KSchG (Senatsurteile vom 2. August 1983 und vom 7. August 1990, aaO). § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG führt hier aber zum gleichen Maßstab.
b) Die danach erforderlichen Voraussetzungen sind erfüllt. Die Beklagte hat im Zuge ihres Maßnahmenpakets bei einer Gesamtbeschäftigtenzahl von 23 Arbeitnehmern jedenfalls mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen.
aa) Allein durch die Auflösung der kaufmännischen Verwaltung sind fünf Arbeitnehmer aus den Diensten der Beklagten ausgeschieden. Herr F… schied zum 31. März 1995 aus, Herr Z… zum 31. August 1995. Die weiteren drei Mitarbeiterinnen in der kaufmännischen Verwaltung sind seit 1. Januar 1995 bei der Muttergesellschaft tätig und damit gleichfalls aus dem Betrieb der Beklagten ausgeschieden. Die kaufmännische Verwaltung ist nicht lediglich auf die Muttergesellschaft übertragen, sondern vielmehr unstreitig aufgelöst worden. Im übrigen kommt es auf die Art des Auflösungstatbestandes nicht an. Maßgeblich ist, daß das Ausscheiden vom Arbeitgeber veranlaßt ist (vgl. Senatsurteil vom 23. August 1988 – 1 AZR 276/87 – BAGE 59, 242 = AP Nr. 17 zu § 113 BetrVG 1972).
bb) Hinzuzurechnen sind aber auch die Entlassungen des Klägers und vier weiterer Mitarbeiter aus der Abteilung LAKS, die wie der Kläger, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die W… GmbH widersprochen hatten. Der Widerspruch hatte zur Folge, daß die Arbeitsverhältnisse mit der Beklagten bestehen blieben (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG Urteil vom 7. April 1993 – 2 AZR 449/91 B – AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl). Die dadurch notwendig gewordenen Entlassungen sind bei der Beurteilung der Frage, ob eine Betriebsänderung vorliegt, mitzuberücksichtigen (Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., § 111 Rz 96; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 100; so auch Neef, NZA 1994, 97, 101; Henssler, NZA 1994, 913, 922; Schlachter, NZA 1995, 705, 709 f.).
Die Frage nach den Merkmalen einer Betriebsänderung ist zu trennen von der Anschlußfrage nach den Rechtsfolgen, z.B. inwieweit bei der Bemessung etwaiger Sozialplanleistungen zu beachten ist, daß ein Arbeitnehmer die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung im übergegangenen Betrieb oder Betriebsteil gehabt hätte. Selbst wenn § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG anzuwenden ist (dagegen Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, § 111 Rz 97; dafür Neef, NZA 1994, 97, 101; Henssler, NZA 1994, 913, 922; vgl. auch Schlachter, NZA 1995, 705, 709 f.), kann das jedenfalls nicht dazu führen, daß die betroffenen Arbeitnehmer schon bei der Frage, ob eine Betriebsänderung vorliegt, unberücksichtigt bleiben. § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG setzt ja das Vorliegen einer Betriebsänderung trotz der Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung gerade voraus. Im übrigen schließt § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG Sozialplanansprüche nicht generell aus, sondern verlangt nur die Berücksichtigung zumutbarer Arbeitsplätze. Ob für Mißbrauchstatbestände etwas anderes gelten mag, bedarf hier keiner Entscheidung. Anzeichen für einen derartigen Sachverhalt sind nicht vorgetragen.
Sind aber auch diejenigen Arbeitnehmer (einschließlich des Klägers) zu berücksichtigen, denen nach ihrem Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gekündigt worden ist, hat die Beklagte insgesamt mehr als fünf Entlassungen vorgenommen. Sie hat damit die bei einer Regelzahl von 23 Arbeitnehmern nach § 17 KSchG relevante Größenordnung überschritten, so daß jedenfalls der Tatbestand einer wesentlichen Betriebseinschränkung durch Personalabbau erfüllt ist. Es kann bei dieser Sachlage dahingestellt bleiben, ob die Entlassungen aller Mitarbeiter nicht auch als Stillegung des Restbetriebes anzusehen ist (vgl. etwa Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, § 111 Rz 96).
2. Diese Betriebsänderung hat die Beklagte unstreitig durchgeführt, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Der Kläger ist auch im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG infolge der Betriebsänderung entlassen worden. Ursächlich für seine Entlassung war die Entscheidung, nach Übertragung der drei genannten Betriebsteile den Restbetrieb nicht fortzuführen.
Die Beklagte beruft sich zu Unrecht darauf, die Entlassung des Klägers habe ihre Ursache allein in dessen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber. Folge des Widerspruchs war nur, daß das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten bestehen blieb. Diese hatte nunmehr zu entscheiden, was mit dem Kläger und den anderen Mitarbeitern, die dem Übergang widersprochen hatten, geschehen sollte. Sie hätte die Arbeitnehmer an sich weiterbeschäftigen können. Ihr Ziel war aber, den Restbetrieb stillzulegen. Erst daraus folgte die Notwendigkeit, alle Mitarbeiter zu entlassen, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Arbeitgeber widersprochen hatten. Dieser Teil der Gesamtplanung ist von der Beklagten ohne Beteiligung des Betriebsrats umgesetzt worden.
II. Die Revision der Beklagten ist aber auch insoweit unbegründet, als sie sich hilfsweise gegen die Höhe des vom Landesarbeitsgericht festgesetzten Nachteilsausgleichs wendet.
Das Landesarbeitsgericht ist von einem Abfindungsbetrag in Höhe eines Viertelmonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr ausgegangen. Es hat dabei folgende Umstände berücksichtigt: Lebensalter, Familienstand, Dauer der Betriebszugehörigkeit, gegenwärtige Arbeitsmarktlage, die Planung des Klägers zur eigenen Selbständigkeit und das Angebot der W… GmbH im Januar 1995, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen in S… weiterzubeschäftigen. Seine Entscheidung unterliegt der Überprüfung durch das Revisionsgericht nur daraufhin, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und nicht gegen Rechtsvorschriften oder Denkgesetze verstoßen hat (vgl. Senatsurteil vom 8. November 1988 – 1 AZR 687/87 – BAGE 60, 87 = AP Nr. 18 zu § 113 BetrVG 1972). Dieser eingeschränkten Überprüfung hält sie gegenüber den Angriffen der Revision stand.
Die Beklagte rügt ohne Erfolg, das Landesarbeitsgericht habe nicht hinreichend gewichtet, daß der Kläger freiwillig auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Arbeitsbedingungen verzichtet und das nachgeschobene Übernahmeangebot der W… GmbH abgelehnt habe. In Anbetracht dieser Besonderheit habe sich sein Anspruch der Höhe nach auf Null reduziert. Dem ist nicht zu folgen.
Eine so weitgehende Ermessensbindung ergibt sich nicht schon aus den Grundsätzen, die § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG für die Gewährung einer Sozialplanleistung bei Ablehnung einer zumutbaren Weiterbeschäftigung aufstellt. Diese Regelung ist für die Bemessung des Nachteilsausgleichs nicht anzuwenden. § 113 Abs. 3 BetrVG verfolgt das Ziel, das betriebsverfassungswidrige Verhalten des Arbeitgebers zu sanktionieren (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 1996 – 1 AZR 542/95 – AP Nr. 16 zu § 50 BetrVG 1972, zu II 1a der Gründe). Dieser Sanktionszweck rechtfertigt es, die Berechnung des Abfindungsbetrages ohne Berücksichtigung der für die Bemessung einer Sozialplanleistung geltenden Kriterien durchzuführen (Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, § 113 Rz 16 und § 111 Rz 97; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 113 Rz 30; so im Ergebnis auch Berenz, NZA 1993, 538, 542 f.). Abzustellen ist vielmehr gemäß der gesetzlichen Verweisung allein auf § 10 KSchG. Dieser enthält keine Vorgaben, die denen in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG entsprächen. Eine Reduzierung des Abfindungsbetrages auf Null als Regeltatbestand bei Ablehnung eines zumutbaren anderen Arbeitsverhältnisses ist also dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Ob das Landesarbeitsgericht die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung bei Festsetzung der Höhe des Nachteilsausgleichs entsprechend § 10 KSchG überhaupt berücksichtigen mußte, ist für die Revision der Beklagten nicht ausschlaggebend. Das Landesarbeitsgericht hat das Angebot der W… GmbH nämlich zu ihren Gunsten in seine Abwägung einbezogen. Wenn es bei der Gewichtung dieses Umstandes insgesamt eine Festsetzung des Einsatzbetrages auf 1/4 Monatsgehalt als angemessen angesehen hat, läßt dies jedenfalls zu Lasten der Beklagten keine Überschreitung des Bewertungsspielraums erkennen.
B. Die Anschlußrevision des Klägers ist zulässig (I), aber gleichfalls unbegründet (II).
I. Die für die unselbständige Anschlußrevision des Klägers erforderliche Beschwer (vgl. nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 55. Aufl., § 556 Rz 3) ist gegeben. Der Kläger hat allerdings einen unbezifferten Leistungsantrag gestellt. Für einen solchen Antrag ist streitig, ob eine Beschwer schon dann anzunehmen ist, wenn der ausgeurteilte Betrag unter der gesetzlichen Höchstgrenze verbleibt, oder ob zu verlangen ist, daß der Kläger eine wenigstens ungefähre Angabe zur erwarteten Größenordnung der begehrten Abfindung macht – was hier jedenfalls hinsichtlich des erst in der Berufungsinstanz gestellten Antrags auf Nachteilsausgleich nicht geschehen ist (zum Meinungsstand vgl. Stahlhacke in GK-ArbGG, Stand September 1996, § 64 Rz 11 – 13, m.w.N.).
Diese Frage bedarf jedoch keiner Entscheidung. Der Kläger strebt nicht schlicht eine Erhöhung des vom Landesarbeitsgericht festgesetzten Betrages an, sondern rügt eine fehlerhafte Ermessensausübung hinsichtlich der Kriterien, die das Landesarbeitsgericht seiner Würdigung zugrunde gelegt hat. Es habe vor allem nicht berücksichtigt, daß es sich bei dem Angebot der W… GmbH nur um ein Scheinangebot gehandelt habe. Durch einen solchen Ermessensfehler wäre der Kläger beschwert, und zwar unabhängig davon, welche Summe er erwartete. Er hat in jedem Fall Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Würdigung.
II. Die Anschlußrevision ist aber nicht begründet. Die nur eingeschränkt überprüfbare Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zur Höhe des Nachteilsausgleichs hält auch den Angriffen des Klägers stand.
Die Berücksichtigung eines Beschäftigungsangebots ist grundsätzlich angebracht. Ganz generell ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt bei der Berechnung der Abfindungen nach § 10 KSchG von Bedeutung (vgl. nur KR-Spilger, 4. Aufl., § 10 KSchG Rz 54; Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, 11. Aufl., § 10 Rz 14). Besteht die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung, kann dies deshalb abfindungsmindernd gewertet werden.
Das Landesarbeitsgericht durfte also die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung bei der W… GmbH in seine Abwägung einbeziehen. Das gilt jedenfalls für das im Januar 1995 neu unterbreitete Angebot einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen in S…. Dieses Angebot, auf welches das Landesarbeitsgericht allein abstellt, wurde abgegeben, nachdem der Kläger sein Widerspruchsrecht ausgeübt und die Beklagte deshalb das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte. Die angebotene Beschäftigung entsprach nicht der mit dem Betriebsübergang verbundenen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in E…, der der Kläger widersprochen hatte.
Der Kläger rügt ohne Erfolg, es habe sich nur um ein Scheinangebot gehandelt. Das Landesarbeitsgericht hat das Angebot der W… GmbH als erheblich gewertet. Hierin liegt die tatsächliche Feststellung, daß es sich nicht um ein Scheinangebot gehandelt hat. Diese Feststellung ist von der Revision des Klägers nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden. Sie ist damit für das Revisionsgericht bindend. Ihre Würdigung läßt Fehler nicht erkennen.
Unterschriften
Dieterich, Wißmann, Rost, Schneider, Münzer
Fundstellen
JR 1997, 528 |
NZA 1997, 787 |
SAE 1998, 123 |
ZIP 1997, 1471 |