Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergangsgeld. teilzeitbeschäftigte Angestellte

 

Normenkette

BAT § 62 Abs. 1, § 3 Buchst. Q; BeschFG 1985 Art. 1 § 2 Abs. 1; BeschFG 1985 § 6 Abs. 1; GG Art. 3; EWGVtr Art. 119 Abs. 1; BGB § 134

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 20.08.1991; Aktenzeichen 6 Sa 17/91)

ArbG Hamburg (Urteil vom 05.12.1990; Aktenzeichen 6 Ca 187/88)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 20. August 1991 – 6 Sa 17/91 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Übergangsgeld zu zahlen.

Die Klägerin war seit 1. Oktober 1974 bei der Beklagten halbtags als Justizangestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Nachdem die Klägerin am 10. Juli 1987 das 60. Lebensjahr erreicht hatte, schied sie zum 31. Juli 1987 aus dem Arbeitsverhältnis aus und bezieht seit 1. August 1987 vorgezogenes Altersruhegeld. Die Gewährung von Übergangsgeld lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin teilzeitbeschäftigt gewesen sei.

§ 62 Abs. 1 BAT in der hier maßgebenden bis zum 31. Dezember 1987 geltenden Fassung lautete:

„Voraussetzungen für die Zahlung des Übergangsgeldes

(1) Der vollbeschäftigte Angestellte, der am Tage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses

  1. das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat und
  2. in einem ununterbrochenen Angestelltenverhältnis von mindestens einem Jahr bei demselben Arbeitgeber gestanden hat,

erhält beim Ausscheiden ein Übergangsgeld.”

Die Klägerin hat gemeint, die Zahlung von Übergangsgeld in rechnerisch unstreitiger Höhe von 4.431,03 DM brutto dürfe ihr trotz des Tarifwortlauts nicht verweigert werden. Durch die Beschränkung des Anspruchs auf vollbeschäftigte Angestellte werde sie unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz als Teilzeitkraft gegenüber vollzeitbeschäftigten Angestellten ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt. Da wesentlich mehr Frauen als Männer teilzeitbeschäftigt seien, werde sie auch wegen ihres Geschlechts mittelbar diskriminiert. Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.431,03 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 1. August 1987 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Tarifregelung sei wirksam, soweit sie zwischen vollzeitbeschäftigten und teilzeitbeschäftigten Angestellten unterscheide.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Beklagte zur Zahlung des der Arbeitszeit der Klägerin entsprechenden anteiligen Übergangsgeldes verurteilt. Die Klägerin hat Anspruch darauf, mit den vollbeschäftigten Angestellten gleichbehandelt zu werden. Soweit § 62 Abs. 1 BAT in der hier maßgeblichen Fassung den Anspruch auf diese Angestellten beschränkte, war er nichtig. Dies hat der Senat im Urteil vom 7. November 1991 (– 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT) entschieden und dabei die nachstehenden Erwägungen angestellt. Von ihnen abzuweichen sieht der Senat, auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Revision, keinen Anlaß.

I. Der Ausschluß der teilzeitbeschäftigten Angestellten vom Anspruch auf Übergangsgeld verstieß gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985. Nach dieser Bestimmung darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.

1. Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 findet seit dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens (1. Mai 1985) auf das im Jahr 1974 begründete Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung (vgl. BAGE 61, 43, 46 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; BAGE 63, 181, 186 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG, zu II 3 der Gründe).

2. § 62 Abs. 1 BAT galt zwischen den Parteien.

Die Klägerin war nicht nach § 3 Buchst. q BAT vom persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags ausgenommen. Diese Bestimmung bezog sich in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 1987 geltenden Fassung auf Angestellte, deren arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit weniger als die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollzeitbeschäftigten Angestellten betrug. Die Klägerin war nicht unterhälftig beschäftigt.

3. Der Ausschluß der teilzeitbeschäftigten Angestellten von der Gewährung des Übergangsgeldes stellte eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den vollbeschäftigten Angestellten dar, geschah wegen der Teilzeitarbeit und wurde nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

a) Die Klägerin wurde gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandelt.

Die Bestimmung des Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 gilt nicht nur für einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, sondern auch für Arbeitsverträge, durch die teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gegenüber vollbeschäftigten benachteiligt werden (vgl. BAGE 61, 43, 46 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; BAGE 63, 181, 186 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG, zu II 3 der Gründe).

Das gesetzliche Benachteiligungsverbot erfaßt alle Arbeitsbedingungen, insbesondere den früher der Vertragsfreiheit vorbehaltenen Vergütungsanspruch (vgl. GK-TzA-Lipke, Art. 1 § 2 BeschFG 1985 Rz 85). Übergangsgeld ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsentgelt (vgl. BAGE 45, 270, 273 = AP Nr. 11 zu § 42 SchwbG, zu I 2 a der Gründe, m.w.N.).

b) Die unterschiedliche Behandlung geschah wegen der Teilzeitarbeit. Dies ergibt sich aus dem Tarifwortlaut, der ausdrücklich einen Anspruch auf tarifliche Leistung nur den vollzeitbeschäftigten Angestellten zugestand und somit die übrigen Angestellten allein deshalb, weil ihre Arbeitszeit kürzer war, aus der Regelung ausnahm.

c) Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten rechtfertigen konnten, bestanden nicht.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das unterschiedliche Arbeitspensum des Teilzeitbeschäftigten und des Vollzeitbeschäftigten kein ausreichender sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung (vgl. z.B. BAG Urteile vom 22. August 1990 – 5 AZR 543/89 – BAGE 66, 17, 20 = AP Nr. 8 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe, und vom 6. Dezember 1990 – 6 AZR 159/89 – BAGE 66, 314, 317 = AP Nr. 12 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 b (1) der Gründe). Die Menge der Arbeitsleistung stellt daher für sich genommen keinen sachlichen Grund dar, um den Teilzeitbeschäftigten von der Gewährung einer tariflichen Leistung auszuschließen.

bb) Der Charakter und die Rechtsnatur des Übergangsgeldes rechtfertigten nicht einen Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten.

Nach Auffassung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Schlußurteil vom 15. November 1990 – 8 AZR 283/89 – BAGE 66, 220, 226 = AP Nr. 11 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 3 der Gründe), der der erkennende Senat beitritt, kann sich eine Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung grundsätzlich nur aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit ergeben. Hiernach besteht ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung, wenn sich aus dem Leistungszweck Gründe herleiten lassen, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, dem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer die Leistung, die der vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer zu beanspruchen hat, auch nicht anteilig zu gewähren. Solche Gründe läßt der Zweck des Übergangsgeldes nicht erkennen.

Das Übergangsgeld soll dem ausscheidenden Angestellten als Überbrückungs- und Umstellungshilfe dienen (BAG Urteil vom 5. Februar 1981 – 3 AZR 748/79 – AP Nr. 188 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAGE 42, 212, 215 = AP Nr. 5 zu § 63 BAT, zu II der Gründe; BAG Urteil vom 21. Februar 1991 – 6 AZR 406/89 – AP Nr. 9 zu § 63 BAT, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, zu II 3 d der Gründe) und die Aufrechterhaltung des bisherigen sozialen Status für einen bestimmten Zeitraum sicherstellen (BAG Urteil vom 21. Februar 1991 – 6 AZR 406/89 –, a.a.O.; BAGE 53, 371, 380 = AP Nr. 11 zu § 62 BAT, zu III 4 der Gründe). Dieser Leistungszweck ist auch bei teilzeitbeschäftigten Angestellten gegeben. Auch deren materielle und soziale Lebensumstände sind weitgehend durch ihre Teilzeitbeschäftigung geprägt. Dies gilt jedenfalls für die vom Ausschluß gemäß § 62 Abs. 1 BAT betroffenen nicht unterhälftig beschäftigten Angestellten (vgl. § 3 Buchst. q BAT). Eine geringere Schutzbedürftigkeit oder ein fehlendes Bedürfnis für den Bezug des Übergangsgeldes ist bei dieser Personengruppe nicht erkennbar.

cc) Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, die Klägerin verfüge noch über eine andere Lebensgrundlage und benötige daher kein Übergangsgeld.

Zwar stellt der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts für die Beurteilung nebenberuflicher Beschäftigungen auf diesen Gesichtspunkt ab (vgl. z.B. Urteil vom 22. August 1990 – 5 AZR 543/89 – BAGE 66, 17 = AP, a.a.O.). Im Streitfall ist jedoch davon auszugehen, daß die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung, die immerhin die Hälfte der Arbeitszeit einer vollbeschäftigten Angestellten betrug, für die Klägerin die wesentliche berufliche Tätigkeit und neben der Rente für ihren schwerbehinderten Sohn Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz war. Tatsächliche Umstände, die dieser Annahme entgegenstehen, sind weder festgestellt noch vorgetragen.

d) Der Ausschluß der Klägerin vom Anspruch auf Übergangsgeld war auch nicht deshalb wirksam, weil die unterschiedliche Behandlung tariflich geregelt war.

Zwar räumt Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG 1985 nach seinem Wortlaut den Tarifvertragsparteien die Befugnis ein, von der Vorschrift des Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 zuungunsten des Arbeitnehmers abzuweichen. Demgegenüber hat der Dritte Senat (BAGE 62, 334, 338 = AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985) angenommen, Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG 1985 gestatte es den Tarifvertragsparteien nicht, vom Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 konkretisiert und niedergelegt ist, abzuweichen. Es bedarf keiner Stellungnahme zu der im Schrifttum im Anschluß an diese Entscheidung erörterten Frage, ob der Gesetzeswortlaut diese Auslegung erlaubt. Jedenfalls ist dem Dritten Senat in der Sache zu folgen. Zu Recht haben Schüren/Kirsten (Anm. zu AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985) und Kraft/Raab (Anm. zu EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 3) darauf hingewiesen, daß sich dieses Ergebnis bereits aus der unmittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte, insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 GG, ergibt.

4. Der Verstoß gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 führt gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der Regelung, die die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte vom Bezug des Übergangsgeldes ausschloß.

Dies hat zur Folge, daß die Klägerin in Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Maßgabe der allgemein angewandten Regelung, also des § 62 BAT, behandelt werden muß (BAGE 63, 181, 187 = AP, a.a.O., zu II 4 der Gründe; BAGE 49, 346, 352 f. = AP Nr. 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 30. November 1982 – 3 AZR 214/80 – AP Nr. 54 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG Urteil vom 6. Dezember 1990 – 6 AZR 159/89 – BAGE 66, 314, 322 = AP, a.a.O., zu II 3 der Gründe). Der Klägerin steht somit der Anspruch auf anteiliges Übergangsgeld in unstreitiger Höhe zu.

II. Da die Revision der Beklagten aus den vorstehenden Gründen in der Sache keinen Erfolg hat, kommt es nicht darauf an, ob der Ausschluß der Klägerin vom Anspruch auf Übergangsgeld auch wegen Verletzung des Lohngleichheitsgebots des Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag unwirksam war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Ramdohr, Schwarck

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081340

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