Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer

 

Leitsatz (redaktionell)

Fortführung des Urteils vom 7. Februar 1995 – 3 AZR 402/94 – DB 1995, 1769

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 242; BetrVG 1972 § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 08.12.1994; Aktenzeichen 4 Sa 55/94)

ArbG Elmshorn (Urteil vom 16.11.1993; Aktenzeichen 3d Ca 1249/93)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 8. Dezember 1994 – 4 Sa 55/94 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte eine Tariflohnerhöhung auf die der Klägerin bisher gewährte freiwillige Zulage anrechnen durfte.

Die am 24. Januar 1938 geborene Klägerin ist seit mehr als fünf Jahren bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Metallindustrie in Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein (MTV) anzuwenden, dessen § 9 u.a. folgende Regelungen zur Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer enthält:

„Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer

2. Angestellte

2.1 Anspruchsvoraussetzung

Angestellte, die im 55. Lebensjahr stehen oder älter sind und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 5 Jahre angehören, haben eine Verdienstsicherung nach folgenden Bestimmungen:

2.3 Höhe der Verdienstsicherung

Maßgebend für die Höhe der Verdienstsicherung ist der monatliche Durchschnittsverdienst.

2.4 Berechnung des Durchschnittsverdienstes

Als Bezugszeitraum für die Berechnung des monatlichen Durchschnittsverdienstes gelten die letzten abgerechneten 12 Kalendermonate vor Eintritt der Anspruchsvoraussetzung. Der monatliche Durchschnittsverdienst wird auf der Grundlage der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit errechnet. Dabei bleiben jedoch Sonderzahlungen (Weihnachtsgeld, Jubiliäumsgeld u.ä.), Trennungsgelder, Fahrtkosten, zusätzliche Urlaubsvergütung, Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagszuschläge sowie die nicht ständigen Zulagen bzw. Zuschläge unberücksichtigt.

Bei tariflichen Gehaltserhöhungen im Berechnungszeitraum ist vom erhöhten Verdienst auszugehen. Zukünftige Tarifgehaltserhöhungen sind entsprechend zu berücksichtigen.”

Bis zum 31. März 1993 erhielt die Klägerin ein monatliches Arbeitsentgelt von insgesamt 3.962,00 DM brutto, das sich nach der Gehaltsmitteilung der Beklagten vom 29. Juni 1992 wie folgt zusammensetzte:

”1.

Grundgehalt Gruppe G3(Z) des GRTV

2.855,00 DM

2.

Leistungszulage

152,00 DM

3.

Freiwillige übertarifliche Zulage

955,00 DM

(Anrechnung vorbehalten).”

Mit Wirkung zum 1. April 1993 wurde das tarifliche Grundgehalt erhöht. Die Beklagte rechnete diese Tarifgehaltserhöhung bei allen Angestellten auf die freiwilligen übertariflichen Zulagen an. Laut Gehaltsmitteilung vom 4. Mai 1993 setzt sich das unverändert gebliebene monatliche „Effektivgehalt” der Klägerin von insgesamt 3.962,00 DM seit dem 1. April 1993 wie folgt zusammen:

”1.

Grundgehalt Gruppe G3(Z) des GRTV

2.941,00 DM

2.

Leistungszulage

152,00 DM

3.

Freiwillige übertarifliche Zulage

869,00 DM

(Anrechnung bleibt vorbehalten).”

Die Klägerin hat von der Beklagten die Zahlung einer freiwilligen übertariflichen Zulage in der bisherigen Höhe von monatlich 955,00 DM brutto verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Regelungen des § 9 Nr. 2 MTV über die Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer verböten eine Anrechnung der Tarifgehaltserhöhungen. Im übrigen habe die Beklagte das dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zustehende Mitbestimmungsrecht verletzt. Die Klägerin hat behauptet, der Betriebsrat habe einer Anrechnung der Tarifgehaltserhöhungen auf die freiwilligen Zulagen der Angestellten nicht zugestimmt.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Monate April bis einschließlich September 1993 weitere 516,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
  2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin ab Oktober 1993 eine übertarifliche Zulage in Höhe von 955,00 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Tarifgehaltserhöhung auf die freiwillige Zulage der Klägerin sei wirksam. Die Verdienstsicherung nach § 9 Nr. 2 MTV stehe der Anrechnung nicht entgegen.

Ein etwaiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sei beachtet worden. Die Beklagte hat behauptet, der Betriebsrat habe zugestimmt, daß die Tarifgehaltserhöhungen auf die freiwilligen Zulagen aller Angestellten angerechnet worden seien und bei den gewerblichen Arbeitnehmern keine Anrechnung erfolgt sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision möchte die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf unveränderte Zahlung der freiwilligen Zulage nicht zu. Die Beklagte durfte auch bei der verdienstgesicherten Klägerin die freiwillige übertarifliche Zulage mit den Tarifgehaltserhöhungen verrechnen.

1. Die freiwillige übertarifliche Zulage ist nicht einzelvertraglich als anrechnungsfest vereinbart worden. Vielmehr ist diese Zulage in den Gehaltsmitteilungen ausdrücklich mit dem Zusatz versehen worden: „Anrechnung vorbehalten”. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber nach einer Tarifgehaltserhöhung freiwillig gezahlte Zulagen auf das Tarifgehalt anrechnen. Eine Anrechnung ist nur dann ausgeschlossen, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund einer vertraglichen Abrede die Zulage als selbständiger Vergütungsbestandteil neben dem jeweiligen Tarifgehalt zustehen soll (ständige Rechtsprechung des BAG, zuletzt Urteile vom 7. Februar 1995 – 3 AZR 402/94 – DB 1995, 1769, und – 3 AZR 403/94 –, n.v., jeweils zu I 1 der Gründe, m.w.N.). Eine derartige Vereinbarung kann sich zwar durch Vertragsauslegung ergeben, vor allem wenn die Zulage für einen vom Tarifgehalt nicht erfaßten Zweck, z.B. als Erschwernis-, Leistungs-, Funktions-, Familienzulage oder aus einem anderen eigenständigen Grunde gewährt wird. Im vorliegenden Fall wurde jedoch die gekürzte Zulage mit keiner solchen besonderen Zwecksetzung versehen.

2. Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der freiwilligen Zulage in unveränderter Höhe nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz stützen, weil sie insoweit ihrer abgestuften Darlegungslast nicht nachgekommen ist.

a) Soweit ein von der Begünstigung ausgeschlossener Arbeitnehmer die für die Gruppenbildung maßgeblichen Gründe nicht kennt, kann die pauschale Behauptung genügen, daß er sich in einer vergleichbaren Lage befindet und sachliche Gründe für seinen Ausschluß aus der Begünstigung fehlen. Der Arbeitgeber muß dann die Gruppenbildung erläutern und darlegen, weshalb der klagende Arbeitnehmer oder eine bestimmte Arbeitnehmergruppe nicht zum begünstigten Personenkreis gehört. Auch in den Urteilen vom 12. November 1991 (– 3 AZR 489/90 – AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung) und vom 19. August 1992 (– 5 AZR 513/91 – AP Nr. 102 zu § 242 BGB Gleichbehandlung), in denen das Bundesarbeitsgericht vom Arbeitgeber eine derartige Stellungnahme verlangt hat, lag wenigstens ein pauschaler Sachvortrag des klagenden Arbeitnehmers zum Gleichbehandlungsgrundsatz vor.

b) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin in den Tatsacheninstanzen lediglich geltend gemacht, die Anrechnung der Tarifgehaltserhöhung auf die freiwillige Zulage verstoße gegen die tarifliche Verdienstsicherung und verletze das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Auf den Gleichbehandlungsgrundsatz war sie nicht eingegangen. Der fehlende Sachvortrag kann nach § 561 Abs. 1 ZPO in der Revisionsinstanz nicht mehr nachgeholt werden.

3. Nach § 9 Nr. 2 MTV ist die Beklagte nicht verpflichtet, der Klägerin die freiwillige Zulage trotz der zwischenzeitlichen Tarifgehaltserhöhung in unveränderter Höhe weiterzuzahlen.

Mit der Verdienstsicherung des vorliegenden Manteltarifvertrages hat sich der Senat bereits in seinen Urteilen vom 7. Februar 1995 (aaO) auseinandergesetzt und entschieden, daß die Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer nach § 9 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der Metallindustrie in Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein den Gesamtverdienst aus Tarifentgelt und übertariflichen Zulagen schützt, dem Arbeitgeber aber bei Tariflohnerhöhungen eine arbeitsvertraglich zulässige Anrechnung freiwilliger Zulagen auf den Tariflohn nicht verbietet.

Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Manteltarifvertrags, sondern entspricht auch dem Sinn und Zweck der Verdienstsicherung. Ältere Arbeitnehmer sollen durch altersbedingte Leistungsabnahme und Ausübung geringerwertiger Tätigkeiten keine Verdiensteinbußen erleiden. Sie sollen an der weiteren Vergütungsentwicklung teilnehmen und gleich behandelt, nicht aber bessergestellt werden. Zudem wäre ein auf verdienstgesicherte Arbeitnehmer beschränktes Anrechnungsverbot mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Urteile vom 7. Februar 1995 (aaO) Bezug genommen. Neue Argumente sind im vorliegenden Verfahren nicht vorgebracht worden. Die Urteile vom 7. Februar 1995 betrafen zwar Arbeiter und nicht Angestellte. Die tarifliche Verdienstsicherung für Arbeiter und Angestellte weist aber keine Unterschiede auf, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten.

4. Die Anrechnung ist nicht wegen Verletzung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats unwirksam.

a) Die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen und der Widerruf von übertariflichen Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe einer Tariflohnerhöhung unterliegen dann der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt (BAG Großer Senat Beschlüsse vom 3. Dezember 1991 – GS 1 und 2/90 – BAGE 69, 134 ff. = AP Nr. 51 und 52 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt waren, kann offenbleiben.

b) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, daß sowohl der Abschluß einer Betriebsvereinbarung als auch formlose Regelungsabreden dem Mitbestimmungsrecht ausreichend Rechnung tragen. Das Arbeitsgericht hat das Betriebsratsmitglied K über die Willensbildung des Betriebsrats und die Bekanntgabe der getroffenen Entscheidung vernommen. Die Vorinstanzen sind aufgrund der Zeugenaussage zu dem Ergebnis gelangt, daß der Betriebsrat der Anrechnung der Tarifgehaltserhöhung auf die freiwilligen Zulagen lediglich der Angestellten zugestimmt hat. Diese von der Revision nicht angegriffene Feststellung ist nach § 561 Abs. 2 ZPO für das Revisionsgericht bindend.

 

Unterschriften

Kremhelmer, Mikosch, Bepler, Schoden, Schwarze

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951874

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