Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Sonderzahlung bei Krankheit und Erwerbsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung nach § 2 des Tarifvertrages über Sonderzahlungen in der niedersächsischen Metallindustrie vom 27. Mai 1992 ist nicht von einer tatsächlichen Arbeitsleistung im Kalenderjahr oder einem entsprechenden Verdienst innerhalb der letzten drei vollständig abgerechneten Monate vor dem Auszahlungstag abhängig (Aufgabe von BAG Urteil vom 7. September 1989 – 6 AZR 637/88 – AP Nr. 129 zu § 611 BGB Gratifikation).
Eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit während des gesamten Kalenderjahres und die Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit führen, ohne Anhaltspunkte für eine entsprechende Vereinbarung der Parteien, nicht zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 2 Abs. 5 des Tarifvertrages.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie; Tarifvertrag über Sonderzahlungen für die niedersächsische Metallindustrie i.d.F. vom 27. Mai 1992 § 2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1992.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem Jahre 1985 als Maschinenarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag über Sonderzahlungen für die niedersächsische Metallindustrie (TV-Sonderzahlung) Anwendung. Der Kläger ist seit dem 10. April 1989 arbeitsunfähig krank. Seit dem 1. April 1990 bezieht er eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit, die zunächst bis 31. Mai 1992 befristet war und dann bis zum 31. Mai 1994 verlängert wurde. Der Kläger bezog ein Monatsentgelt. Die letzten vollständig abgerechneten Monate, in denen der Kläger Arbeitsentgelt für tatsächlich geleistete Arbeit erzielt hatte, waren die Monate Januar, Februar und März 1989.
Die tariflichen Bestimmungen des TV-Sonderzahlung in der Fassung vom 27. Mai 1992 haben, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut:
§ 2
Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehören, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen.
Ausgenommen sind die Arbeitnehmer, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis gekündigt haben.
Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel gezahlt:
|
ab |
|
01.04.92 |
… |
|
Nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit |
55 % |
eines Monatsverdienstes bzw. einer Ausbildungsvergütung. |
- …
Der Berechnung der Leistungen sind zugrunde zu legen:
Bei Arbeitern,
soweit sie im Stundenlohn beschäftigt werden, der durchschnittliche Stundenverdienst der letzten abgerechneten 13 Wochen bzw. der entsprechenden Lohnabrechnungszeiträume vor Auszahlung der Leistung, multipliziert mit der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit und multipliziert mit dem Faktor 4,35 (durchschnittliche Jahreswochenzeit pro Monat)
Der durchschnittliche Stundenverdienst errechnet sich aus dem Gesamtverdienst in dem betreffenden Zeitraum, einschließlich der Mehrarbeitsvergütung und aller Zuschläge, jedoch ohne Auslösung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsvergütung, zusätzliches Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers und ähnliche Zahlungen sowie einmalige Zuwendungen, geteilt durch die Zahl der bezahlten Stunden ohne Mehrarbeits-, Kranken- und Urlaubsstunden.
Bei Arbeitern mit Monatsengelt die gleichmäßige monatliche Lohnzahlung und der variable Lohnbestandteil im Durchschnitt der letzten vollständig abgerechneten drei Monate.
…
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer und Auszubildende, deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung; ruht das Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung. Für Zeiten des gesetzlichen Mutterschutzes tritt eine Minderung des Anspruchs nicht ein.
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes ausscheiden, erhalten im Jahr des Ausscheidens die volle Leistung.
§ 3
Zeitpunkt
Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebsvereinbarung geregelt. Er darf nicht nach dem 1. Dezember liegen.
Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe für das Jahr 1992 ein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung zu. Die tariflichen Bestimmungen forderten keine tatsächliche Arbeitsleistung im Kalenderjahr. Die Höhe der Sonderzahlung ergebe sich aus den letzten drei vor seiner Erkrankung vollständig abgerechneten Monaten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.994,52 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, ein Anspruch sei schon dem Grunde nach nicht gegeben, weil die Tarifvertragsparteien bei Abschluß des Tarifvertrages entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stillschweigend von dem Erfordernis einer nicht unerheblichen tatsächlichen Arbeitsleistung im Kalenderjahr ausgegangen seien.
Im übrigen bestehe auch deshalb kein Anspruch, weil der Kläger weder in den maßgeblichen letzten drei Monaten vor dem Auszahlungstermin noch im gesamten Kalenderjahr 1992 einen Arbeitsverdienst erzielt habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr unter Berücksichtigung der Verdienstabrechnungen für die Monate Januar, Februar und März 1989 in Höhe von 1.829,57 DM brutto nebst Zinsen stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die Sonderzahlung für das Jahr 1992 in Höhe von 1.829,57 DM zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger erfülle die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen für das Jahr 1992. Die tariflichen Bestimmungen erforderten keine tatsächliche Arbeitsleistung im Kalenderjahr.
Zwar habe das Bundesarbeitsgericht die tariflichen Bestimmungen des Tarifvertrages über Sonderzahlungen in der niedersächsischen Metallindustrie in der bisherigen Fassung vom 18. Juli 1984 dahingehend ausgelegt, daß Voraussetzung für den Anspruch auf die Sonderzahlung eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum sei. Daran könne jedoch nicht festgehalten werden. Die Tarifvertragsparteien hätten beim Abschluß des Tarifvertrages in der Fassung vom 27. Mai 1992 auch nicht darauf vertrauen können, diese ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung werde weiterhin von der Rechtsprechung anerkannt werden.
Ein Wegfall des Anspruchs ergebe sich auch nicht aus § 2 Abs. 4 TV-Sonderzahlung. Diese tarifliche Bestimmung stelle keine Anspruchsvoraussetzung auf, sondern regele nur die Berechnung der Höhe des Anspruchs. Danach seien die letzten drei vollständig abgerechneten Monate maßgebend, in denen Arbeitsentgelt erzielt worden sei. Dies seien die Monate Januar, Februar und März 1989 gewesen.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers habe auch nicht geruht. Weder seine Arbeitsunfähigkeit noch der Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit hätten zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses geführt. Eine Vereinbarung darüber sei weder ausdrücklich noch stillschweigend geschlossen worden.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für die Sonderzahlung nach § 2 Abs. 1 TV-Sonderzahlung im Jahre 1992, da er am 1. Dezember 1992 mehr als sechs Monate in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stand.
1. Mit Recht nimmt das Landesarbeitsgericht an, daß Anspruchsvoraussetzung nicht eine tatsächliche Arbeitsleistung im Kalenderjahr ist.
a) Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung annimmt, ist das Erfordernis einer tatsächlichen Arbeitsleistung nur dann der Zahlung der tariflichen Sonderzuwendung zugrunde zu legen, wenn die Tarifvertragsparteien dies ausdrücklich geregelt bzw. ausdrücklich bestimmt haben, für welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung der Anspruch auf die tarifliche Sonderzuwendung gemindert oder ausgeschlossen werden soll. Haben die Tarifvertragsparteien eine solche Regelung nicht getroffen, kann nicht davon ausgegangen werden, daß Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum ist (BAGE 71, 78 = AP Nr. 143 zu § 611 BGB Gratifikation; von da an ständige Rechtsprechung des Zehnten Senats; vgl. insbesondere Urteil vom 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – AP Nr. 162 zu § 611 BGB Gratifikation, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen).
Da die tariflichen Bestimmungen des TV-Sonderzahlung eine Kürzung der Sonderzahlung für Zeiten der Krankheit nicht vorsehen, ist es für den Anspruch auf die Sonderzahlung dem Grunde nach unerheblich, daß der Kläger im Kalenderjahr 1992 wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht gearbeitet hat.
b) Die Beklagte wendet sich gegen diese Auslegung mit der Begründung, die Tarifvertragsparteien seien auch bei Abschluß des Tarifvertrages über die Sonderzahlung am 27. Mai 1992 von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den früheren Fassungen ausgegangen, wonach über den Wortlaut des § 2 Abs. 1 TV-Sonderzahlung hinaus eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Kalenderjahr Anspruchsvoraussetzung für die Sonderzahlung sei.
Dies rechtfertigt es jedoch nicht, an der bisherigen Auslegung festzuhalten.
Nach den Grundsätzen der Tarifauslegung kann der Wille der Tarifvertragsparteien nur insoweit berücksichtigt werden, als er in den tariflichen Bestimmungen seinen Niederschlag gefunden hat (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 8. Dezember 1993 – 10 AZR 66/93 – AP Nr. 159 zu § 611 BGB Gratifikation). Schon daran fehlt es vorliegend.
Im übrigen konnten die Tarifvertragsparteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages am 27. Mai 1992 auch nicht davon ausgehen, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung weiterhin an dem Erfordernis einer nicht ganz unerheblichen Arbeitsleistung im Bezugszeitraum festhalten werde. Der Sechste Senat hatte schon in dem maßgeblichen Urteil vom 7. September 1989 (– 6 AZR 637/88 – AP Nr. 129 zu § 611 BGB Gratifikation) ausgeführt, daß der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TV-Sonderzahlung in der Fassung vom 18. Juli 1984 den Anspruch auf eine betriebliche Sonderzahlung an keine irgendwie geartete Arbeitsleistung knüpfe, und dabei erhebliche Bedenken geäußert, im Wege der Auslegung einen Mindestarbeitszeitraum von zwei Wochen als nicht unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Kalenderjahr zu verlangen.
In Anbetracht dessen konnten die Tarifvertragsparteien nicht darauf vertrauen, daß in Zukunft die Auslegung dieser Regelung, die sie wortgleich in die Fassung vom 27. Mai 1992 übernommen haben, Bestand haben werde. Es wäre deshalb geboten gewesen, insoweit in der Neufassung des Tarifvertrages vom 27. Mai 1992 die Frage, inwieweit die Sonderzahlung von einer tatsächlichen Arbeitsleistung im Kalenderjahr abhängig sein solle, zu regeln. Da diese Regelung nur in § 2 Abs. 5 (Ruhen des Arbeitsverhältnisses, Mutterschutz) getroffen worden ist, kann über den Wortlaut des § 2 Abs. 1 hinaus eine tatsächliche Arbeitsleistung nicht als weitere ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung gefordert werden.
2. Mit Recht kommt das Landesarbeitsgericht auch zu dem Ergebnis, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung nicht nach § 2 Abs. 4 Buchst. a TV-Sonderzahlung ausgeschlossen ist.
Nach § 2 Abs. 4 Buchst. a Unterabs. 2 TV-Sonderzahlung ist für die Berechnung der Sonderzahlung bei Arbeitern mit Monatsentgelt, zu denen der Kläger gehört, die gleichmäßige monatliche Lohnzahlung und der variable Lohnbestandteil im Durchschnitt der letzten vollständig abgerechneten drei Monate maßgebend. Diese Regelung knüpft an die Regelung für Arbeiter mit Stundenverdienst in Unterabs. 1 an. Diese sieht vor, daß die Zeit vor Auszahlung der Sonderzahlung (1. Dezember) maßgeblich ist. Ferner geht aus der Regelung hervor, daß bei Krankheit weder die Lohnfortzahlungssumme noch die krankheitsbedingten Stunden zu berücksichtigen sind.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt aus dieser tariflichen Bestimmung nicht, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung von dem tariflich näher bestimmten Verdienst innerhalb der letzten drei unmittelbar vor dem Auszahlungstag liegenden vollständig abgerechneten Monate abhängt.
Nach der Rechtsprechung des Senats können die Tarifvertragsparteien bei der Regelung einer tariflichen Sonderzuwendung zur Berechnung dieser Zahlung auf den tatsächlichen Verdienst im Bezugszeitraum abstellen und hierdurch auch den Fall abschließend regeln, wie sich Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlung auf die tarifliche Sonderzahlung auswirken (BAG Urteile vom 5. August 1992 – 10 AZR 171/91 – und vom 24. März 1993 – 10 AZR 487/92 – AP Nr. 144 u. 155 zu § 611 BGB Gratifikation). Liegt eine Regelung vor, wonach sich eine tarifliche Sonderzuwendung nach dem tatsächlich erzielten durchschnittlichen Monatseinkommen des Arbeitnehmers im laufenden Kalenderjahr oder im Bezugszeitraum oder aus einem tatsächlichen Arbeitsverdienst errechnet, so folgt daraus, daß Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung den monatlichen Durchschnittsverdienst mindern und Arbeitnehmer, die während des gesamten zugrunde zu legenden Berechnungszeitraums arbeitsunfähig krank waren und für diese Zeiten keine Lohnfortzahlung erhalten haben, keine tarifliche Sonderzuwendung bekommen; da der Arbeitnehmer in diesem Fall kein Arbeitsentgelt erzielt hat, würde sich ein Betrag der tariflichen Sonderzuwendung von null DM errechnen (BAG Urteil vom 17. Dezember 1992 – 10 AZR 427/91 – AP Nr. 148 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 28. Juni 1995 – 10 AZR 490/94 – nicht veröffentlicht).
Eine derartige Regelung, die über die Berechnung des Anspruchs der Höhe nach auch zugleich dessen Voraussetzungen mitbestimmt, läßt sich § 2 Abs. 4 TV-Sonderzahlung jedoch nicht entnehmen.
Die tarifliche Bestimmung des § 2 Abs. 4 TV-Sonderzahlung regelt, welche Lohnbestandteile der Berechnung der Sonderzuwendung zugrunde zu legen sind und den Zeitraum, aus dem der Durchschnitt der Leistungen zu ermitteln ist. Es handelt sich damit um eine reine Berechnungsvorschrift, die nichts über die anspruchsbegründenden Voraussetzungen besagt. Dies entspricht auch der Auslegung der entsprechenden tariflichen Bestimmung in der Fassung des Tarifvertrages vom 1. Januar 1974 durch den Fünften Senat im Urteil vom 18. Januar 1978 (– 5 AZR 56/77 – AP Nr. 92 zu § 611 BGB Gratifikation).
Diese Auslegung ergibt sich auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, der neben dem Tarifwortlaut für die Tarifauslegung maßgebend ist (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Die Tarifvertragsparteien haben nämlich in § 2 Abs. 4 TV-Sonderzahlung den Einfluß von Krankheitszeiten auf die Berechnung der Sonderzahlung durchaus berücksichtigt. Danach sind weder die Lohnfortzahlungssumme noch die Krankheitsstunden in die Berechnung mit einzubeziehen. Wenn darüber hinaus Krankheitszeiten ohne Lohnfortzahlung zu einer Minderung oder zum Ausschluß des Anspruchs auf die Sonderzahlung hätten führen sollen, hätte dies in § 2 Abs. 4 TV-Sonderzahlung zum Ausdruck gebracht werden müssen.
Außerdem würde die Abhängigkeit der Sonderzahlung allein von dem Verdienst innerhalb der letzten drei Monate vor dem Auszahlungszeitpunkt zu sachlich nicht begründbaren Ergebnissen führen.
Ein Arbeitnehmer, der in der Zeit von Januar bis 31. August eines Kalenderjahres gearbeitet hat und ab 1. September arbeitsunfähig krank wird, erhielte dann keine Sonderzahlung, während ein Arbeitnehmer, der von Januar bis 31. August arbeitsunfähig krank war und ab 1. September wieder gearbeitet hat, die volle Sonderzahlung erhielte. Dies entspräche nicht einer zu vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Ergebnissen führenden Tarifauslegung (vgl. BAG Urteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel).
b) Damit kommt es auch nicht darauf an, ob die Beklagte – wie sie erstmals in der Revisionsinstanz vorträgt – in den Monaten September, Oktober und November 1992 für den Kläger “Null” – Verdienstabrechnungen erstellt hat. Zwar sind der Berechnung grundsätzlich die letzten drei abgerechneten Monate vor dem Auszahlungstermin zugrunde zu legen. Da die Vorschrift aber der Ermittlung des für die Höhe der Sonderzahlung maßgeblichen Durchschnittsverdienstes dient, sind unter abgerechneten Monaten nur solche zu verstehen, in denen die tariflich genannten Lohnbestandteile abgerechnet worden sind. Nur diese können nämlich zur Ermittlung des Durchschnittsverdienstes herangezogen werden. Tariflich für die Durchschnittsberechnung maßgeblichen Verdienst hat der Kläger aber zuletzt in den Monaten Januar, Februar und März 1989 erzielt. Das Landesarbeitsgericht hat damit zutreffend diese Monate der Durchschnittsberechnung zugrunde gelegt.
c) Soweit die Beklagte sich darauf beruft, daß ein Anspruch auf die Sonderzahlung zumindest dann ausgeschlossen sei, wenn seit dem Auszahlungstag im Vorjahr kein Verdienst i.S.d. § 2 Abs. 4 TV-Sonderzahlung erzielt worden sei, findet sich dafür in den tariflichen Bestimmungen kein Anhaltspunkt.
3. Der Anspruch des Klägers auf die Sonderzahlung ist auch nicht nach § 2 Abs. 5 TV-Sonderzahlung ausgeschlossen. Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat im Kalenderjahr 1992 weder kraft Gesetzes noch kraft Vereinbarung geruht.
a) Die auch im Jahre 1992 andauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers führte nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes. Bei der auf Arbeitsunfähigkeit beruhenden Verhinderung zur Arbeitsleistung handelt es sich nicht um eine wechselseitige Suspendierung der Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, sondern um eine Leistungsstörung im Sinne des allgemeinen Teils des Bürgerlichen Schuldrechts (BAGE 66, 34 = AP Nr. 93 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie).
Auch der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit im Jahre 1992 führte nicht zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes. Um ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses nach Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente zu erreichen, bedarf es einer Vereinbarung der Parteien über die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung desselben (BAGE 65, 187 = AP Nr. 92 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie).
b) Eine Vereinbarung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, an die der Senat gebunden ist, weder ausdrücklich noch stillschweigend getroffen worden.
aa) Eine ausdrückliche Vereinbarung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, nachdem dem Kläger ab 1. April 1990 eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit zunächst bis zum 31. Mai 1992 und dann bis zum 31. Mai 1994 bewilligt worden war, haben die Parteien nicht abgeschlossen.
bb) Auch liegen Tatsachen, die den Schluß auf eine stillschweigende Vereinbarung zulassen, nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vor.
Die Beklagte macht insoweit geltend, das Landesarbeitsgericht habe nicht aufgeklärt, ob der Kläger im Jahre 1992 arbeitsunfähig krank gewesen sei und dies durch Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgewiesen habe. Habe keine Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1992 mehr vorgelegen, so ließe dies den Schluß zu, daß die Parteien stillschweigend das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart hätten, nachdem der Kläger auf Empfehlung der Beklagten eine Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt hatte.
Damit kann die Beklagte jedoch keinen Erfolg haben. Die Beklagte hat in den Vorinstanzen stets selbst vorgetragen, daß der Kläger auch im Jahre 1992 arbeitsunfähig krank gewesen sei. Das Landesarbeitsgericht hatte deshalb keine Veranlassung, dies in Zweifel zu ziehen. Die Frage der Vereinbarung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses war zudem Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht. Dazu hat der Kläger erklärt, daß Hinweise auf eine Ruhensvereinbarung nicht ersichtlich seien. Nachdem die Beklagte dem nicht widersprochen hatte, konnte das Landesarbeitsgericht mit Recht davon ausgehen, daß auch Tatsachen, die den Schluß auf eine stillschweigende Ruhensvereinbarung zuließen, nicht vorlagen.
c) Der Auffassung der Beklagten, aufgrund der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente seien die Vertragsbeziehungen der Parteien so gelockert worden, daß trotz des formal fortbestehenden Arbeitsverhältnisses keine Ansprüche daraus mehr erwachsen sollten und dies einem vereinbarten Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Tarifsinne gleichzustellen sei, kann nicht gefolgt werden.
Zwar hat der Senat in Fällen langandauernder Krankheit, bei einem Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Direktionsrechts und dem Bezug von Arbeitslosengeld nach § 105a AFG durch den Arbeitnehmer angenommen, daß derartige Umstände – je nach tariflicher Gestaltung – zum Wegfall des Anspruchs auf eine Sonderzahlung führen können, weil aus einem solchen Arbeitsverhältnis keine tariflichen Ansprüche mehr erwachsen sollen (BAG Urteil vom 28. September 1994 – 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation), oder daß sie eine Vermutung für eine stillschweigende Ruhensvereinbarung begründen können (BAG Urteil vom 9. August 1995 – 10 AZR 539/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Dabei hat der Senat jedoch betont, daß die nur subjektive Vorstellung oder Erwartung der Arbeitsvertragsparteien, zu einer Reaktivierung des Arbeitsverhältnisses werde es wohl nicht mehr kommen, dazu nicht ausreichen. Es müssen stets tatsächliche Umstände hinzukommen, aus denen sich ergebe, daß das rechtlich an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis tatsächlich nur formaler Natur ist und nach dem Willen und den Vorstellungen beider Parteien keine irgendwie gearteten rechtlichen Bindungen im Hinblick auf eine Wiederaufnahme der Arbeit begründen soll.
Diese Voraussetzungen sind anders als bei den Modalitäten des Bezugs von Arbeitslosengeld nach § 105a AFG allein bei einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit und dem gleichzeitigen Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit nicht gegeben.
Außerdem kommt es für die Beurteilung eines Anspruchs auf eine Sonderzahlung bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit und Ruhen des Arbeitsverhältnisses in erster Linie auf die jeweiligen tariflichen Bestimmungen an. So haben die Tarifvertragsparteien in § 2 Abs. 5 Unterabs. 2 TV-Sonderzahlung bestimmt, daß anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbsunfähigkeit ausscheiden, die volle Sonderzahlung erhalten. Dies steht der Annahme entgegen, bei Erwerbsunfähigkeit, die in der Regel während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses auftritt, seien die Vertragsbeziehungen grundsätzlich so gelockert, daß aus dem Arbeitsverhältnis keine Ansprüche mehr erwachsen sollen.
Die tariflichen Bestimmungen lassen auch nicht den Schluß zu, langandauernde Krankheit, gegebenenfalls verbunden mit Erwerbsunfähigkeit, sei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 2 Abs. 5 TV-Sonderzahlung gleichzustellen. Die tariflichen Bestimmungen des Tarifvertrages über eine Sonderzahlung in der niedersächsischen Metallindustrie enthalten dazu keine Aussage. Eine solche Annahme entspricht auch nicht allgemeiner Tarifgestaltung in der Metallindustrie. So kommt z.B. nach der Protokollnotiz zu § 2 Nr. 6 des Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teils eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie in Nordrhein-Westfalen eine Kürzung der Sonderzahlung bei erkrankten Arbeitnehmern auch bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung nicht in Betracht.
4. Gegen die Höhe der vom Landesarbeitsgericht zutreffend aus den zuletzt abgerechneten Monaten Januar bis März 1989 berechnete Sonderzahlung hat die Beklagte keine Einwendungen erhoben.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Böck, Lindemann, Großmann
Fundstellen
Haufe-Index 871607 |
BB 1996, 436 |
NZA 1996, 542 |