Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschäftigungszeit. Überleitungsvertrag

 

Leitsatz (redaktionell)

Beschäftigungszeit einer Biologin, die nach neunjähriger Tätigkeit bei dem Institut für Pflanzenschutzforschung der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der ehemaligen DDR (AdL) durch einen Überleitungsvertrag in ein Arbeitsverhältnis zur Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) gewechselt ist (Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats aus den Urteilen vom 18. April 1996 – 6 AZR 623/95 – AP Nr. 12 zu § 19 BAT-O, und vom 19. Juni 1997 – 6 AZR 140/96 – n.v.).

 

Normenkette

BAT-O § 19; Überleitungsvorschriften zu § 19 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 01.02.1996; Aktenzeichen 7 Sa 92/95)

ArbG Berlin (Urteil vom 23.08.1995; Aktenzeichen 94 Ca 7934/95)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 1. Februar 1996 – 7 Sa 92/95 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. August 1995 – 94 Ca 7934/95 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über anrechnungsfähige Beschäftigungszeiten der Klägerin nach § 19 BAT-O.

Die Klägerin absolvierte ein Studium der Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin (fortan: HUB). Die Sektion Gartenbau der HUB teilte dem Institut für Pflanzenforschung der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der ehemaligen DDR (fortan: AdL) in K. mit Schreiben vom 21. September 1977 mit, daß die Klägerin zum 1. März 1978 zur Einstellung als wissenschaftlich-technische Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Gemüseproduktion der HÜB, Sektion Gartenbau, von Seiten des AdL-Instituts vorgesehen werden solle. Die Klägerin schloß mit Wirkung zum 1. März 1978 einen Arbeitsvertrag mit dem Institut für Pflanzenschutzforschung der AdL in K. mit der Tätigkeit als wissenschaftliche Aspirantin. Am 5. Februar 1987 schlossen die Klägerin, das Institut für Gemüseproduktion der AdL und die HUB einen Überleitungsvertrag, durch den der Arbeitsvertrag zwischen der Klägerin und der AdL aufgelöst und ein Arbeitsverhältnis zur HUB, Sektion Gartenbau, begründet wurde. Der Überleitungsvertrag enthält einen maschinenschriftlichen Zusatz:

„ununterbrochene Tätigkeit für die Humboldt-Universität seit 1.3.1978 wird anerkannt (Vergünstigungen entsprechend BKV der HUB zu Berlin)”.

Bereits vor Inkrafttreten des Überleitungsvertrages arbeitete die Klägerin ausschließlich für die Sektion Gartenbau der HUB und erbrachte ihre Arbeitsleistung in einer Außenstelle der HUB. In einer Beurteilung vom 17. Oktober 1983 heißt es, daß die Klägerin „seit dem 1.3.1978 als Diplombiologin im WB-Pflanzenschutz der Sektion Gartenbau der HU zu Berlin” arbeite.

Nach Wiederherstellung der deutschen Einheit wurde die Humboldt-Universität zu Berlin als nachgeordnete Einrichtung des Ministeriums für Fach- und Hochschulwesen der DDR auf die Beklagte, die Humboldt-Universität zu Berlin als Körperschaft des öffentlichen Rechts, überführt. Kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien seit dem 1. Juli 1991 der BAT-O Anwendung.

Die Beklagte setzte den Beginn der Beschäftigungszeit der Klägerin nach § 19 BAT-O auf den 1. Januar 1987 fest. Hiergegen legte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre Tätigkeit aufgrund des Arbeitsvertrags mit der AdL im Zeitraum vom 1. März 1978 bis zum 31. Dezember 1986 sei als Beschäftigungszeit bei der Beklagten anzurechnen. Das Arbeitsverhältnis mit der AdL sei nur aus formalen Gründen begründet worden, da der HUB keine Planstelle zur Verfügung gestanden habe. Die Klägerin habe stets Aufgaben der HUB wahrgenommen und sei in deren Arbeitsorganisation eingebunden gewesen. Dies sei auch im Überleitungsvertrag ausdrücklich anerkannt worden. Ihre Tätigkeit müsse in gleicher Weise wie Zeiten von Privatdienstverträgen mit beamteten Hochschullehrern aufgrund von Drittmittelverträgen als Beschäftigungszeit bei der Beklagten anerkannt werden.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß ihre Tätigkeit in der Zeit vom 1. März 1978 bis 31. Dezember 1986 als Beschäftigungszeit bei der Beklagten gelte.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die tariflichen Voraussetzungen für die Anrechnung der Zeit der Tätigkeit der Klägerin aufgrund des mit der AdL abgeschlossenen Arbeitsvertrages als Beschäftigungszeit bei der Beklagten lägen nicht vor. Ein Arbeitsverhältnis mit der HUB sei erst durch den Überleitungsvertrag mit Wirkung ab dem 1. Januar 1987 begründet worden. Die Anerkennung der Tätigkeit der Klägerin bei der AdL seit dem 1. März 1978 aufgrund des maschinenschriftlichen Zusatzes im Überleitungsvertrag habe nur Bedeutung für Ansprüche gehabt, die nach den damaligen arbeitsrechtlichen Vorschriften von der Betriebs Zugehörigkeit abhingen, wie z.B. für Treueprämien und betriebskollektivvertragliche Prämienregelungen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Abweisung der Klage. Die Zeit der Tätigkeit der Klägerin vor dem 1. Januar 1987 ist nicht als Beschäftigungszeit bei der Beklagten nach § 19 BAT-O anzurechnen.

I. Die tariflichen Voraussetzungen einer Anrechnung liegen nicht vor.

1. Die die Beschäftigungszeit regelnden Bestimmungen des § 19 BAT-O sowie die Übergangsvorschriften dazu haben, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut:

„Beschäftigungszeit

(1) Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.

(2) Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, so werden die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des Absatzes 1 als Beschäftigungszeit angerechnet.

Übergangs vor schritten für die Zelten vor dem 1. Januar 1991:

  1. Als Übernahme im Sinne des Absatzes 2 gilt auch die Überführung von Einrichtungen nach Artikel 13 des Einigungsvertrages.
  2. Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere Arbeitgeber weggefallen, ohne daß eine Überführung nach Artikel 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist, gelten als Beschäftigungszeit nach Maßgabe des Absatzes 1

b) für Angestellte der Länder

Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit das Land deren Aufgabe bzw. Aufgabenbereiche derselben ganz oder überwiegend übernommen hat,

…”

2. Eine Anrechnung der Zeit der Tätigkeit der Klägerin in dem Institut für Pflanzenschutzforschung der AdL in K. nach § 19 Abs. 1 BAT-O scheidet aus.

Nach dieser Bestimmung muß die Beschäftigungszeit bei demselben Arbeitgeber zurückgelegt worden sein. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. BAG Urteile vom 1. Juni 1995 – 6 AZR 792/94 – n.v., zu II 1 a der Gründe und vom 20. Februar 1997 – 6 AZR 772/95 – n.v., zu II 1 a der Gründe) voraus, daß das Arbeitsverhältnis mit derselben Person im Rechtssinne bestanden hat. Hieran fehlt es. Das Institut für Pflanzenschutzforschung der AdL in K. war mit der HUB nicht identisch. Auch ist die HÜB für die Zeit vor dem 1. Januar 1987 nicht selbst als Arbeitgeber anzusehen, weil sie sich gegenüber der Klägerin wie ein Arbeitgeber verhalten und die Klägerin ausschließlich die Belange der HUB wahrgenommen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es insoweit darauf an, daß der Arbeitsvertrag mit derselben Person im Rechtssinne bestanden hat (vgl. BAG Urteil vom 20. Februar 1997 – 6 AZR 713/95 – AP Nr. 13 zu § 19 BAT-O m.w.N.). So hat der Senat im Urteil vom 18. Januar 1996 (– 6 AZR 346/95 – n.v., zu 1 a der Gründe) ausgeführt, daß zum Beispiel weder eine kapitalmäßige Beteiligung noch die Ausübung der Rechts- oder Fachaufsicht erheblich sei. Auch im Urteil vom 19. Juni 1997 (– 6 AZR 140/96 – n.v., zu I 3 b der Gründe) hat der Senat bei Prüfung der Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 BAT-O der Tatsache, daß die dortige Klägerin nach dem Inhalt ihres Arbeitsvertrags eine Tätigkeit für die HUB wahrnahm, dem Leiter einer Außenstelle der HUB unterstellt war und auch sonst organisatorische Verbindungen zur HUB hatte, keine rechtliche Bedeutung beigemessen.

Der Hinweis der Klägerin auf die Urteile des Siebten Senats vom 15. Mai 1987 (– 7 AZR 544/85 – n.v.) und des Zweiten Senats vom 26. Mai 1983 (– 2 AZR 439/81 – AP Nr. 78 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag) rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. In der Entscheidung des Zweiten Senats ging es um die befristungsrechtliche Bedeutung sog. Privatdienstverträge mit Hochschullehrern im Rahmen der Protokollerklärung Nr. 1 der SR 2 y BAT, also um einen anderen rechtlichen Zusammenhang. Die Entscheidung des Siebten Senats betraf die Beschäftigungszeit im Rahmen der Bestimmung des § 53 Abs. 3 BAT. Der Beschluß der Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder vom 21. Dezember 1976, auf den der Siebte Senat in dieser Entscheidung Bezug genommen hat, sieht vor, daß Zeiten, in denen Angestellte bei Universitäten, technischen Hochschulen usw. aus Beiträgen Dritter vergütet wurden, ohne daß ein Arbeitsverhältnis zum Land vorgelegen hat, bei anschließender Einstellung dieser Angestellten in die vorgenannten Einrichtungen des Landesdienstes als Beschäftigungszeiten nach § 19 BAT berücksichtigt werden können, wenn während dieser Zeiten die Arbeitsbedingungen – insbesondere die Vergütung – nach den Vorschriften des BAT geregelt waren und im übrigen die tariflichen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung dieser Zeiten gegeben sind (vgl. Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmarm/Pühler, BAT, Stand Oktober 1997, § 19 Erl. 1 Hinweis 1). Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf die Beschäftigung der Klägerin bei der AdL nicht vor.

3. Die Anrechnung ergibt sich auch nicht aus Nr. 1 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O. Zwar ist die Humboldt-Universität zu Berlin als nachgeordnete Einrichtung des Ministeriums für Fach- und Hochschulwesen der ehemaligen DDR auf die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts überführt worden. Demgemäß ist die Beschäftigungszeit der Klägerin bei der Humboldt-Universität seit dem 1. Januar 1987 anerkannt worden. Eine Überführung des Instituts für Pflanzenschutzforschung der AdL in K ist aber nicht ersichtlich.

4. Die Anrechnung ergibt sich auch nicht aus Nr. 2 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O.

Das Landesarbeitsgericht hat sich mit dieser Übergangsvorschrift nicht auseinandergesetzt und auch keine Feststellungen zu einer möglichen Übernahme von Aufgaben oder eines Aufgabenbereichs getroffen. Dennoch ist die Sache auch insoweit entscheidungsreif.

Eine Übernahme der gesamten Aufgaben der AdL bzw. des angegliederten Instituts für Pflanzenschutzforschung wurde nicht behauptet. Zur Übernahme eines Aufgabenbereichs hat die Klägerin in der Berufungsinstanz jedoch vorgetragen. In ihrem Schriftsatz vom 19. Dezember 1995 hat sie darauf verwiesen, daß sie die während der Zeit ihrer Tätigkeit bei der AdL für die HUB begonnenen Forschungsvorhaben auch nach Abschluß des Überleitungsvertrages fortgeführt habe. Dies reicht jedoch zur Darlegung der Übernahme eines Aufgabenbereichs nicht aus. Ein Aufgabenbereich erfordert einen im Rahmen der jeweiligen Einrichtung organisatorisch eigenständigen bzw. abgrenzbaren Teilbereich. Ein Aufgabenbereich grenzt sich damit von bloß arbeitsplatzbezogenen Tätigkeiten des jeweiligen Arbeitnehmers, auf die es nicht ankommt, ab (vgl. BAG Urteile vom 7. August 1997 – 6 AZR 152/96 – n.v.; vom 29. Februar 1996 – 6 AZR 472/95 – AP Nr. 10 zu § 19 BAT-O; vom 28. März 1996 – 6 AZR 561/95 – AP Nr. 5 zu § 19 BAT-O und vom 25. Juli 1996 – 6 AZR 673/95 – AP Nr. 11 zu § 19 BAT-O).

II. Da die tariflichen Voraussetzungen für eine Anrechnung der Zeit der Tätigkeit der Klägerin bei der AdL als Beschäftigungszeit nicht vorliegen, kommt allein die vom Berufungsgericht geprüfte Anrechnung wegen des maschinenschriftlichen Zusatzes im Überleitungsvertrag in Betracht. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung dieser vertraglichen Zusatzvereinbarung hält aber einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Bei dem maschinenschriftlichen Zusatz im formularmäßigen Überleitungsvertrag handelt es sich um eine sog. nichttypische Erklärung, deren Auslegung in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden kann, ob sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt geblieben sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG Urteil vom 18. April 1996 – 6 AZR 623/95 – AP Nr. 12 zu § 19 BAT-O und Urteil vom 19. Juni 1997 – 6 AZR 140/96 – n.v.). Auch bei Beachtung dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs ist die Auslegung durch das Landesarbeitsgericht revisionsrechtlich zu beanstanden, da wesentliche Umstände nicht berücksichtigt worden sind.

2. Der Senat hat sich im Urteil vom 19. Juni 1997 (– 6 AZR 140/96 – n.v., zu II 2 b der Gründe) bei Prüfung der Auslegung eines maschinenschriftlichen Zusatzes in einem Überleitungsvertrag und unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 18. April 1996 (– 6 AZR 623/95 – AP Nr. 12 zu § 19 BAT-O) angenommen, daß die Tarifvertragsparteien mit § 19 BAT-O und den Übergangsvorschriften eine Regelung über die Anrechnung als Beschäftigungszeit getroffen haben, die es – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – ausschließt, die Anerkennung von Betriebszugehörigkeitszeiten in Überleitungsverträgen nach dem AGB-DDR generell der Anrechnung von Beschäftigungszeiten nach § 19 BAT-O gleichzusetzen. Daran ist festzuhalten.

Vorliegend kommt hinzu, daß der maschinenschriftliche Zusatz im Überleitungsvertrag ausdrücklich auf die „Vergünstigungen entsprechend BKV der HUB zu Berlin” Bezug nimmt, was ein weiterer Anhaltspunkt dafür ist, daß sich der rechtsgeschäftliche Verpflichtungswille lediglich auf Vergünstigungen bezog, die nach der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Überleitungsvertrages geltenden Rechtslage von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhingen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Matiaske, R. Schwarck

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087118

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