Entscheidungsstichwort (Thema)

Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Zusatzversorgung der Deutschen Bundespost

 

Normenkette

Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) § 42; Versorgungstarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost § 3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EGVtr Art. 119; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 12.08.1994; Aktenzeichen 8 Sa 84/93)

ArbG Hamburg (Urteil vom 08.06.1993; Aktenzeichen 25a Ca 406/92)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 12. August 1994 – 8 Sa 84/93 – wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. Juni 1990 die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie auch in der Zeit vom 3. Mai 1971 bis zum 31. Dezember 1987 bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) versichert gewesen wäre.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Umfang des Zusatzversorgungsanspruchs, den die Klägerin seit dem 1. Juni 1990 hat.

Die am 6. Mai 1930 geborene Klägerin war vom 3. Mai 1971 bis zum 31. Mai 1990 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Angestellte in Teilzeit beschäftigt. Ihre wöchentliche Arbeitszeit belief sich durchgängig auf 18,4 Stunden. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft Vereinbarung die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung.

Nach § 42 TV Ang sind die Angestellten bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrages der Deutschen Bundespost in seiner jeweiligen Fassung zu versichern. § 3 des Versorgungstarifvertrages bestimmte vom 1. Januar 1988 bis zum 31. März 1991:

„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

  1. er das 17. Lebensjahr vollendet hat,
  2. er vom Beginn der Pflicht zur Versicherung an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Wartezeit nach der Satzung der VAP erfüllen kann, wobei frühere Zeiten, die auf die Wartezeit angerechnet werden, zu berücksichtigen sind,
  3. seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens 18 Stunden beträgt.”

Die bis zum 31. Dezember 1987 § 3 Buchst. c Versorgungstarifvertrag entsprechende Vorschrift des § 3 Buchst. b lautete:

„seine arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit mindestens die Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Wochenarbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Arbeitnehmers beträgt.”

Seit dem 1. April 1991 gilt § 3 Buchst. c in der folgenden Fassung:

„Der Arbeitnehmer ist bei der VAP nach Maßgabe der Satzung und ihrer Ausführungsbestimmungen zu versichern, wenn

c) er in einem Arbeitsverhältnis steht, in dem er nicht nur im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV geringfügig beschäftigt ist.”

Die Klägerin, die aufgrund der von ihr geschuldeten Wochenarbeitszeit erst seit dem 1. Januar 1988 bei der VAP versichert war, ist am 31. Mai 1990 altersbedingt aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Sie bezieht seither die gesetzliche Rente. Sie hat den Standpunkt eingenommen, sie müsse neben ihrer gesetzlichen Rente eine Zusatzversorgung erhalten, als wäre sie während ihres gesamten Arbeitsverhältnisses bei der VAP versichert gewesen. Die tarifliche Regelung, die unterhälftig beschäftigte Arbeiter von der Zusatzversorgung ausschließe, sei nichtig.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr ab Juni 1990 die Versorgungsleistungen zu verschaffen, die ihr zustünden, wenn sie auch in der Zeit vom 3. Mai 1971 bis 31. Dezember 1987 bei der VAP versichert gewesen wäre.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die tarifliche Bestimmung für wirksam. Sie verstoße weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen Art. 119 EG-Vertrag. Jedenfalls dürfe der Gleichheitssatz nicht rückwirkend zu Lasten der Beklagten angewendet werden. Dies gelte besonders, weil sich hieraus eine zusätzliche Kostenbelastung von etwa 12,5 Millionen DM ergeben würde. Darüber hinaus sei der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 119 EG-Vertrag und dem Zusatzprotokoll des Vertrages von Maastricht zu Art. 119 EG-Vertrag zu entnehmen, daß eine rückwirkende Anwendung des Gleichheitssatzes im Betriebsrentenrecht für Zeiten vor dem 17. Mai 1990 ausscheide.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin hinsichtlich der Zusatzversorgung so zu stellen, als wäre sie während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost versichert gewesen.

A. Der Senat hat davon abgesehen, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile des Senats vom 7. März 1995 (– 3 AZR 583/94 – und – 3 AZR 625/94 – n.v.) auszusetzen. Die Klägerin hat ein Recht darauf, daß die Fachgerichte ihren Anspruch abschließend beurteilen. Dieses Interesse überwiegt im Hinblick auf das Alter der Klägerin gegenüber den Interessen der Beklagten, weitere Prozeßkosten zu ersparen. Überdies steht nicht fest, ob die Beklagte in diesem Verfahren Verfassungsbeschwerde einlegen wird. Die von der Beklagten vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken waren im wesentlichen bereits Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil vom 28. Juli 1992 (BAGE 71, 29 = AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung), die das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 7. Februar 1994 (– 1 BvR 1749/92 –) ohne weitere Begründung nicht zur Entscheidung angenommen hat. Der Senat wird auf diese Bedenken gleichwohl ebenso wie auf die auf Europarecht gestützten Überlegungen der Beklagten noch einmal eingehen. Erst danach kann die Beklagte entscheiden, ob sie Verfassungsbeschwerde einlegen will.

B. Gegenstand des Rechtsstreits ist, wie in der Urteilsformel klarzustellen war, die Feststellung einer Verschaffungspflicht der Beklagten.

Der hierauf gerichtete Antrag ist zulässig.

I. Er ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die für den Inhalt des Anspruchs maßgeblichen Umstände stehen zwischen den Parteien fest. Dies gilt für den Zeitraum, sowie die Art und den Umfang der Tätigkeit, für die die Klägerin die zusätzliche Altersversorgung beansprucht.

II. Für den Antrag besteht auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

1. Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis i.S. des § 256 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin ist Rentnerin. Der Versorgungsfall ist eingetreten.

2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Inhalts ihres Verschaffungsanspruchs. Dies gilt auch dann, wenn der Versorgungsfall eingetreten und deshalb eine Leistungsklage an sich möglich ist. Der Vorrang der Leistungsklage gilt nicht uneingeschränkt. Er dient der prozeßwirtschaftlich sinnvollen Erledigung von Rechtsstreitigkeiten. Dementsprechend ist eine Feststellungsklage zulässig, wenn auf diesem Weg eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozeßwirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen. Im vorliegenden Fall erfordert die Bezifferung der Versorgungsleistungen zum einen die Aufklärung länger zurückliegender Sachverhalte, zum anderen aufwendige und schwierige Berechnungen, die wegen des differenzierten Systems der Zusatzversorgungskasse und der zahlreichen Satzungsänderungen nur von besonders geschulten Personen zuverlässig durchgeführt werden können. Beiden Parteien kann dieser Aufwand erst dann zugemutet werden, wenn feststeht, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine den tariflichen Vorschriften entsprechende Versorgung zu verschaffen (BAG Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu A III 2 b der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

C. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte muß der Klägerin die geforderten Versorgungsleistungen verschaffen. Dies folgt aus § 42 TV Ang. Der Ausschluß der unterhälftig beschäftigten Arbeitnehmer von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist jedenfalls insoweit unwirksam, als er die mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräfte von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausschließt. Das hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. zuletzt Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO; Urteil vom 16. Januar 1996 – 3 AZR 767/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Er hält an seiner Rechtsprechung trotz der von der Beklagten vorgebrachten Bedenken fest.

I. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz oder zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. Dies wird im Urteil des Senats vom 7. März 1995 (aaO) näher ausgeführt. Auf die Begründung kann der Senat Bezug nehmen.

II. Der bis zum 31. März 1991 geltende Ausschluß von mehr als geringfügig beschäftigten Teilzeitkräften wird den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gerecht. Der Senat hat den Inhalt des Gleichheitssatzes im Urteil vom 7. März 1995 beschrieben. Er ist zu der Überzeugung gelangt, daß es keine sachlich einleuchtenden Gründe für eine Gruppenbildung gab, die allein auf den zeitlichen Umfang der Arbeit abstellt.

1. In diesem Zusammenhang hat der Senat die Auffassung vertreten, es komme nicht darauf an, welche Rechtsüberzeugungen während der Zeit bestanden, in der nach dem Versorgungstarifvertrag unterhälftig beschäftigte Arbeitnehmer von der Zusatzversorgung ausgeschlossen waren (Urteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – aaO, zu B II 2 d bb der Gründe). Demgegenüber wird vertreten, der Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG habe sich trotz gleichen Wortlauts im Laufe der Zeit geändert. Art. 3 Abs. 1 GG habe mindestens bis 1986 die Differenzierung nach dem zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung gestattet. Das habe einer allgemeinen Rechtsüberzeugung entsprochen. Erst ab 1986 habe Art. 3 Abs. 1 GG einen anderen Inhalt.

Der Senat kann dieser Auffassung nicht folgen. Zwar kann eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu einer Änderung der Beurteilung einer Rechtsfrage führen. Im vorliegenden Fall haben sich aber die tatsächlichen Verhältnisse in bezug auf Teilzeitarbeit nicht entscheidend geändert. Lediglich die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat zugenommen. Die Rechtsfrage, wie Teilzeit arbeitsrechtlich zu ordnen ist, ist die gleiche geblieben.

Von der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist eine Änderung der jeweiligen Rechtsauffassung, der Wandel der Rechtserkenntnisse, zu unterscheiden. Ein solcher Wandel führt aber nicht schon zu einer Änderung der Norm. Er kann allenfalls einer Rechtsprechung entgegenstehen, welche die heutigen Vorstellungen auf Sachverhalte überträgt, die längere Zeit zurückliegen. Hierauf ist noch einzugehen.

2. Im übrigen verweist der Senat, was die Gruppenbildung und deren rechtliche Beurteilung betrifft, auf seine Ausführungen im bereits erwähnten Urteil vom 7. März 1995.

III. Der Verstoß der tariflichen Regelung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG führt zur Unwirksamkeit der Ausschlußregelung. Im übrigen sind die tarifvertraglichen Versorgungsregelungen einschließlich der den Versorgungsanspruch begründenden Grundregel des § 42 TV Ang wirksam. Die Unwirksamkeit des Ausnahmetatbestandes, der die Klägerin ausgrenzte, führt zur Anwendbarkeit der Grundregel. Gegen diese rechtliche Würdigung hat die Beklagte keine Gesichtspunkte vorgetragen. Der Senat kann deshalb auf seine Ausführungen im Urteil vom 7. März 1995 Bezug nehmen.

IV. Der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Belastungen führt nicht zum Wegfall oder zu einer Einschränkung des Verschaffungsanspruchs. Der von der Beklagten geltend gemachte Rückwirkungsschutz kann auch nicht auf Europarecht gestützt werden.

1. Der Senat unterscheidet zwischen der Änderung der Rechtsprechung und einer Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze. Die Änderung der objektiven Rechtslage durch neue Gesetze kann nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit einem Wandel der Rechtsauffassungen. Jedenfalls gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je stärker die Rechtsprechung sich der Rechtssetzung nähert, etwa im Bereich der Rechtsfortbildung. Umgekehrt gilt, daß jeder Richter seiner Entscheidung die Erkenntnisse zugrunde legen muß, die er hier und heute gewinnt. Auch das hat der Senat eingehend im Urteil vom 7. März 1995 dargelegt (zu B IV 1 und 2 der Gründe). Hierauf wird zunächst Bezug genommen. Im übrigen ist ergänzend auszuführen:

a) Die Erwartung eines Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien, die beschlossene oder vereinbarte Regelung sei rechtlich nicht zu beanstanden, ersetzt keine fehlenden Sachgründe. Weder verbreitete Rechtsansichten noch eine Rechtsprechung verändern die objektive Rechtslage. Auch im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt ein Vertrauen darauf entstehen kann, daß die Gerichte trotz besserer Erkenntnisse ihre Rechtsprechung nicht mehr für zurückliegende Zeiträume ändern. Zumindest hat eine Interessenabwägung zu erfolgen, die nicht nur Ursache und Umfang eines Vertrauens in eine bestimmte Gesetzesauslegung, sondern auch die Idee der materiellen Gerechtigkeit zu berücksichtigen hat, die eine objektiv richtige Rechtsanwendung erfordert. Da die Rechtsprechung zum Gleichbehandlungsgrundsatz und zum Gleichheitssatz nicht abgeschlossen war, sondern sich erkennbar fortentwickelte, konnte allenfalls ein eingeschränktes Vertrauen in die bisherige Rechtsanwendung entstehen. Wie der Senat im Urteil vom 7. März 1995 näher ausgeführt hat, verdient das Interesse der Beklagten, von zusätzlichen Belastungen und Verwaltungsmehraufwand verschont zu bleiben, keinen Vorrang gegenüber dem Interesse der benachteiligten Arbeitnehmer an der uneingeschränkten Beachtung des Gleichheitssatzes.

b) Der Senat hat die sich aus der Rechtsprechung ergebenden finanziellen Belastungen in seine Abwägungen einbezogen und nicht gering geschätzt. Die voraussichtlichen Mehrkosten sind aber zu den Gesamtkosten in Beziehung zu setzen, welche die Beklagte für die Zusatzversorgung und für die Vergütung ihrer Arbeitnehmer aufwenden muß. Außerdem sind die Interessen des Arbeitgebers und die Interessen der Arbeitnehmer an der Durchsetzung ihrer Rechte abzuwägen. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist in besonderem Maße Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit. Seiner besonderen Bedeutung entspricht es, daß grundsätzlich auch für zurückliegende Zeiträume gleiche Entgelte für gleiche Arbeit zu leisten sind und nicht ohne sachlichen Grund bestimmte Personengruppen vorübergehend schlechter behandelt werden dürfen, selbst wenn der Verstoß gegen den Gleichheitssatz erst nachträglich erkannt wird. Bei dieser Abwägung kann die behauptete Mehrbelastung von 12,5 Mio. DM für ein Unternehmen von der Größe der Beklagten keine ausschlaggebende Bedeutung haben.

c) Die Tarifvertragsparteien konnten mit ihrer Regelung aus dem Jahre 1992 (Änderung des Tarifvertrages und Einbeziehung von Teilzeitbeschäftigten mit Ausnahme der geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer) die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht für die Zeit vor dem 1. April 1991 ausschließen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist Teil der objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (vgl. Nachweise im Urteil des Senats vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 –, aaO, zu B II 2 a der Gründe).

2. Auf Art. 119 EG-Vertrag und auf die in Maastricht beschlossene Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag kann sich die Beklagte zur Begründung ihres Anspruchs auf Vertrauensschutz nicht berufen. Mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen hat die vorliegende Entscheidung nichts zu tun. Es geht nur um die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten. Das Geschlecht der Arbeitnehmer spielt bei der Entscheidung des Senats keine Rolle. Die Entscheidung hängt nicht davon ab, ob Frauen und Männer in unterschiedlichem Umfang betroffen sind.

Für die Auffassung der Beklagten, die in Maastricht beschlossene Protokollerklärung zu Art. 119 EG-Vertrag enthalte einen allgemeinen Grundsatz, nach dem jede Rückwirkung in allen Fragen der Ungleichbehandlung ausgeschlossen sei, bieten weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte dieser Norm Anhaltspunkte. Es kann in dieser Bestimmung nur um eine Beschränkung der rückwirkenden Belastungen aus der Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 119 EG-Vertrag gehen. Diese Auslegung der Protokollerklärung ist entgegen der Auffassung der Beklagten derart offenkundig, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Europäischen Gerichtshof selbst kein Raum für einen vernünftigen Zweifel am Auslegungsergebnis bleiben kann. Der Senat brauchte deshalb die Sache nicht dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung darüber vorzulegen, ob die Protokollerklärung der Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf zurückliegende Zeiten entgegenstehen kann (Art. 177 EG-Vertrag). Im übrigen hat der Europäische Gerichtshof bereits klargestellt, daß das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügte Protokoll Nr. 2 zu Art. 119 EG-Vertrag sogar in dessen Anwendungsbereich keine Auswirkung auf den Anspruch auf Anschluß an ein Betriebsrentensystem hat (EuGH Urteile vom 28. September 1994 – Rs C-57/93 – „Vroege”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 32; – Rs C-128/93 – „Fisscher”, EAS Art. 119 EG-Vertrag Nr. 33).

V. Der Anspruch auf Verschaffung der Versorgung ist nicht verjährt. Die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung einzelner Raten können zwar verjähren. Die Verjährung beginnt aber erst mit der Entstehung des Anspruchs. Die streitigen Ansprüche der Klägerin für die Zeit ab 1. Juni 1990 sind nicht verjährt. Die Klage wurde vor dem 31. Dezember 1992 erhoben. Zwar lautete der ursprüngliche Antrag nur auf eine Nachversicherung der Klägerin für die erste Zeit ihres Arbeitsverhältnisses. Dieser Antrag war jedoch von Anfang an erkennbar auf die Verschaffung einer entsprechend höheren Zusatzversorgung ab dem 1. Juni 1990 gerichtet.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Michels, Buschmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI952018

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