Entscheidungsstichwort (Thema)
Jahressonderzahlung bei langjähriger Arbeitsunfähigkeit
Normenkette
BGB §§ 611, 242; AFG § 105a
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.01.1997; Aktenzeichen 2 Sa 55/96) |
ArbG Reutlingen (Urteil vom 18.04.1996; Aktenzeichen 2 Ca 10/96) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 15. Januar 1997 – 2 Sa 55/96 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die 47-jährige Klägerin ist seit Juli 1979 bei der Beklagten als Maschinenarbeiterin beschäftigt. Seit dem 21. August 1989 ist sie arbeitsunfähig krank. Sie erhielt zunächst von der Beklagten Lohnfortzahlung und anschließend bis zum 21. Februar 1991 von der Krankenkasse Krankengeld. Anschließend zahlte das Arbeitsamt ab dem 22. Februar 1991 Arbeitslosengeld und später Arbeitslosenhilfe, nachdem die Beklagte am 18. Februar 1991 die dafür erforderliche Arbeitsbescheinigung ausgestellt hatte. Im Jahre 1995 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente, der jedoch abgelehnt wurde.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet u.a. der Firmentarifvertrag über die Zahlung eines 13. Monatseinkommens vom 19. Juli 1994 (im folgenden: TV-Sonderzahlung) Anwendung. In diesem heißt es – soweit vorliegend von Interesse –:
„§ 2
…
4. Der Anspruch auf das 13. Monatseinkommen (Jahressonderzahlung) setzt voraus, daß der Anspruchsberechtigte am Auszahlungstag in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bzw. in einem Ausbildungsverhältnis steht und dem Unternehmen über 6 Monate desselben Kalenderjahres ununterbrochen angehörte. Diejenigen Mitarbeiter, die am Auszahlungstag in einem gekündigten Arbeitsverhältnis stehen, aber dem Unternehmen am Auszahlungstag noch angehören, haben auf ihr entsprechendes 13. Monatseinkommen (Jahressonderzahlung) Anspruch.
…”
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin die Jahressonderzahlung für das Jahr 1995 in der unstreitigen Höhe von 2.367,65 DM brutto nebst 10 % Zinsen aus dem daraus sich ergebenden Nettobetrag.
Sie verweist darauf, daß ihr Arbeitsverhältnis zur Beklagten ungekündigt fortbesteht. Sie könne ihre Arbeit jederzeit wieder aufnehmen, wenn die Beklagte ihr einen anderen Arbeitsplatz, etwa in der Warenausgangskontrolle, zuweise. Auch die Beklagte gehe offenbar davon aus, daß das Arbeitsverhältnis fortbestehe. Noch im Februar 1996 sei sie aufgefordert worden, sich beim Betriebsarzt vorzustellen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß die Klägerin zwar alle Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 4 TV-Sonderzahlung erfülle, das zwischen den Parteien unbefristete Arbeitsverhältnis sei aber nur noch formaler Natur und könne als solches einen Anspruch auf die Jahressonderzahlung nicht begründen.
Diese Entscheidung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
II.1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß die Klägerin auch im Jahre 1995 die tariflichen Voraussetzungen für die Zahlung einer Jahressonderzahlung erfüllt. Sie steht nach wie vor in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Der Tarifvertrag sieht eine Kürzung oder einen Wegfall der Jahressonderzahlung für Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung oder für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, nicht vor.
2. Gleichwohl ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts zutreffend, daß dieses unbefristet fortbestehende Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nur noch formaler Natur ist.
Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 28. September 1994 (– 10 AZR 805/93 – AP Nr. 168 zu § 611 BGB Gratifikation) ausgesprochen, daß ein Arbeitnehmer, der nach langjähriger Arbeitsunfähigkeit und Aussteuerung durch die Krankenkasse zunächst Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG erhält und später eine Rente beantragt, keinen Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung mehr hat, obwohl das Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht, wenn auch der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitsamt auf das Direktionsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer verzichtet hat. Er hat diese Rechtsprechung in seiner Entscheidung vom 9. August 1995 (– 10 AZR 539/94 – AP Nr. 181 zu § 611 BGB Gratifikation) fortgeführt und bestätigt.
Die gleichen Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle erfüllt. Die Klägerin war am Auszahlungstag für die Jahressonderzahlung 1995 mehr als sechs Jahre ununterbrochen arbeitsunfähig krank und hat für die Beklagte keine Arbeitsleistung mehr erbracht. Sie hat nach der Aussteuerung durch die Krankenkasse Leistungen der Arbeitslosenversicherung bezogen und später einen Rentenantrag gestellt. Die Beklagte hat die für den Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung erforderliche Arbeitsbescheinigung 1991 ausgestellt. Sie hat darin zwar nicht ausdrücklich erklärt, daß sie auf ihr Direktionsrecht gegenüber der Klägerin verzichtet, damit jedoch davon Kenntnis erhalten, daß die Klägerin nunmehr Arbeitslosengeld beantragt hat. Sie konnte damit davon ausgehen, daß die Klägerin nicht beabsichtige, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.
3. Die von der Kläger dagegen vorgebrachten Einwände können zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen.
a) Wenn die Klägerin vorträgt, sie hätte die Arbeit wieder aufnehmen können, wenn die Beklagte ihr einen anderen Arbeitsplatz zugewiesen hätte, so besagt das für sich allein noch nicht, daß die Klägerin an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses interessiert war und dies der Beklagten auch deutlich gemacht hat. Sie trägt nicht vor, daß sie die Beklagte aufgesucht und dieser erklärt habe, sie könne auf einem anderen ungefährlichen Arbeitsplatz ohne weiteres arbeiten.
b) Die Klägerin hat erklärt, sie habe sich nicht für eine Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger entschieden, weil sie damit die bisher erworbenen Rentenanwartschaften verloren hätte. Auch wenn dies eine vernünftige nachvollziehbare Überlegung ist, wird daraus doch deutlich, daß die Klägerin sich dafür entschieden hat, es bei ihrem Gesundheitszustand zu belassen, der einer Wiederaufnahme ihrer vertraglich geschuldeten Tätigkeit bei der Beklagten nach ihrem Vorbringen entgegenstand. Ihr mußte damit aber gleichzeitig klar sein, daß eine Reaktivierung ihres Arbeitsverhältnisses nicht oder jedenfalls nicht in absehbarer Zeit in Frage kam.
Bei dieser Sachlage ist es auch unerheblich, ob die Klägerin nach Aussteuerung durch die Krankenkasse Arbeitslosengeld beantragt hat schon mit der Absicht, alsbald einen Rentenantrag zu stellen. Diesen Antrag zu stellen war sie ohnehin gehalten, wenn sie trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit Arbeitslosengeld erhalten wollte.
c) Unerheblich ist das Vorbringen der Klägerin, die Tarifvertragsparteien des TV-Sonderzahlung hätten gerade nicht die Absicht gehabt, die Jahressonderzahlung für Jahre ohne tatsächliche Arbeitsleistung entfallen zu lassen. Das mag zutreffen. Die Regelung der Anspruchsvoraussetzungen in § 2 Abs. 4 TV-Sonderzahlung machen in der Tat den Anspruch auf die Sonderzahlung nicht von einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig. Gerade auf solche Fälle bezieht sich aber die Rechtsprechung des Senats, daß ein rechtlich fortbestehendes Arbeitsverhältnis unter gewissen Umständen nur noch rein formaler Natur ist und deswegen trotz Fehlens einer entsprechenden Regelung keinen Anspruch auf die Sonderzahlung mehr begründen kann.
d) Auch der Umstand, daß der Betriebsarzt die Klägerin Anfang 1996 aufgefordert hat, sich bei ihm vorzustellen, besagt nichts dafür, daß beide Parteien während der gesamten Zeit der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin davon ausgegangen sind, dieses Arbeitsverhältnis sei nur vorübergehend durch Krankheit unterbrochen und werde demnächst fortgesetzt werden. Die Klägerin hat der Aufforderung nicht einmal Folge geleistet. Ob der Betriebsarzt auf Veranlassung der Beklagten tätig geworden ist, ist nicht ersichtlich. Sollte dies der Fall sein, wäre dies schon im Hinblick darauf verständlich, daß die Klägerin nunmehr erstmals seit Jahren sich wieder gemeldet und die Jahressonderzahlung für 1995 verlangt hatte.
4. Die Klägerin hat in der Revisionsbegründung erstmals vorgetragen, daß die Beklagte an andere Arbeitnehmer, von denen sie zwei namentlich benennt, trotz langandauernder Arbeitsunfähigkeit die Jahressonderzahlung gezahlt habe. Sie meint, der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichte daher die Beklagte, auch ihr die Jahressonderzahlung zu gewähren.
Mit diesem neuen Vorbringen kann die Klägerin in der Revisionsinstanz nicht mehr gehört werden. Darüber hinaus ist aus ihrem Vorbringen nicht ersichtlich, ob die Fälle tatsächlich gleich lagen. Die Klägerin war immerhin schon sechs Jahre arbeitsunfähig krank. Ob die anderen Arbeitnehmer vergleichsweise ebenso lange krank waren und wie diese sich während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit verhalten haben, ist nicht ersichtlich.
Das Landesarbeitsgericht hat damit die Klage zu Recht abgewiesen, so daß die Revision der Klägerin unbegründet ist und zurückgewiesen werden mußte. Die Kosten der erfolglosen Revision hat die Klägerin zu tragen.
Unterschriften
Matthes, Dr. Jobs, Böck, Bacher, Brose
Fundstellen