Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers
Normenkette
BGB §§ 611, 254
Verfahrensgang
LAG Bremen (Urteil vom 24.01.1986; Aktenzeichen 1 (5) Sa 131/85) |
ArbG Bremen (Urteil vom 06.03.1985; Aktenzeichen 5 Ca 5121/84) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 24. Januar 1986 – 1 (5) Sa 131/85 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Beklagte war bei dem Kläger seit 31. Oktober 1983 als Fahrer eines LKWs (Pritschenwagen) beschäftigt. Vor Arbeitsbeginn wurde er vom Kläger darauf hingewiesen, daß er jeden zweiten Tag den Ölstand zu kontrollieren und gegebenenfalls Öl nachzufüllen habe. Am ersten Arbeitstag fuhr der Beklagte zur Einweisung als Beifahrer auf dem Pritschenwagen mit. Vor Fahrtantritt füllte der Arbeitskollege, der fuhr, 2 1/2 Liter Öl nach. Ab 1. November 1983 übernahm der Beklagte das Fahrzeug. Dieses blieb am 4. November 1983 wegen Motorschadens liegen. Die Fahrleistung seit 31. Oktober 1983 betrug 720 Kilometer. Der LKW war sieben Jahre alt und hatte einen Kilometerstand von mehr als 300.000.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei der Verpflichtung zur Kontrolle des Ölstandes nicht nachgekommen.
Er hat mit dem Schadenersatzanspruch in Höhe von 3.413,73 DM gegen eine Lohnforderung des Beklagten in Höhe von 334,99 DM aufgerechnet und den Restbetrag verlangt.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.078,74 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 20. Januar 1984 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- den Kläger zu verurteilen, an ihn 334,99 DM nebst 4 % Zinsen seit seit 14. März 1984 zu zahlen.
Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage antragsgemäß verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter und bittet um Abweisung der Widerklage.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Es bedarf weiterer tatrichterlicher Feststellungen zum Grund des Anspruchs und zur Schadenshöhe sowie gegebenenfalls einer dem Tatrichter vorbehaltenen Abwägung der Gesamtumstände zur Festlegung des Haftungsanteils, der auf den Beklagten entfällt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Klageanspruch mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Zwar sei die Arbeit des Beklagten nicht schadensgeneigt gewesen. Die Grundsätze über die Haftungsbeschränkung bei gefahrgeneigter Arbeit seien jedoch bei jeder betrieblichen Tätigkeit anzuwenden. Ein Arbeitnehmer hafte seinem Arbeitgeber stets nur dann auf Schadenersatz, wenn er den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht habe.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Arbeit des Beklagten war nicht gefahrgeneigt. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Beklagte jeden zweiten Tag den Ölstand des ihm überlassenen LKWs zu kontrollieren und gegebenenfalls Öl nachzufüllen. Dies war keine gefahrgeneigte Tätigkeit. Als gefahrgeneigt wird eine Arbeit angesehen, die es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, daß auch dem sorgfältigsten Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die zwar für sich allein betrachtet vermeidbar sind, mit denen aber als einem typischen Abirren der Dienstleistung angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit erfahrungsgemäß zu rechnen ist (BAGE 5, 1, 7 = AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO, zu III 1 der Gründe; vgl. auch BAGE 49, 1, 4 = AP Nr. 86 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu B I 1 a der Gründe). Zwar wurde in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Arbeit eines Kraftfahrers in der Regel als gefahrgeneigt angesehen, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen können (vgl. BAGE 42, 130 = AP Nr. 82 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; BAGE 44, 170 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Der vorliegende Schaden ist aber nicht durch ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers beim Führen eines Kraftfahrzeugs entstanden, sondern allenfalls durch Nichtbeachtung einer Anweisung zur Wartung des Fahrzeugs. Hierbei fehlt es an der für die Teilnahme am Straßenverkehr typischen Gefahrenlage.
2. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe den Schaden jedenfalls nicht grob fahrlässig verursacht.
Der Begriff des Verschuldens und der der einzelnen Arten des Verschuldens, wie einfache oder grobe Fahrlässigkeit, sind Rechtsbegriffe (vgl. BGHZ 10, 14, 16 und 10, 69, 74). Die Feststellung ihrer Voraussetzungen liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet, wobei dem Tatrichter ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zusteht. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 – 1 AZR 362/67 – und vom 7. Juli 1970 – 1 AZR 505/69 – AP Nr. 42 und 58 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers und BAGE 23, 151 = AP Nr. 63 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Dieser eingeschränkten Nachprüfung halten die Ausführungen des Berufungsgerichts stand, soweit dieses grobe Fahrlässigkeit abgelehnt hat.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß es sich bei grober Fahrlässigkeit um eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes handelt, wobei eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung gegeben sein muß, die das gewöhnliche, nach § 276 BGB bestimmte Maß erheblich übersteigt. Mit dieser Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit befindet sich das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteile vom 13. März 1968 – 1 AZR 362/67 –, vom 22. Februar 1972 – 1 AZR 223/71 – und vom 20. März 1973 – 1 AZR 337/72 – AP Nr. 42, 70 und 72 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) wie auch des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 10, 14, 16).
Das Landesarbeitsgericht ist bei der Ablehnung grober Fahrlässigkeit zu Recht davon ausgegangen, dem Beklagten sei nicht ausreichend deutlich gemacht worden, daß der LKW einen erheblich über normal liegenden Ölverbrauch hatte. Allein aufgrund des Hinweises, den der Kläger ihm gegeben hatte, konnte der Beklagte nicht erkennen, daß die Unterlassung der Ölstandskontrolle die eingetretene Folge haben würde. Zwar war der vom Kläger angeordnete Zweitagesrhythmus außerordentlich kurz und ließ erkennen, daß der Wagen, wofür auch seine bisherige Fahrleistung sprach, viel Öl verbrauchen würde. Daß der Wagen aber einen so hohen Ölverbrauch hatte, daß ein nur einmaliges Versäumen der Kontrolle zum Totalschaden des Motors führen würde, brauchte der Beklagte dem Hinweis des Klägers nicht zu entnehmen. Hier hätte der Kläger deutlicher werden müssen.
3. Die Verneinung der groben Fahrlässigkeit führt jedoch entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht zur Klageabweisung. Dies würde auch gelten, wenn dem Landesarbeitsgericht darin zu folgen wäre, daß die für die gefahrgeneigte Arbeit geltenden Grundsätze über die Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers auf jede betriebliche Tätigkeit anzuwenden sind (vgl. Beschluß des Senats vom 12. Oktober 1989 – 8 AZR 741/87 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Für die gefahrgeneigte Arbeit hat der erkennende Senat in den Urteilen vom 24. November 1987 (BAGE 57, 47 und 57, 55 = AP Nr. 92 und 93 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) entschieden, daß Schäden, die ein Arbeitnehmer nicht grobfahrlässig verursacht hat, bei normaler Schuld in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu teilen und dabei die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen sind. Bei geringer Schuld des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber solche Schäden alleine zu tragen.
Die vom Landesarbeitsgericht allein auf das Fehlen grober Fahrlässigkeit gestützte Klageabweisung kann somit keinen Bestand haben.
III. Aufgrund der bisherigen Feststellungen kann über den Antrag des Klägers nicht entschieden werden, so daß der Rechtsstreit – auch hinsichtlich der Widerklage – noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die Sache ist daher gemäß § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu weiteren Feststellungen zu geben.
Das Landesarbeitsgericht wird zunächst feststellen müssen, ob der Motorschaden darauf beruhte, daß der Beklagte pflichtwidrig den Ölstand nicht kontrolliert hat. Trifft dies zu, wird das Landesarbeitsgericht die streitige Schadenshöhe klären müssen. Bei der Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welchem Verhältnis der Schaden zwischen den Parteien aufzuteilen ist, kommt es auf die vom Bundesarbeitsgericht bisher nicht entschiedene Frage, ob die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auch für nicht gefahrgeneigte Arbeiten gelten (vgl. Beschluß des Senats vom 12. Oktober 1989 – 8 AZR 741/87 – zur Veröffentlichung vorgesehen), nicht an. Als Grundlage für einen Schadensausgleich kommt hier die unmittelbare Anwendung des § 254 BGB in Betracht. Dabei wird das Landesarbeitsgericht prüfen müssen, ob ein mitwirkendes Verschulden den des Klägers darin zu sehen ist, daß er dem Beklagten von vornherein mangelhaftes Arbeitsmaterial (LKW mit außerordentlich hohem Ölverbrauch) zur Verfügung gestellt, nicht auf den besonderen Ölverbrauch und die möglichen Folgen der Versäumung der jeden zweiten Tag durchzuführenden Ölstandskontrolle hingewiesen und damit das Risiko schuldhaft erheblich erhöht hat.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Peifer, Dr. Wittek, Mache, Dr. Pühler
Fundstellen