Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Freizeitausgleich für Vorfesttagsarbeit für Empfänger einer Theaterbetriebszulage. Tarifauslegung. Anspruch auf Freizeitausgleich für Vorfesttagsarbeit von Empfängern der Theaterbetriebszulage/des Theaterbetriebszuschlags. Ersetzungsbefugnis der Arbeitgeberin (Zuschlag statt Freizeitausgleich)
Orientierungssatz
1. Durch die Theaterbetriebszulage/den Theaterbetriebszuschlag (TBZ) nach § 17 MTV-TdW wird auch der Anspruch auf Freizeitausgleich für Vorfesttagsarbeit nach § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW abgegolten.
2. Die Nichterwähnung dieses Anspruchs in dem Katalog der durch die TBZ abgegoltenen Ansprüche in § 17 Abs. 3 MTV-TdW, in dem unter Buchst. c auch der Anspruch auf den 100 %igen Zuschlag für Vorfesttagsarbeit aufgeführt ist, beruht auf einem Redaktionsversehen. Denn die Arbeitgeberin, der § 10 Abs. 4 Satz 3 MTV-TdW die an keine zusätzlichen Voraussetzungen gebundene Befugnis eingeräumt hat, für Vorfesttagsarbeit statt Freizeitausgleich den Vorfesttagszuschlag zu zahlen (Ersetzungsbefugnis), könnte sich beim TBZ-Empfänger der Erfüllung dieses Anspruchs nach Belieben entziehen, indem sie den TBZ-Empfänger auf den Anspruch auf den Vorfesttagszuschlag und sodann auf dessen Ausschluss nach § 17 Abs. 3 MTV-TdW verweist.
3. Bei Gewährung einer tariflichen Pauschale für ein Erschwernis, durch welche dieses nicht im Detail, sondern nach einem Durchschnittswert abgegolten werden soll, ist die mögliche Ungleichbehandlung von Leistungsempfängern in einer Einzelsituation in der Tarifregelung angelegt. Eine solche Ungleichbehandlung gleicht sich bei sachgerechter Verteilung der Erschwernis auf die Empfänger der Pauschale über längere Sicht aus.
Normenkette
TVG § 1 Auslegung
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 04.07.2006; Aktenzeichen 3 Sa 1964/05) |
ArbG Berlin (Urteil vom 28.07.2005; Aktenzeichen 75 Ca 9931/05) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 4. Juli 2006 – 3 Sa 1964/05 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob nach dem zwischen der Klägerin und der Rechtsvorgängerin der beklagten Gewerkschaft abgeschlossenen Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Theaterbetrieb der Klägerin durch die Theaterbetriebszulage/den Theaterbetriebszuschlag (nachfolgend: die TBZ) der Anspruch auf entsprechende Freizeit für Arbeit an Vorfesttagen abgegolten ist.
Die Klägerin betreibt in Berlin das Theater des Westens. Für ihr Unternehmen gilt der Manteltarifvertrag vom 1. Januar 1980 in der Fassung vom 1. Dezember 1995 (MTV-TdW), den die Klägerin, bis Ende 2002 als Eigenbetrieb des Landes Berlin geführt, mit der Gewerkschaft ÖTV abgeschlossen hat, deren Rechtsnachfolgerin die Beklagte ist. Dieser Tarifvertrag lautet auszugsweise:
“…
Abschnitt IV
Arbeitszeit
§ 10 Regelmäßige Arbeitszeit
…
(4) An dem Tage vor Neujahr, vor Ostersonntag, vor Pfingstsonntag und vor dem ersten Weihnachtsfeiertag wird, soweit die betrieblichen Verhältnisse es zulassen, ab 12.00 Uhr Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung/des Lohnes zuzüglich ständiger Lohnzuschläge erteilt. Dem Arbeitnehmer, dem diese Arbeitsbefreiung aus betrieblichen Gründen nicht erteilt werden kann, wird an einem anderen Tage entsprechende Freizeit unter Fortzahlung der Vergütung/des Lohnes erteilt. Stattdessen kann für die Arbeitsleistung in der Zeit von 12.00 bis 24.00 Uhr der Zuschlag nach § 15 Satz 2 Buchstabe e) gezahlt werden.
…
§ 15 Zeitzuschläge
Der Arbeitnehmer erhält neben seiner Vergütung/seinem Monatslohn Zeitzuschläge.
Sie betragen je Stunde:
…
e) für Arbeit nach 12.00 Uhr an den Tagen vor Neujahr, vor dem Ostersonntag, vor dem Pfingstsonntag und vor dem ersten Weihnachtsfeiertag, wenn kein Freizeitausgleich gewährt wird 100 v.H.
…
der Stundenvergütung bei Angestellten, des auf die Stunde entfallenden Anteils der Stufe 1 des Monatslohnes der jeweiligen Lohngruppe bei Arbeitern.
…
§ 17 Theaterbetriebszulage, Theaterbetriebszuschlag
(1) Der Angestellte, der nicht nur gelegentlich Sonn- und Feiertagsarbeit leisten muß und üblicherweise unregelmäßige tägliche Arbeitszeiten hat, erhält eine Theaterbetriebszulage. Die regelmäßige Arbeitszeit (§ 10 Absatz 1) dieses Angestellten kann um bis zu sechs Stunden wöchentlich verlängert werden. Bei welchen Angestellten diese Voraussetzungen vorliegen und in welcher Höhe die Theaterbetriebszulage nach Unterabsatz 2 zu zahlen ist, wird durch Betriebsvereinbarung bestimmt.
Die Theaterbetriebszulage beträgt für die Angestellten der Vergütungsgruppe
I |
bis zu 14 v.H. |
II |
bis zu 15 v.H. |
III |
bis zu 17 v.H. |
IV |
bis zu 18 v.H. |
V |
bis zu 19 v.H. |
VI, VII und VIII |
bis zu 21 v.H. |
der jeweiligen Endgrundvergütung ihrer Vergütungsgruppe. Bei der Berechnung sich ergebende Bruchteile eines Pfennigs unter 0,5 sind jeweils abzurunden, Bruchteile von 0,5 und mehr sind jeweils aufzurunden.
(2) Der Arbeiter, der nicht nur gelegentlich Sonn- und Feiertagsarbeit leisten muß und üblicherweise unregelmäßige tägliche Arbeitszeiten hat, erhält einen Theaterbetriebszuschlag von 21 vom Hundert für jede der Lohnberechnung zugrunde liegende Stunde. Der Theaterbetriebszuschlag wird aus dem auf eine Stunde entfallenden Anteil der Stufe 1 des Monatslohnes der jeweiligen Lohngruppe berechnet. Absatz 1 Unterabsatz 2 Satz 2 gilt.
Bei welchen Arbeitern die Voraussetzungen für die Zahlungen des Theaterbetriebszuschlags vorliegen, wird durch Betriebsvereinbarung bestimmt.
(3) Durch die Theaterbetriebszulage/den Theaterbetriebszuschlag werden abgegolten:
a) die mit dem Dienst im Theater verbundenen Aufwendungen und die besonderen Erschwernisse, die die nicht nur gelegentliche Sonn- und Feiertagsarbeit und die üblicherweise unregelmäßige tägliche Arbeitszeit mit sich bringen,
b) die Zeitzuschläge für vier Überstunden in der Woche,
c) die Zeitzuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Vorfesttagsarbeit,
d) die Zeitzuschläge für Nachtarbeit in der Zeit von 20.00 bis 0.00 Uhr.
(4) Der Arbeitnehmer erhält für jede Arbeitsstunde, für die der Zeitzuschlag nach Absatz 3 Buchstabe b) abgegolten ist, die Stundenvergütung der jeweiligen Vergütungsgruppe/den auf eine Stunde entfallenden Anteil des Monatslohnes der Stufe 1 der jeweiligen Lohngruppe.”
Welche Arbeitnehmer Anspruch auf die TBZ haben, ist zwischen der Klägerin und dem in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat nicht streitig. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung iSv. § 17 Abs. 1 und 2 MTV-TdW ist nicht erfolgt.
Die Klägerin vertritt seit Anfang April 2004 ein von ihrer bisherigen Anwendungspraxis abweichendes Verständnis der §§ 10 und 17 MTV-TdW. Sie meint, dass sie Mitarbeitern mit TBZ tariflich keinen Freizeitausgleich für eine Arbeitsleistung an Vorfesttagen schulde. Durch die TBZ sei sowohl der Anspruch auf einen Zuschlag für diese Arbeitsleistung als auch derjenige auf Freizeitausgleich abgegolten. Dies teilte sie ihrem Betriebsrat mit Schreiben vom 8. April 2004 mit. Der Betriebsrat vertritt den gegenteiligen Standpunkt. Seither ist diese Auslegungsfrage im Betrieb der Klägerin streitig. Die Parteien erstreben mit Klage und Widerklage jeweils die Feststellung, dass der MTV-TdW im Sinne der von ihnen vertretenen Auffassung auszulegen ist.
Die Klägerin hat vorgetragen, durch die Zahlung der TBZ würden die theaterspezifischen Erschwernisse bei der Arbeitsleistung dieser Arbeitnehmer ausgeglichen. Ein solches Erschwernis sei auch die Arbeit an Vorfesttagen, so dass nach Sinn und Zweck der TBZ nach dem MTV-TdW kein Raum mehr für eine zusätzliche Leistung in Form eines Freizeitausgleichs sei. Dessen Gewährung neben der TBZ wäre eine ungerechte Bevorzugung dieses Personenkreises. Der MTV-TdW enthalte keine Tariflücke. Sofern eine solche doch vorliege, müsste sie im Sinne ihres – der Klägerin – Feststellungsbegehrens ausgefüllt werden. Die Auffassung der Beklagten ergäbe nur dann einen Sinn, wenn die Arbeitnehmer mit TBZ zwischen dem Freizeitausgleich und dem Zeitzuschlag ein Wahlrecht hätten, was nach der tariflichen Regelung gerade nicht der Fall sei.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass Arbeitnehmern, die unter den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer des Theaters des Westens (MTV-TdW) in der Fassung vom 1. Januar 1980/1. Januar 1989 sowie 1. Dezember 1995 fallen und die einen Theaterbetriebszuschlag/eine Theaterbetriebszulage (TBZ) iSd. § 17 MTV-TdW erhalten, keine entsprechende Freizeit unter Fortzahlung der Vergütung gem. § 10 Abs. 4 MTV-TdW an anderen Tagen zu gewähren ist, wenn diese aus betrieblichen Gründen an dem Tag vor Neujahr, Ostersonntag, Pfingstsonntag oder dem 1. Weihnachtsfeiertag ab 12.00 Uhr keine Arbeitsbefreiung erhalten.
Die Beklagte hat zuletzt beantragt, die Klage abzuweisen,
und widerklagend
festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die unter den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer des Theaters des Westens (MTV-TdW) in der Fassung vom 1. Januar 1980/1. Januar 1989/1. Dezember 1995 fallen und die einen Theaterbetriebszuschlag/eine Theaterbetriebszulage (TBZ) iSd. § 17 MTV-TdW erhalten, entsprechende Freizeit unter Fortzahlung der Vergütung an anderen Tagen zu gewähren, wenn diese aus betrieblichen Gründen an dem Tag vor Neujahr, Ostersonntag, Pfingstsonntag und dem 1. Weihnachtsfeiertag ab 12.00 Uhr keine Arbeitsbefreiung erhalten, sofern sie nicht ausdrücklich einem Zeitzuschlag iSd. § 15 Satz 2 Buchst. e) MTV-TdW zustimmen.
Sie hat die Auffassung vertreten, nach dem in erster Linie maßgeblichen Wortlaut der Tarifregelung sei im Falle der Arbeit an Vorfesttagen bei Arbeitnehmern mit TBZ der Anspruch auf Freizeitausgleich nicht ausgeschlossen. Die Regelung in § 17 Abs. 3 Buchst. c MTV-TdW sei eindeutig. Ein Wille der Tarifvertragsparteien, dass darüber hinaus auch der Freizeitausgleichsanspruch nach § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW durch die Gewährung der TBZ abgegolten sein solle, habe in der Tarifnorm keinen Niederschlag gefunden; die Abgeltungstatbestände des § 17 Abs. 3 MTV-TdW seien abschließend formuliert. Die in § 17 Abs. 3 Buchst. a MTV-TdW vorgesehene Abgeltung beseitige nicht den Freizeitausgleich, denn sie beziehe sich keineswegs auf alle mit der Tätigkeit im Theaterbetrieb verbundenen Erschwernisse. Auf ein fehlendes Stufenverhältnis zwischen Freizeitausgleich und Zeitzuschlag könne bei der Auslegung der Abgeltungsregelung des § 17 Abs. 3 MTV-TdW nicht abgestellt werden, da es ein solches sehr wohl gebe. Nur dann, wenn der Freizeitausgleich nach § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW – aus welchen Gründen auch immer – nicht realisierbar sei, könne auf die Zahlung eines Zuschlags ausgewichen werden. Jedenfalls könne die Bestimmung, dass statt Freizeitausgleich lediglich ein Zuschlag gezahlt werde, nicht im alleinigen Ermessen der Klägerin liegen und gegen den Willen des betroffenen Mitarbeiters erfolgen. Eine andere Betrachtungsweise verstieße gegen den aus der Regelung erkennbaren Kompensationswillen der Tarifvertragsparteien für den Fall der Arbeitsleistung an Vorfesttagen nach 12.00 Uhr und außerdem gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil die Mitarbeiter mit TBZ, die in dieser Zeit arbeiten müssten, dieselbe Vergütung erhielten wie ihre Arbeitskollegen, bei denen dies bei gleicher Bezahlung nicht der Fall sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage, die seinerzeit nicht den letzten Nebensatz (“sofern sie nicht … zustimmen”) enthielt, als unzulässig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, deren Widerklage es für unbegründet erachtet hat, zurückgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage und verfolgt ihren Widerklageantrag in seiner letzten Fassung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Durch die TBZ wird nach § 17 Abs. 3 Buchst. c MTV-TdW – auch – der Anspruch nach § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW auf entsprechende Freizeit unter Fortzahlung der Vergütung für Arbeit an Vorfesttagen abgegolten.
I. Die Klage ist zulässig. Ein Feststellungsinteresse der Klägerin iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist gegeben. Bei dem Streit der Parteien handelt es sich um eine Verbandsklage iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, § 9 TVG. Streitgegenstand einer solchen Klage muss nicht das Bestehen oder Nichtbestehen eines Tarifvertrages im Ganzen sein. Es genügt, wenn die Klage die Gültigkeit und die Auslegung einer einzelnen Tarifnorm betrifft. Ein solcher Auslegungsstreit ist in aller Regel nur als Feststellungsklage möglich. Das erforderliche Interesse an der begehrten Feststellung folgt regelmäßig aus § 9 TVG und der dort vorgesehenen Bindungswirkung. Durch sie werden im Interesse der Prozessökonomie Leistungsklagen zwischen Arbeitsvertragsparteien vermieden (Senat 6. Juni 2007 – 4 AZR 411/06 –; BAG 12. April 2000 – 5 AZR 228/98 – BAGE 94, 217, 221 mwN).
Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Widerklage der Beklagten als zulässig angesehen. Denn das mit ihr verfolgte Feststellungsbegehren weicht von demjenigen der Klage ab. Die Anträge betreffen daher nicht jeweils denselben Streitgegenstand.
Die Zulässigkeit von Klage und Widerklage wird von den Parteien in der Revision nicht in Frage gestellt.
II. Die Klage ist auch begründet. Die Auslegung von § 17 Abs. 3 iVm. § 10 Abs. 4 MTV-TdW ergibt, dass mit der TBZ bei Arbeitsleistung des Arbeitnehmers an Vorfesttagen in der Zeit von 12.00 Uhr – 24.00 Uhr nicht nur der Anspruch auf den Zuschlag nach § 10 Abs. 4 Satz 3, § 15 Satz 2 Buchst. e MTV-TdW abgegolten ist, sondern auch derjenige auf Freizeitausgleich (“entsprechende Freizeit”) an einem anderen Tag unter Fortzahlung der Vergütung/des Lohnes nach § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW.
1. Das Landesarbeitsgericht hat im Anschluss an die Darstellung der Grundsätze für die Auslegung von Tarifverträgen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zusammengefasst ausgeführt, der Wortlaut der tariflichen Regelung sei nicht eindeutig. Der Klägerin sei freigestellt, ob sie für Vorfesttagsarbeit Freizeitausgleich gewähre oder einen Zuschlag von 100 % für die Vorfesttagsarbeit zahle. Der Klägerin sei damit eine so genannte Ersetzungsbefugnis eingeräumt worden. Diese sei nicht an bestimmte Gründe gebunden. Angesichts des tariflich ausdrücklich bestimmten Ausschlusses des Zuschlagsanspruchs für Vorfesttagsarbeit für TBZ-Empfänger hätte es einer Klarstellung im Tarifwortlaut bedurft, dass durch diesen Ausschluss der Primäranspruch auf Freizeitausgleich nicht abbedungen sein solle. Demzufolge müsse für die Tarifauslegung der Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages betrachtet werden. Aus dem Zusammenhang der Regelungen des § 10 Abs. 4 Satz 3 MTV-TdW und § 17 Abs. 3 Buchst. c MTV-TdW ergebe sich der Wille der Tarifvertragsparteien, dass durch die Zahlung der TBZ nicht allein die Erschwernisse des § 17 Abs. 3 Buchst. a MTV-TdW, sondern auch die mit der betriebsnotwendigen Arbeitsleistung an Vorfesttagen verbundenen Nachteile, die im Rahmen der nicht produktionsabhängigen, regelmäßigen Arbeitszeit der sonstigen Mitarbeiter nicht entstünden, ausgeglichen sein sollten. Eine Verpflichtung der Klägerin, den Mitarbeitern mit TBZ wegen ihrer Arbeitsleistung an Vorfesttagen nach § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW einen Freizeitausgleich zu gewähren, bestehe nach alledem nicht.
2. Der Senat folgt diesen Rechtsausführungen des Landesarbeitsgerichts, die einen Rechtsfehler nicht erkennen lassen. Aus Wortlaut und Gesamtzusammenhang als den vorrangig für die Tarifauslegung maßgeblichen Auslegungskriterien (Senat 11. Mai 2005 – 4 AZR 303/04 – BAGE 114, 327, 328) folgt, dass durch die TBZ auch der Anspruch auf Freizeitausgleich für an Vorfesttagen geleistete Arbeit abgegolten ist.
a) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Wortlaut des MTV-TdW bestimme nicht zweifelsfrei, dass TBZ-Empfängern für Arbeitsleistungen an Vorfesttagen nach § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW ein Anspruch auf Freizeitausgleich an einem anderen Tage zusteht. Dies folgt daraus, dass die Klägerin wählen kann, ob sie für die Vorfesttagsarbeit Freizeitausgleich gewährt oder den Zuschlag nach § 15 Satz 2 Buchst. e MTV-TdW zahlt. Das Landesarbeitsgericht hat diese Tarifregelung zutreffend als Ersetzungsbefugnis der Klägerin gewertet. Denn der Klägerin ist nach dem Wortlaut der vorgenannten Normen die Befugnis eingeräumt, statt des bezahlten Freizeitausgleichs den Zuschlag für Vorfesttagsarbeit zu bezahlen. Würde die Tarifnorm des § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW bestimmen, der Arbeitnehmer habe zum Ausgleich seiner Vorfesttagsarbeit “Anspruch auf Arbeitsbefreiung”, und § 10 Abs. 4 Satz 3 MTV-TdW lauten, er könne “stattdessen die Zahlung des Zuschlags … verlangen”, wäre ihm das Wahlrecht zwischen diesen beiden Leistungen eingeräumt. Demgegenüber befindet sich der Arbeitnehmer sowohl nach den von den Tarifvertragsparteien gewählten Verben “erteilen” und “zahlen” als auch durch deren Verwendung im Passiv eindeutig in der Rolle des Bestimmungsempfängers: Ihm “wird” entsprechende Freizeit “erteilt”. Stattdessen kann der Zuschlag “gezahlt werden”. Diese Auslegung entspricht der Rechtsprechung des Senats in seiner Entscheidung vom 20. März 1974 (– 4 AZR 266/73 – AP MTB II § 29 Nr. 2), in der der Senat – ohne dazu weitere Worte zu machen – für die ebenfalls passivische Formulierung: “In beiden Fällen kann an Stelle der Zuschläge eine Prämie gezahlt werden” angenommen hat, damit sei der Arbeitgeberin die Ersetzungsbefugnis eingeräumt worden. Bei einer von keinen weiteren Voraussetzungen abhängigen Ersetzungsbefugnis des Schuldners macht es keinen Sinn, tariflich eine angeordnete Anspruchsabgeltung lediglich auf den Sekundäranspruch zu begrenzen und den Primäranspruch davon unberührt zu lassen. Insoweit gilt das Gleiche wie bei Annahme einer Wahlschuld. Denn der ersetzungsbefugte Schuldner hätte es in der Hand, den Gläubiger nach Belieben leer ausgehen zu lassen. Wortgetreu kann der Tarifvertrag diesbezüglich daher nicht sachgerecht angewandt werden. Der Widerspruch zwischen den Tarifregelungen des § 10 Abs. 4 und § 17 Abs. 3 Buchst. c MTV-TdW muss beseitigt werden, und zwar entweder bezüglich der Regelung der Ersetzungsbefugnis oder derjenigen bezüglich des Umfangs der Abgeltung der Vorfesttagsarbeit durch die TBZ.
b) Der Tarifauslegung der Klägerin ist deshalb der Vorzug gegenüber derjenigen der Beklagten zu geben, weil sie bei der Gesamtbetrachtung der Regelung des Ausgleichs für Arbeit von TBZ-Empfängern an Vorfesttagen im Gegensatz zu derjenigen der Beklagten zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt. Die Tarifvertragsparteien bewerten den Freizeitausgleich nach § 10 Abs. 4 Satz 2 MTV-TdW und den “stattdessen” vorgesehenen Zuschlag von 100 % nach § 10 Abs. 4 Satz 3 MTV-TdW als gleichwertig. Für diesen Zuschlag haben sie, wovon auch die Beklagte ausgeht, unbezweifelbar bestimmt, dass dieser durch den TBZ-Zuschlag “abgegolten” wird. Ebenso eindeutig räumt der Tarifwortlaut der Arbeitgeberin das Bestimmungsrecht ein, welche der beiden aufgeführten Leistungen der Arbeitnehmer für die Vorfesttagsarbeit erhalten soll. Da die Arbeitgeberin es somit in der Hand hätte, den TBZ-Empfänger nach Belieben leer ausgehen zu lassen, hätte es der Klarstellung im Wortlaut des MTV-TdW bedurft, der Ausschluss des Zulagenanspruchs für Arbeitsleistung des TBZ-Empfängers an Vorfesttagen berühre nicht dessen Freizeitausgleich, wie das Landesarbeitsgericht mit Recht ausführt. Für den Freizeitausgleich nach Arbeit an Vorfesttagen nach 12.00 Uhr kann dies mangels einer solchen ausdrücklichen Klarstellung daher in sinnvoller, widerspruchsfreier Auslegung der Tarifregelung nur bedeuten, dass auch der Anspruch auf Freizeitausgleich für die Vorfesttagsarbeit des TBZ-Empfängers nach § 17 Abs. 3 Buchst. c MTV-TdW “abgegolten” ist. Dessen Nichterwähnung in der Abgeltungsregelung kann nur auf einem Redaktionsversehen der Tarifvertragsparteien beruhen (zur Tarifauslegung bei einem Redaktionsversehen der Tarifvertragsparteien vgl. zB Senat 18. Mai 1994 – 4 AZR 412/93 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 175 mwN).
3. Mit dieser Auslegung beinhalten die Regelungen des MTV-TdW entgegen der Auffassung der Beklagten keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von TBZ-Empfängern ohne Arbeitsbefreiung an Vorfesttagen und solchen mit Arbeitsbefreiung, die dieselbe Vergütung wie ihre nicht freigestellten Kollegen erhalten. Eine Pauschalregelung für einen – was die Beklagte nicht in Zweifel zieht – zutreffend eingegrenzten Personenkreis in gleicher Lage behandelt alle Arbeitnehmer, für die diese Regelung gilt, mit ihrem pauschalen Inhalt gleich, enthält also als solche keine Ungleichbehandlung. Dass bei der Pauschalierung einer Leistung zum Ausgleich von Erschwernissen in Form nicht nur gelegentlicher Sonn- und Feiertagsarbeit und unregelmäßiger täglicher Arbeitszeiten (§ 17 Abs. 1 Satz 1 MTV-TdW) sowie der mit diesen verbundenen Aufwendungen (§ 17 Abs. 3 Buchst. a MTV-TdW) in Form der TBZ ein Arbeitnehmer in einer Einzelsituation – hier für tatsächlich geleistete Vorfesttagsarbeit an einem bestimmten Tag – (nur) die pauschalierte Zulage erhält, während in derselben Einzelsituation ein anderer Arbeitnehmer, ohne von dem Erschwernis betroffen zu sein, dieselbe Leistung erhält, liegt in der Natur einer Pauschale, deren Sinn und Zweck es ist, eine Leistung nicht im Detail, sondern nach einem Durchschnittswert abzugelten. Der Tarifregelung liegt gerade der Sachverhalt zugrunde, dass nur ein Teil der TBZ-Empfänger Vorfesttagsarbeit leisten muss. Die Ungleichbehandlung an einem einzelnen Vorfesttag ist damit in der Tarifregelung angelegt und gleicht sich bei einer von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen angemessenen Verteilung der Vorfesttagsarbeit auf die TBZ-Empfänger durch die Klägerin über einen längeren Zeitraum aus.
4. Zu anderen Tarifauslegungskriterien fehlt jeglicher Tatsachenvortrag der Parteien. Auch die Beklagte begründet die von ihr für zutreffend gehaltene Auslegung allein mit dem Tarifwortlaut.
III. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass die Widerklage der Beklagten unbegründet ist. Der damit von der Beklagten verfolgte Feststellungsantrag setzt einen Anspruch des Arbeitnehmers mit TBZ auf entsprechende Freizeit bei Arbeitsleistung an Vorfesttagen voraus, der jedoch nicht besteht.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Bepler, Creutzfeldt, Bott, Schmalz, Görgens
Fundstellen
ZTR 2008, 315 |
AP, 0 |
RiA 2008, 161 |
HzA aktuell 2008, 41 |