Entscheidungsstichwort (Thema)
Glasversiegelung und Verfugung
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Im Anschluß an das BAG Urteil vom 13. März 1991 – 4 AZR 436/90 – (AP Nr. 139 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau)
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Bau
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 31.08.1990; Aktenzeichen 15 Sa 364/90) |
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 14.06.1989; Aktenzeichen 6 Ca 7850/88) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 1990 – 15 Sa 364/90 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 14. Juni 1989 – 6 Ca 7850/88 – wird zurückgewiesen, soweit das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von 50.772,64 DM verurteilt hat.
3. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung und der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten im vorliegenden Verfahren noch darüber, ob der Beklagte zur Zahlung von Beiträgen für Arbeiter und Angestellte an die Klägerin für den Zeitraum von Januar 1987 bis einschließlich Oktober 1988 in Höhe von 50.772,64 DM verpflichtet ist, weil sein Betrieb zum Baugewerbe gehört.
Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (im folgenden: ZVK). Diese ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt den Beklagten insgesamt auf Zahlung der Beiträge für den Zeitraum vom Dezember 1984 bis einschließlich Oktober 1988 in Anspruch.
Der Beklagte ist seit dem 7. Februar 1983 mit einem Betrieb des Fugergewerbes in das Verzeichnis der Inhaber handwerksähnlicher Betriebe bei der Handwerkskammer Reutlingen eingetragen. Seine Arbeitnehmer waren als Chemiebetriebswerker bzw. Isolierer bei der zuständigen AOK gemeldet. Im Betrieb des Beklagten werden Verfugungen von Fliesen und Platten im Sanitärbereich sowie Glasversiegelungen, d.h. Verfugungen von Fensterscheiben im Fenster- bzw. Fenstertürrahmen, und Anschlußverfugungen, d.h. Verfugungen zwischen Fenster- bzw. Fenstertürrahmen und Mauerwerk, durchgeführt.
Der Beklagte ist durch rechtskräftige Urteile des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 3. November 1987 (– 5 Sa 1133/86 –) und vom 19. April 1988 (– 5 Sa 1039/87 –) zur Auskunftserteilung für die Zeit von August 1984 bis Februar 1986 sowie von März 1986 bis November 1986 verurteilt worden.
Die Beitragsansprüche für die Zeit vom Dezember 1984 bis Dezember 1986 in Höhe von 37.570,54 DM hat das Bundesarbeitsgericht bereits mit Urteil vom 13. März 1991 (– 4 AZR 436/90 – AP Nr. 139 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) verneint. Es hat dazu ausgeführt, der ZVK stünden die Beitragsansprüche nicht zu, weil der Betrieb des Beklagten vom fachlichen bzw. betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge für die Sozialkassen des Baugewerbes ausgenommen sei. Im Zeitraum Dezember 1984 bis Dezember 1986 seien – wie die Parteien in jenem Revisionsverfahren unstreitig festgestellt hätten – zu mindestens 60 % der betrieblichen Arbeitszeit Glasversiegelungen und Anschlußverfugungen angefallen, die dem Glaserhandwerk zuzuordnen seien. Betriebe des Glaserhandwerks seien aber im maßgeblichen Zeitraum nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 4 der Verfahrenstarifverträge von deren fachlichem bzw. betrieblichem Geltungsbereich ausgenommen.
Nach dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe sind alle baugewerblichen Arbeitgeber zur Zahlung von Beiträgen für die von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer und zur Auskunftserteilung verpflichtet. Zum Geltungsbereich enthält § 1 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 12. November 1986 – soweit hier von Interesse – folgende Regelungen:
„§ 1 Geltungsbereich
(1) Räumlicher Geltungsbereich:
…
(2) Betrieblicher Geltungsbereich:
Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.
Abschnitt I
Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.
Abschnitt II
Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.
Abschnitt III
Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen.
…
Abschnitt V
Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören z.B. diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:
1. Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit;
…
8. Dämm-(Isolier-)Arbeiten (z.B. Wärme-, Kälte-, Schallschutz-, Schallschluck-, Schallverbesserungs-, Schallveredelungsarbeiten) einschließlich Anbringung von Unterkonstruktionen;
…
14. Fliesen-, Platten- und Mosaik-Ansetz- und Verlegearbeiten;
…
21. Maurerarbeiten;
…
Abschnitt VI
Betriebe, soweit in ihnen die unter den Abschnitten I bis V genannten Leistungen überwiegend erbracht werden, fallen grundsätzlich als ganzes unter diesen Tarifvertrag.
Abschnitt VII
Nicht erfaßt werden Betriebe,
…
3. des Glaserhandwerks,
…”
Die ZVK ist der Ansicht, der Betrieb des Beklagten werde im hier streitigen Zeitraum vom Geltungsbereich des VTV erfaßt. Die Sanitär- und Anschlußverfugungen, die mehr als die Hälfte der betrieblichen Arbeitszeit in Anspruch nähmen, seien den in § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV genannten Tätigkeiten zuzuordnen, da auch Glasversiegelungsarbeiten als Abdichtungsarbeiten gegen Feuchtigkeit nach Nr. 1 in Abschnitt V anzusehen seien.
Die ZVK hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 50.772,64 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, sein Betrieb falle nicht in den Geltungsbereich des VTV, da in den Jahren 1987 und 1988 die reinen Glasversiegelungen 60 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit ausgemacht hätten. In der Regel seien an denselben Fenster- und Fenstertürelementen die Wandanschlüsse verfugt worden; dabei handele es sich somit um Zusammenhangstätigkeiten zu den Glaserarbeiten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der ZVK nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen B, K und Gitta S den Beklagten zur Beitragszahlung verurteilt. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils. Die ZVK bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückweisung der Berufung der ZVK. Der ZVK stehen die im vorliegenden Verfahren noch geltend gemachten Beitragsansprüche für den Zeitraum von Januar 1987 bis einschließlich Oktober 1988 nicht zu, weil der Betrieb des Beklagten vom fachlichen bzw. betrieblichen Geltungsbereich des hier maßgeblichen allgemeinverbindlichen Verfahrenstarifvertrags für die Sozialkassen des Baugewerbes nicht erfaßt wurde.
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch der ZVK als begründet angesehen. Der geltend gemachte Beitragsanspruch für den Zeitraum von Januar 1987 bis Oktober 1988 sei gegeben, weil zu mehr als der Hälfte der betrieblichen Arbeitszeit des Beklagten Wandanschluß- und Sanitärfugen hergestellt würden und das Herstellen sowohl von Sanitär- wie auch von Wandanschlußfugen als baugewerbliche Tätigkeit gemäß § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 1, 8, 14 und 21 VTV zu werten sei. Da die Glasversiegelung, die als Arbeit des Glaserhandwerks vom VTV ausgenommen sei, mit weniger als der Hälfte der betrieblichen Arbeitszeit angefallen sei, führe sie nicht zur Herausnahme des Betriebes des Beklagten aus dem Geltungsbereich des VTV.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
II. Wie der Vierte Senat in dem Urteil vom 13. März 1991 (– 4 AZR 436/90 –) – dem sich der erkennende Senat anschließt – ausgeführt hat, sind die im Betrieb des Beklagten durchgeführten Glasversiegelungen und Anschlußverfugungen dem Glaserhandwerk zuzuordnen. Hinsichtlich der Anschlußverfugungen (Abdichtung zwischen Fenster- bzw. Fenstertürrahmen und Mauerwerk) ergibt sich das daraus, daß der Beklagte in diesem Bereich stets als Subunternehmer von Glaserbetrieben tätig wurde und Anschlußverfugungen grundsätzlich nur im Zusammenhang mit Glasversiegelungsarbeiten vornahm. Dieser Zusammenhang zwischen Glasversiegelungsarbeiten als typischer Tätigkeit des Glaserhandwerks und Anschlußverfugungen, die auch zum Berufsbild des Glaserhandwerks gehören, rechtfertigt es, die überwiegende betriebliche Tätigkeit des Beklagten dem Glaserhandwerk zuzuordnen. Dagegen ist auch im vorliegenden Zeitraum ein Zusammenhang zwischen den Anschlußverfugungen und den Sanitärverfugungen als Teiltätigkeiten des Fliesenlegerhandwerks nicht ersichtlich.
Die zeitlichen Anteile der Glasversiegelungen und Anschlußverfugungen hat das Landesarbeitsgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt. Die Herstellung der Wandanschluß- und Sanitärfugen nahm danach mehr als die Hälfte der betrieblichen Arbeitszeit in Anspruch. Das Landesarbeitsgericht hat es als erwiesen angesehen, daß im maßgeblichen Zeitraum von 233 1/3 Anteilen der betrieblichen Gesamtarbeitszeit 70 Anteile auf Glasversiegelungsarbeiten (Zeuge B), 60 Anteile auf Anschlußverfugungen (Zeuge K), 40 Anteile auf Sanitärfugen (Zeuge K), 30 Anteile auf Anschluß- und Sanitärfugen (Zeuge B) und 33 1/3 Anteile auf Bürotätigkeiten (Zeugin Gitta S) entfielen. Nach diesen Feststellungen, die für den erkennenden Senat bindend sind (§ 561 Abs. 2 ZPO), ist für den hier streitigen Zeitraum davon auszugehen, daß mit den 70 Anteilen Glasversiegelungen des Zeugen B und 60 Anteilen Anschlußverfugungen des Zeugen K mehr als die Hälfte der betrieblichen Gesamtarbeitszeit für Arbeiten aufgewendet wurde, die als Arbeiten des Glaserhandwerks die Herausnahme des Betriebs des Beklagten aus dem fachlichen bzw. betrieblichen Geltungsbereich des VTV nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 3 bedingen.
Die Bezeichnung des Betriebs des Beklagten als Fugerbetrieb steht dem nicht entgegen. Maßgeblich ist nicht die Bezeichnung des Betriebs, sondern die im Rahmen der betrieblichen Gesamtarbeitszeit überwiegend ausgeführten Tätigkeiten. Auch der Eintragung des Betriebs des Beklagten in das Verzeichnis der Inhaber handwerksähnlicher Betriebe bei der Handwerkskammer Reutlingen als Betrieb des Fugergewerbes kommt eine entscheidende Bedeutung nicht zu. Die Eintragung eines Betriebes in die Handwerksrolle mit einer näher bezeichneten betrieblichen Tätigkeit kann zwar als ein Indiz dafür gelten, daß es sich um einen Handwerksbetrieb der entsprechenden Fachsparte handelt. Steht allerdings aufgrund der übrigen Merkmale bereits fest, daß der Betrieb einem bestimmten Gewerbe zuzurechnen ist, kommt es hierauf nicht mehr an.
Soweit der Senat in dem Urteil vom 28. Juli 1993 (– 10 AZR 556/92 –) die Ausnahme eines Betriebes vom Geltungsbereich des VTV als Glaserbetrieb verneint hat, in dem Glasversiegelungsarbeiten zu 10 bis 15 %, Anschlußverfugungen zu 40 %, Sanitärversiegelungen zu 40 % und Dehnungsversiegelungen im Mauerwerk zu 5 bis 10 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit anfielen, führt das nicht zu einer anderen Beurteilung. Maßgeblich für die Herausnahme des Betriebs des Beklagten vom Geltungsbereich des VTV als Glaserbetrieb ist – wie auch in dem vom 4. Senat entschiedenen Verfahren 4 AZR 436/90 – der Zusammenhang zwischen dem (hohen) Anteil an Glasversiegelungsarbeiten und den Anschlußverfugungen. Dabei ist davon auszugehen, daß die Glasversiegelungsarbeiten typische Tätigkeiten des Glaserhandwerks darstellen und die Anschlußverfugungen zumindest auch zum Berufsbild des Glaserhandwerks gehören. Besteht sodann zwischen diesen beiden Tätigkeiten noch ein enger Zusammenhang dadurch, daß der Betrieb stets als Subunternehmer von Glaserbetrieben tätig wird und Anschlußverfugungen grundsätzlich nur im Zusammenhang mit Glasversiegelungsarbeiten durchführt, so rechtfertigt dies die Zusammenfassung dieser beiden Tätigkeitsbereiche als Tätigkeiten des Glaserhandwerks.
Dabei können die Grundsätze herangezogen werden, die das Bundesarbeitsgericht zur Zuordnung der Tätigkeiten der Flachdachisolierung zum Dachdeckerhandwerk entwickelt hat. Danach können Flachdachabdichtungsarbeiten, die sowohl dem Dachdeckerhandwerk wie auch den baulichen Tätigkeiten zuzuordnen sind, dann dem Dachdeckerhandwerk zugerechnet werden, wenn darüber hinaus in dem Betrieb in nicht unerheblichem Umfang Arbeiten durchgeführt werden, die ausschließlich dem Dachdeckerhandwerk vorbehalten sind. Für den Betrieb des Beklagten bedeutet das, daß neben den Anschlußverfugungen, die sowohl dem Glaserhandwerk wie auch dem Baugewerbe zugeordnet werden können, in nicht unerheblichem Umfang Arbeiten, die ausschließlich dem Glaserhandwerk vorbehalten sind (hier Glasversiegelungsarbeiten), durchgeführt werden. Nimmt man die Glasversiegelungsarbeiten und die Anschlußverfugungen zusammen, ergibt sich nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ein Anteil an der betrieblichen Gesamtarbeitszeit von mehr als der Hälfte. Auf die Beschäftigung von gelernten Glasern oder Glasermeistern kommt es daneben nicht an.
Die zusätzlich auch durchgeführten Arbeiten der Sanitärverfugungen haben lediglich einen Anteil von weniger als der Hälfte der betrieblichen Gesamtarbeitszeit eingenommen und können daher für die Zuordnung zum Baugewerbe nicht entscheidend sein.
Auf die Revision des Beklagten war daher das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und unter Zurückweisung der Berufung der ZVK das klageabweisende Ersturteil wieder herzustellen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Böck, Hauck, Staedtler, Tirre
Fundstellen