Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsübertragung bei Arbeitsunfähigkeit
Normenkette
BUrlG § 7; BGB § 287 S. 2
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 10.01.1989; Aktenzeichen 11 Sa 822/88) |
ArbG Bochum (Urteil vom 10.03.1988; Aktenzeichen 3 (2) Ca 2097/87) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 10. Januar 1989 – 11 Sa 822/88 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1976 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 (MTV) Anwendung. In § 10 Nr. 8 MTV heißt es:
„Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde oder daß Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte.”
Vom 8. April 1986 bis zum 29. März 1987 war der Kläger arunfähig erkrankt. Am 30. März 1987 machte er seinen Urlaub für 1986 in Höhe von 30 Urlaubstagen geltend. Am 31. März 1987 gewährte die Beklagte dem Kläger einen Tag Urlaub und lehnte den weitergehenden Anspruch des Klägers für 1986 ab.
Mit der am 4. September 1987 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm 29 Urlaubstage aus dem Jahre 1986 zu gewähren.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Urlaub des Klägers für 1986 sei verfallen. Da der Kläger seinen Anspruch erst am 30. März 1987 geltend gemacht habe, habe ihm nur noch der eine Urlaubstag zugestanden, der vor dem Verfallzeitpunkt lag.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil insoweit abgeändert, als dem Kläger mehr als 28 Urlaubstage zugesprochen wurden. Mit der Revision bittet die Beklagte weiterhin um Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Gegenstand der Revision ist der restliche Urlaub des Klägers für 1986 nur insoweit, als das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben hat, also in Höhe von 28 Tagen. Bezüglich des weiteren mit der Klage geforderten Tages hat das Landesarbeitsgericht, wie dem Zusammenhang seiner Ausführungen zu entnehmen ist, die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger keine Revision eingelegt. Zu Recht haben die Vorinstanzen den Klageanspruch in Höhe der noch streitigen 28 Urlaubstage bejaht.
1. Der Kläger hatte im Jahr 1986 einen Anspruch auf Urlaub erworben, der am 31. März 1987 jedenfalls in Höhe der im Streit befindlichen 28 Tage nicht erfüllt war.
2. Der Urlaubsanspruch ist am 31. März 1987 nicht erloschen, sondern bestand noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts, am 10. Januar 1989.
a) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Kläger in der Zeit zwischen dem 30. März 1987, als seine Arbeitsunfähigkeit endete, und dem 31. März 1987, dem Verfalltag, jedenfalls 28 der 30 rückständigen Urlaubstage nicht nehmen konnte. Grund dafür war, daß der Kläger bis 29. März 1987 arbeitsunfähig war und somit bis zum Verfalltag nur zwei Arbeitstage zur Verfügung standen, an denen der Kläger von der Arbeit freigestellt werden konnte. Hinsichtlich der übrigen 28 Tage war dies nicht möglich, weil der Kläger in dem dafür allein in Betracht kommenden Zeitraum vor dem 30. März 1987 arbeitsunfähig war. Insoweit ist der Urlaub daher am 31. März 1987 nicht erloschen, sondern zu dem Urlaubsanspruch des Jahres 1988 hinzugetreten und wie dieser zu behandeln.
b) Die Revision meint, der restliche Urlaub sei am 31. März 1987 nicht in das neue Urlaubsjahr übertragen worden, weil der Kläger vor diesem Zeitpunkt seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt habe, man also bezogen auf den 31. März 1987 nicht sagen könne, der Kläger habe den Urlaub „wegen Krankheit” nicht nehmen können. Andererseits sei der Urlaub aber auch nicht deshalb in das Urlaubsjahr 1988 übertragen worden, weil der Kläger ihn erfolglos geltend gemacht habe (§ 10 Nr. 8 MTV). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setze die wirksame Geltendmachung voraus, daß der Urlaubsanspruch vor Eintritt der tariflichen Befristung noch erfüllt werden könne. Diese Möglichkeit habe bezüglich der 28 geforderten Tage nicht bestanden.
§ 10 Nr. 8 MTV setzt, soweit nach ihm Urlaub vom Verfall ausgenommen wird, der wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, nicht voraus, daß die Krankheit bis zum Verfallzeitpunkt gedauert hat. Dies verkennt die Revision. Aus dem für die Auslegung in erster Linie maßgebenden Tarifwortlaut (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) ergeben sich hierfür keine Anhaltspunkte. Auch Urlaub, für dessen Gewährung die nach einer Erkrankung bis zum Verfalltag verbleibenden Arbeitstage nicht ausreichen, kann „wegen Krankheit” nicht genommen werden. Würde entgegen dem Tarifwortlaut angenommen, daß eine Krankheit bis zum Verfalltag andauern muß, damit die Rechtswirkung des § 10 Nr. 8 MTV eintritt, so würde dies dazu führen, daß derjenige, der erst nach dem Verfalltag wieder arbeitsfähig wird, gegenüber demjenigen begünstigt ist, dessen Arbeitsunfähigkeit vorher endet. Jener könnte den ganzen ihm verbliebenen Urlaub aus dem Vorjahr im neuen Urlaubsjahr nehmen, während dieser sich mit dem Resturlaub begnügen müßte, der ihm bis zum Verfalltag noch gewährt werden kann. Es spricht nichts dafür, daß die Tarifnorm denjenigen, der vor dem Verfallzeitpunkt seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt, gegenüber dem, der später an den Arbeitsplatz zurückkehrt, in dieser Weise benachteiligt. Urlaub, der nach einer Krankheit nicht genommen werden kann, weil bis zum Verfalltag für die Urlaubsgewährung nicht genügend Arbeitstage zur Verfügung stehen, verfällt somit nicht.
Zu Unrecht verweist die Revision auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. November 1985 (BAGE 50, 112 = AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung). Sie meint, in dieser Entscheidung seien von den 59 eingeklagten Urlaubstagen nur die 12 zugesprochen worden, die nach Zustellung der Klage (16. März 1983) bis zum Verfalltag (31. März 1983) hätten erfüllt werden können. Gleiches müsse auch hier gelten. Richtig ist, daß auch in jenem Fall die hier auszulegende Tarifnorm anzuwenden war. Die Revision verkennt aber, daß der Kläger jenes Rechtsstreits bereits seit 12. November 1982 wieder arbeitsfähig war. Er war somit in der Zeit vor dem 16. März 1983 nicht durch Krankheit gehindert, die weiteren 47 Urlaubstage zu nehmen. Deshalb war der Urlaub insoweit verfallen. Anders als im vorliegenden Rechtsstreit fand dort die letzte Tatbestandsvariante des § 10 Nr. 8 MTV keine Anwendung.
3. Nicht zu folgen ist dem Landesarbeitsgericht allerdings, soweit es einen Erfüllungsanspruch des Klägers ablehnt. Das Landesarbeitsgericht meint, weil die Beklagte den Urlaub nicht nur im Hinblick auf den Verfall am 31. März 1987, sondern auch bis 31. März 1988 nicht gewährt habe, stehe dem Kläger der Anspruch als Schadenersatz für verfallenen Urlaub zu. Durch die Geltendmachung am 30. März 1987 und die spätere Klagezustellung sei die Beklagte in Schuldnerverzug geraten.
Dem ist nicht zu folgen. Zwar hat die Geltendmachung durch den Kläger den Schuldnerverzug der Beklagten ausgelöst. Es fehlt jedoch an einem von der Beklagten nach § 287 Satz 2 BGB zu vertretenden Untergang des Leistungsgegenstandes und somit an den Voraussetzungen eines Ersatzurlaubsanspruchs (vgl. BAGE 50, 124, 130 = AP Nr. 16 zu § 3 BürlG Rechtsmißbrauch, zu 5 der Gründe). Die erfolglose Geltendmachung des Urlaubs aus dem Jahr 1986 im Urlaubsjahr 1987 hat bewirkt, daß der Urlaubsanspruch auch am 31. März 1988 nicht untergegangen ist (§ 10 Nr. 8 MTV) und somit im Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, am 10. Januar 1989, noch bestand.
Die vom Landesarbeitsgericht herangezogene Entscheidung des Senats vom 26. Mai 1988 (– 8 AZR 774/85 – AP Nr. 19 zu § 1 BUrlG) ist nicht einschlägig. Dort war der Urlaubsanspruch im Jahr 1984 erfolglos geltend gemacht worden. Dies hatte zur Folge, daß der Urlaub nach § 10 Nr. 8 MTV in das Urlaubsjahr 1985 übertragen worden ist. Die vom Senat für die Zeit nach dem 31. März 1986 zu beurteilende Rechtslage stellte sich so dar, daß der Urlaub mangels erneuter Geltendmachung zwar erloschen war, der Beklagte sich jedoch aufgrund der Geltendmachung im Jahr 1984 in Schuldnerverzug befand und deshalb für den erloschenen Urlaub Schadenersatz leisten mußte. Diese Rechtsfolge ist jedoch im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts am 31. März 1988 noch nicht eingetreten, da die erfolglose Geltendmachung erst im Jahr 1987 lag und somit am 31. März 1988 die Übertragungswirkung des § 10 Nr. 8 MTV ausgelöst hat.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Dr. Wittek, Dr. Meyer, Fox
Fundstellen