Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanabfindung bei vermitteltem neuen Arbeitsplatz
Normenkette
BetrVG § 112
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 12. Oktober 1994 – 4 Sa 230/94 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung.
Der Kläger war seit dem 1. September 1989 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Lagerstättengeologe beschäftigt; er war zuletzt in dem ABM-Projekt 707 eingesetzt.
Am 14. September 1991 vereinbarte die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat einen Rahmensozialplan (im folgenden: RSP) für Arbeitnehmer, die nach dem 31. Dezember 1990 von Rationalisierungs- oder Stillegungsmaßnahmen betroffen wurden. Die aus betrieblichen Gründen gekündigten Arbeitnehmer erhielten nach § 4 RSP eine einmalige Abfindung.
In § 3 enthielt der RSP folgende Bestimmung:
„§ 3: Versetzung außerhalb des Unternehmens
Erhalten Arbeitnehmer durch Vermittlung des Unternehmens (Veräußerung von Betriebsteilen an Dritte, Übernahme von sozialen Einrichtungen durch die Gemeinden usw.) einen neuen Arbeitsplatz und ist dabei das regelmäßige monatliche Nettoarbeitsentgelt niedriger als in der bisherigen Tätigkeit, so erhalten sie eine Lohnbeihilfe als Einmalbetrag. Die Lohnbeihilfe errechnet sich aus dem zwölffachen Differenzbetrag zwischen … Wird dem Arbeitnehmer vom neuen Arbeitgeber innerhalb von 2 Jahren aus betrieblichen Gründen gekündigt, so erhält er die Betriebsabfindung gem. § 4. …”
Am 12. November 1992 fand ein Gespräch zwischen Mitarbeitern aus der Personalverwaltung der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Kläger statt, dessen Ergebnis in einem Protokoll wie folgt festgehalten wurde:
„…
Der Arbeitnehmer bekundet das Interesse für eine befristete Tätigkeit in der „G. … mbH”: Ja …
- Information zum Maßnahme-Ende 4/93
- Kündigung zum 31.5.1993 zu erwarten
- Abfindung nach RSP § 4 wird gewährt”
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 26. November 1992 zum 31. Mai 1993 aus betriebsbedingten Gründen; die ABM-Stelle lief zum 30. April 1993 aus.
Nach seiner schriftlichen Bewerbung vom 3. März 1993 schloß der Kläger am 14./29. April 1993 einen Arbeitsvertrag mit der L. GmbH (L.), einer 100%igen Tochter der Rechtsvorgänger in der Beklagten. Um – wie in diesem Arbeitsvertrag vorgesehen – am 1. Mai 1993 die Tätigkeit bei der L. aufzunehmen, wurde auf Bitten des Klägers die Kündigungsfrist von der Beklagten auf den 30. April 1993 verkürzt.
Mit Schreiben vom 18. Mai 1993 und 13. August 1993 verlangte der Kläger von der Beklagten die Zahlung der Abfindung nach dem RSP. Die Beklagte lehnte dies ab, da § 3 des RSP zur Anwendung komme.
Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe die Abfindung nach § 4 RSP zu; dies folge schon aus dem Gesprächsprotokoll vom 12. November 1992. Außerdem liege eine Vermittlungstätigkeit der Beklagten im Sinne von § 3 RSP nicht vor. Vielmehr habe der Kläger von sich aus die Initiative ergriffen, um einen neuen Arbeitsplatz bei der L. zu erhalten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14.997,00 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 21. August 1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung sei nicht gegeben; es liege eine Vermittlung im Sinne von § 3 RSP vor, die den Anspruch ausschließe. Die Beklagte habe durch ihre Aktivitäten einen Ersatzarbeitsplatz für den Kläger bereitgestellt. Es gebe Festlegungen, daß von der L. Arbeitnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten eingestellt würden, denen entweder gekündigt worden sei oder bei denen die Kündigung bevorstehe. Da im Vorstand der L. Mitarbeiter der Rechtsvorgängerin der Beklagten tätig seien, sei der Einfluß der Beklagten auf die dort zur Einstellung vorgesehenen Arbeitnehmer gesichert gewesen. Zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der L. sei festgelegt worden, daß die im ABM-Projekt Tätigen entsprechend dem Auslaufen dieser Maßnahme sich bei der L. bewerben sollten und von dieser übernommen würden. Eine Vermittlung im Sinne von § 3 RSP erfordere lediglich eine Beteiligung der Rechtsvorgängerin der Beklagten an dem Zustandekommen eines anderweitigen Arbeitsverhältnisses für den von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweiserhebung über die Frage einer Vereinbarung zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der L hinsichtlich der Übernahme von Beschäftigten durch Vernehmung des Zeugen D. F. die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Abfindungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu. Zu Recht hat daher das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, ein Anspruch des Klägers auf Zahlung der Abfindung ergebe sich nicht aus dem Gesprächsprotokoll vom 12. November 1992. Mit dem Ergebnisvermerk „Abfindung nach RSP § 4 wird gewährt” habe die Beklagte dem Kläger nicht zugesagt, ihm eine Abfindung unabhängig davon zu zahlen, ob die Voraussetzungen des RSP gegeben seien. Der Vermerk sei vielmehr dahin zu verstehen, daß dem Kläger bei Vorliegen der Voraussetzungen des RSP eine Abfindung gezahlt werden sollte. Der Kläger habe nicht davon ausgehen können, daß ihm die Zahlung der Abfindung auch für den Fall zugesagt werden sollte, daß ein Ausschlußtatbestand nach § 3 RSP vorlag. Trotz Vorliegens der Voraussetzungen von § 4 RSP könne der Kläger den Abfindungsanspruch daher nicht auf den RSP stützen. Nach § 3 RSP scheide der Abfindungsanspruchs aus, wenn der Arbeitnehmer durch Vermittlung des Unternehmens einen neuen Arbeitsplatz erhalten habe und das neue Arbeitsverhältnis nicht innerhalb von zwei Jahren aus betriebsbedingten Gründen durch den neuen Arbeitgeber gekündigt werde. Der Kläger habe den Arbeitsplatz bei der L. durch Vermittlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten erhalten. § 3 RSP erfasse nicht nur eine Arbeitsvermittlung im Sinne von § 13 AFG, sondern alle Fälle, in denen durch ein Handeln der Rechtsvorgängerin der Beklagten und des neuen Arbeitgebers (Veräußerung/Übernahme) ein Arbeitsplatz erhalten werde. Mit ihrem Handeln habe die Beklagte wesentlich dazu beigetragen, daß der Kläger bei der L. ein Arbeitsverhältnis eingehen konnte. Dem stehe nicht entgegen, daß sich der Arbeitnehmer von sich aus um einen neuen Arbeitsplatz bemüht habe. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß die L. bereits vor der Bewerbung des Klägers von der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Liste als Grundlage für die Auswahl des zu übernehmenden Personals erhalten habe, auf der auch der Kläger verzeichnet war. § 3 RSP sei wirksam, er verstoße insbesondere nicht gegen § 75 BetrVG.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.
II. Der Kläger kann von der Beklagten eine Abfindung nicht verlangen. Ein Abfindungsanspruch aus dem RSP besteht bereits deswegen nicht, weil der Kläger durch Vermittlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Sinne von § 3 RSP einen neuen Arbeitsplatz erhalten hat. Der Kläger kann seinen Abfindungsanspruch auch nicht auf das Gesprächsprotokoll vom 12. November 1992 stützen.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht entschieden, daß sich der Abfindungsanspruch des Klägers nicht auf den RSP vom 14. September 1991 stützen läßt.
a) Nach § 4 RSP erhalten die Arbeitnehmer, denen aus betrieblichen Gründen von der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin gekündigt worden ist, eine Abfindung. Der Kläger erfüllt zwar diese Anspruchsvoraussetzungen, sein Abfindungsanspruch ist jedoch nach § 3 des RSP ausgeschlossen.
Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, ergibt das die Auslegung des § 3 RSP. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der RSP als Betriebsvereinbarung wie ein Tarifvertrag und somit wie ein Gesetz auszulegen. Maßgeblich ist auf den im Wortlaut der Betriebs Vereinbarung über den Sozialplan zum Ausdruck gekommenen Willen der Parteien abzustellen und auf den von diesen beabsichtigten Sinn und Zweck, soweit diese in den Regelungen der Betriebsvereinbarung ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei ist auch der Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen. Verbleiben im Einzelfall noch Zweifel, kann auf die Entstehungsgeschichte der Betriebsvereinbarung zurückgegriffen werden. Die Auslegung der Betriebsvereinbarung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt der vollen Überprüfung durch das Revisionsgericht (BAG Urteil vom 27. August 1975 – 4 AZR 454/74 – AP Nr. 2 zu § 112 BetrVG 1972; Urteil vom 28. Oktober 1992 – 10 AZR 129/92 – AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972; Senatsbeschluß vom 28. April 1992 – 1 ABR 68/91 – AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972).
Nach diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt, daß die Weiterbeschäftigung des Klägers bei der L. durch Vermittlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten zustandegekommen ist. Dabei ist das Revisionsgericht an die vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen und die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mangels formeller Rügen gebunden. Danach hat die L. bereits vor der Bewerbung des Klägers um einen Arbeitsplatz von der Beklagten eine Liste erhalten, in der aufgezeichnet war, bei welchen Arbeitnehmern der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu welchem Zeitpunkt ABM ausliefen und auf der der Kläger verzeichnet war. Diese Liste war die Grundlage für die Auswahl des Personals bei der L.; bereits am 18. Februar 1993 war über die Übernahme von Personal aus dieser Liste gesprochen worden. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen eine Vermittlung im Sinne des § 3 RSP angenommen hat.
Aus § 3 RSP folgt nach dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck sowie dem Gesamtzusammenhang, daß die Betriebspartner das Tatbestandsmerkmal der „… Vermittlung des Unternehmens …” in einem weiten Sinn verstanden haben; dies zeigt sich insbesondere daran, daß die Überschrift von § 3 RSP lautet „Versetzung außerhalb des Unternehmens” und in Klammern die „Veräußerung von Betriebsteilen an Dritte” und die „Übernahme von sozialen Einrichtungen durch die Gemeinden” als Beispiele für die Vermittlung aufgeführt sind. Daraus und aus dem Zusatz „usw.” ist zu schließen, daß die Betriebspartner im RSP die Beteiligung des Unternehmens am Erhalt eines Arbeitsplatzes im weitesten Sinne als „Vermittlung des Unternehmens” ansehen wollten. Es entspricht auch dem Sinn und Zweck einer Sozialplanabfindung, bei Erhalt des Arbeitsplatzes den Ausgleich bzw. die Milderung der durch die Betriebsänderung verursachten Nachteile anders zu regeln als bei Verlust des Arbeitsplatzes. Dem haben die Betriebspartner in § 3 RSP Rechnung getragen.
b) Wie das Landesarbeitsgericht weiter zutreffend festgestellt hat, verstößt der Ausschluß des Klägers von der Sozialplanabfindung nach § 3 RSP weder gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen sonstige zwingende Vorschriften. Der Senat hat dies in einem vergleichbaren Fall mit Beteiligung der Beklagten in seinem Urteil vom 12. Juli 1995 (– 10 AZR 127/95 –, n.v.) eingehend geprüft und verneint; er hat ausgeführt, es sei sachlich gerechtfertigt, wenn die Betriebspartner den Ausschluß der Abfindung für den Fall vorsehen, daß der Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsplatz erhalten hat. Es stelle keine sachfremde Differenzierung dar, wenn Arbeitnehmer, die unmittelbar auf Vermittlung des Arbeitgebers weiterbeschäftigt werden, von Abfindungsansprüchen ausgenommen werden (Senatsurteil vom 28. Oktober 1992 – 10 AZR 129/92 – AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972; Senatsurteil vom 27. Juli 1994 – 10 AZR 710/93 –, n.v.). Der Senat hat es als sachgerecht angesehen, bei der Gewährung einer Sozialplanabfindung danach zu differenzieren, ob der Arbeitgeber dazu beigetragen hat, daß ein neues Arbeitsverhältnis zustande kommt und somit die aus der Betriebsänderung folgenden Nachteile für die Arbeitnehmer gering gehalten oder vermindert werden. Da § 3 RSP neben der Zahlung einer Lohnbeihilfe bei Lohneinbußen im neuen Arbeitsverhältnis die Zahlung der Sozialplanabfindung für den Fall vorsieht, daß dem Arbeitnehmer vom neuen Arbeitgeber innerhalb von zwei Jahren aus betrieblichen Gründen gekündigt wird, haben die Betriebspartner ausreichend eventuelle Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer aufgrund der bevorstehenden Betriebsänderung berücksichtigt. Daran hält der Senat fest.
2. Ein Anspruch des Klägers auf die geltend gemachte Abfindung aus dem RSP kann auch nicht auf das Gesprächsprotokoll vom 12. November 1992 gestützt werden. Der Vermerk in diesem Gesprächsprotokoll „Abfindung nach RSP § 4 wird gewährt” führt nicht dazu, daß der Kläger ohne Vorliegen der Voraussetzungen des RSP die Sozialplanabfindung geltend machen kann. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dieser Vermerk sei so verstehen, daß die Abfindung nur bei Vorliegen der in § 4 RSP genannten Voraussetzungen gewährt wird. Ein Abfindungsanspruch wäre daher nur dann gegeben, wenn der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen des RSP erfüllt und § 3 RSP den Abfindungsanspruch nicht ausschließt. Da dies nach den obigen Ausführungen nicht der Fall ist, weil der Kläger auf Vermittlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Sinne von § 3 RSP einen neuen Arbeitsplatz erhalten hat, steht dem Kläger ein Abfindungsanspruch nicht zu.
Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Richter Dr. Freitag ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert. Matthes, Hauck, Staedtler, Paul
Fundstellen