Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanabfindung bei vermitteltem neuen Arbeitsplatz
Normenkette
BetrVG § 112
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 12. Oktober 1994 – 4 Sa 760/93 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung.
Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem 3. November 1969 beschäftigt; er war in der Ausbildungsstätte B./K. als Lehrmeister tätig. Der Kläger verdiente zuletzt monatlich 2.275,00 DM brutto. Das Arbeitsverhältnis wurde auf Antrag des Klägers vom 13. August 1991 durch Aufhebungsvertrag mit dem 14. August 1991 beendet. Der Kläger hatte zu diesem Zeitpunkt eine Zusage, als Ausbilder bei der E. (im folgenden: E.) in G.-B. tätig zu werden, wo er seit September 1991 beschäftigt ist.
In der Ausbildungsstätte B./K. wurde 1990 der letzte Ausbildungsjahrgang aufgenommen; Anfang 1991 beschloß der Vorstand der L. Aktiengesellschaft, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Ausbildungsstätte B./K. nicht weiterzuführen. Etwa Mitte 1991 teilte der Leiter der Ausbildungsstätte, Herr K., den Lehrmeistern, u.a. dem Kläger, mit, daß mit Auslaufen des Ausbildungsjahrgangs 1990 die Ausbildungsstätte B./K. geschlossen werden solle.
Der Kläger hat sich bei der E. beworben, nachdem er von seinem Ausbildungsleiter die Information erhalten hatte, daß die E. Lehrmeister suche. In einem Antrag des Werkbereichs C. der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 8. Juli 1991 auf Vermietung von Flächen und Grundstücken der Ausbildungsstätte im Betriebsgelände B. die E. war die Übernahme von 16 Beschäftigten der Rechtsvorgängerin der Beklagten durch die E. aufgeführt.
Am 14. September 1991 vereinbarte der Vorstand der Beklagten mit dem Gesamtbetriebsrat einen Rahmensozialplan (im folgenden: RSP), der u.a. folgende Regelungen vorsah:
„§ 3: Versetzung außerhalb des Unternehmens
Erhalten Arbeitnehmer durch Vermittlung des Unternehmens (Veräußerung von Betriebsteilen an Dritte, Übernahme von sozialen Einrichtungen durch die Gemeinden usw.) einen neuen Arbeitsplatz und ist dabei das regelmäßige monatliche Nettoarbeitsentgelt niedriger als in der bisherigen Tätigkeit, so erhalten sie eine Lohnbeihilfe als Einmalbetrag. Die Lohnbeihilfe errechnet sich aus dem zwölffachen Differenzbetrag zwischen … Wird dem Arbeitnehmer vom neuen Arbeitgeber innerhalb von 2 Jahren aus betrieblichen Gründen gekündigt, so erhält er die Betriebsabfindung gemäß § 4. …
§ 4: Betriebsabfindung an Entlassene
Arbeitnehmer, die aus betrieblichen Gründen gekündigt werden, erhalten eine einmalige Betriebsabfindung. Die Betriebsabfindung wird nach folgender Formel berechnet:
…”
Alter + Unternehmens Zugehörigkeit × Monatsentgelt …
…”
In einer „Interpretation” des Vorstands der Beklagten und des Gesamtbetriebsrats zum RSP heißt es u.a.:
„Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis mit der L. gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag beendet haben, ohne konkrete Äußerung des Arbeitgebers, daß für sie keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht, haben keinen Anspruch auf Leistungen des Rahmensozialplanes.”
Mit Schreiben vom 28. November 1991 verlangte der Kläger die Zahlung der Abfindung nach dem RSP. Nach Ablehnung durch die Beklagte machte der Kläger den Anspruch mit der Klage vom 23. November 1992 geltend.
Im Jahr 1991 hat die Beklagte keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen. Die Ausbildung in der Ausbildungsstätte B./K. wurde zum 28. Februar 1994 beendet.
Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe die Sozialplanabfindung zu, da ihm von der Beklagten dringend geraten worden sei, das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag zu beenden. Er habe seinen bisherigen Arbeitsplatz als bedroht angesehen, und die Beklagte habe ihm in keiner Weise den Fortbestand des Arbeitsplatzes zusichern können. Eine Vermittlung im Sinne von § 3 RSP durch die Beklagte in das neue Arbeitsverhältnis liege nicht vor; er habe sich aus eigenem Antrieb bei der E. beworben.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.015,00 DM nebst 3 % Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Voraussetzungen für die Zahlung der Sozialplanabfindung seien nicht gegeben, da eine Kündigung der Beklagten nicht vorliege. Der Kläger sei bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten dringend benötigt worden, worauf der verantwortliche Leiter ihn hingewiesen habe. Der Kläger würde noch heute im Unternehmen der Beklagten beschäftigt werden. Außerdem liege eine Vermittlung durch das Unternehmen im Sinne von § 3 RSP vor. In § 3 RSP komme zum Ausdruck, daß Arbeitnehmer mit einem Anschlußarbeitsverhältnis eine Abfindung nur erhalten sollten, wenn das Anschlußarbeitsverhältnis innerhalb von zwei Jahren beendet werde. Im übrigen fehle es an einer Veranlassung der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch die Beklagte.
Das Arbeitsgericht hat nach Beweiserhebung der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf eine Abfindung nicht zu. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht daher auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, soweit § 4 des RSP die Abfindungszahlung an solche Arbeitnehmer vorsieht, denen aus betrieblichen Gründen gekündigt worden ist, erfülle der Kläger diese Anspruchsvoraussetzung nicht, da er nicht durch Kündigung der Beklagten, sondern durch Aufhebungsvertrag ausgeschieden ist. Unter Berücksichtigung der §§ 75, 112 a BetrVG müßten hinsichtlich der Folgen der Betriebsänderung jedoch solche Arbeitnehmer den vom Arbeitgeber gekündigten Arbeitnehmern gleichgestellt werden, die durch einen vom Arbeitgeber im Hinblick auf eine geplante Betriebsänderung veranlaßten Aufhebungsvertrag oder eine veranlaßte Eigenkündigung ausschieden. Eine solche Veranlassung, die vorliegt, wenn der Aufhebungsvertrag bzw. die Eigenkündigung an die Stelle einer im Zuge der geplanten Betriebsänderung sonst notwendigen Arbeitgeberkündigung tritt, sei bei dem Kläger jedoch nicht gegeben. Die vom Kläger vorgetragene Unsicherheit über den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses und die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes reichten allein noch nicht für eine Veranlassung des Aufhebungsvertrags durch den Arbeitgeber aus. Den Beschäftigten sei lediglich erklärt worden, es sei absolut unklar, wie es weitergehen solle, die Rechtsvorgängerin der Beklagten wisse nicht, wem gekündigt werde; darin sei ein für die Veranlassung erforderlicher Bezug zu einer geplanten Betriebsänderung nicht zu sehen. Auch die Mitteilung, daß die Ausbildungsstätte B./K. geschlossen werden solle, reiche als arbeitgeberseitige Veranlassung des Aufhebungsvertrags nicht aus. Da 1990 noch Auszubildende aufgenommen worden seien, habe eine Schließung der Ausbildungsstätte B./K. frühestens Anfang 1994 erfolgen können. Ein Anspruch des Klägers auf die Abfindung folge auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Es sei nicht sachfremd, wenn Arbeitnehmer, die aufgrund eines nicht vom Arbeitgeber veranlaßten Aufhebungsvertrages ausscheiden, von Abfindungsansprüchen ausgenommen werden, betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer die Abfindung aber auch dann erhalten, wenn sie noch während der Kündigungsfrist eine neue Arbeitsstelle finden. Da dem Kläger somit bereits keine Abfindung nach dem RSP (§ 4) zustehe, könne es offenbleiben, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der E. durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten im Sinne von § 3 RSP vermittelt worden sei.
Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat im Ergebnis.
II. Dem Kläger steht die mit der Klage geltend gemachte Abfindung nicht zu.
Ein Anspruch aus dem RSP besteht bereits deshalb nicht, weil der Kläger im Sinne von § 3 RSP durch Vermittlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen neuen Arbeitsplatz bei der E. erhalten hat.
1. Der Kläger erfüllt grundsätzlich die Voraussetzungen für die Zahlung einer Abfindung nach dem RSP. Der Senat hat sich mit den Fragen, ob der RSP vom 14. September 1991 mit der Regelung, daß nur Arbeitnehmern, denen von der Beklagten aus betrieblichen Gründen gekündigt worden ist (§ 4 RSP) bzw. die aufgrund von betrieblich veranlaßten Aufhebungsverträgen aus dem Unternehmen der Beklagten ausgeschieden sind („Interpretation” der Betriebspartner zum RSP) gegen den § 75 BetrVG verstößt, unter welchen Umständen eine Eigenkündigung oder ein Aufhebungsvertrag vom Arbeitgeber veranlaßt ist, ob der Kläger, gemessen an den aufgrund eines betrieblich veranlaßten Aufhebungsvertrages aus dem Unternehmen der Beklagten ausgeschiedenen Arbeitnehmern einen Anspruch auf Abfindung aus der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hat, im einzelnen in den Urteilen vom 20. April 1994 (– 10 AZR 323/93 – AP Nr. 77 zu § 112 BetrVG 1972 und vom 5. April 1995 – 10 AZR 554/94 –, n.v.) befaßt und einen Verstoß des RSP gegen § 75 BetrVG sowie einen Anspruch auf Abfindung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung verneint. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
2. Danach hat der Kläger zwar nach dem Wortlaut des RSP keinen Anspruch auf eine Sozialplanabfindung, weil er infolge des Aufhebungsvertrages vom 13. August 1991 zum 14. August 1991 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Nach dem Willen der Betriebspartner des RSP, wie er sich in ihrer „Interpretation” niederschlägt, sollen die Sozialplanregelungen jedoch auch auf die Arbeitnehmer angewandt werden, die im Hinblick auf eine Betriebsänderung vom Arbeitgeber zum Ausscheiden mittels Aufhebungsvertrag veranlaßt wurden. Ob diese Voraussetzung beim Kläger gegeben ist, kann jedoch dahinstehen, weil der Kläger durch Vermittlung der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin ein neues Arbeitsverhältnis bei der E. eingegangen und daher nach § 3 RSP die Zahlung der Sozialplanabfindung ausgeschlossen ist.
3. Nach § 3 des RSP scheidet auch bei einem auf Veranlassung des Arbeitgebers abgeschlossenen Aufhebungsvertrag ein Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers aus, wenn er durch Vermittlung des Unternehmens einen neuen Arbeitsplatz erhalten hat und das neue Arbeitsverhältnis nicht innerhalb von zwei Jahren aus betriebsbedingten Gründen durch den neuen Arbeitgeber gekündigt wird.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der RSP als Betriebsvereinbarung wie ein Tarifvertrag und somit wie ein Gesetz auszulegen. Maßgeblich ist auf den im Wortlaut der Betriebsvereinbarung über den Sozialplan zum Ausdruck gekommenen Willen der Parteien abzustellen und auf den von diesen beabsichtigten Sinn und Zweck, soweit diese in den Regelungen der Betriebsvereinbarung ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei ist auch der Gesamt Zusammenhang zu berücksichtigen. Verbleiben im Einzelfall noch Zweifel, kann auf die Entstehungsgeschichte der Betriebsvereinbarung zurückgegriffen werden. Die Auslegung der Betriebsvereinbarung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt der vollen Überprüfung durch das Revisionsgericht (BAG Urteil vom 27. August 1975 – 4 AZR 454/74 – AP Nr. 2 zu § 112 BetrVG 1972; Urteil vom 28. Oktober 1992 – 10 AZR 129/92 – AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972; Senatsbeschluß vom 28. April 1992 – 1 ABR 68/91 – AP Nr. 11 zu § 50 BetrVG 1972).
Aus § 3 RSP folgt nach dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck sowie dem Gesamt Zusammenhang, daß die Betriebspartner das Tatbestandsmerkmal der „… Vermittlung des Unternehmens …” in einem weiten Sinn verstanden haben; dies zeigt sich insbesondere daran, daß die Überschrift von § 3 RSP lautet „Versetzung außerhalb des Unternehmens” und in Klammern die „Veräußerung von Betriebsteilen an Dritte” und die „Übernahme von sozialen Einrichtungen durch die Gemeinden” als Beispiele für die Vermittlung angeführt sind. Daraus und aus dem Zusatz „usw.” ist zu schließen, daß die Betriebspartner im RSP die Beteiligung des Unternehmens am Erhalt eines Arbeitsplatzes im weitesten Sinne als „Vermittlung des Unternehmens” ansehen wollten. Es entspricht auch dem Sinn und Zweck einer Sozialplanabfindung, bei Erhalt des Arbeitsplatzes den Ausgleich bzw. die Milderung der durch die Betriebsänderung verursachten Nachteile anders zu regeln als bei Verlust des Arbeitsplatzes.
Der Kläger hat danach den Arbeitsplatz bei der E. durch Vermittlung der Rechtsvorgängerin der Beklagten erhalten. Mit ihrem Handeln hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten wesentlich dazu beigetragen, daß der Kläger bei der E. ein Arbeitsverhältnis eingehen konnte. Die Beklagte hat die Fortführung der Ausbildung durch die E. durch die Einräumung besonders günstiger Konditionen gefördert und zusammen mit der E. festgelegt, daß die in der Ausbildungsstätte B./K. bisher beschäftigten Ausbilder je nach Eignung übernommen werden. Die Vermietung von Flächen und Gebäuden an die E. wurde daran geknüpft, daß von dieser Mitarbeiter der Beklagten übernommen werden. Dementsprechend ist u.a. der Kläger bei der E. eingestellt worden.
4. Der Ausschluß des Klägers von der Sozialplanabfindung nach § 3 RSP verstößt auch nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder gegen sonstige zwingende Vorschriften. Da die Bestimmungen in § 3 RSP daran anknüpfen, daß der Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsplatz erhalten hat, ist es sachlich gerechtfertigt, wenn die Betriebspartner für diesen Fall den Ausschluß der Abfindung vorsehen. Es stellt keine sachfremde Differenzierung dar, Arbeitnehmer, die unmittelbar auf Vermittlung des Arbeitgebers weiterbeschäftigt werden, von Abfindungsansprüchen auszunehmen (Senatsurteile vom 28. Oktober 1992 – 10 AZR 129/92 – AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972; vom 27. Juli 1994 – 10 AZR 710/93 –, n.v.; vom 12. Juli 1995 – 10 AZR 127/95 –, n.v.). Der Senat hat es in diesen Entscheidungen stets für sachgerecht gehalten, bei der Gewährung einer Sozialplanabfindung danach zu differenzieren, ob der Arbeitgeber dazu beigetragen hat, daß ein neues Arbeitsverhältnis zustandegekommen ist und die sich aus der Betriebsänderung ergebenden Nachteile gering gehalten oder vermindert werden. Da § 3 RSP neben der Zahlung einer Lohnbeihilfe bei Lohneinbußen im neuen Arbeitsverhältnis die Zahlung der Sozialplanabfindung für den Fall vorsieht, daß dem Arbeitnehmer vom neuen Arbeitgeber innerhalb von zwei Jahren aus betrieblichen Gründen gekündigt wird, haben die Betriebspartner die eventuellen Nachteile der betroffenen Arbeitnehmer aufgrund der bevorstehenden Betriebsänderung ausreichend berücksichtigt.
Ist der Abfindungsanspruch des Klägers jedenfalls nach § 3 RSP ausgeschlossen, ist seine Revision zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Richter Dr. Freitag ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert. Matthes, Hauck, Staedtler, Paul
Fundstellen