Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Redakteur wegen Leistungsmängeln
Normenkette
KSchG § 1; ZPO §§ 554, 561
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. November 1995 – 5 Sa 947/95 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 1. April 1992 bei der Beklagten als Redakteur in der Redaktion der „W.” im Ressort „Management und Karriere” beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 7.680,00 DM.
Mit Schreiben vom 26. Juli 1994 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, in der sie bemängelte, daß der vom Kläger geschriebene Artikel „Gründerkarrieren – Vom Markt gefegt –” nicht den Qualitätsanforderungen der „W.” entspreche und daher nicht veröffentlicht werden könne. Zudem habe der Kläger den vorgegebenen Abgabetermin nicht eingehalten. Für den Fall, daß zukünftige Artikel des Klägers nicht dem von der Beklagten schriftlich festgelegten „Anforderungsprofil für eine W.-Magazingeschichte” entsprechen sollten, drohte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Mit Schreiben vom 25. August 1994 mahnte die Beklagte den Kläger ein weiteres Mal ab. Anlaß war, daß der vom Kläger verfaßte Artikel „Corporate Identity – Unsinnige Ausgabe” nach Ansicht der Beklagten nicht dem vorgenannten Anforderungsprofil entsprach.
Nachdem die Beklagte auch eine weitere Abhandlung des Klägers, die sich mit der Haftung von Managern beschäftigte („Fades Argument”), als nicht qualitätsgerecht empfunden hatte und der Kläger den Artikel „Finanzmanager – Riskanter Job” nicht termingerecht abgegeben hatte, hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Schreiben vom 10. Oktober 1994 zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 14. und 17. Oktober 1994 und verwies u.a. darauf, daß der Kläger als Nachrichtenredakteur weiterbeschäftigt werden könne, zumal er bisher beanstandungslos für die Nachrichtenredaktion mitgearbeitet habe.
Mit Schreiben vom 17. Oktober 1994 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 30. April 1995 und stellte ihn gleichzeitig unter Fortzahlung der Bezüge von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.
Mit seiner am 28. Oktober 1994 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Kritik der Beklagten an seinen Artikeln sei unberechtigt. Er habe nicht gegen journalistische Grundsätze verstoßen. Die Kündigung sei zudem unverhältnismäßig, da die Beklagte ihn auf einem anderen Arbeitsplatz, vor allem als Nachrichtenredakteur, hätte weiterbeschäftigen können. Schließlich hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates bestritten.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß die Kündigung der Beklagten vom 17. Oktober 1994 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 30. April 1995 beendet hat;
- die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluß des vorliegenden Verfahrens als Redakteur der „W. weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat zur Betriebsratsanhörung auf ihr Schreiben vom 10. Oktober 1994 verwiesen und die Ansicht vertreten, daß sie damit ihrer Anhörungspflicht ausreichend nachgekommen sei. Zur Begründung der Kündigung hat sich die Beklagte darauf berufen, daß der Kläger in der Vergangenheit dem von ihr konzipierten „Anforderungsprofil für eine W.-Magazingeschichte” nicht genügt habe. Die vom Kläger abgelieferten Artikel seien nicht brauchbar gewesen, und er habe zudem eine übermäßig lange Bearbeitungszeit benötigt. Seine Beiträge belegten, daß der Kläger mangelnde journalistische Fähigkeiten aufweise, die dem „Anforderungsprofil” der Beklagten nicht genügten. Unter dem Gesichtspunkt der grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit stelle es einen tendenzbedingten Kündigungsgrund dar, wenn der Kläger ihren Vorgaben, mit der „W.” ein gehobenes Wirtschaftsmagazin herauszugeben, nicht Folge leiste. Ihr stehe das Recht zu, eine bestimmte sprachliche Form und einen gewissen journalistischen Standard zu verlangen. Diesem sei der Kläger trotz zweier Abmahnungen nicht ausreichend nachgekommen. Ferner sei ihr durch das Auftreten des Klägers im Kreise der Informanten ein erheblicher Schaden entstanden. Informanten hätten den Kläger als unsensibel und unseriös charakterisiert und eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger bzw. der „W.” abgelehnt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist zulässig. Zwar hat die Beklagte nur die Aufhebung des angegriffenen Urteils des Landesarbeitsgerichts beantragt. Der Revisionsbegründung läßt sich jedoch ausreichend entnehmen, daß es der Beklagten um die Abweisung der Klage geht, und in der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte klargestellt, daß sie ihren erfolglos gebliebenen Hilfsantrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorerst nicht weiterverfolgt. Die Revisionsbegründung genügt danach (noch) den Anforderungen von § 554 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 a ZPO.
II. Die Revision der Beklagten ist jedoch unbegründet. Die streitige Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und folglich rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 und 2 KSchG).
1. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, der Kläger sei als angestellter Redakteur Tendenzträger in einem Tendenzbetrieb. Die dem Kläger zum Vorwurf gemachten Leistungsmängel seien jedoch nicht tendenzbezogen und deshalb der Prüfung im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG nicht entzogen. Soweit die Beklagte ihre gegenteilige Auffassung insbesondere auf das von ihr formulierte „Anforderungsprofil” stütze, könne dem nicht gefolgt werden. Die von der Beklagten gerügten Artikel hielten sich im Rahmen des „Anforderungsprofils” bzw. der konkreten Aufgabenstellung. Allein eine Überschreitung des Abgabetermins in ein oder zwei Fällen sei dem Kläger vorzuwerfen. Dies könne einen verständig urteilenden Arbeitgeber aber ohne das Hinzutreten besonderer Umstände nicht zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung veranlassen. Selbst wenn man aber zu dem Ergebnis gelange, der Kläger habe teilweise gegen das „Anforderungsprofil” verstoßen, sei eine Beendigungskündigung nicht gerechtfertigt, denn eine solche verstoße gegen das ultima ratio-Prinzip. Der Kläger habe nach seinem Vortrag auf einem freien Arbeitsplatz in der Redaktion der Wirtschaftswoche als Nachrichtenredakteur eingesetzt werden können. Diesem sei die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten.
2. Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Kündigung der Beklagten vom 17. Oktober 1994 sei gem. § 1 Abs. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt.
a) Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien Anwendung. Der Anwendbarkeit steht nicht entgegen, daß es sich bei der Beklagten um ein Tendenzunternehmen und beim Kläger um einen Tendenzträger handelt. Im Unterschied zum Betriebsverfassungsgesetz kennt das Kündigungsschutzgesetz keine dem § 118 BetrVG vergleichbare Bestimmung, derzufolge im Interesse des Grundrechtsschutzes (insbesondere des Art. 5 GG) Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes keine Anwendung finden, soweit die Eigenart des Unternehmens oder Betriebes dem entgegensteht. § 1 KSchG bildet als Regelung in einem allgemeinen Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG eine grundsätzlich zulässige Schranke für die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte und hier in Rede stehende Pressefreiheit. Die Reichweite dieser Schranke ist ihrerseits durch die Bedeutung der Pressefreiheit für einen freiheitlich-demokratischen Staat beschränkt. Dies hat zur Folge, daß weder den unmittelbar für die Berichterstattung und/oder Meinungsäußerung der Zeitschrift tätigen Mitarbeitern der arbeitsrechtliche Bestandsschutz generell versagt werden darf, noch die Regeln des Kündigungsschutzgesetzes in einer Weise angewendet werden dürfen, die das durch die Verfassung geschützte Recht der Presseunternehmen, frei von fremder Einflußnahme über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung dieser Mitarbeiter zu bestimmen, unberücksichtigt läßt (vgl. zum ähnlichen Fall des Verhältnisses zwischen dem arbeitsrechtlichen Bestandsschutz und der Rundfunkfreiheit BVerfG Beschluß vom 13. Januar 1982 – 1 BvR 848/77 u.a. – BVerfGE 59, 231, 264 f. = AP Nr. 48 zu § 611 BGB Abhängigkeit, zu C II 3 der Gründe).
b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst – ggf. unter Berücksichtigung des Einflusses einschlägiger Grundrechte – verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. Urteile vom 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu I der Gründe und vom 26. Januar 1995 – 2 AZR 649/94 – AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 1 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil stand.
c) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die streitige Kündigung jedenfalls gegen den das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Die Kündigung ist nach den für den Senat gemäß § 561 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht „ultima ratio”.
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muß der Arbeitgeber vor jeder Kündigung prüfen, ob eine Umsetzung oder Versetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz möglich und zumutbar ist (vgl. BAG Urteil vom 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – BAGE 73, 42, 53 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu III 2 c der Gründe, m.w.N.). Eine Um-/Versetzung kommt dann in Betracht, wenn ein freier Arbeitsplatz besteht, auf dem der Arbeitnehmer die verlangte Tätigkeit anforderungsgerecht ausführen kann und objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Arbeitnehmer das beanstandete Verhalten auf dem anderen Arbeitsplatz nicht fortsetzen wird, es sich also nicht um arbeitsplatzunabhängige Pflichtverstöße handelt (vgl. BAG, a.a.O.; KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 393; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl. Rz 692).
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, zum Zeitpunkt der Kündigung habe in der Redaktion der „W.” ein freier Arbeitsplatz als Nachrichtenredakteur bestanden, auf dem der Kläger hätte eingesetzt werden können. Gegen diese Feststellung erhebt die Revision keine Rüge, so daß sie für den Senat gem. § 561 ZPO bindend ist. Die von der Beklagten dem Kläger zum Vorwurf gemachten Leistungsmängel sind arbeitsplatzbezogen. Zutreffend verweist das Landesarbeitsgericht insoweit darauf, daß die Beklagte dem Kläger vor allem Verstöße gegen das „Anforderungsprofil für eine W.-Magazingeschichte” vorwirft. Objektive Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger die beanstandeten Mängel auch in der Position eines Nachrichtenredakteurs zeigen würde, bestellen nicht. Der pauschale Verweis der Beklagten auf eklatante Leistungsmängel des Klägers reicht nicht aus. Den Ausführungen des Betriebsrates, auf die sich der Kläger zur Unterstützung seines Vorbringens berufen hat, der Kläger habe bis zum Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung beanstandungslos für die Nachrichtenredaktion mitgearbeitet, ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Es fehlt an jeglichem substantiierten Vortrag der Beklagten, weshalb der Kläger nicht fähig oder willens sein soll, die an einen Nachrichtenredakteur zu stellenden Anforderungen pflichtgemäß und tendenzgerecht zu erfüllen.
d) Auf die weiteren von den Parteien aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere die Bedeutung des Tendenzschutzes im Rahmen von § 1 KSchG für die Beurteilung der bisherigen Tätigkeit des Klägers als Redakteur im Ressort „Management und Karriere” der Redaktion der „W.”, kam es somit nicht mehr an. Mit der rechtskräftigen Entscheidung des Senats über den Feststellungsantrag hat sich auch der auf vorläufige Weiterbeschäftigung gerichtete Antrag des Klägers erledigt.
Unterschriften
Etzel, Bröhl, Fischermeier, Nielebock, Engelmann
Fundstellen