Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80 % oder 100 %
Leitsatz (amtlich)
§ 13 Nr. 4 i.V.m. § 9 Nr. 1 c des Manteltarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Baden-Württemberg vom 24. März 1994 stellt eine konstitutive Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dar und begründet einen Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts in Höhe von 100 %.
Normenkette
EFZG § 4 Abs. 1 S. 1 n.F.; TVG § 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 1. Juli 1997 – 14 Sa 12/97 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 1997 – 9 Ca 765/96 – wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten der Berufung und der Revision hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Beklagte betreibt das Kurhaus B.. Der Kläger ist bei ihr als „Barkeeper” beschäftigt. Er bezieht ein monatliches Festgehalt von 3.328,00 DM brutto.
Der Kläger war vom 4. bis zum 7. Oktober 1996 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete für diesen Zeitraum Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % seines Gehalts. Der Kläger verlangt Fortzahlung in voller Höhe.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Baden-Württemberg (MTV) Anwendung. Er enthält in seinem § 13 Regelungen über „Lohnzahlung bei Arbeitsversäumnis, Arbeitsunterbrechung, Krankheit – Beihilfe im Sterbefall”. In ihrer im streitbefangenen Zeitraum geltenden Fassung vom 24. März 1994 hatte die Vorschrift folgenden Wortlaut:
„Alle Arbeitnehmer erhalten bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung ihrer vollen Bezüge – Prozentempfänger gem. § 9 c (Feiertagsvergütung) – Freizeit in erforderlichem Umfang bis zur Dauer von 3 Arbeitstagen
- bei eigener Hochzeit
- Niederkunft der Ehefrau
- …
- …
Die gleiche Vergütung wie in Ziffer 1 wird … bis zur Höchstdauer von 3 Tagen fortgewährt
bei Versäumnis zur Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und Ehrenämter …
Die Arbeitnehmer haben in den vorstehenden Fällen rechtzeitig um Arbeitsbefreiung nachzusuchen.
Nachweis der Arbeitsunfähigkeit
Bei nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit haben alle Arbeitnehmer Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts resp. Lohnes nach den gesetzlichen Bestimmungen (höchstens 6 Wochen = 42 Kalendertage) entsprechend der Feiertagsvergütung gem. § 9 c.
…”
Der in Bezug genommene § 9 MTV lautete:
„Feiertagsausgleich und -vergütung
1. Die Vergütung von Feiertagen, außer solchen die auf einen Samstag oder Sonntag fallen, regelt sich wie folgt:
Bei infolge eines gesetzlichen Feiertags ausfallender Arbeitszeit wird Festbesoldeten der Feiertag unter Fortzahlung des vereinbarten Lohnes bzw. Gehaltes vergütet. – Umsatzbeteiligte erhalten die Vergütung nach Ziffer c.
…
- Anfallende Arbeitszeit, die nicht durch besondere freie Tage ausgeglichen wird, ist mit einem Zuschlag von 125 bzw. 150 Prozent … aus dem Effektivverdienst besonders zu vergüten ….
- Anfallende Arbeitszeit, die durch besondere freie Tage – neben den wöchentlichen Ruhetagen gemäß § 8 – ausgeglichen wird, ist für Umsatzbeteiligte pro Tag in Höhe 1/22stel des monatlichen Effektivverdienstes, für Festbesoldete unter Fortzahlung des vereinbarten Lohnes bzw. Gehaltes zu vergüten.
Als Effektivverdienst gemäß Ziff. b) und c) gilt:
Für Festbesoldete der vereinbarte monatliche Lohn bzw. Gehalt; für Umsatzbeiteiligte die in § 10 Ziff. 8 b – Urlaub – getroffene Regelung, wobei die Quotelung 1/22stel beträgt ….”
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe tarifvertraglich für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit 100 % seines anteiligen Festgehalts zu. § 13 MTV enthalte eine statische Verweisung auf die bei Abschluß des Tarifvertrages geltenden Gesetze. Damit erweise sich die Vorschrift als eigenständige, konstitutive Tarifnorm.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 88,74 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 1. November 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Auslegung des § 13 MTV ergebe, daß die Tarifparteien eine dem jeweils geltenden Gesetz entsprechende Regelung der Entgeltfortzahlung hätten treffen wollen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger kann für die vier Tage seiner Arbeitsunfähigkeit Fortzahlung des vereinbarten Gehalts in voller Höhe verlangen. Der rechnerisch unstreitige Anspruch des Klägers folgt aus § 13 Ziff. 4 i.V.m. § 9 Ziff. 1 c MTV in der Fassung vom 24. März 1994. Die Tarifparteien des Hotel- und Gaststättengewerbes Baden-Württemberg haben darin eine eigenständige, von den Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes unabhängige Regelung über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall getroffen. Danach ist sechs Wochen lang das volle Gehalt bzw. der volle Lohn weiterzuzahlen.
I. Vor dem Inkrafttreten des Entgeltfortzahlungsgesetzes am 1. Juni 1994 gab es für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für Arbeiter und Angestellte unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Für Arbeiter galt das „Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz)” vom 27. Juli 1969, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 1988. Angestellte hatten nach § 616 Abs. 2 BGB, § 63 HGB und § 133 c GewO Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall.
Durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994 wurde die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter und Angestellte auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Dabei blieb die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts unverändert. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. I 1996, S. 1476, 1477) wurde die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall herabgesetzt. Sie beträgt nunmehr nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG „80 vom Hundert des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts”.
Bestehende tarifliche Regelungen sind durch das Gesetz vom 25. September 1996 nicht aufgehoben worden. Der Gesetzgeber wollte in bestehende Tarifverträge nicht eingreifen (vgl. BT-Drucks. 13/4612, B 1; Buchner, NZA 1996, 1177, 1179/80).
II. Nach § 13 Ziff. 4 MTV haben alle Arbeitnehmer bei nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit „Anspruch auf Fortzahlung des Gehaltes resp. Lohnes nach den gesetzlichen Bestimmungen (höchstens sechs Wochen = 42 Kalendertage) entsprechend der Feiertagsvergütung gem. § 9 c”.
Mit der Beklagten und dem Landesarbeitsgericht mag angenommen werden, daß es sich bei diesem Verweis auf „die gesetzlichen Bestimmungen” um eine sog. dynamische Verweisung handelt, wonach die gesetzlichen Bestimmungen in ihrer jeweils geltenden Fassung gelten sollen. Gleichwohl folgt aus der Verweisung in § 13 Ziff. 4 MTV nicht, daß dem Kläger entsprechend der seit dem 1. Oktober 1996 geltenden Fassung des § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG nur 80 % seines vollen Gehalts zustünden. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr die Höhe der Entgeltfortzahlung eigenständig und unabhängig von den gesetzlichen Bestimmungen geregelt. Danach hat der Kläger Anspruch auf Fortzahlung seines Gehalts in Höhe von 100 %.
Die Beklagte und das Landesarbeitsgericht gehen davon aus, daß in § 13 Ziff. 4 MTV auf die gesetzlichen Bestimmungen auch insoweit verwiesen werde, als diese die Höhe der Entgeltfortzahlung regelten; die zugleich in Bezug genommene Vorschrift des § 9 Ziff. 1 c MTV gebe lediglich vor, welche Berechnungsfaktoren dabei zugrunde zu legen seien. Dem folgt der Senat nicht. Nach § 13 Ziff. 4 MTV sind die gesetzlichen Bestimmungen nur insoweit anzuwenden, wie nicht § 9 Ziff. 1 c MTV gesonderte Regelungen enthält.
1. Die Auslegung der normativen Regelungen in Tarifverträgen folgt den für die Gesetzesauslegung geltenden Grundsätzen. Dies findet seine Rechtfertigung darin, daß auch Tarifnormen sich regelmäßig nicht nur an die Personen wenden, die sie erlassen haben. Sie richten sich an alle tarifgebundenen Mitglieder der Tarifvertragsparteien, im Falle der Allgemeinverbindlichkeit darüber hinaus an eine weitere Anzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Sie beanspruchen Beachtung unabhängig von einer konkreten Willensübereinkunft ihrer Adressaten. Die Tarifnormen sind zudem wie Gesetze nicht nur Verhaltensnormen für ihre Adressaten, sondern auch Entscheidungsnormen für die Gerichte; letztere sind im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG an sie gebunden.
In Anwendung der Grundsätze der Gesetzesauslegung hat die Tarifauslegung vom Wortlaut und dem durch ihn vorgegebenen Wortsinn auszugehen. Ist der Wortsinn unbestimmt, ist darüber hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Bestimmungen ihren Niederschlag gefunden haben. Ferner ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Bleiben gleichwohl im Einzelfall noch Zweifel, so können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen, z.B. auf die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags (BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 21. August 1997 – 5 AZR 517/96 – NZA 1998, 211, m.w.N.; BAG AP Nr. 96 zu § 616 BGB).
2. Schon der Wortlaut des § 13 Ziff. 4 MTV deutet eher darauf hin, daß die Tarifvertragsparteien mit der Verweisung auf „die gesetzlichen Bestimmungen” zwar hinsichtlich der Dauer, nicht aber hinsichtlich der Höhe des Anspruchs auf Gehaltsfortzahlung auf das Entgeltfortzahlungsgesetz verwiesen haben. Der Klammerzusatz „(höchstens sechs Wochen = 42 Kalendertage)” legt die Annahme nahe, daß die gesetzliche Regelung, auf die die Tarifvorschrift Bezug nimmt, insbesondere den Anspruchszeitraum des § 3 Abs. 1 EFZG betrifft. In Klammerzusätzen wird nach allgemeinen sprachlichen Regeln lediglich erklärt und erläutert, nicht aber Eigenständiges festgelegt (BAG Urteil vom 10. Mai 1994 – 3 AZR 721/93 – AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Verkehrsgewerbe – unter B II 2 a der Gründe). Wenn der Zusatz daher als bloße Erläuterung zu verstehen und in ihm ausschließlich der Anspruchszeitraum erwähnt ist, dann spricht dies dafür, daß mit den „gesetzlichen Bestimmungen” in erster Linie diejenigen über die Dauer des Anspruchs gemeint sind.
Der Tariftext fährt erst nach dem Klammerzusatz mit den Worten fort: „… entsprechend der Feiertagsvergütung gem. § 9 c”. Auch diese sprachliche Reihenfolge läßt darauf schließen, daß die Verweisung auf die gesetzlichen Bestimmungen vor allem dem Anspruchszeitraum gilt. Es hätte andernfalls nahegelegen, den Klammerzusatz erst am Textende einzufügen oder ihn ganz entfallen zu lassen.
3. Die vom Wortlaut des § 13 Ziff. 4 MTV nahegelegte Auslegung der Verweisung wird bestärkt durch den tariflichen Gesamtzusammenhang, in welchem die Regelung steht. § 13 Ziff. 1 und 2 MTV trennen bei der Freizeitgewährung für die eigene Hochzeit, die Niederkunft der Ehefrau usw. deutlich zwischen der Vergütungshöhe („Fortzahlung der vollen Bezüge”) und dem Anspruchszeitraum („bis zur Dauer von 3 Arbeitstagen”). Dies erlaubt die Annahme, daß die Tarifvertragsparteien in § 13 Ziff. 4 MTV für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall die gleiche Zweiteilung fortgesetzt und zwischen der Anspruchsdauer – „nach den gesetzlichen Bestimmungen (höchstens 6 Wochen …)” – und der Vergütungshöhe – „entsprechend der Feiertagsvergütung gem. § 9 c” – unterschieden haben. Wortsinn und Gesamtzusammenhang der Tarifnorm geben deshalb gewichtige Anhaltspunkte dafür, daß von der Verweisung auf die gesetzlichen Bestimmungen die Vorschriften über die Vergütungshöhe schon gar nicht erfaßt sind.
4. Der genaue Umfang der tariflichen Verweisung braucht nicht abschließend geklärt zu werden. Wie auch immer die Verweisung auf „die gesetzlichen Bestimmungen” letztlich zu verstehen sein mag, durch die weitere – innertarifliche – Verweisung auf § 9 Ziff. 1 c MTV haben die Tarifvertragsparteien in jedem Falle die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall der Höhe nach eigenständig und vom Gesetz unabhängig geregelt.
a) Das Bundesarbeitsgericht hat bei gleichem Regelungsgegenstand von tariflichen und gesetzlichen Normen stets durch Auslegung ermittelt, inwieweit die Tarif-Vertragsparteien eine selbständige, d.h. in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenständige Regelung haben treffen wollen. Im Zusammenhang mit der tariflichen Übernahme gesetzlicher Kündigungsfristen haben der Zweite und der Siebte Senat durchgehend das Vorliegen einer nicht eigenständigen Regelung angenommen. Würden einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert in einen umfangreichen Tarifvertrag aufgenommen, so handele es sich um deklaratorische Klauseln, wenn der Wille der Tarifvertragsparteien zu einer gesetzesunabhängigen eigenständigen Tarifregelung im Tarifvertrag keinen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden habe (BAG Urteil vom 27. August 1982 – 7 AZR 190/80 – BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 5. Oktober 1995 – 2 AZR 1028/94 – BAGE 81, 76 = AP Nr. 48 zu § 622 BGB; BAG Urteil vom 29. Januar 1997 – 2 AZR 370/96 – NZA 1997, 726; BAG Urteil vom 6. November 1997 – 2 AZR 707/96 – juris).
Der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Regelung sei dann hinreichend erkennbar, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung getroffen oder eine gesetzliche Regelung übernommen hätten, die sonst für die betroffenen Arbeitsverhältnisse nicht gelten würde.
Für tarifliche Verweisungen auf gesetzliche Vorschriften gelte dieselbe Auslegungsregel wie bei der wörtlichen oder inhaltlich unveränderten Übernahme einschlägiger gesetzlicher Vorschriften. Auch sie seien im Zweifel dynamisch, wenn nicht der Wille zur Schaffung einer veränderungsfesten, eigenständigen Norm im Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden habe (BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Beschluß vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP Nr. 24 zu § 622 BGB; BAG Urteil vom 4. März 1993 – 2 AZR 355/92 – AP Nr. 40 zu § 622 BGB).
b) Für die Auslegung von Verweisungen stimmt die Literatur dem Bundesarbeitsgericht überwiegend zu (Buchner, NZA 1996, 1177, 1182; Rieble, RdA 1997, 134, 140; Kamanabrou, RdA 1997, 22, 27; Giesen, RdA 1997, 193, 201, Fußn. 93; K. Gamillscheg, Anm. zu BAG vom 5. Oktober 1995, SAE 1996, 274, 278; Bengelsdorf, Anm. zu BAG AP Nr. 48 zu § 622 BGB; Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung).
Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zur Bedeutung von wörtlichen oder inhaltsgleichen Übernahmen gesetzlicher Vorschriften in Tarifverträgen hat dagegen vielfältige Kritik erfahren (vgl. Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; Bengelsdorf, Anm. zu BAG AP Nr. 48 zu § 622 BGB; K. Gamillscheg, Anm. zu BAG Urteil vom 5. Oktober 1995, SAE 1996, 274, 277; Creutzfeldt, AuA 1995, 87 ff.; Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, § 1 Rz 419; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl. 1993, S. 214 Rz 386; Rieble, RdA 1997, 134; Giesen, RdA 1997, 193, 203 f.; Wedde, AuR 1996, 421; Boerner, ZTR 1996, 435; Ahrens, NZA 1997, 301; Preis, NJW 1996, 3369, 3375).
c) Einer Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Kritik bedarf es im Streitfalle nicht. Auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des Zweiten und Siebten Senats ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien in § 13 Ziff. 4 MTV i.V.m. § 9 Ziff. 1 c MTV eine eigenständige Regelung über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall getroffen haben.
aa) § 13 Ziff. 4 MTV hat weder eine gesetzliche Vorschrift zur Höhe der Entgeltfortzahlung bei Krankheit wörtlich oder inhaltsgleich übernommen noch hat er auf eine solche verwiesen. Die Vorschrift verweist vielmehr auf Buchstabe c des § 9 Ziff. 1 MTV. Auch dort ist nicht etwa – gesetzesgleich – geregelt, wie die Arbeitszeit zu vergüten ist, die wegen eines Feiertages ausfällt. In § 9 Ziff. 1 c MTV ist geregelt, wie Arbeitszeit, die am Feiertag angefallen ist, dann vergütet wird, wenn sie durch besondere freie Tage ausgeglichen wird. Die Vorschrift hat weder im früheren Feiertagslohnzahlungsgesetz noch im Entgeltfortzahlungsgesetz eine Entsprechung. Sie stellt für ihren Bereich eine eigenständige tarifliche Regelung dar. § 13 Ziff. 4 MTV hat darum durch den Verweis auf § 9 Ziff. 1 c MTV nicht einmal mittelbar eine inhaltsgleiche gesetzliche Vorschrift in Bezug genommen. Schon dies ist ein hinreichender Anhaltspunkt dafür, daß die Tarifvertragsparteien mit § 13 Ziff. 4 i.V.m. § 9 Ziff. 1 c MTV insgesamt eine eigenständige Regelung über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall getroffen haben.
bb) Der Umstand, daß die Tarifvertragsparteien die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall überhaupt den Regelungen über die Feiertagsvergütung unterstellt haben, gibt einen weiteren Anhaltspunkt für diese Annahme. Bei Abschluß des Tarifvertrags waren Feiertagsvergütung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall noch in verschiedenen Gesetzen – letztere ihrerseits unterschiedlich für Arbeiter und Angestellte – geregelt. Die Tarifvertragsparteien haben demgegenüber für alle Arbeitnehmer auch im Krankheitsfall eine Vorschrift über die Feiertagsvergütung für anwendbar erklärt. Dies läßt auf einen Willen zur eigenständigen Normsetzung schließen.
cc) Vor allem kommt die Eigenständigkeit der Regelung in ihrem Inhalt zum Ausdruck. Die nach § 13 Ziff. 4 MTV „entsprechend” anzuwendende Vorschrift des § 9 Ziff. 1 c MTV sieht vor, daß festbesoldete erkrankte Arbeitnehmer „unter Fortzahlung des vereinbarten Lohnes bzw. Gehaltes” vergütet werden. Für umsatzbeteiligte Arbeitnehmer ist ein Krankheitstag „in Höhe 1/22 des monatlichen Effektivverdienstes” zu vergüten. Nach § 9 Ziff. 1 d MTV gilt als Effektivverdienst für Umsatzbeteiligte „die in § 10 Ziff. 8b – Urlaub – getroffene Regelung, wobei die Quotelung 1/22 beträgt”. Nach § 10 Ziff. 8 b MTV wiederum wird der monatliche Effektivverdienst von Umsatzbeteiligten „aus dem Durchschnitt des Effektivverdienstes des vorangegangenen Kalenderjahres” errechnet. Die Tarifvertragsparteien haben für umsatzbeteiligte Beschäftigte auf diese Weise eine lückenlose Regelung nicht nur über die Berechnungsmethode und Berechnungsgrundlage des Vergütungsanspruchs – Referenz auf die effektive Jahresvergütung –, sondern auch über dessen Höhe – pro Krankheitstag 1/22 des monatlichen Effektivverdienstes – getroffen. Darin liegt der ausschlaggebende Anhaltspunkt dafür, daß sie mit dem Verweis auf diesen tariflichen Regelungskomplex die Höhe der Krankenvergütung jedenfalls für Umsatzbeteiligte unabhängig von den gesetzlichen Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung eigenständig festgelegt haben. Der unmittelbare Zusammenhang mit der Regelung in § 9 Ziff. 1 c MTV für Umsatzbeteiligte zeigt, daß diese Unabhängigkeit über die Formulierung „Fortzahlung des vereinbarten Gehalts” auch für Festbesoldete gilt.
dd) Die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, daß in § 13 Ziff. 4 MTV mit § 9 Ziff. 1 c MTV nur auf einen „konstitutiv geregelten Berechnungsmodus” und auf „Bemessungsfaktoren der Entgeltfortzahlung” verwiesen worden sei, wird dem Inhalt der in Bezug genommenen Tarifvorschriften nicht gerecht. Zwar weist das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hin, daß bei Umsatzbeteiligung ein tarifliches Regelungsbedürfnis insbesondere für die Festlegung von Methode und Grundlage der Vergütungsberechnung bestanden haben dürfte, um diese Fragen dem Streit zu entziehen. Nicht gefolgt werden kann dem Landesarbeitsgericht aber, wenn es aus diesem Umstand zugleich ableiten will, daß die genannten tariflichen Vorschriften ausschließlich die „Bemessungsgrundlagen” festgeschrieben hätten.
Mit der Verknüpfung von Berechnungsmethode (Referenz) und Berechnungsgrundlage (monatlicher Effektivverdienst – seinerseits errechnet aus dem Durchschnitt des Effektivverdienstes des vorausgegangenen Kalenderjahres) mit einem bestimmten Faktor (1/22) haben die Tarifvertragsparteien vielmehr notwendig auch die Höhe der täglichen Vergütung festgelegt. Daß sie womöglich auch dabei der Ungewißheit haben vorbeugen wollen, ob bei einer Sechs-Tage-Woche der Faktor 1/26 anzuwenden sei, ändert am Ergebnis nichts. Mit § 9 Ziff. 1 c MTV und den ihn ergänzenden Tarifvorschriften liegt eine gesetzesunabhängige, umfassende Regelung der Vergütung von Feiertagsarbeit vor, die die Höhe der Vergütung einschließt.
Durch den Verweis auf diesen Regelungskomplex haben die Tarifvertragsparteien in § 13 Ziff. 4 MTV eine konstitutive tarifliche Regelung über die Höhe der Gehalts- und Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle getroffen. Der Kläger hat für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung seines vollen Gehaltes.
Unterschriften
Griebeling, Reinecke, Kreft, Ackert, Mandrossa
Fundstellen
Haufe-Index 440416 |
BAGE, 119 |
DB 1998, 2121 |
FA 1998, 361 |
NZA 1998, 1343 |
RdA 1998, 382 |
AP, 0 |