Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 23.06.1995; Aktenzeichen 3 Sa 224/94)

ArbG Dresden (Urteil vom 04.11.1993; Aktenzeichen 5 Ca 602/93)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 23. Juni 1995 – 3 Sa 224/94 –, soweit es das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 4. November 1993 – 5 Ca 602/93 – abgeändert hat, aufgehoben. Auch insoweit wird die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 4. November 1993 – 5 Ca 602/93 – zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) stützt.

Der am 9. Oktober 1945 geborene Kläger legte im Jahre 1968 am Pädagogischen Institut K. das Staatsexamen als Fachlehrer für Mathematik und Chemie ab. Seit August 1968 war der Kläger als Lehrer, später auch als Fachberater Chemie an Schulen des Kreises G. tätig. Seit Ende 1989 beteiligte sich der Kläger an der „Initiative Volksbildung”, einer Arbeitsgruppe „von unten”, die erste Veränderungen in den Schulleitungen bewirkte. Im Februar 1990 wurde dem Kläger die Funktion des Leiters des Schulamtes G. übertragen, später diejenige des Leiters der Außenstelle G. des Staatlichen Schulamtes R. Ab 13. Mai 1992 arbeitete der Kläger als stellvertretender Leiter des Staatlichen Schulamtes R.

Der Kläger war als Schüler, als Student und sodann in den ersten Dienstjahren als Lehrer bis 1971 als Betreuer, Reiseleiter und Dolmetscher des Jugendreisebüros „Jugend-Auslands-Touristik” in Dresden im Auftrage des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend (FDJ) tätig. Hierzu gehörte die Betreuung ausländischer Reisegruppen. Wegen dieser Tätigkeit interessierte sich das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) für den Kläger. Es kam zu einer ersten Kontaktaufnahme am 19. Mai 1969. Am 11. Mai 1970 erklärte der Kläger schriftlich:

„Hiermit verpflichte ich mich, über die geführten Gespräche mit den MA des MfS sowie allen weiteren gegenüber jedermann auch meinen nächsten Verwandten gegenüber größtes Stillschweigen zu bewahren.

Ich erkläre mich bereit, das MfS in seiner Arbeit bei der Aufklärung feindlicher Pläne und Absichten entsprechend meinen Möglichkeiten zu unterstützen. Die im Zusammenhang mit meiner speziellen Einsatzrichtung (auf dem Gebiet des Tourismus) erhaltenen Aufträge, werde ich in ehrlicher und gewissenhafter Form entsprechend den festgelegten Vereinbarungen versuchen zu lösen. In der weiteren Zusammenarbeit mit dem MfS wird meinerseits die Frage der Geheimhaltung gegenüber jedermann gewährleistet und das bestehende gute Vertrauensverhältnis durch eine ständig offene und ehrliche Atmosphäre garantiert. Zur Aufrechterhaltung der Verbindung und der von mir angefertigten Berichte verwende ich den Decknamen: … (B. L.).”

Am 10. Februar 1991 gab der Kläger gegenüber dem Beklagten folgende Erklärung ab:

„1.1. Haben Sie jemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR gearbeitet?

ja/nein

Wenn ja:

In welcher Weise, wo und von wann bis wann?

Aus welchen Gründen wurde die Tätigkeit beendet?

1.2. Haben Sie gelegentlich oder unentgeltlich, über mittelbare Kontakte, im Wege einer Verpflichtung als Reisekader oder über Kontakte, zu denen Sie als Mitarbeiter örtlicher Staatsorgane, als Leiter oder auf Grund gesellschaftlicher Funktionen verpflichtet waren, für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der DDR gearbeitet?

ja/nein

Wenn ja:

In welcher Weise, wo und von wann bis wann?

Aus welchen Gründen wurden diese Kontakte beendet?

1.3. Falls die Fragen 1.1. und 1.2. mit nein beantwortet werden; Haben Sie solche Kontakte gehabt, die zu Ihrer Anwerbung führen sollten, was Sie aber ablehnten?

ja/nein (?) Vergleiche Anlage

Bei der Beantwortung der gestellten Frage bin ich mir unschlüssig. Deshalb möchte ich die Ereignisse darstellen, die sich etwa vor 20 Jahren ereignet haben.

1962 bis 1971 arbeitete ich in den Schulferien (EOS von 60–64) in den Semesterferien (Studium 64–68) bzw. in den Sommerferien der ersten 2 Dienstjahre für das Jugendreisebüro D. als Betreuer und Dolmetscher (franz.). 1970 bat mich die Dienststellenleiterin (Kr.), ehrenamtlich die Auswertung der Betreuerberichte vorzunehmen, um aus den Aufzeichnungen der Reiseleiter Anhaltspunkte für eine verbesserte Betreuung abzuleiten. Eines Tages 1970/71 (?) erschien bei mir in G. ein Polizist (in Zivil), der Einsicht in die Betreuerberichte verlangte. Ich weiß heute nicht mehr, ob er von der Dienststellenleiterin geschickt war.

Ich wurde in der Folgezeit 3 bis 4 mal in die Wohnung eines Abschnittbevollmächtigten (ABV) in G. bestellt. Dort wurde Einsicht genommen und statistische Erhebungen gemacht. Ich unterschrieb (den Wortlaut weiß ich auch nur noch sinngemäß) eine Erklärung, über diese Weitervermittlung der Berichte niemanden etwas zu erzählen. Daß ich es trotzdem meiner Frau gegenüber tat, sagte ich nicht. In einem der letzten Zusammentreffen wollte man mich nun über meine Kollegen (z.B. Koll. U. aus S. – er ist mittlerweile Rentner) ausfragen. Trotz der Darstellung der „Bedeutung” solcher Informationen lehnte ich ab. Damit war offenbar das Interesse der „Polizisten in Zivil” für mich erschöpft. Aus familiären Gründen (Kindernachwuchs) gab ich dann meine Reisebürotätigkeit noch 1971 auf und löste auch meine Verpflichtungen, die ich mit der Auswertung der Berichte übernommen hatte. Später ist bei mir der Verdacht entstanden, daß ich damals evtl. unter dem Vorwand des Interesses für Reiseberichte für eine Mitarbeit in der Stasi gewonnen werden sollte. …”

Auf Antrag des Beklagten übersandte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (fortan: Bundesbeauftragter) mit Schreiben vom 16. November 1992 dem Präsidenten des Oberschulamtes Dresden einen Einzelbericht über den Kläger sowie als Anlagen neben der Verpflichtungserklärung vom 11. Mai 1970 einen Bericht über die Situation an den Schulen vom 25. Januar 1970, einen Treffbericht mit IM-Vorlauf vom 13. März 1970, einen Auskunftsbericht vom 17. Juli 1970 sowie die Begründung der Ablage vom 2. Januar 1973. In dem Einzelbericht heißt es, die Akte I (Personalakte) bestehe aus 48 Blatt, die Akte II (Arbeits-, Berichtsakte) sei noch nicht auffindbar. Bisher lägen lediglich sieben Treffberichte und zwei Stimmungsberichte vor. Treffs hätten in Abständen von drei Wochen in einer konspirativen Wohnung stattgefunden. Wie aus der Begründung zur Ablage vom 2. Januar 1973 hervorgehe, sei der Kläger zu einer Zusammenarbeit mit dem MfS nach dem Ende seiner Reiseleitertätigkeit nur noch bereit gewesen, sofern er auf dem Gebiet der Touristik Aufträge erhalte. Andere Aufgaben, so habe er erklärt, würde er nicht übernehmen.

Am 4. Dezember 1992 wurde der Kläger im Oberschulamt Dresden zu den bekanntgewordenen MfS-Akten angehört. Er äußerte sich dahingehend, es sei ihm nicht bewußt gewesen, daß es sich bei dem „Polizisten in Zivil” um einen Mitarbeiter des MfS gehandelt habe. Er habe sich höchstens viermal getroffen, häufiger hätte das nur zu Anfang gewesen sein können.

Nachdem der Bezirkspersonalrat beim Oberschulamt Dresden in seiner Stellungnahme zur Kündigungsabsicht „keine Bedenken” äußerte, kündigte der Präsident des Oberschulamtes Dresden mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung unter Hinweis auf Abs. 5 EV, weil ein Festhalten am Arbeitsverhältnis wegen der Tätigkeit des Klägers für das MfS und wegen des Verschweigens dieser Tätigkeit im Erklärungsbogen unzumutbar erscheine. Weiter heißt es in dem Kündigungsschreiben: „Für den Fall, daß diese außerordentliche Kündigung aus irgendeinem Grunde rechtsunwirksam sein sollte, soll sie als ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Kündigungstermin gelten.” Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 5. Januar 1993 zu.

Mit der am 22. Januar 1993 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, es fehle an einem Kündigungsgrund. Er sei nicht wissentlich für das MfS tätig geworden. Das in der Verpflichtungserklärung verwendete Kürzel „MfS” sei ihm gegenüber durch den Stasimitarbeiter M. falsch interpretiert worden. Es sei maximal zu drei bis vier Treffs in der Wohnung des Abschnittsbevollmächtigten gekommen. Es sei um die Auswertung der Berichte der Jugendreisegruppen gegangen. Er habe keine Stimmungsberichte abgegeben.

Im Laufe des Rechtsstreits wurde die Arbeits- und Berichtsakte II des MfS aufgefunden und dem Beklagten zur Verfügung gestellt. Mit Schreiben vom 10. Mai 1994 reichte der Präsident der Oberschulamtes Dresden dem Bezirkspersonalrat Verwaltung 24 Unterlagen aus der MfS-Akte nach. Mit Schreiben vom 25. Mai 1994 stimmte der Bezirkspersonalrat dem Nachschieben dieser Unterlagen in dem laufenden Kündigungsrechtsstreit des Klägers zu.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 21. Dezember 1992, dem Kläger zugestellt am 5. Januar 1993, nicht aufgelöst ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe wissentlich als IMS (inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit) für das MfS gearbeitet. Das Festhalten am Arbeitsverhältnis erscheine auch deshalb als unzumutbar, weil der Kläger seine Tätigkeit für das MfS im Erklärungsbogen nur unvollständig angegeben habe. Der Kläger habe dem MfS nicht nur Einsicht in Unterlagen des Jugendtouristenbüros gewährt bzw. allgemeine Lageeinschätzungen gegeben, sondern konkret zu bestimmten Personen und deren Verhalten Stellung genommen. So habe er auch die Situation an seiner Schule und dem Ort geschildert. Von März 1970 bis Ende 1972 habe der Kläger sich regelmäßig mit dem MfS-Leutnant M. getroffen.

Der Kläger hat erwidert, er sei ohne sein Wissen vom MfS als Quelle benutzt worden. Der hauptamtliche Mitarbeiter Leutnant M. habe sich Zugang zu Aktenschränken auch anderer staatlicher Stellen verschafft. Er habe Aussagen aus beschafften Unterlagen nach Belieben verändert und zum Teil als Abschriften ausgegeben. Er habe erhaltene Informationen aufgeschrieben und willkürlich dem Kläger zugeordnet. Er habe selbstverfaßte und beschaffte Unterlagen mit dem Namenszug des dem Kläger zugedachten Decknamens gefälscht. Gefälschte Unterschriften befänden sich auf im einzelnen vom Kläger bezeichneten Unterlagen. Der Nachfolger von Leutnant M. als Betreuer des Klägers, der Oberfeldwebel Sch., habe bemängelt, daß der Kläger „nichts Auswertbares” berichtete. Er habe deshalb eine Erziehungsmaßnahme gegenüber dem Kläger vorgeschlagen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 21. Dezember 1992 nicht beendet worden sei. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des ehemaligen Mitarbeiters des Ministeriums für Staatssicherheit G. M. und des früheren Vorsitzenden des Bezirkspersonalrats beim Oberschulamt Dresden H. Me. Es hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts zum Teil abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 21. Dezember 1992 nicht außerordentlich aufgelöst worden sei. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Kündigung vom 21. Dezember 1992 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht ordentlich fristgerecht aufgelöst.

I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigung vom 21. Dezember 1992 nicht außerordentlich, wohl aber ordentlich mit Ablauf des 30. September 1993 aufgelöst worden.

Ein wichtiger Grund im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV habe nicht vorgelegen. Der Kläger sei zwar für das MfS tätig geworden, doch erscheine ein Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht als unzumutbar. Die Kontakte des Klägers zum MfS lägen zeitlich weit zurück und hätten nur einen kürzeren Zeitraum umfaßt. Zudem seien die Kontakte auf Veranlassung des Klägers beendet worden, nachdem er sich geweigert habe, weitere Auskünfte zu geben. Darüber hinaus habe der Kläger nach der Einschätzung des MfS „keine Gewähr für eine zuverlässige Zusammenarbeit” geboten. Bereits aufgrund der Aktenlage habe der Kläger keine intensive, andere Personen in Gefahr bringende Berichtstätigkeit entfaltet. Die MfS-Akte enthalte zu einem erheblichen Teil Stimmungsberichte über ausländische Reisegruppen. Soweit die MfS-Akte mit den Unterlagen 000036 und 000037 negative Beurteilungen bestimmter Reiseleiter wiedergebe und über das Verhalten und über Äußerungen von Jugendlichen anläßlich einer Tanzveranstaltung am 5. Februar 1972 berichte, sei das Landesarbeitsgericht aufgrund der Beweisaufnahme nicht überzeugt, daß diese Berichte vom Kläger herrührten. Insbesondere ein Vergleich der auf diesen Unterlagen befindlichen Unterschriften „L.” mit der diesen Decknamen enthaltenden handschriftlichen Verpflichtungserklärung des Klägers zeige, daß es sehr unterschiedliche Schriftzüge seien. Zudem habe der als Zeuge gehörte ehemalige Mitarbeiter des MfS M. bestätigt, daß er zumindest die Unterlage 000037 geschrieben habe.

Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sei gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV wirksam. Der Kläger sei für eine weitere Tätigkeit nach dem Arbeitsvertrag ungeeignet. Die Ungeeignetheit des Klägers folge aus der wahrheitswidrigen Versicherung des Klägers, in keiner Weise für das MfS tätig gewesen zu sein. Seine Antworten auf die Fragen 1.1. und 1.2. seien unwahr gewesen, was durch die Ausführungen in der Anlage zur Erklärung eher verschleiert worden sei. Möge der Kläger zunächst angenommen haben, der ihn kontaktierende ehemalige Mitarbeiter des MfS M. sei ein „Polizist in Zivil”, so habe ihm nach Abgabe der Verpflichtungserklärung vom 11. Mai 1970 dessen Eigenschaft als MfS-Mitarbeiter offenkundig geworden sein müssen.

II. Aus der unstreitigen Tätigkeit des Klägers für das MfS im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV kann nicht auf eine mangelnde Eignung des Klägers im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV geschlossen werden. Insofern hat das Landesarbeitsgericht mit Recht ausgeführt, daß allein aufgrund der unstreitigen und in Teilen durch die Aussage des ehemaligen MfS-Mitarbeiters M. bewiesenen Tätigkeit des Klägers für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis des Klägers als zumutbar erscheint. Ausgehend von den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts könnte der Kläger allenfalls mit der Abgabe der Verpflichtungserklärung am 11. Mai 1970 seine bewußte Tätigkeit für das MfS begonnen haben. Diese Tätigkeit hätte nur kurze Zeit gewährt, denn nach den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist eine Zuordnung aller in der Berichtsakte II des MfS enthaltenen Berichte nicht mit hinreichender Gewißheit möglich. Wird zudem berücksichtigt, daß der MfS-Führungsoffizier Sch. den Kläger als unzuverlässigen Mitarbeiter charakterisierte und der Kläger Auskünfte zu anderen Bereichen als der Jugendtouristik ablehnte, ist die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe keine intensive, andere Personen in Gefahr bringende Berichtstätigkeit entfaltet, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Wird darüber hinaus gewürdigt, daß die Berichtstätigkeit des Klägers ca. 18 Jahre vor dem Wirksamwerden des Beitritts endete, kann von keiner Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis ausgegangen werden.

III. Die Ungeeignetheit des Klägers im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV folgt auch nicht aus dem Inhalt seiner Erklärung vom 10. Februar 1991.

1. Wird zugunsten des Beklagten der Würdigung des Landesarbeitsgerichts gefolgt, der Kläger habe zumindest ab Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung am 11. Mai 1970 gewußt, daß er mit Mitarbeitern des MfS zusammenarbeitete, ist die als Einheit anzusehende Beantwortung der Fragen 1.1. bis 1.3. des Fragebogens kein Ausdruck einer mangelnden Eignung des Klägers für eine Tätigkeit im Schulwesen des Beklagten. Der Kläger hat in der Anlage zu seiner Erklärung vom 10. Februar 1991 den Sachverhalt in groben Zügen so geschildert, wie ihn das Landesarbeitsgericht aufgrund seiner Beweisaufnahme der Beurteilung der außerordentlichen Kündigung zugrunde gelegt hat. Daß das äußere Erscheinungsbild der MfS-Akte eine weitergehende Belastung des Klägers vermuten läßt, rechtfertigt nicht den Schluß, der Kläger habe grob unwahr die Fragen beantwortet. Das Landesarbeitsgericht selbst ist davon ausgegangen, daß einzelne Berichte nicht mit Sicherheit dem Kläger zugerechnet werden können.

2. Darüber hinaus muß im Rahmen der nach Abs. 4 Ziff. 1 EV anzustellenden Einzelfallprüfung auch das spätere Verhalten des Klägers berücksichtigt werden. Hierauf hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft gänzlich verzichtet. Insbesondere hat das Landesarbeitsgericht unberücksichtigt gelassen, wie sich der Kläger an der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR Ende 1989 und Anfang 1990 beteiligte. Seine Mitarbeit an der Initiative Volksbildung, die in seine frühe Bestellung zum Schulrat mündete, ist durchaus geeignet, die durch mangelnde Wahrhaftigkeit des Klägers geweckten Zweifel an seiner beruflichen Eignung zu entkräften.

3. Es kann deshalb als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben, ob die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe bewußt unwahr die Fragen 1.1. und 1.2. beantwortet, vom Kläger nicht revisionsrechtlich erheblich angegriffen worden ist. Immerhin hat das Landesarbeitsgericht insofern keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob dem Kläger im Jahre 1970 oder später bekannt war, daß die Abkürzung „MfS” für die Staatssicherheit der DDR stand. Insofern hätte Aufklärungsbedarf bestanden, denn die zu Lasten des Klägers berücksichtigten Treffen des MfS-Mitarbeiters mit dem Kläger fanden in den Diensträumen des Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei statt.

4. Wird abschließend weiter berücksichtigt, daß auch im Rahmen einer auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützten Kündigung wegen unwahrer Beantwortung von Fragen nach einer MfS-Tätigkeit das Maß der Verstrickung des jeweiligen Arbeitnehmers in das DDR-Unrechtssystem mitzubeurteilen ist, kann die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht aufrechterhalten werden. Somit ist die ordentliche Kündigung wegen Fehlens eines Kündigungsgrundes unwirksam (§ 1 Abs. 1 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes) und der Klage in vollem Umfange stattzugeben.

IV. Die erhobene Gegenrüge des Beklagten, der Kläger habe die ordentliche Kündigung nicht rechtzeitig angefochten, greift nicht durch. Der Kläger hat zwar mit seiner Kündigungsschutzklage ausdrücklich nur eine außerordentliche Kündigung angegriffen, doch hat das Arbeitsgericht sein Klagebegehren dahingehend ausgelegt, es solle festgestellt werden, daß das Arbeitsverhältnis weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst worden sei. Diese Auslegung ist vom Berufungsgericht übernommen worden und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal der Beklagte nicht ausdrücklich eine außerordentliche und eine ordentliche Kündigung erklärte, vielmehr sich im Kündigungsschreiben für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung auf die gegebene Umdeutungsmöglichkeit berufen hatte.

V. Der Beklagte hat gemäß §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, H. Brückmann, Morsch

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093123

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge