Leitsatz (amtlich)
1. Der in einem Vergleich enthaltene Generalverzicht ist keine typische Vertragsklausel (Bestätigung von BAG 3, 116 = AP Nr. 5 zu § 550 ZPO).
2. Die Auslegung eines Generalverzichts kann in der Revisionsinstanz nur daraufhin nachgeprüft werden, ob sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder ob der vorhandene Auslegungsstoff Licht vollständig verwertet ist (§§ 133, 157 BGB).
3. Zu dem Auslegungsstoff kann auch die Frage gehören, wie sich die Prozeßparteien gegenüber nach Vergleichsabschluß geltend gemachten weiteren Ansprüchen verhalten und wie sie sich auf sie eingelassen haben.
4. Durch einen Vergleich werden grundsätzlich nur solche Ansprüche ausgeschlossen, auf die sich der Vergleich nach der übereinstimmenden Vorstellung der Vergleichsparteien erstreckt. Anders liegt es, wenn weitere Folgen objektiv außerhalb des von den Parteien Vorgestellten liegen und bei Abschluß des Vergleichs subjektiv unvorstellbar gewesen sind. Das gilt vor allem dann, wenn diese Folgen so erheblich sind, daß beide Parteien bei ihrer Kenntnis nach dem Grundsatz des redlichen Verkehrs einen Vergleich dieses Inhalts nicht abgeschlossen hätten (wie BAG 3, 116 [119]; BGH IM Nr. 11 zu § 779 BGB).
Normenkette
ZPO §§ 139, 550; BGB §§ 133, 157; BAT § 70
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Urteil vom 17.03.1969; Aktenzeichen 7 Sa 298/68) |
Tenor
Auf die Revlsion des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bayern vom 17. März 1969 – 7 Sa 298/68 N – aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger trat am 1. Januar 1958 in die Dienste des Beklagten als Vertragslehrer an der Fachschule für Maschinenbau in A.. Er wurde nach VergGr. III TO.A vergütet und bezog zuletzt 1.800,– DM brutto monatlich. Leiter der Fachschule und unmittelbarer Vorgesetzter des Klägers war ab 1. Juni 1965 Direktor K.. Dieser wurde mit Wirkung vom 1. September 1967 von dem Beklagten fristlos entlassen; gegen ihn läuft ein Strafverfahren wegen Anstellungsbetrugs und fortgesetzten unberechtigten Führens eines akademischen Titels.
Mit Schreiben vom 17. September 1965 sprach der Beklagte dem Kläger zunächst die ordentliche Kündigung zum 1. April 1966 aus. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage (Arbeitsgericht Nürnberg – 10 Ca 90/65 –). Im Verlaufe dieses Verfahrens kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos. Der Kläger erweiterte daraufhin seine Klage.
Die Parteien schlössen am 28. Februar 1966 einen widerruflichen Vergleich, der am 15. März 1966 rechtswirksam wurde. Der Vergleich hat in dem hier interessierenden Teil folgenden Wortlaut:
- „Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis im beiderseitigen Einvernehmen am 31. März 1966 sein Ende findet.
- Ohne Aufgabe des gegenseitigen Rechtsstandpunktes zahlt der Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht an den Kläger eine sofort fällige Abfindung von 2 1/2 Monatsgehältern.
- Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten.
- …”
Unter dem 18. November 1965 wurde dem Kläger ein vorläufiges Zeugnis ausgestellt. Dieser bewarb sich bei der privaten U.schule in K. Als die U.schule bei dem Minister für Kultur und Unterricht des Landes Rheinland-Pfalz um eine Unterrichtsgenehmigung bat, forderte das Ministerium den Beklagten auf, die Personalakten des Klägers zu übersenden.
Am 22. Februar 1966 nahm der Kläger bei dem Beklagten Einsicht in seine Personalakten. Nach Einsichtnahme vereinbarte der Kläger über seinen Prozeßbevollmächtigten mit dem Beklagten, daß dem Ministerium folgendes Schreiben übersandt werden sollte:
„Das Ersuchen um Überlassung der Personalakten wird bestätigt. Die Einverständniserklärung von Herrn K. ist bisher noch nicht eingelaufen, Die Personalakten werden derzeit bei der Regierung such selbst benötigt. Nach Eingang der Erklärung wird die Regierung dem Ersuchen des Ministers umgehend nachkommen.”
Dieses Schreiben wurde unter dem 28. Februar 1966 abgesandt.
Der Kläger beanstandete das ihm auf seinen Antrag vom 17. Mai 1966 ausgestellte qualifizierte Zeugnis. Er erstrebte im Klagewege (Arbeitsgericht Nürnberg – 10 Ca 66/66 –) eine Abänderung. Im Wege des Vergleichs einigten sich die Parteien in diesem Rechtsstreit über den Inhalt des auszustellenden Zeugnisses.
Inzwischen führten die Parteien zur Frage der Übersendung der Personalakten des Klägers an das Ministerium einen Briefwechsel, in dem der Kläger die Aufnahme verschiedener Vorgänge in seine Personalakten beanstandete. Sie einigten sich schließlich dahin, daß die durch den Prozeßbevollmächtigten des Klägers in seinen Schreiben vom 28. Juni und 12. Juli 1966 beanstandeten Vorgänge und die Gegenerklärung des Beklagten zu den Personalakten genommen werden sollten. Daraufhin wurden die Personalakten am 19. Juli 1966 an das Ministerium versandt. Der Beklagte erhielt die Akten am 4. November 1966 vom Ministerium mit dem Bemerken zurück, die U.schule habe von einer Beschäftigung des Klägers abgesehen.
Der Kläger ist der Ansicht, die von ihm bezeichneten Vorgänge gehörten nicht in die Personalakten. Sie hätten mit seiner Tätigkeit und mit seinen Charaktereigenschaften nichts zu tun. Insbesondere müßten diejenigen Vorgänge entfernt werden, in denen sein inzwischen fristlos entlassener ehemaliger Vorgesetzter K. über ihn ungünstige Beurteilungen abgegeben habe. Durch die Verletzung der dem Beklagten obliegenden Pflicht, die beanstandeten Vorgänge aus den Akten zu entfernen, sowie wegen der verspäteten Erteilung eines ordnungsgemäßen Zeugnisses sei er auch um die für den 1. April 1966 vorgesehene Anstellung an der U.schule in K. gebracht worden. Wenn der Beklagte die Akten rechtzeitig und ohne die ihn diskriminierenden Vorgänge übersandt hätte, dann wäre er dort am 1. April 1966 angestellt worden und hätte mindestens 1.500,– DM monatlich verdient.
Der Kläger hat folgende Anträge gestellt:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 7.500,– nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Januar 1967 zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, aus den Personalakten des Klägers außer den Vorgängen Bl. 1–120, Bl. 124, 129 und 130 und 211 alle weitergehenden Vorgänge zu entfernen.
Hilfsweise wolle dahin erkannt werden,
daß es der Beklagte zu unterlassen hat, über Bl. 1–120, 124, 129, 130 und 211 hinaus auf Ersuchen von dritter Seite weitere Vorgänge zur Kenntnis zu bringen.
Der Beklagte, der um Klagabweisung gebeten hat, hat vorgetragen, die geltend gemachten Ansprüche seien durch den Vergleich im Kündigungsstreit als erledigt anzusehen. Er führt weiter aus, die beanstandeten Vorgänge beträfen das Dienstverhältnis des Klägers und müßten deshalb nach dem Grundsatz der Vollständigkeit und Offenheit der Führung von Personalakten bei diesen verbleiben. Da der Kläger erst Mitte Juli der Übersendung seiner Personalakten zugestimmt habe, müsse er es selbst vertreten, wenn es deshalb nicht zu einer Anstellung bei der U.schule gekommen sei. Das gleiche gelte auch für die Zeugniserteilung; ein qualifiziertes Zeugnis setze einen Antrag des Angestellten voraus; einen solchen habe der Kläger trotz bereits am 22. Februar 1966 erfolgter Belehrung erst am 3. Mai 1966 gestellt und daraufhin am 17. Mai 1966 ein entsprechendes Zeugnis erhalten, das im Vergleichswege nur geringfügig abgeändert worden sei.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagbegehren weiter, während der Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil es der Ansicht ist, der Klaganspruch sei durch den Vergleich vom 28. Februar 1966 erledigt. Es legt den Vergleich dahin aus, daß durch ihn Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht ausgeschlossen seien, also auch diejenigen, die in dem hier zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit geltend gemacht werden.
Die Revision verkennt nicht, daß das Revisionsgericht bei der Auslegung eines Vergleichs, der in einem Vorprozeß abgeschlossen ist, sich an bestimmte Grenzen halten muß. Ein solcher Vergleich ist keine typische Vereinbarung (BAG 3, 116 [118/119] = AP Nr. 5 zu § 550 ZPO). Das Revisionsgericht darf deshalb die Auslegung, die der Tatsachenrichter vorgenommen hat, nur daraufhin nachprüfen, ob der Tatsachenrichter gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und ob er den ihm vorliegenden Sachverhalt vollständig verwertet hat, soweit er für die Auslegung des Vergleichs von Bedeutung sein kann.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die verfahrensrechtlichen Revisionsrügen begründet sind. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob der Ansicht der Revision zuzustimmen ist, daß das Landesarbeitsgericht gegen Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat. Denn das Landesarbeitsgericht hat schon dadurch gegen materielles Recht verstoßen, daß es eine vollständige Wertung des Auslegungsstoffes unterlassen hat. Da bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen ist (§ 133 BGB) und Vertrage so auszulegen sind, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB), sind sämtliche Umstände, die irgendwie überhaupt nur von Bedeutung sein könnten, zu berücksichtigen. Für Rechtsgeschäfte geltende Auslegungsvorschriften sind Normen zur unmittelbaren Bewertung von Lebenssachverhalten; ein Verstoß gegen sie ist auch ohne besondere Revisionsrüge zu beachten (vgl. SAG AP Nr. 6 zu § 550 ZPO; BAG AP Nr. 2 zu § 133 BGB).
Für die Auslegung des Vergleichs vom 28. Februar 1966 kann es möglicherweise darauf ankommen, wie sich, der Beklagte nach Abschluß des Vergleichs Ansprüchen des Klägers gegenüber, die nach Vergleichsabschluß geltend gemacht worden sind, verhalten und wie er sich auf solche Ansprüche eingelassen hat. Wären nach dem Willen der Vergleichschließenden alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, und zwar auch die erst nach Vergleichsabschluß entstandenen, durch den Vergleich abgegolten worden, so hätte es nahe gelegen, daß der Beklagte, wenn der Kläger nach Vergleichsabschluß noch, mit Forderungen gegen den Beklagten auftrat, auf den Vergleich verwiesen und geltend gemacht hätte, durch ihn seien doch alle Ansprüche ausgeschlossen und deshalb komme es gar nicht darauf an, ob ein Anspruch, wie ihn der Kläger geltend mache, überhaupt zur Entstehung gelangt sei.
Im Streitfall hat sich der Beklagte weder im Prozeß wegen des Zeugnisses noch in der ersten Instanz des vorliegenden Verfahrens auf den Vergleich vom 28. Februar 1966 berufen. Soweit er auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 14. Dezember 1967 auf den Vergleich verwiesen hat, hat er sich auf die Wiedergabe des Vergleichswortlauts beschränkt, nicht aber daraus den Schluß gezogen, daß durch den Vergleich der vorliegende Rechtsstreit erledigt sei. Diese Gesichtspunkte hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet; es hat damit wesentlichen Auslegungsstoff außer acht gelassen. Das nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, da es jedenfalls möglich ist, daß das Landesarbeitsgericht, hätte es die vorerwähnten Gesichtspunkte gewürdigt, zu einer anderen Rechtsauffassung gekommen wäre.
Der Senat kann jedoch in der Sache selbst nicht entscheiden. Die Auslegung eines nicht-typischen Vertrages ist grundsätzlich Sache das Tatsachenrichters; der Senat hat sie ihm auch hier vorbehalten. Im übrigen könnten die Parteien weitere Tatsachen vorbringen, die für die Situation bei Vergleichsabschluß und damit für die Auslegung des Vergleichs vom 28. Februar 1966 Bedeutung haben; notfalls wären die Parteien gemäß § 139 ZPO hierzu zu veranlassen.
Die Sache ist also an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Es wird eine Auslegung des Vergleichs vom 28. Februar 1966 unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände vornehmen müssen. Es wird dabei auch berücksichtigen müssen, daß durch einen Vergleich grundsätzlich nur solche Ansprüche ausgeschlossen werden, auf die sich der Vergleich nach der übereinstimmenden Vorstellung der Parteien erstreckt. Anders ist es, wenn weitere Folgen objektiv außerhalb des von den Parteien Vorgestellten liegen, bei Abschluß des Vergleichs subjektiv unvorstellbar gewesen sind und wenn diese Folgen schließlich so erheblich sind, daß beide Parteien bei ihrer Kenntnis nach dem Grundsatz des redlichen Verkehrs einen Vergleich dieses Inhalts nicht abgeschlossen hätten (BAG 3, 116 [119]; BGH LM Nr. 11 zu § 779 BGB). Zunächst wird sich das Landesarbeitsgericht allerdings damit beschäftigen müssen, ob die Klageforderung nicht an der Ausschlußfrist des § 70 BAT scheitert, was ebenfalls entsprechender tatsächlicher Feststellungen bedarf.
Unterschriften
gez. Dr. Müller, Wichmann, Wendel, Dr. Löwisch, Hause
Fundstellen
Haufe-Index 1454385 |
Nachschlagewerk BGH |