Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit eines Unterstützungsstreiks. Betätigungsfreiheit von Gewerkschaften. Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts. Wahl der Arbeitskampfmittel. Kernbereichsformel. Friedenspflicht. Europäische Sozialcharta. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Leitsatz (amtlich)
1. Gewerkschaftliche Streiks, die der Unterstützung eines in einem anderen Tarifgebiet geführten Hauptarbeitskampfs dienen, unterfallen der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften.
2. Die Zulässigkeit eines Unterstützungsstreiks richtet sich – wie bei anderen Arbeitskampfmaßnahmen – nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er ist rechtswidrig, wenn er zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfs offensichtlich ungeeignet, offensichtlich nicht erforderlich oder unangemessen ist.
Orientierungssatz
1. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Betätigungsfreiheit der Koalitionen erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Dazu gehört auch der Streik.
2. Ein Streik, den eine Gewerkschaft zur Unterstützung eines auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichteten anderen Streiks ausruft, unterfällt dem Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG.
3. Das Arbeitskampfrecht bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung. Solange gesetzliche Regelungen fehlen, obliegt die Ausgestaltung den Gerichten.
4. Bei der Ausgestaltung sind die Grenzen zu beachten, welche die Tarifvertragsparteien für Arbeitskämpfe selbst gezogen haben. Diese ergeben sich insbesondere aus der tarifvertraglichen relativen Friedenspflicht. Bestehende Tarifverträge dürfen während ihrer Laufzeit nicht durch Arbeitskampfmaßnahmen in Frage gestellt werden.
5. Zentraler Maßstab für die Beurteilung von Arbeitskampfmaßnahmen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Arbeitskampfmaßnahme ist dann rechtswidrig, wenn sie bezogen auf das Kampfziel offensichtlich ungeeignet, offensichtlich nicht erforderlich oder unangemessen ist. Hinsichtlich der Geeignetheit und der Erforderlichkeit hat die den Streik führende Gewerkschaft eine Einschätzungsprärogative.
6. Ein Unterstützungsstreik verstößt regelmäßig nicht gegen die Friedenspflicht.
7. Ein Unterstützungsstreik ist zur Durchsetzung des im Hauptarbeitskampf verfolgten Streikziels nicht allein deshalb ungeeignet, weil der mit dem Unterstützungsstreik überzogene Arbeitgeber die Streikforderung nicht selbst erfüllen kann.
8. Der mit einem Unterstützungsstreik überzogene Arbeitgeber bedarf regelmäßig eines stärkeren Schutzes als die vom Hauptarbeitskampf unmittelbar betroffenen Arbeitgeber.
9. Die Angemessenheit (Proportionalität) eines Unterstützungsstreiks kann nicht generell bejaht oder verneint werden. Regelmäßig unangemessen ist ein Unterstützungsstreik, wenn der Hauptstreik rechtswidrig ist. Im Übrigen ist für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit die Nähe oder Ferne des Unterstützungsstreiks gegenüber dem Hauptarbeitskampf von Bedeutung. Dabei kann insbesondere eine Rolle spielen, ob die vom Hauptarbeitskampf und vom Unterstützungskampf betroffenen Arbeitgeber in einer konzernrechtlichen Verbindung stehen. Einen Unterschied kann es auch ausmachen, ob eine Gewerkschaft durch den Unterstützungsstreik einen eigenen oder einen fremden Hauptstreik fördern will. Unangemessen kann ein Unterstützungsstreik sein, wenn sich der Schwerpunkt des Arbeitskampfs auf den Unterstützungsstreik verlagert und dieser seinen Charakter als bloßer Unterstützungsstreik verliert.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; ESC Teil II Art. 6 Nr. 4; ESC Teil V Art. 31 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1; HGB § 297 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 7. März 2006 – 12 Sa 274/05 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 20. Oktober 2004 – 3 Ca 276/04 – abgeändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin hat die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit eines Unterstützungsstreiks.
Die Klägerin beschäftigt in ihrem Druckereiunternehmen ca. 190 Arbeitnehmer. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband der Druckindustrie Niedersachsen. Auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitarbeiter wendet sie die zwischen dem Arbeitgeberverband und der beklagten Gewerkschaft ver.di geschlossenen Tarifverträge an. Die Klägerin gehört zu der Unternehmensgruppe N-Zeitung. Deren Konzernobergesellschaft, die N-Medien GmbH & Co. KG, hält 100 Prozent der Anteile an der Klägerin. Sie beherrscht auch die N-Zeitung Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG (NWZ-Verlagsgesellschaft). Diese verlegt die N-Zeitung. Die Zeitung wird ausschließlich von der Klägerin gedruckt. Damit erwirtschaftete diese Anfang des Jahres 2004 ca. 60 % ihres Umsatzes. Zur Unternehmensgruppe N-Zeitung gehören ferner die N-Zeitung Zustellungs GmbH & Co. KG, die für die Verteilung der Zeitungen zuständig ist, und die N-Zeitung Servicegesellschaft mbH & Co. KG, bei der Querschnitts- und allgemeine Verwaltungsaufgaben aller Gruppengesellschaften zusammengefasst sind. Bis zum Jahr 1982 bildeten die Klägerin und die NWZ-Verlagsgesellschaft eine rechtliche und betriebliche Einheit. Dann wurde die Klägerin rechtlich verselbständigt und ihr Betrieb ausgegliedert. Einer ihrer Geschäftsführer ist zugleich Geschäftsführer sowohl der NWZ-Verlagsgesellschaft als auch der geschäftsführenden Gesellschaft der Konzernobergesellschaft.
Die Beklagte führte zu Beginn des Jahres 2004 einen Arbeitskampf um den Abschluss eines neuen Tarifvertrags für Redakteure an Tageszeitungen. In dessen Rahmen streikten in der Zeit vom 12. Januar 2004 bis zum 25. Februar 2004 etwa 40 Redakteure der NWZ-Verlagsgesellschaft. Am 6. Februar 2004 rief die Beklagte die Mitarbeiter der Klägerin zu einem “befristeten Solidaritätsstreik” auf. Daraufhin legten etwa 20 Arbeitnehmer in der Nachtschicht vom 6. zum 7. Februar 2004 ihre Arbeit nieder. Hierdurch entstand der Klägerin ein Schaden in Höhe von 2.500,00 Euro. Die Tarifverträge der Druckindustrie waren zu dieser Zeit ungekündigt.
Die Klägerin hat mit der Klage Schadensersatz verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Aufruf zu dem Solidaritätsstreik sei rechtswidrig gewesen.
Sie hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.500,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 8. April 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Unterstützungsstreik sei rechtmäßig gewesen, weil die Klägerin mit der im Hauptarbeitskampf bestreikten NWZ-Verlagsgesellschaft wirtschaftlich eng verbunden sei. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Konzernverbund und der engen Zusammenarbeit zwischen Verlags- und Druckereiunternehmen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht entsprochen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch. Zwar stellt ein von einer Gewerkschaft geführter rechtswidriger Streik nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine Verletzung des durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs dar und führt zu einem Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers, wenn die Organe der Gewerkschaft ein Verschulden trifft (vgl. 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu B der Gründe mwN). Die Arbeitsniederlegung von etwa 20 Arbeitnehmern der Klägerin in der Nachtschicht vom 6. zum 7. Februar 2004, zu der die Beklagte aufgerufen hatte, war aber nicht rechtswidrig. Es handelte sich um einen rechtmäßigen Unterstützungsstreik.
I. Gewerkschaftliche Streiks, die der Unterstützung eines in einem anderen räumlichen oder fachlichen Tarifgebiet geführten Hauptarbeitskampfs dienen, unterfallen der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit von Gewerkschaften. Ihre Zulässigkeit richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie sind rechtswidrig, wenn sie zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfes offensichtlich ungeeignet, offensichtlich nicht erforderlich oder unangemessen sind.
1. Unterstützungsstreiks genießen – wie andere Arbeitskampfmaßnahmen – grundsätzlich den Schutz der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit.
a) Das Doppelgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG schützt zum einen den Einzelnen in seiner Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder sie zu verlassen. Geschützt ist zum anderen auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (BVerfG 6. Februar 2007 – 1 BvR 978/05 – NZA 2007, 394, zu II 2a der Gründe mwN). Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke steht (BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365, zu C I 1a der Gründe; 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167, zu B II 1 der Gründe mwN). Die Wahl der Mittel, mit denen die Koalitionen die Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu erreichen versuchen und die sie hierzu für geeignet halten, überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich ihnen selbst. Dementsprechend schützt das Grundrecht als koalitionsmäßige Betätigung auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind. Sie werden jedenfalls insoweit von der Koalitionsfreiheit erfasst, als sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen. Dazu gehört auch der Streik. Er ist als Arbeitskampfmittel grundsätzlich verfassungsrechtlich gewährleistet (BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – aaO; 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – aaO). Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Freiheit in der Wahl der Arbeitskampfmittel schützt nicht nur bestimmte Formen des Streiks. Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht etwa von vorneherein auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt. Der Grundrechtsschutz erstreckt sich vielmehr auf alle Verhaltensweisen, die koalitionsspezifisch sind. Ob eine koalitionsspezifische Betätigung für das Wahrnehmen der Koalitionsfreiheit unerlässlich ist, kann erst bei Einschränkungen dieser Freiheit Bedeutung erlangen (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352, zu B I 3 der Gründe; 6. Februar 2007 – 1 BvR 978/05 – NZA 2007, 394, zu II 2a der Gründe).
b) Hiernach unterfällt auch ein Streik, den eine Gewerkschaft zur Unterstützung eines auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichteten Streiks ausruft, grundsätzlich dem Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG. Auch eine derartige Arbeitskampfmaßnahme ist eine koalitionsspezifische Betätigung (Höfling/Sachs GG 2. Aufl. Art. 9 Rn. 107; Bieback in Däubler Arbeitskampfrecht 2. Aufl. Rn. 372). Insbesondere in Fällen, in denen eine Gewerkschaft für ihre Mitglieder einen (Haupt-)Arbeitskampf führt und zu dessen Unterstützung einen anderen Teil ihrer Mitglieder zum Unterstützungsstreik aufruft, wird deutlich, dass auch der Unterstützungsstreik ein koalitionsspezifisches von der Gewerkschaft zur Durchsetzung tariflicher Forderungen ergriffenes Arbeitskampfmittel ist. Dies gilt – wenn auch nicht mit derselben Offenkundigkeit – grundsätzlich auch, wenn die den Hauptarbeitskampf führende und die den Unterstützungsstreik ausrufende Gewerkschaft nicht identisch sind. Allerdings geht es Arbeitnehmern, die im Wege eines Unterstützungsstreiks ihre Arbeit niederlegen, regelmäßig nicht um die Verbesserung eigener tariflicher Rechte. Gleichwohl dient die Arbeitskampfmaßnahme dem Ziel der Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Die Situation unterscheidet sich insoweit auch nicht wesentlich von derjenigen, in der sich ein Unternehmen als Außenseiter einer Verbandsaussperrung anschließt; auch dieses betätigt sich koalitionsgemäß (BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, zu C I 1b der Gründe).
Soweit den Ausführungen des Senats im Urteil vom 5. März 1985 (– 1 AZR 468/83 – BAGE 48, 160, zu II 3c der Gründe) die Beurteilung zugrunde gelegen haben sollte, ein Unterstützungsstreik unterfalle von vorneherein nicht dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG, beruhte dies, wie die vom Senat in diesem Urteil angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts deutlich machen, noch auf der bis dahin vom Bundesverfassungsgericht verwendeten “Kernbereichsformel”, die weithin dahin (miss-)verstanden wurde, Art. 9 Abs. 3 GG schütze die Betätigungsfreiheit der Koalitionen nur in einem Kernbereich. Bei einem solchen Verständnis wird jedoch die “Kernbereichsformel” unvollständig wiedergegeben und der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG unzulässig verkürzt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 14. November 1995 (– 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352, zu B I 3 der Gründe) klargestellt und hieran in der Folgezeit festgehalten (vgl. etwa 6. Februar 2007 – 1 BvR 978/05 – NZA 2007, 394, zu II 2a der Gründe). Der Senat hat sich dem hiernach gebotenen, alle koalitionsspezifischen Betätigungen umfassenden Verständnis des Schutzbereichs des Art. 9 Abs. 3 GG in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. etwa 28. Februar 2006 – 1 AZR 461/04 – SAE 2007, 106, zu A II 1b bb der Gründe mwN). Die Frage, ob auch reine Demonstrationsstreiks, mit denen ohne Bezug auf einen um einen Tarifvertrag geführten Arbeitskampf lediglich Protest oder Sympathie – etwa für oder gegen Entscheidungen des Gesetzgebers – zum Ausdruck gebracht werden soll (vgl. zu einer gewerkschaftlichen, an den Landesgesetzgeber gerichteten Unterschriftenaktion BAG 25. Januar 2005 – 1 AZR 657/03 – BAGE 113, 230 und BVerfG 6. Februar 2007 – 1 BvR 978/05 – NZA 2007, 394), zur gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit gehören, stellt sich vorliegend nicht.
2. Der Umstand, dass Unterstützungsstreiks dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen, bedeutet nicht, dass sie deshalb stets zulässig wären. Ihre Zulässigkeit richtet sich vielmehr nach der Ausgestaltung des Grundrechts durch die Rechtsordnung (vgl. auch BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, zu C I 1a der Gründe).
a) Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit es die Beziehungen zwischen Trägern widerstreitender Interessen zum Gegenstand hat. Beide Tarifvertragsparteien genießen den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG in gleicher Weise, stehen bei seiner Ausübung aber in Gegnerschaft zueinander. Sie sind auch insoweit vor staatlichen Einflussnahmen geschützt, als sie zum Austragen ihrer Interessengegensätze Kampfmittel mit beträchtlichen Auswirkungen auf den Gegner und die Allgemeinheit einsetzen (BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365, zu C I 1b der Gründe; 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe mwN). Der Schutz erfordert koordinierende Regelungen, die gewährleisten, dass die aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen trotz ihres Gegensatzes nebeneinander bestehen können. Die Möglichkeit des Einsatzes von Kampfmitteln setzt rechtliche Rahmenbedingungen voraus, die sichern, dass Sinn und Zweck dieses Freiheitsrechts sowie seine Einbettung in die verfassungsrechtliche Ordnung gewahrt bleiben (BVerfG 2. März 1993 – 1 BvR 1213/85 – BVerfGE 88, 103, zu C II 2 der Gründe; 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – aaO).
b) Die Ausgestaltung obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber (BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, zu C I 2a der Gründe mwN). Soweit es um das Verhältnis der Kampfparteien als gleichgeordnete Grundrechtsträger geht, muss die Ausformung jedoch nicht zwingend durch gesetzliche Regelungen erfolgen (BVerfG 2. März 1993 – 1 BvR 1213/85 – BVerfGE 88, 103, zu C II 2a der Gründe). Das Arbeitskampfrecht ist gesetzlich weitgehend ungeregelt geblieben. Gleichwohl müssen die Gerichte für Arbeitssachen die vor sie gebrachten Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen entscheiden und können sich dem nicht mit dem Hinweis auf fehlende gesetzliche Regelungen entziehen. Sie müssen vielmehr bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Grundsätzen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind. Dies gilt auch dort, wo eine gesetzliche Regelung etwa wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht notwendig wäre. Nur so können die Gerichte die ihnen vom Grundgesetz auferlegte Pflicht erfüllen, jeden vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden (BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – aaO; 2. März 1993 – 1 BvR 1213/85 – aaO).
c) Bei der Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts sind zunächst die Grenzen zu beachten, welche die Tarifvertragsparteien für etwaige Arbeitskämpfe selbst gezogen haben. Im Übrigen haben die Gerichte darauf zu achten, dass ein vorhandenes Kräftegleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien nicht gestört oder ein Ungleichgewicht verstärkt wird. Zentraler Bewertungsmaßstab ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
aa) Wesentliche Beschränkungen ihrer Arbeitskampffreiheit begründen die Tarifvertragsparteien regelmäßig selbst durch den Abschluss von Tarifverträgen und die sich daraus ergebende Friedenspflicht. Ein Tarifvertrag ist in seinem schuldrechtlichen Teil zugleich ein Vertrag zugunsten Dritter und schützt die Mitglieder der Tarifvertragsparteien davor, hinsichtlich der tariflich geregelten Materie mit Arbeitskampfmaßnahmen überzogen zu werden (BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu B I 2a der Gründe mwN). Die Friedenspflicht muss nicht gesondert vereinbart werden. Sie ist vielmehr dem Tarifvertrag als einer Friedensordnung immanent (BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – aaO). Der Beschränkung des Streikrechts durch die Friedenspflicht steht die Europäische Sozialcharta (ESC BGBl. 1964 II S. 1262) nicht entgegen. Das in Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC garantierte Streikrecht steht unter dem Vorbehalt “etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen”. Eine solche Verpflichtung ist die tarifvertragliche Friedenspflicht (BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – aaO). Sofern von den Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, wirkt die Friedenspflicht allerdings nicht absolut, sondern relativ. Sie bezieht sich nur auf die tarifvertraglich geregelten Gegenstände (BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – aaO mwN). Sie verbietet es den Tarifvertragsparteien lediglich, einen bestehenden Tarifvertrag inhaltlich dadurch in Frage zu stellen, dass sie Änderungen oder Verbesserungen der vertraglich geregelten Gegenstände mit Mitteln des Arbeitskampfrechts durchzusetzen versuchen (BAG 27. Juni 1989 – 1 AZR 404/88 – BAGE 62, 171, zu II 2a der Gründe mwN).
bb) Bei der Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts haben die Gerichte insbesondere zu beachten, dass jegliche Reglementierung zugleich eine Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit darstellt, die der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Aus der Bedeutung des Art. 9 Abs. 3 GG als Freiheitsrecht der Koalitionen und der Staatsferne der Koalitionsfreiheit folgt, dass die Wahl der Mittel, welche die Koalitionen zur Erreichung des Zwecks der Regelungen für geeignet halten, den Koalitionen selbst obliegt (BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 2b der Gründe). Es ist grundsätzlich den Tarifvertragsparteien selbst überlassen, ihre Kampfmittel an sich wandelnden Umständen anzupassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben und ausgewogene Tarifabschlüsse zu erzielen (BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365 aaO, zu C I 1b der Gründe). Eine Bewertung von Arbeitskampfmaßnahmen durch die Fachgerichte als rechtswidrig kommt deshalb grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine Arbeitskampfmaßnahme offensichtlich ungeeignet oder unverhältnismäßig ist (BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – aaO).
(1) Für die Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts stellt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sowohl Rechtfertigung als auch Grenze dar. Die Tarifautonomie muss als ein Bereich gewahrt bleiben, in dem die Tarifvertragsparteien ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbstverantwortlich und ohne staatliche Einflussnahme regeln können. Ihre Funktionsfähigkeit darf nicht gefährdet werden (BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365, zu C I 1c der Gründe). Das Tarifvertragssystem ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Funktionsfähig ist die Tarifautonomie nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Gleichgewicht (Parität) besteht. Unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG wäre eine Ausgestaltung daher jedenfalls dann, wenn sie dazu führte, dass die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei Tarifauseinandersetzungen einschließlich der Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewahrt bliebe und ihre koalitionsmäßige Betätigung weitergehend beschränkt würde, als es zum Ausgleich der beiderseitigen Grundrechtspositionen erforderlich ist (BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – aaO mwN).
(2) Konkrete Maßstäbe, nach denen das Kräftegleichgewicht der Tarifvertragsparteien beurteilt werden könnte, lassen sich Art. 9 Abs. 3 GG nicht entnehmen. Die Kampfstärke von Koalitionen hängt von einer im Einzelnen kaum überschaubaren Fülle von Faktoren ab, die in ihren Wirkungen schwer abschätzbar sind (vgl. BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365, zu C I 1d der Gründe). Die Vorgabe, möglichst für Parität zwischen den Tarifvertragsparteien zu sorgen, genügt daher als Handlungsanweisung für die konkrete gerichtliche Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts allein in der Regel nicht. Das Paritätsprinzip ist wegen seiner Abstraktionshöhe als Maßstab zur Bewertung einzelner Kampfsituationen regelmäßig nicht ausreichend (ErfK/Dieterich 7. Aufl. Art. 9 GG Rn. 128). Es bezeichnet aber zumindest eine Grenze, die bei der gerichtlichen Ausgestaltung nicht überschritten werden darf. Durch diese darf die Parität, deren Bewahrung oder Herstellung sie gerade dienen soll, nicht beseitigt und ein vorhandenes Gleichgewicht der Kräfte nicht gestört oder ein Ungleichgewicht verstärkt werden (vgl. BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – aaO).
(3) Zentraler und angemessener Maßstab für die Beurteilung der unterschiedlichen Erscheinungsformen des Arbeitskampfs ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinn.
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. etwa 21. April 1971 – GS 1/68 – BAGE 23, 292, 306; 10. Juni 1980 – 1 AZR 822/79 – BAGE 33, 140, zu B I 1 der Gründe; 12. März 1985 – 1 AZR 636/82 – BAGE 48, 195, zu II 2b der Gründe; 11. Mai 1993 – 1 AZR 649/92 – BAGE 73, 141, zu II 1 der Gründe). Auch das Bundesverfassungsgericht hat dieses Prinzip als angemessenen Maßstab für die fachgerichtliche Überprüfung von Arbeitskampfmaßnahmen anerkannt (vgl. 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365, zu C I 1c der Gründe; vgl. auch 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 2b der Gründe). Im Schrifttum wird das Gebot der Verhältnismäßigkeit ebenfalls überwiegend als zentraler Grundsatz für die Durchführung von Arbeitskämpfen und deren rechtliche Beurteilung erachtet (vgl. etwa Kissel Arbeitskampfrecht § 29; ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 123 ff.; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Band I S. 1130; vgl. auch Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 8 Rn. 3 ff.; kritisch dagegen etwa Schumann in Däubler Arbeitskampfrecht 2. Aufl. S. 184 ff.).
Der in der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegenden Beschränkung des Streikrechts steht dessen Garantie in Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC nicht entgegen. Zwar stellt die ESC eine von der Bundesrepublik Deutschland eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung dar, deren Regeln die Gerichte beachten müssen, wenn sie die im Gesetzesrecht bezüglich der Ordnung des Arbeitskampfs bestehenden Lücken anhand von Wertentscheidungen der Verfassung ausfüllen. Bei einer Begrenzung des in Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC anerkannten Streikrechts dürfen sie daher nur solche Grundsätze aufstellen, die nach Teil V Art. 31 Abs. 1 ESC zulässig sind (BAG 12. September 1984 – 1 AZR 342/83 – BAGE 46, 322, zu B II 2c der Gründe; 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu B I 2a der Gründe). Teil V Art. 31 Abs. 1 ESC gestattet aber Beschränkungen des Streikrechts ua. dann, “wenn diese gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer … notwendig sind”. Eine solche Beschränkung ist die gesetzesvertretende Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eignet sich als Maßstab für die rechtliche Beurteilung von Arbeitskampfmaßnahmen deshalb, weil durch die Ausübung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Betätigungsfreiheit regelmäßig in ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen des unmittelbaren Kampfgegners oder von Dritten eingegriffen wird. Es bedarf daher einer Abwägung kollidierender Rechtspositionen. Das Abwägungspostulat der Verhältnismäßigkeit erfordert stets eine Würdigung, ob ein Kampfmittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Kampfziels geeignet und erforderlich und bezogen auf das Kampfziel angemessen (proportional bzw. verhältnismäßig im engeren Sinn) eingesetzt worden ist (vgl. BAG 11. Mai 1993 – 1 AZR 649/92 – BAGE 73, 141, zu II 1 der Gründe; 12. März 1985 – 1 AZR 636/82 – BAGE 48, 195, zu II 2 der Gründe; ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 123).
(a) Geeignet ist ein Kampfmittel, wenn durch seinen Einsatz die Durchsetzung des Kampfziels gefördert werden kann. Dabei kommt den einen Arbeitskampf führenden Koalitionen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie haben einen Beurteilungsspielraum bei der Frage, ob eine Arbeitskampfmaßnahme geeignet ist, Druck auf den sozialen Gegenspieler auszuüben. Die Einschätzungsprärogative ist Teil der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Freiheit in der Wahl der Arbeitskampfmittel. Sie betrifft grundsätzlich nicht nur die Frage, welches Kampfmittel eingesetzt wird, sondern auch, wem gegenüber dies geschieht (BAG 18. Februar 2003 – 1 AZR 142/02 – BAGE 105, 5, zu B I der Gründe; vgl. auch Bieback in Däubler Arbeitskampfrecht Rn. 382, 383). Nur wenn das Kampfmittel zur Erreichung des zulässigen Kampfziels offensichtlich ungeeignet ist, kann eine Arbeitskampfmaßnahme aus diesem Grund für rechtswidrig erachtet werden (BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 2b der Gründe).
(b) Erforderlich ist ein Kampfmittel, wenn mildere Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels nach der Beurteilung der den Arbeitskampf führenden Koalition nicht zur Verfügung stehen. Auch insoweit umfasst deren Betätigungsfreiheit grundsätzlich die Einschätzung, ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels das gewählte Mittel für erforderlich oder andere Mittel für ausreichend erachtet (vgl. dazu auch BAG 21. Juni 1988 – 1 AZR 651/86 – BAGE 58, 364, zu A I 3 der Gründe). Die Grenze bildet auch hier der Rechtsmissbrauch. Ein solcher liegt dann vor, wenn es des ergriffenen Kampfmittels zur Erreichung des Ziels – etwa deshalb, weil der Gegner dazu erkennbar ohnehin bereit ist – offensichtlich nicht bedarf.
(c) Verhältnismäßig im engeren Sinn (proportional) ist ein Arbeitskampfmittel, das sich unter hinreichender Würdigung der grundrechtlich gewährleisteten Betätigungsfreiheit zur Erreichung des angestrebten Kampfziels unter Berücksichtigung der Rechtspositionen der von der Kampfmaßnahme unmittelbar oder mittelbar Betroffenen als angemessen darstellt. Insoweit steht einer Arbeitskampfpartei keine Einschätzungsprärogative zu, geht es doch hierbei nicht um eine tatsächliche Einschätzung, sondern um eine rechtliche Abwägung. Allerdings ist bei dieser stets zu beachten, dass es gerade das Wesen einer Arbeitskampfmaßnahme ist, durch Zufügung wirtschaftlicher Nachteile Druck zur Erreichung eines legitimen Ziels auszuüben. Unverhältnismäßig ist ein Arbeitskampfmittel daher erst, wenn es sich auch unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs als unangemessene Beeinträchtigung gegenläufiger, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen darstellt.
3. Ein zur Unterstützung eines Hauptarbeitskampfs geführter Streik verstößt regelmäßig nicht gegen die von den Koalitionen sich selbst auferlegte Friedenspflicht. Er ist auch nicht allein deshalb unzulässig, weil er die Grenzen des Tarifgebiets überschreitet. Seine Zulässigkeit erfährt aber Beschränkungen durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
a) Durch einen Unterstützungsstreik verletzt eine Gewerkschaft regelmäßig nicht die Friedenspflicht gegenüber dem mit dem Unterstützungsstreik überzogenen Arbeitgeber (BAG 21. Dezember 1982 – 1 AZR 411/80 – BAGE 41, 209, zu A II 1a der Gründe; 5. März 1985 – 1 AZR 468/83 – BAGE 48, 160, zu II 1 der Gründe; Bieback Rn. 381; Birk Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungskampfmaßnahmen S. 33 ff.; Gamillscheg S. 1140; Lieb ZfA 1982, 113, 153; Wiedemann/Thüsing TVG 7. Aufl. § 1 Rn. 886; skeptisch dagegen Kissel § 24 Rn. 23 f.). Durch den lediglich zur Unterstützung eines Hauptarbeitskampfs geführten Streik werden in der Regel nicht die für die Streikenden geltenden Tarifverträge in Frage gestellt, sondern andere Streikende bei ihrer Forderung nach dem Abschluss eines Tarifvertrags über tariflich nicht geregelte Gegenstände unterstützt. Auch in Fällen, in denen dem im Hauptarbeitskampf angestrebten Tarifvertrag eine gewisse Signalwirkung für den Abschluss etwaiger späterer Tarifverträge zukommt, liegt allein deshalb in einem Unterstützungsstreik noch keine Verletzung der tariflichen Friedenspflicht (Birk S. 36). Nachdem sich das Streikziel grundsätzlich aus dem gewerkschaftlichen Streikbeschluss ergibt (vgl. BAG 24. April 2007 – 1 AZR 252/06 –, zu B IX 1a der Gründe), wird auch allenfalls in ganz besonderen Ausnahmefällen angenommen werden können, ein Unterstützungsstreik sei in Wirklichkeit ein vorgezogener, auf die Veränderung der eigenen, tariflich geregelten Arbeitsbedingungen gerichteter Hauptarbeitskampf (vgl. dazu Bieback aaO; Otto § 10 Rn. 43; vgl. auch schon RG 31. März 1931 – III 218/30 – RGZ 132, 249, 254 f.).
b) Unterstützungsstreiks sind nicht etwa generell deshalb unzulässig, weil die Grenzen des Tarifgebiets überschritten werden (so aber etwa Konzen DB 1990 Beilage Nr. 6 S. 2, 14 f.). Der Senat hat allerdings im Urteil vom 10. Juni 1980 (– 1 AZR 168/79 – BAGE 33,185, zu B II 1 der Gründe) ausgeführt, das Tarifgebiet müsse regelmäßig auch als angemessene Grenze des Kampfgebiets angesehen werden. Die Entscheidung betraf jedoch die Zulässigkeit von Abwehraussperrungen und ließ die Frage, ob Gleiches auch für Unterstützungsstreiks zu gelten habe, ausdrücklich offen (BAG 10. Juni 1980 – 1 AZR 168/79 – aaO). Eine Gleichsetzung ist insoweit nicht gerechtfertigt (vgl. BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, zu C I 3b cc der Gründe). Die Begrenzung von Abwehrmaßnahmen auf das Tarifgebiet soll eine zur Herstellung von Parität nicht erforderliche Eskalation eines Arbeitskampfs verhindern. Dagegen dienen Angriffskampfmittel dazu, die ohne die Möglichkeit des Arbeitskampfs fehlende gleichgewichtige Verhandlungsposition erst herzustellen (BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – aaO; BVerfG 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 ua. – BVerfGE 92, 365, zu C I 1c der Gründe). Eine generelle Beschränkung von Streiks auf das Tarifgebiet wäre auch mit der Streikgarantie des Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC schwerlich vereinbar. Wenn nach der Meinung des Sachverständigenausschusses und des Ministerkomitees des Europarats bereits das Verbot aller nicht auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichteten Streiks Bedenken begegnet (vgl. Nr. 82 des Berichts des Regierungsausschusses der ESC (XIII-4) an das Ministerkomitee des Europarats, ArbuR 1998, 154 f. sowie “Empfehlung” des Ministerkomitees vom 3. Februar 1998, ArbuR 1998, 156), gälte dies erst recht für Streiks, die der Durchsetzung eines Tarifvertrags in einem anderen Tarifgebiet dienen.
c) Nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit ist ein Unterstützungsstreik rechtswidrig, wenn er zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfs offensichtlich ungeeignet, nicht erforderlich oder unter Berücksichtigung der schützenswerten Interessen der betroffenen Dritten unangemessen ist. Der Bezugspunkt, der die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bestimmt, ist dabei die sich aus dem Charakter und der Funktion des Unterstützungsstreiks ergebende Beziehung zum Hauptarbeitskampf. Er ermöglicht die im Interesse der Rechtssicherheit gebotene, für eine funktionsfähige Arbeitskampfordnung erforderliche Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (vgl. zu diesem Erfordernis BAG 10. Juni 1980 – 1 AZR 168/79 – BAGE 33,185, zu B I 3b der Gründe).
aa) Rechtswidrig ist ein Unterstützungsstreik, wenn er zur Förderung der mit dem Hauptarbeitskampf verfolgten Ziele offensichtlich ungeeignet ist. Der Unterstützungsstreik dient dann nicht der Durchsetzung tariflicher Forderungen. Die zum Unterstützungsstreik aufrufende Gewerkschaft hat hinsichtlich der Tauglichkeit dieses Arbeitskampfmittels eine Einschätzungsprärogative (vgl. BAG 18. Februar 2003 – 1 AZR 142/02 – BAGE 105, 5, zu B I der Gründe). Es unterliegt ihrer durch die Betätigungsfreiheit gewährleisteten freien Beurteilung, ob sie das Mittel des Unterstützungsstreiks als zur Durchsetzung der im Hauptarbeitskampf verfolgten Ziele tauglich erachtet.
Der Umstand, dass der mit dem Unterstützungsstreik überzogene Arbeitgeber die im Hauptarbeitskampf von der Gewerkschaft verfolgte Forderung nicht selbst erfüllen oder in “seinem” Arbeitgeberverband auf die Erfüllung hinwirken kann, bedeutet nicht, dass der Unterstützungsstreik generell ungeeignet wäre, den Druck auf den sozialen Gegenspieler zu verstärken und den Hauptarbeitskampf zu beeinflussen. Dabei kann der Druck wirtschaftlicher oder auch psychischer Art sein. So kann zum einen die durch den Unterstützungsstreik gezeigte Solidarität die Kampfbereitschaft der den Hauptarbeitskampf führenden Gewerkschaftsmitglieder stärken (vgl. BAG 12. Januar 1988 – 1 AZR 219/86 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 90, zu IV 2b aa der Gründe). Dies gilt in besonderem Maße, wenn es sich um die Mitglieder derselben Gewerkschaft handelt (vgl. BAG 18. Februar 2003 – 1 AZR 142/02 – BAGE 105, 5, zu B II 1 der Gründe). Vor allem gibt es aber in der Realität des Arbeits- und Wirtschaftslebens unabhängig von formellen Verbandszugehörigkeiten zahlreiche unterschiedliche Einfluss- und Reaktionsmöglichkeiten (vgl. BAG 18. Februar 2003 – 1 AZR 142/02 – aaO; ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 116). So existieren insbesondere zwischen wirtschaftlich und regional verbundenen Arbeitgebern unabhängig von einer Mitgliedschaft im selben Arbeitgeberverband regelmäßig zahlreiche Verbindungen und Kontakte, die eine zumindest informelle, darum aber keineswegs weniger wirksame Einflussnahme ermöglichen (vgl. BAG 18. Februar 2003 – 1 AZR 142/02 – aaO).
Allerdings mag es auch Fallgestaltungen geben, in denen die Beteiligten des Hauptarbeitskampfs und des Unterstützungsstreiks branchenmäßig, wirtschaftlich oder räumlich so weit voneinander entfernt sind, dass der Unterstützungsstreik offensichtlich den sozialen Gegenspieler des Hauptarbeitskampfs nicht mehr zu beeindrucken geeignet ist. In einem derartigen Fall spricht vieles dafür, dass der Streik eine reine Demonstration der Macht und nicht mehr auf die Durchsetzung tariflicher Forderungen gerichtet ist. Im Regelfall macht jedoch ein solcher Streik auch für die Gewerkschaft keinen Sinn. Diese nimmt die Belastungen, die mit einem Unterstützungsstreik für sie selbst und die bei ihr organisierten Arbeitnehmer verbunden sind, regelmäßig nur dann auf sich, wenn sie sich davon Auswirkungen auf den Hauptarbeitskampf verspricht (vgl. BAG 18. Februar 2003 – 1 AZR 142/02 – BAGE 105, 5, zu B II 1 der Gründe; Wohlgemuth ArbuR 1980, 33, 41).
bb) Rechtswidrig ist ein Unterstützungsstreik auch dann, wenn er offenkundig nicht erforderlich ist. Auch insoweit steht der Gewerkschaft eine Einschätzungsprärogative zu. Offenkundig nicht erforderlich dürfte ein Unterstützungsstreik etwa sein, wenn er gegen den Willen der den Hauptarbeitskampf führenden Gewerkschaft ausgerufen und dieser gleichsam “aufgedrängt” wird. Dagegen kann die Erforderlichkeit eines Unterstützungsstreiks nicht mit der Erwägung verneint werden, es müsse zuvor der Hauptstreik intensiviert oder ausgeweitet werden. Die Entscheidung, wann und wem gegenüber sie welches Arbeitskampfmittel für erforderlich erachtet, obliegt vielmehr der Gewerkschaft.
cc) Rechtswidrig ist ein Unterstützungsstreik, wenn er trotz der durch das Grundgesetz gewährleisteten gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit unter Berücksichtigung der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen des bestreikten Arbeitgebers nicht angemessen (proportional) ist.
(1) Die gegeneinander abzuwägenden Rechtspositionen sind bei einem Unterstützungsstreik andere als beim Hauptarbeitskampf. Von diesem unterscheidet sich der Unterstützungsstreik vor allem durch das Auseinanderfallen des eigentlichen, auf den Abschluss eines Tarifvertrags in Anspruch genommenen Verhandlungspartners und des Kampfgegners. Der Unterstützungsstreik wird nicht gegenüber dem Arbeitgeber geführt, mit dem oder für den der Tarifvertrag geschlossen werden soll. Der mit dem Unterstützungsstreik überzogene Arbeitgeber wird vielmehr als Dritter, als Außenseiter in den Arbeitskampf einbezogen. Zwar sind von Arbeitskämpfen häufig auch Dritte – wie etwa Kunden von Dienstleistungsunternehmen, Fahrgäste, Flugpassagiere, Patienten, Zulieferer, Abnehmer etc. – betroffen. Anders als beim Hauptarbeitskampf ist aber beim Unterstützungsstreik die Betroffenheit des Dritten nicht lediglich eine mehr oder weniger beabsichtigte Folge des Arbeitskampfs. Vielmehr ist der Unterstützungsstreik gerade darauf gerichtet, den Dritten beim Betreiben seines Gewerbebetriebs zu beeinträchtigen. Anders als beim Hauptarbeitskampf hat der vom Unterstützungsstreik betroffene Arbeitgeber regelmäßig auch nicht die Möglichkeit, durch eigenes Nachgeben oder durch Einflussnahme in seinem Arbeitgeberverband die gewerkschaftlichen Forderungen zu erfüllen und zu einem Tarifabschluss zu gelangen. Bereits aus diesem Grund bedarf er eines größeres Schutzes als der unmittelbar von einem Hauptarbeitskampf betroffene Arbeitgeber (BAG 5. März 1985 – 1 AZR 468/83 – BAGE 48, 160, zu II 3c der Gründe).
(2) Gleichwohl führen diese Unterschiede zwischen einem “normalen” Hauptarbeitskampf und einem Unterstützungsstreik nicht dazu, dass Unterstützungsstreiks stets als unangemessen zu erachten wären.
Eine Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts dahin, dass Unterstützungsstreiks grundsätzlich unangemessen und deshalb rechtswidrig sind, wäre vielmehr eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsfreiheit und würde der Bedeutung des Grundrechts nicht gerecht. Sie wäre darüber hinaus mit der Garantie des Streikrechts in Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC zumindest dann kaum vereinbar, wenn der Unterstützungsstreik von der Gewerkschaft ausgerufen wird, die selbst den Hauptarbeitskampf führt.
Im Übrigen ist die Einbeziehung von Personen, welche nicht in der Lage sind, die Forderung des sozialen Gegenspielers zu erfüllen, dem Arbeitskampfrecht nicht fremd und hat keineswegs stets die Unangemessenheit der Arbeitskampfmaßnahme zur Folge. So kann nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein von einem Arbeitskampf betroffener Arbeitgeber auch die nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer aussperren (vgl. GS 21. April 1971 – GS 1/68 – BAGE 23, 292, zu III B 3 der Gründe; 10. Juni 1980 – 1 AZR 331/79 – BAGE 33, 195, zu A I der Gründe; 18. Februar 2003 – 1 AZR 142/02 – BAGE 105, 5, zu A III 2a der Gründe mwN; vgl. auch Plander ZTR 1989, 135, 137), obwohl diese nicht in der Lage sind, die den Streik führende Gewerkschaft zu dem von der Arbeitgeberseite angebotenen oder geforderten Tarifabschluss zu veranlassen. Dementsprechend hat der Senat den Umstand, dass ein bestreikter, dem Arbeitgeberverband nicht angehörender, aber am Tarifabschluss partizipierender Arbeitgeber die von der Gewerkschaft erhobene Forderung nach dem Abschluss eines Verbandstarifvertrags weder selbst erfüllen noch unmittelbar – durch Verbandsmitgliedschaft – den Arbeitgeberverband zum Abschluss des geforderten Tarifvertrags veranlassen konnte, nicht genügen lassen, um die Unrechtmäßigkeit des Streiks anzunehmen (18. Februar 2003 – 1 AZR 142/02 – aaO). Das Bundesverfassungsgericht hat dies nicht beanstandet (10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampfrecht Nr. 136).
Auch der Umstand, dass ein Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer sich in tariflich geregelten Arbeitsverhältnissen befinden, während der Laufzeit der Tarifverträge grundsätzlich darauf vertrauen darf, nicht mit Arbeitskämpfen überzogen zu werden, bedeutet nicht, dass er in dieser Zeit vor einem Unterstützungsstreik geschützt wäre. Die Tarifverträge entfalten, wie ausgeführt, keine absolute, sondern nur eine relative Friedenspflicht.
(3) Die Angemessenheit (Proportionalität) eines Unterstützungsstreiks kann hiernach nicht generell bejaht oder verneint werden.
(a) Regelmäßig unangemessen ist ein Unterstützungsstreik dann, wenn der Streik, zu dessen Unterstützung er geführt wird, rechtswidrig ist (ebenso Bieback Rn. 377; Wohlgemuth ArbuR 1980, 33, 40; Birk S. 80). Verstößt daher der Hauptarbeitskampf gegen die Friedenspflicht, so erfasst die daraus resultierende Rechtswidrigkeit auch den Unterstützungsstreik. Aus der Abhängigkeit (Akzessorietät) des Unterstützungsstreiks vom Hauptkampf folgt auch, dass die Dauer des Hauptarbeitskampfs grundsätzlich den äußersten zeitlichen Rahmen des Unterstützungsstreiks bildet (Wohlgemuth aaO; Bieback aaO).
(b) Im Übrigen ist für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit die Nähe oder Ferne des Unterstützungsstreiks gegenüber dem unterstützten Hauptarbeitskampf von wesentlicher Bedeutung. Bei einer engen Verbindung ist die Einbeziehung eines Arbeitsgebers in den Arbeitskampf regelmäßig eher angemessen als in Fällen, in denen sich der Unterstützungsstreik räumlich, branchenmäßig oder wirtschaftlich vom Hauptarbeitskampf weit entfernt.
Erhebliche Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, ob und in welcher Weise der mit dem Unterstützungsstreik überzogene Arbeitgeber mit dem oder den Adressaten des Hauptarbeitskampfs wirtschaftlich verflochten ist (vgl. schon BAG 20. Dezember 1963 – 1 AZR 157/63 – BAGE 15, 211, zu III 1 der Gründe; ferner 5. März 1985 – 1 AZR 468/83 – BAGE 48, 160, zu II 4 der Gründe; Birk S. 55 ff.; ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 116; Otto § 10 Rn. 45). Solche Verflechtungen sind regelmäßig besonders ausgeprägt in Fällen, in denen der Hauptarbeitskampf und der Unterstützungsstreik Unternehmen desselben Konzerns betreffen (vgl. Birk S. 55 ff.; ErfK/Dieterich aaO; Otto aaO; vgl. aber auch Lieb RdA 1991, 145, 152 f.; Konzen DB 1990 Beilage Nr. 6 S. 2, 14). Das macht auch § 297 Abs. 3 Satz 1 HGB deutlich, wonach im Konzernabschluss die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der einbezogenen Unternehmen so darzustellen ist, als ob diese Unternehmen insgesamt ein einziges Unternehmen wären. Diesem sog. Einheitsgrundsatz liegt die Annahme zugrunde, dass das Mutterunternehmen die Kontrolle und Leitungsmacht über das Vermögen aller einbezogenen Tochterunternehmen ausübt und diese der wirtschaftlichen Disposition des Mutterunternehmens unterliegen; die Unternehmen nehmen trotz ihrer rechtlichen Selbständigkeit wirtschaftlich den Charakter von unselbständigen Betriebsstätten ein (vgl. Ernst- Thomas Kraft in Canaris/Schilling/Ulmer HGB 4. Aufl. § 297 Rn. 66). Dementsprechend hat auch das Mutterunternehmen regelmäßig ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an dem Ausgang des Hauptarbeitskampfs und kann bei einem gegen ein Tochterunternehmen geführten Unterstützungsstreik den ihm – ggf. über ein anderes Tochterunternehmen – möglichen Einfluss auf den Verlauf des Hauptarbeitskampfs ausüben und dort auf ein Nachgeben hinwirken. Eine enge wirtschaftliche Verbindung kann außer durch konzernrechtliche Bindungen auch durch Produktions-, Dienstleistungs- oder Lieferbeziehungen entstehen.
Von Bedeutung für die Beurteilung der Angemessenheit eines Unterstützungsstreiks kann ferner der Umstand sein, ob sich der bestreikte Arbeitgeber bereits in den Hauptarbeitskampf “eingemischt” und seine “Neutralität” verletzt hat (vgl. BAG 5. März 1985 – 1 AZR 468/83 – BAGE 48, 160 = AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 85, zu II 4 der Gründe).
Einen bei der Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigenden Unterschied kann es auch ausmachen, ob die einen Unterstützungsstreik ausrufende Gewerkschaft dies zur Unterstützung eines von ihr selbst oder eines von einer anderen Gewerkschaft geführten Hauptarbeitskampfs tut. Wird einer selbst den Hauptarbeitskampf führenden Gewerkschaft ein Unterstützungsstreik untersagt, so bedeutet dies regelmäßig eine schwererwiegende Beschränkung ihrer Betätigungsfreiheit als wenn ihr lediglich die Unterstützung eines fremden Hauptarbeitskampfs unmöglich ist.
Schließlich wird die Betroffenheit des mit dem Unterstützungsstreik überzogenen Dritten wesentlich durch die Dauer und den Umfang des Unterstützungsstreiks bestimmt. Unangemessen kann ein Unterstützungsstreik daher sein, wenn der Schwerpunkt des gesamten Arbeitskampfs signifikant auf den Unterstützungsstreik verlagert wird und dieser seinen Charakter als Unterstützung eines ernsthaft geführten Hauptarbeitskampfs verliert. Grundsätzlich gehört es zum Modell einer funktionierenden Tarifautonomie, dass die Gewerkschaft ihre Kräfte im Tarifgebiet mobilisiert. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn der lediglich der Unterstützung dienende Unterstützungsstreik an die Stelle des Hauptarbeitskampfs träte.
II. Hiernach war der vorliegend zu beurteilende Unterstützungsstreik in der Nachtschicht vom 6. zum 7. Februar 2004, zu dem die Beklagte die Arbeitnehmer der Klägerin aufgerufen hatte, entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht rechtswidrig.
1. Der Streik unterfiel als Arbeitskampfmaßnahme dem Schutzbereich der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit der Beklagten. Er war zwar nicht auf die Durchsetzung eines Tarifvertrags mit der Klägerin oder deren Arbeitgeberverband gerichtet. Sein Ziel war jedoch die Unterstützung eines Hauptarbeitskampfs, der seinerseits wegen des Abschlusses eines Tarifvertrags geführt wurde. Der Unterstützungsstreik diente daher – jedenfalls mittelbar – der Durchsetzung tariflich regelbarer Ziele. Dies gilt umso mehr, als – anders als in den vom Senat am 5. März 1985 (– 1 AZR 468/83 – BAGE 48, 160) und 12. Januar 1988 (– 1 AZR 219/86 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 90 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 73) entschiedenen Fallgestaltungen – die Beklagte sowohl den Hauptarbeitskampf als auch den Unterstützungsstreik führte.
2. Der Unterstützungsstreik verstieß nicht gegen die relative Friedenspflicht. Er wurde nicht über Gegenstände geführt, die tariflich bereits geregelt waren.
3. Der Unterstützungsstreik war nicht unverhältnismäßig.
a) Er war zur Förderung des Streikziels nicht – offenkundig – ungeeignet. Die Beklagte bewegte sich innerhalb der ihr zustehenden Einschätzungsprärogative, wenn sie annahm, sie könne durch den Unterstützungsstreik die Erreichung der im Hauptarbeitskampf verfolgten Ziele fördern. Dies gilt hier schon deshalb, weil die Klägerin zu demselben Konzernverbund gehört wie die im Hauptarbeitskampf bestreikte NWZ-Verlagsgesellschaft. Bereits aus diesem Grund konnte die Beklagte berechtigterweise annehmen, dass der Unterstützungsstreik – auch vermittelt über die Konzernmutter – im Hauptarbeitskampf Wirkung zeigt. Hinzu kommt, dass die Klägerin und die im Hauptarbeitskampf bestreikte NWZ-Verlagsgesellschaft in unmittelbaren Produktions-/Lieferbeziehungen stehen. Die Klägerin druckt die von der NWZ-Verlagsgesellschaft verlegte Zeitung. Der Unterstützungsstreik bei der Klägerin ließ daher erwarten, dass er zumindest dazu beiträgt, das Erscheinen der bei der NWZ-Verlagsgesellschaft verfassten Zeitung zu verhindern.
b) Der Unterstützungsstreik war nicht offenkundig nicht erforderlich. Es lag in der Einschätzungsprärogative der Beklagten, die Arbeitsniederlegung bei der Klägerin als ein in der konkreten Arbeitskampfsituation erforderliches Arbeitskampfmittel anzusehen. Eine gerichtliche Prüfung darüber, ob etwa die Beklagte vor dem Ausrufen eines Unterstützungsstreiks den Hauptarbeitskampf hätte ausweiten müssen, findet nicht statt. Es war Sache der Beklagten, darüber zu befinden, welche Arbeitskampftaktik sie für erfolgversprechend erachtet.
c) Der Unterstützungsstreik war nicht unangemessen.
aa) Er genügte dem Erfordernis der Akzessorietät. Der Hauptarbeitskampf, um dessen Unterstützung es ging, war rechtmäßig. Der Unterstützungsstreik wurde während der Dauer des Hauptarbeitskampfs – und nicht etwa vor dessen Beginn oder nach dessen Ende – geführt.
bb) Der Unterstützungsstreik war auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen der Klägerin proportional. Allerdings wurde diese durch den Streik in ihrem Recht auf die ungestörte Ausübung ihres Gewerbebetriebs beeinträchtigt. Auch war sie weder unmittelbar Adressatin des im Hauptarbeitskampf verfolgten Streikziels noch gehörte sie dem Arbeitgeberverband an, gegenüber dem die Streikforderung erhoben war. Sie konnte dementsprechend auch selbst weder die Streikforderung erfüllen noch sich in “ihrem” Arbeitgeberverband für deren Erfüllung einsetzen. Daher bedurfte sie grundsätzlich eines stärkeren rechtlichen Schutzes als die unmittelbar von dem Hauptarbeitskampf betroffenen Arbeitgeber. Die Klägerin war jedoch auch keine völlig unbeteiligte Dritte. Sie gehört vielmehr demselben Konzernverbund an wie die in den Hauptarbeitskampf involvierte NWZ-Verlagsgesellschaft. Ebenso wie diese wird sie von der gemeinsamen Konzernmutter beherrscht. Wirtschaftlich sind die vom Haupt- und vom Unterstützungsstreik betroffenen Unternehmen daher eng miteinander verbunden. Hinzu kommt die zwischen ihnen bestehende enge Lieferanten-/Kundenbeziehung. Die enge wirtschaftliche Beziehung ist gerade bei einem Verlagshaus und einem Druckunternehmen, die sich beide mit der Herstellung derselben Zeitung befassen, besonders deutlich. Schließlich handelte es sich bei dem Unterstützungsstreik nicht um einen zeitlich lang andauernden oder quantitativ umfangreichen Streik. Er trat insbesondere nicht etwa an die Stelle eines nicht ernsthaft geführten Hauptarbeitskampfs. Vielmehr beschränkte er sich auf die Niederlegung der Arbeit von 20 Druckern in einer Nachtschicht.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Rath, Hayen
Fundstellen
Haufe-Index 1856305 |
BAGE 2009, 134 |
DB 2007, 2038 |