Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Abfindung bei zweimaligem Betriebsübergang
Leitsatz (redaktionell)
1. Geht ein Betrieb im Wege der Betriebsnachfolge auf einen neuen Betriebsinhaber über, so werden die durch den Tarifvertrag geregelten Abfindungsregelungen Inhalt des Arbeitsvertrages.
2. Geht der übergegangene Betrieb ein zweites Mal auf einen neuen Betriebsinhaber über, so tritt der zweite Betriebsnachfolger nach § 613a Abs 1 Satz 1 BGB in die Arbeitsverhältnisse ein. Ob für den zweiten Betriebsübergang auch die Sperre des § 613a Abs 1 Satz 3 BGB gilt, kann unentschieden bleiben, weil bei dem zweiten Erwerber kein deckungsgleicher Tarifvertrag (hier: Tarifvertrag über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung vom 28. Januar 1991) besteht.
Orientierungssatz
Wird eine Aufklärungsrüge nach § 139 ZPO erhoben, ist darzulegen, was auf eine entsprechende Frage des Gerichts vorgetragen worden wäre und daß hierdurch die Entscheidung beeinflußt worden wäre.
Verfahrensgang
LAG Brandenburg (Entscheidung vom 22.01.1993; Aktenzeichen 4 Sa 558/92) |
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 23.07.1992; Aktenzeichen 7 Ca 4650/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision nur noch über die Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung (GPH-TV) vom 28. Januar 1991.
Die Klägerin war seit dem 21. August 1968 bei der Handelsorganisation (HO) und später bei der Handel- und Gaststätten GmbH, S , als Kassiererin beschäftigt. Zum 1. Februar 1991 übernahm die SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH den Betrieb der Handel- und Gaststätten GmbH, in dem die Klägerin beschäftigt war. Zum selben Zeitpunkt schlossen die Klägerin, die Handel- und Gaststätten GmbH und die SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH eine schriftliche Vereinbarung ab.
In der Vereinbarung heißt es:
"Der zwischen der H + G S und dem Ar-
beitnehmer abgeschlossene Arbeitsvertrag als
1. Kassiererin einschließlich des letzten Nach-
trages der Gehalts-/Lohnänderung geht zum
01. Februar 1991 nach § 613 a BGB mit allen
Rechten und Pflichten auf die SUPER 2000 B -
über.
Die Betriebszugehörigkeit ab 21. August 1968 wird
anerkannt."
Am 30. Juli 1991 übernahm der Beklagte den Betrieb von der SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH. Hierzu trafen die Klägerin, der Beklagte und die SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH am 29. Juli 1991 folgende Vereinbarung:
"Die zwischen der SUPER 2000 B und dem
Arbeitnehmer abgeschlossene Vereinbarung als
1. Kassierer einschließlich des letzten Nachtra-
ges der Gehalts-/Lohnänderung geht zum 30. Juli
1991 nach Par. 613 a BGB mit allen Rechten und
Pflichten auf Herrn E über.
Die Betriebszugehörigkeit ab 21. August 1968 wird
anerkannt."
Das Gehalt der Klägerin betrug laut Mitteilung vom 8. März 1991 ab 1. Februar 1991 monatlich 1.904,00 DM statt vorheriger 1.650,00 DM.
Mit Schreiben vom 7. November 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 31. Dezember 1991. Die Klägerin erhob keine Kündigungsschutzklage.
Mit Schreiben vom 22. Januar 1992 erklärte der Beklagte die Rücknahme der Kündigung. Die Klägerin widersprach dieser Rücknahme mit Schreiben vom 12. Februar 1992.
Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft HBV. Der Beklagte ist Mitglied im Landesverband des Lebensmittelhandels Berlin-Brandenburg e.V.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der GPH-TV komme zur Anwendung und ihr stehe danach eine Abfindung in Höhe von 9.579,50 DM zu.
Aufgrund des Betriebsüberganges sei die Tarifbindung der Handel- und Gaststätten GmbH auf den Beklagten übergegangen. Mit der Vereinbarung vom 1. Februar 1991 über den Betriebsübergang zur SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH sei § 4 GPH-TV Inhalt des individuellen Arbeitsvertrages für die Dauer eines Jahres geworden.
Auch bei dem Betriebsübergang auf den Beklagten sei § 4 GPH-TV aufgrund der Vereinbarung vom 29. Juli 1991 individueller Vertragsinhalt geworden.
Entgegen der Auffassung des Beklagten liege keine Tarifkonkurrenz zwischen dem GPH-TV und dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in den östlichen Verwaltungsbezirken des Landes Berlin und Land Brandenburg (MTV) vom 21. Februar 1991 vor. Der MTV gelte zwar, beinhalte aber keine Norm, die der GPH-TV geregelt habe und die Bestandteil des Arbeitsverhältnisses der Klägerin geworden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, 9.579,50 DM netto
nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 1992 sowie
833,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich
daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Januar
1992 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Abfindung nach dem GPH-TV. Das Arbeitsverhältnis sei einvernehmlich aufgelöst worden, da die Klägerin nichts gegen ihre Kündigung unternommen habe, sondern damit einverstanden gewesen sei. Für diese Fälle sehe der GPH-TV keine Abfindungen vor.
Darüber hinaus könne der GPH-TV auf das Arbeitsverhältnis nicht angewendet werden, da dieser eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft zur Privatisierung des Handels und der Gewerkschaft gewesen sei, die bei einem Geschäftsverkauf im Sinne des § 613 a BGB nicht auf den Nachfolger übergehe. Im übrigen gelte für das Arbeitsverhältnis der MTV. Dieser sehe bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Abfindungszahlung vor.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag auf Zahlung der Sonderzuwendung stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin der Klage auf Zahlung der Abfindung stattgegeben. Der Beklagte verfolgt mit seiner Revision die Abweisung dieses Klageantrages weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die von ihr geltend gemachte Abfindung.
I. Zwischen der Klägerin und der Handel- und Gaststätten GmbH S bestand ein Arbeitsverhältnis. Das Landesarbeitsgericht hat im Tatbestand festgestellt, daß die Klägerin seit dem 21. August 1968 bei der Handel- und Gaststätten GmbH beschäftigt war. Die vom Beklagten insoweit erhobene Verfahrensrüge führt nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Es ist zwar richtig, daß das angefochtene Urteil am 22. Januar 1993 verkündet und erst am 22. April 1993 dem Beklagten in vollständiger Fassung zugestellt wurde. Der Beklagte trägt vor, er hätte eine Tatbestandsberichtigung wegen der verspäteten Zustellung des Urteils nicht mehr beantragen können. Die Klägerin sei nicht bereits seit 21. August 1968 bei der Handel- und Gaststätten GmbH S , sondern zunächst bei einem HO-Betrieb beschäftigt gewesen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Urteil wegen Verstoßes gegen § 60 Abs. 4 Satz 3, § 69 ArbGG i.V.m. § 320 ZPO aufzuheben, wenn der Revisionskläger überzeugend darlegt, er hätte einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt und wenn das angefochtene Urteil auf dem Sachverhalt, dessen Berichtigung beantragt worden wäre, beruht (BAG Urteil vom 3. Mai 1957 - 1 AZR 563/55 - BAGE 4, 81, 83 = AP Nr. 2 zu § 60 ArbGG 1953; BAG Urteil vom 11. Juni 1963 - 4 AZR 180/62 - AP Nr. 1 zu § 320 ZPO). Die letztgenannte Voraussetzung liegt nicht vor. Die Klägerin konnte offensichtlich vor der Umwandlung der HO in die Handel- und Gaststätten GmbH nicht bei einer GmbH beschäftigt sein, weil diese Rechtsform in der ehemaligen DDR nicht existierte. Für die Entscheidung ist dies aber unerheblich. Die maßgebende Betriebszugehörigkeit bei den Rechtsvorgängern des Beklagten ab 21. August 1968 ist unstreitig und wurde auch in beiden schriftlichen Vereinbarungen zum Betriebsübergang ausdrücklich anerkannt.
II. Auf dieses Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Handel- und Gaststätten GmbH war der GPH-TV vom 28. Januar 1991 gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG anwendbar.
1. Die Tarifbindung der Klägerin ergibt sich aus ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft HBV. Die Handel- und Gaststätten GmbH war Partei des GPH-TV. Sie gehörte nämlich gemäß Anlage zu den Unternehmen, in deren Namen der GPH-TV abgeschlossen worden war. § 12 lautet wie folgt:
"Dieser Tarifvertrag wird für alle zur Gesell-
schaft gehörenden Unternehmen im Rahmen rechtsge-
schäftlich begründeter Tarifführerschaft ge-
schlossen.
Er stellt einen Einheitstarifvertrag dar, der
hinsichtlich der in den obligatorischen Bestim-
mungen festgelegten Rechte und Pflichten nur ge-
meinsam ausgeübt werden kann."
Es ist rechtlich zulässig und steht der Wirksamkeit des Tarifvertrages nicht entgegen, daß er von der in rechtsgeschäftlicher Vertretung für mehrere Unternehmen handelnden GPH abgeschlossen worden ist (BAG Urteil vom 24. November 1993 - 4 AZR 407/92 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Rüge des Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe seine Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Tarifbindung und die Wirksamkeit des GPH-TV verletzt, ist unbegründet.
Wird eine Aufklärungsrüge nach § 139 ZPO erhoben, ist darzulegen, was auf eine entsprechende Frage des Gerichts vorgetragen worden wäre (BAG Urteil vom 23. Februar 1962 - 1 AZR 49/61 - AP Nr. 8 zu § 322 ZPO; BAG Urteil vom 30. November 1962 - 3 AZR 86/59 - BAGE 13, 340, 344 = AP Nr. 37 zu § 233 ZPO) und daß hierdurch die Entscheidung beeinflußt worden wäre (BAG Urteil vom 9. Februar 1968 - 3 AZR 419/66 - AP Nr. 13 zu § 554 ZPO). Dies hat der Beklagte nicht dargelegt. Er hat lediglich vorgetragen, die Klägerin habe in beiden Vorinstanzen "die Anwendung und die Tarifbindung des GPH-TV nicht substantiiert bzw. unter Beweisantritt vorgetragen" und keinen ausreichenden Nachweis für eine "Tarifbindung zwischen ihr und der Handel- und Gaststätten GmbH erbracht". Unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes und des Bestreitens des Beklagten hätte das Landesarbeitsgericht den Sachverhalt zur Frage der Tarifbindung und der Wirksamkeit des GPH-TV näher aufklären müssen.
2. Die Klägerin unterliegt auch dem persönlichen Geltungsbereich gem. § 2 Abs. 1 b GPH-TV. In § 2 ist geregelt:
"Geltungsbereich
1. Der Tarifvertrag gilt
a) für alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis
durch eine nach dem 31.12.1990 zugegangene Ar-
beitgeberkündigung oder einvernehmlich durch
Aufhebungsvertrag auf Veranlassung des Arbeit-
gebers beendet wird,
b) für alle Arbeitnehmer gemäß § 4."
In § 4 ist festgelegt:
"Betriebsübergang
1. Gehen Betriebe oder Betriebsteile durch
Rechtsgeschäft auf einen Erwerber über, so
wird die GPH durch Begründung entsprechender
Pflichten im Kaufvertrag sicherstellen, daß
die in diesen Betrieben/Betriebsteilen Be-
schäftigten nach § 613 a BGB übernommen wer-
den.
2. Werden Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres
nach dem Betriebsübergang vom Erwerber aus
dringenden betrieblichen Gründen (§ 1 Abs. 2
Satz 1 KSchG) gekündigt, so hat der neue Ar-
beitgeber eine Abfindung zu zahlen, die der
Höhe nach der Abfindung entspricht, die ge-
zahlt worden wäre, wenn der Betriebsübergang
nicht stattgefunden hätte und dem Arbeitnehmer
gekündigt worden wäre. Die Abfindung kann auf
sonstige Abfindungen, die der Arbeitgeber aus
Anlaß der Kündigung zahlt, angerechnet werden.
Der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür,
daß die Kündigung betriebsbedingt ist. Erfolgt
die Entlassung im Rahmen einer Betriebsände-
rung, so bleiben die §§ 111, 112 BetrVG im
Verhältnis zum Erwerber unberührt."
Danach gilt der Tarifvertrag für alle Arbeitnehmer, die gemäß § 4 nach § 613 a BGB übernommen werden. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging unstreitig am 1. Februar 1991 gemäß § 613 a BGB auf die SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH über, was auch schriftlich vereinbart ist.
Neben den bisher genannten Bestimmungen des GPH-TV sind folgende Regelungen für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin maßgebend:
"§ 3
Grundsätze
Der Tarifvertrag soll dazu beitragen, daß
- Arbeitsplätze erhalten werden
- von Entlassungen betroffene Arbeitnehmer durch
Qualifizierungsmaßnahmen auf neue Tätigkeiten
vorbereitet werden
- durch Festlegung von Abfindungen wirtschaftli-
che Nachteile gemildert werden.
§ 8
Abfindung
1. Alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis
nicht auf einen neuen Arbeitgeber übergeht und
gekündigt oder auf Veranlassung des Arbeitge-
bers durch Aufhebungsvertrag beendet wird, er-
halten eine Abfindung in Höhe von 25 % ihres
tariflichen Bruttomonatseinkommens pro anre-
chungsfähigem Beschäftigungsjahr. Stichtag für
die Bemessung des Bruttomonatsgehaltes ist der
01.02.1991 oder ein früherer Zeitpunkt des
Ausscheidens. Keine Abfindung erhalten Arbeit-
nehmer, deren Arbeitsverhältnis aus wichtigem
Grund außerordentlich oder verhaltensbedingt
ordentlich gekündigt wird; der Arbeitgeber
trägt die Beweislast für den Kündigungsgrund.
2. Die Abfindung wird fällig, wenn das Arbeits-
verhältnis endet und feststeht, daß der Ar-
beitnehmer nicht an einer geförderten Qualifi-
zierungsmaßnahme teilnimmt, frühestens am
01.07.1991."
III. Die Rechtsnormen des GPH-TV sind Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH geworden.
Nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB werden bei einem Betriebsübergang die durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten Inhalt des Arbeitsvertrages zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden.
Das bedeutet, die kollektivvertraglichen Inhaltsnormen des Tarifvertrages verlieren ihre bis zum Betriebsübergang bestehende unmittelbare und zwingende Wirkung (§ 4 Abs. 1 TVG) und gelten individualrechtlich, d.h. wie arbeitsvertraglich vereinbarte Regelungen weiter (MünchKomm-Schaub, 2. Aufl., § 613 a Rz 117; Röder, DB 1981, 1980; Kania, DB 1994, 529, m.w.N.).
Der Betrieb, in dem die Klägerin tätig war, ging am 1. Februar 1991 von der Handel- und Gaststätten GmbH auf die SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH über. Letztgenannte ist in das zwischen der Klägerin und der Handel- und Gaststätten GmbH zu diesem Zeitpunkt bestehende Arbeitsverhältnis eingetreten. Die §§ 4 und 8 GPH-TV wurden in das neue Arbeitsverhältnis übertragen, denn bei diesen Bestimmungen zur Abfindungszahlung handelt es sich um Inhaltsnormen.
Tatsachen, die der individualrechtlichen Weitergeltung des GPH-TV entgegenstehen könnten, wie beispielsweise die kollektivrechtliche Fortgeltung des GPH-TV, die Geltung eines anderen Tarifvertrages bei der SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH oder etwa die Beendigung des transformierten GPH-TV liegen nicht vor.
IV. Die individualrechtlich weitergeltenden Inhaltsnormen sind auch nach dem weiteren Betriebsübergang von der SUPER 2000 B auf den Beklagten Inhalt des zwischen ihm und der Klägerin begründeten Arbeitsverhältnisses geworden.
1. Gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt bei einem Betriebsübergang der Erwerber in die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ein.
Zum Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses der Klägerin auf den Beklagten am 30. Juli 1991 gemäß der Vereinbarung vom 29. Juli 1991 haben die Inhaltsnormen des GPH-TV individualrechtlich noch zwischen der Klägerin und der SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH gegolten. Der Beklagte unterliegt denselben arbeitsvertraglichen Verpflichtungen, wie sie schon für die SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH bestanden haben. Auch dem Beklagten ist daher wie der SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH untersagt, diese zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses gewordenen Rechte und Pflichten vor Ablauf eines Jahres, also vor dem 1. Februar 1992, zum Nachteil der Klägerin zu ändern. Damit ist die Klägerin durch den zweiten Betriebsübergang weder besser noch schlechter gestellt, als bei nur einem Betriebsübergang.
2.a) Die Geltung der Normen des GPH-TV zwischen den Parteien ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB ausgeschlossen. Gemäß dieser Bestimmung gehen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen dann nicht in arbeitsvertragliche Bestimmungen über, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrages oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB dient gegenüber der in Satz 2 geregelten individualrechtlichen Verpflichtung dem Zweck, den Vorrang kollektivrechtlicher Verpflichtungen zu sichern. Es kommt der Grundsatz des Gesetzes zum Ausdruck, die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen beim Betriebsnachfolger zu erleichtern. Ein Tarifvertrag kann jedoch nur dann den Übergang tarifrechtlicher Normen in den Arbeitsvertrag verhindern, wenn er nach seinem Geltungsbereich auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, die Parteien tarifgebunden sind und wenn er den gleichen Regelungsgegenstand betrifft (MünchKomm-Schaub, aaO, Rz 134 ff.).
b) Der am 1. Januar 1991 in Kraft getretene Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in den östlichen Verwaltungsbezirken des Landes Berlin und des Landes Brandenburg vom 21. Februar 1991 findet auf das Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Mitgliedschaft in den tarifschließenden Parteien gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG Anwendung. Der Geltungsbereich des Manteltarifvertrages ist in § 1 wie folgt geregelt:
"§ 1 Geltungsbereich
A. Räumlicher Geltungsbereich
Der Tarifvertrag gilt im Gebiet der Bezirke
Friedenshain, Hellersdorf, Hohenschönhausen,
Köpenick, Lichtenberg, Marzahn, Mitte, Pankow,
Prenzlauer Berg, Treptow und Weißensee des
Landes Berlin und Land Brandenburg.
B. Fachlicher Geltungsbereich
Der Tarifvertrag gilt für alle Bereiche des
Lebensmittel- sowie Nahrungs- und Genußmittel--
Einzelhandels sowie deren Betriebsabteilungen,
Hilfs- und Nebenbetriebe und für alle Unter-
nehmen in den nachfolgenden Warengruppen: Ei-
senwaren, Haus- und Küchengeräte, Küchenein-
richtungen, Heimwerkerbedarf, Baubeschläge,
Bauelemente, Werkzeuge/Maschinen, Sicherheits-
technik, Glas- und Porzellanwaren, Stahlwaren,
Geschenkartikel und Gartenbedarfsartikel.
C. Persönlicher Geltungsbereich
Der Tarifvertrag erfaßt alle Angestellten, die
gewerblichen Arbeitnehmerinnen sowie die in
einem Berufsausbildungsverhältnis befindlichen
Personen. Ausgenommen sind Personen, die nach
§ 5 Abs. 2 und 3 Betriebsverfassungsgesetz
nicht als Arbeitnehmerinnen im Sinne dieses
Gesetzes gelten."
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird danach auch vom Geltungsbereich erfaßt.
c) Es ist zwar zweifelhaft, ob die Regelung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB auch noch auf den zweiten Betriebsübergang anwendbar ist. Jedenfalls decken sich die Regelungsbereiche des GPH-TV und des MTV nicht.
aa) Für den Ausschluß der Überleitung in den Arbeitsvertrag wegen eines anderen Tarifvertrages ist es unerheblich, ob die neuen tariflichen Vorschriften, die für den Betriebserwerber gelten, bereits beim Betriebsübergang vorlagen und damit von vornherein die Anwendung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB ausschlossen, oder erst einige Zeit nach dem Betriebsübergang Anwendung finden und demgemäß erst von diesem Zeitpunkt die Weitergeltung bisheriger tariflicher Vorschriften nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB ausschließen (BAG Urteil vom 19. März 1986 - 4 AZR 640/84 - BAGE 51, 274, 280 = AP Nr. 49 zu § 613 a BGB). § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB ist daher nicht nur auf den Fall der Ablösung des einen, kollektivrechtlich geltenden Tarifvertrages durch einen anderen kollektivrechtlich geltenden Tarifvertrag anzuwenden. Der kollektivrechtlich geltende neue Tarifvertrag verdrängt auch die nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten, individualrechtlich geltenden normativen Regelungen eines anderen Tarifvertrages.
bb) Dennoch vermag der anzuwendende Manteltarifvertrag die individualrechtlich fortgeltenden Rechtsnormen des GPH-TV nicht zu verdrängen. Der Beklagte meint zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe die Gesetzesvorschrift des § 613 a BGB falsch angewandt. § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB verlangt, daß "die Rechte und Pflichten" beim Erwerber durch einen Tarifvertrag geregelt sind. Was darunter zu verstehen ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln.
3.a) Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt. Dem Ziel, den im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, dienen die nebeneinander zulässigen, sich gegenseitig ergänzenden Methoden der Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, aus ihrem Zusammenhang, aus ihrem Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Dabei ist in aller Regel mit der Auslegung nach dem Wortlaut zu beginnen (BGH Urteil vom 30. Juni 1966 - KZR 5/65 - BGHZ 46, 74, 76, zu 1 der Gründe, m.w.N.).
§ 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB knüpft mit seiner Formulierung "die Rechte und Pflichten" ersichtlich an Satz 2 dieser Vorschrift an. Daraus folgt, daß nur eine, die gleichen Rechte und Pflichten regelnde kollektive Ordnung durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages vorgeht. Voraussetzung dafür, daß die individuelle Fortwirkung nach Satz 2 nicht eintritt, ist somit eine Regelungsidentität hinsichtlich des betreffenden Gegenstandes in Tarifverträgen. Es muß also gefragt werden, "ob" die bisher beim Veräußerer geregelte Frage auch eine entsprechende Regelung beim neuen Inhaber erfahren hat. Unerheblich ist dagegen das "wie" der Regelung, da es für Satz 3 unbeachtlich ist, ob die neue Regelung günstiger ist oder nicht (Röder, DB 1981, 1980 f.). Derselbe Regelungsgegenstand ist also dann betroffen, wenn der Tarifvertrag bei dem Erwerber eine Regelung enthält, nicht aber, wenn er dazu schweigt (MünchKomm-Schaub, aaO, Rz 135). Soweit sich die Regelungsbereiche nicht decken, können die Regelungen des alten Tarifvertrages nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB individualvertraglich weitergelten (Wank, NZA 1987, 505, 508 f., m.w.N.).
b) Ob derselbe Regelungsgegenstand betroffen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Dabei ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut nicht eindeutig ist, ist der in den tariflichen Normen zum Ausdruck kommende wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und so der Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG Urteil vom 23. September 1992 - 4 AZR 66/92 - AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2 a der Gründe, m.w.N.).
c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht greift, da der Manteltarifvertrag keine dem GPH-TV entsprechende Abfindungsregelung vorsieht. Entgegen der Auffassung des Beklagten betrifft § 15 a MTV nicht denselben Regelungsgegenstand, wie die Normen zur Abfindungszahlung des GPH-TV.
§ 15 a MTV lautet wie folgt:
"Kündigungsschutz
Vor Aussprechen einer betriebsbedingten Kündigung
gemäß Kündigungsschutzgesetz ist von der Möglich-
keit einer Umschulungsmaßnahme oder Weiterbil-
dungsmaßnahme oder Kurzarbeit auf der Grundlage
des für das Tarifgebiet geltenden AFG vorrangig
Gebrauch zu machen."
Diese mit Kündigungsschutz überschriebene Bestimmung regelt lediglich, von welchen Maßnahmen vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung vorrangig Gebrauch zu machen ist. Eine ähnliche Regelung enthält § 7 GPH-TV, welcher ebenfalls mit Kündigungsschutz überschrieben ist und das Arbeitsverhältnis erst zu einem bestimmten Zeitpunkt enden läßt. Darüber hinaus soll der GPH-TV gemäß § 3 3. Spiegelstrich durch Festlegung von Abfindungen auch wirtschaftliche Nachteile der Arbeitnehmer mildern. So sehen die § 4 und § 8 GPH-TV bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Zahlung von Abfindungen vor. Der MTV enthält weder in § 15 a noch in seinen anderen Bestimmungen eine Regelung zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sei es durch Abfindung oder auch andere Maßnahmen.
Der Beklagte beruft sich darauf, das Landesarbeitsgericht hätte den Sachverhalt hinsichtlich der Feststellung, daß der MTV vom 21. Februar 1991 keinen Regelungsgegenstand enthalte, der dem GPH-TV entspreche, näher aufklären müssen. Diese Rüge ist unzureichend. Es handelt sich insoweit um Rechts- und nicht um Tatsachenfragen. § 139 ZPO kann daher nicht herangezogen werden.
V. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Abfindung folgt aus § 4 Abs. 2 GPH-TV. Danach hat der neue Arbeitgeber eine Abfindung zu zahlen, wenn das Arbeitsverhältnis aus dringenden betrieblichen Gründen innerhalb eines Jahres nach dem Betriebsübergang gekündigt wird.
1. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist durch Betriebsübergang am 1. Februar 1991 zunächst auf die SUPER 2000 B Warenvertrieb GmbH und danach am 30. Juli 1991 auf den Beklagten übergegangen. Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 7. November 1991 aus betrieblichen Gründen gekündigt. Diese Kündigung erfolgte somit innerhalb der Jahresfrist.
2. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, die Kündigung habe nicht mehr wirksam zurückgenommen werden können. Eine Kündigung wird als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung mit dem Zugang an den Gekündigten wirksam, es sei denn, dem Empfänger geht vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zu; sie kann daher vom Kündigenden nicht mehr einseitig zurückgenommen werden (BAG Urteil vom 19. August 1982 - 2 AZR 230/80 - BAGE 40, 56, 61 = AP Nr. 9 zu § 9 KSchG 1969, zu II 2 a der Gründe). Die von dem Beklagten insoweit erhobene Rüge, das Landesarbeitsgericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 139 ZPO), ist unzulässig, denn abgesehen davon, daß das Landesarbeitsgericht lediglich eine rechtliche Würdigung vorgenommen hat, fehlt die Angabe dessen, was es hätte fragen müssen und was daraufhin vorgetragen worden wäre. Das gleiche gilt hinsichtlich der Rüge, das Landesarbeitsgericht habe zu der von der Klägerin behaupteten Auflösungsvereinbarung keine Stellung genommen.
VI. Der Anspruch der Klägerin ist auch der Höhe nach begründet. Nach § 4 GPH-TV ist eine Abfindung zu zahlen, die der Höhe nach der Abfindung entspricht, die gezahlt worden wäre, wenn der Betriebsübergang nicht stattgefunden hätte und dem Arbeitnehmer gekündigt worden wäre. Damit nehmen die Tarifvertragsparteien Bezug auf § 8 GPH-TV, der Abfindungen für den Fall vorsieht, wenn das Arbeitsverhältnis nicht auf den neuen Erwerber übergeht und gekündigt wird. Dafür, daß sich § 4 GPH-TV auf die Abfindung gemäß § 8 GPH-TV bezieht, spricht auch, daß gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 die Abfindung auf sonstige Abfindungen, die der Arbeitgeber aus Anlaß der Kündigung zahlt, angerechnet werden kann. Die geltend gemachte Abfindung liegt, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, sogar noch unter dem Betrag, den die Klägerin nach dem Berechnungsmodus des § 8 GPH-TV hätte verlangen können. Unter Zugrundelegung eines monatlichen Bruttoeinkommens im Februar 1991 in Höhe von 1.904,00 DM wären dies bei 23 Beschäftigungsjahren 10.948,00 DM gewesen.
VII. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284, 288 BGB. Seine Höhe entspricht dem gesetzlichen Zinssatz. Fälligkeit trat ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses, dem 1. Januar 1992, ein.
VIII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Schaub Bepler Schneider
Fieberg Wax
Fundstellen
BB 1994, 2003 |
DB 1994, 2629-2630 (LT1-2) |
AiB 1995, 194-195 (LT1-2) |
BetrVG, (11) (LT1-2) |
WiB 1995, 121-122 (LT) |
NZA 1994, 1140 |
SAE 1995, 200-204 (LT1-2) |
ZAP-Ost, EN-Nr 494/94 (S) |
ZIP 1994, 1797 |
ZIP 1994, 1797-1801 (LT1-2) |
AP § 613a BGB (LT1-2), Nr 108 |
AR-Blattei, ES 500 Nr 102 (LT1-2) |
AuA 1995, 102-105 (LT1-2) |
EzA § 612a BGB, Nr 118 (LT1-2) |