Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteil ohne Tatbestand
Orientierungssatz
Enthält ein Urteil keinen Tatbestand, so liegt ein Verfahrensfehler vor, der von Amts wegen zu berücksichtigen ist und der zur Aufhebung des Urteil und zur Zurückweisung des Rechtsstreits führt. Der bezeichnete Mangel macht eine gerichtliche Überprüfung des Urteil unmöglich.
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 13.12.1991; Aktenzeichen 8 Sa 18/91) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 03.01.1991; Aktenzeichen 2 Ca 188/90) |
Tatbestand
Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil unter "Tatbestand" folgendes ausgeführt:
"Die Parteien streiten darüber, ob zwei dem Kläger erteilte Abmahnungen unbegründet und daher aus den Personalakten des Klägers zu entfernen sind. Darüber hinaus herrscht Streit darüber, ob die Beklagte zu Unrecht eine Notiz der Mitarbeiter K , W und Wi einfach zu den Personalakten des Klägers genommen hat.
Von der Darstellung des Sach- und Streitstands im einzelnen wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen."
Weitergehende Ausführungen enthält der Tatbestand des Berufungsurteils nicht. Vereinzelte Tatsachenfeststellungen finden sich lediglich in den Entscheidungsgründen des Urteils. Mit welchen Anträgen, mit welchem unstreitigen Sachverhalt und mit welchem streitigen Vorbringen im Berufungsrechtszug verhandelt worden ist, läßt sich dem Berufungsurteil selbst nicht entnehmen.
Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben; mit ihr hatte der Kläger die Anträge verfolgt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. die Abmahnung vom 12. Juni 1987 ersatzlos aus
der Personalakte des Klägers zu entfernen;
2. die Abmahnung vom 17. April 1990 ersatzlos aus
der Personalakte des Klägers zu entfernen;
3. die Notiz der Mitarbeiter K , W und
Wi vom 20. März 1990 ersatzlos aus der
Personalakte des Klägers zu entfernen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten die Revision wegen Divergenz zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Da das angefochtene Urteil entgegen § 313 Abs. 1 Nr. 5, § 543 Abs. 2 ZPO keinen Tatbestand enthält, liegt ein Verfahrensfehler vor, der von Amts wegen zu berücksichtigen ist und der zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht führt. Der bezeichnete Mangel macht eine revisionsgerichtliche Überprüfung des Berufungsurteils unmöglich (vgl. BAG Urteil vom 30. Oktober 1987 - 7 AZR 92/87 - AP Nr. 7 zu § 543 ZPO 1977; BAG Urteil vom 22. November 1984 - 6 AZR 103/82 - AP Nr. 5 zu § 543 ZPO 1977; BAGE 36, 312 = AP Nr. 3 zu § 543 ZPO 1977, jeweils m.w.N.).
1. Gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, der nach näherer Maßgabe des § 543 ZPO auch für das Berufungsverfahren gilt, muß das Urteil einen den Anforderungen des § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO entsprechenden Tatbestand enthalten. Nur dann, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision nicht stattfindet, kann gemäß § 543 Abs. 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen werden. Ist hingegen die Revision statthaft, muß das Berufungsurteil einen Tatbestand enthalten, für den allerdings die Erleichterungen des § 543 Abs. 2 ZPO gelten (BAG Urteil vom 30. Oktober 1987 - 7 AZR 92/87 - AP Nr. 7 zu § 543 ZPO 1977; BAGE 46, 179 = AP Nr. 4 zu § 543 ZPO 1977). Das gilt auch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Revision erst durch das Bundesarbeitsgericht zugelassen worden ist. Denn auch dann findet im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO die Revision statt. Sinn dieser Bestimmung ist es, dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Berufungsurteils auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sach- und Streitstandes zu ermöglichen; deshalb kommt es für die Frage, ob die Revision als im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO statthaft anzusehen ist, nicht auf die Sicht des Berufungsgerichts an, das die Revision nicht zugelassen hat, sondern auf die Lage im Revisionsverfahren (BAG Urteil vom 22. November 1984 - 6 AZR 103/82 - AP Nr. 5 zu § 543 ZPO 1977; BAGE 46, 179 = AP Nr. 4 zu § 543 ZPO 1977; BGHZ 73, 248 = AP Nr. 1 zu § 543 ZPO).
Soweit das Landesarbeitsgericht unter dem mit Tatbestand überschriebenen Teil seiner Entscheidung festhält, worüber sich die Parteien streiten, handelt es sich lediglich um die Darstellung einer Streitstruktur genereller Art. Einen Tatbestand im Sinne von Sachverhaltsdarstellungen enthält das Urteil damit nicht (vgl. BAG Urteil vom 30. Oktober 1987 - 7 AZR 92/87 - AP Nr. 7 zu § 543 ZPO 1977).
2. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Verfahrensmangel auch nicht mit Hilfe von § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO behoben. Nach dieser Vorschrift ist eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht erschwert wird. Das Landesarbeitsgericht hat nicht auf das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts, Schriftsätze usw. Bezug genommen, es hat stattdessen ausdrücklich "von der Darstellung des Sach- und Streitstandes im einzelnen gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen". Damit greift § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht ein.
3. Schließlich sind auch die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Tatsachenfeststellungen nicht hinreichend deutlich, um eine revisionsgerichtliche Überprüfung des Urteils zu ermöglichen (vgl. BAG Urteil vom 30. Oktober 1987 - 7 AZR 92/87 - AP Nr. 7 zu § 543 ZPO 1977; BGH Urteil vom 20. Januar 1983 - VII ZR 210/81 - NJW 1983, 1901). Das ist schon deshalb der Fall, weil das Berufungsurteil trotz fehlender Sachverhaltsfeststellungen erkennbare Rechtsfehler aufweist, aufgrund deren das Landesarbeitsgericht glaubte, Feststellungen außer acht lassen zu können, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Hierzu gilt folgendes:
Das Berufungsgericht hat die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für den Anspruch auf Entfernung von zu den Personalakten genommenen Erklärungen verkannt. Das Landesarbeitsgericht hat übersehen, daß die Wirksamkeit einer Abmahnung nicht davon abhängt, ob die gerügten Leistungsmängel Folge eines in der Persönlichkeit des Arbeitnehmers liegenden nicht steuerbaren Verhaltens sind. Für die Frage, ob eine im Leistungsbereich erfolgte Abmahnung zu Recht ergangen ist, kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts allein darauf an, ob der erhobene Vorwurf objektiv gerechtfertigt ist, nicht aber, ob das beanstandete Verhalten dem Arbeitnehmer auch subjektiv vorgeworfen werden kann (BAG Urteil vom 7. September 1988 - 5 AZR 625/87 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB Abmahnung; BAG Urteil vom 12. Januar 1988 - 1 AZR 219/86 - AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, jeweils m.w.N.). Das setzt wiederum voraus, daß die Leistungsanforderungen des Arbeitgebers nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen objektiv gerechtfertigt sind. Es kommt deshalb darauf an, zu welcher Leistung der Kläger nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet war; dazu fehlen jegliche Feststellungen.
Würde der objektive Pflichtverstoß durch ein nicht steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers verursacht, dann wäre dieser Umstand nur in kündigungsrechtlicher Hinsicht für die Frage nach der Erforderlichkeit der Abmahnung von Bedeutung. Mit der Abmahnung verdeutlicht der Arbeitgeber, daß er die erbrachten Arbeitsleistungen oder ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers als nicht vertragsgemäß ansieht und künftig nicht mehr hinzunehmen gewillt ist; der Arbeitnehmer erhält die Gelegenheit, sich in Zukunft vertragsgerecht zu verhalten (BAG Urteil vom 10. November 1988 - 2 AZR 215/88 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung).
4. Mangels Bezugnahme und entsprechender Tatsachenfeststellungen durch das Landesarbeitsgericht fehlt es an einer Grundlage um dem Landesarbeitsgericht über das vorstehend Ausgeführte hinaus weitere Hinweise für die Entscheidungsfindung zu geben.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Reinecke
Dr. Kukies Hecker
Fundstellen
Haufe-Index 440124 |
EzA § 543 ZPO, Nr 8 (ST1-3) |