Entscheidungsstichwort (Thema)
Untertarifliche Bezahlung
Orientierungssatz
1. Neben einer Lohnvereinbarung findet § 612 Abs 2 BGB in einem Arbeitsverhältnis nur Anwendung, soweit die Vergütungsabrede bestimmte Leistungen nicht abgilt und die Vergütung nicht den vollen Gegenwert für die verlangte Dienstleistung darstellt.
2. Das Wuchergeschäft setzt objektiv ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung voraus und erfordert subjektiv, daß der Wucherer die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen ausbeutet.
Normenkette
TVG § 3 Abs. 1; BGB § 138 Abs. 2, 1, § 612 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin statt des vereinbarten Stundenlohns von 8,50 DM den tariflichen Mindestlohn verlangen kann. Die Beklagte ist nicht Mitglied einer Tarifvertragspartei.
Die ledige Klägerin ist Mitglied der IG Metall und begann am 6. Oktober 1986 im Betrieb der Beklagten eine Tätigkeit als Hilfsarbeiterin mit einem vereinbarten Stundenlohn von 8,50 DM brutto.
Die Beklagte pflegt mit allen Mitarbeitern Vergütungsabreden frei zu treffen. Sie beschäftigte die Klägerin in H in ihrer Federn- und Drahtwarenfabrik mit regelmäßig 15 Arbeitnehmern (3 Angestellte, 7 Facharbeiter, 3 Hilfsarbeiter und 2 Auszubildende). Die Klägerin hatte im wesentlichen einfache, mit der Hand auszuführende Einlegearbeiten in Werkzeuge auszuführen. Dafür war keine Einarbeitung erforderlich.
Die Klägerin hat nach ihrem Hauptschulabschluß zunächst eine Ausbildung als Floristin begonnen und nach einigen Monaten abgebrochen. Anschließend war sie etwa ein Jahr im Dienst der Firma P, die sie im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bei der Federfabrik S in Sch einsetzte und ihr je Arbeitsstunde 7,50 DM brutto zahlte. Danach war sie bis zum Beginn ihrer Beschäftigung bei der Beklagten etwa neun Monate arbeitslos. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien hat durch fristgerechte Kündigung der Beklagten am 31. März 1987 geendet.
Die Klägerin ist der Auffassung, daß der vereinbarte Stundenlohn von 8,50 DM unangemessen niedrig sei. Danach errechne sich ein Monatsverdienst von nur 1.381,25 DM brutto, so daß nach Abzug der Steuern und Sozialversicherung ein Nettolohn von 966,-- DM verbleibe. Dieser sei niedriger als der Regelsatz der Sozialhilfe, der sich in ihrem Fall auf 1.314,-- DM belaufen würde. Wenn ein Arbeitnehmer aber trotz angemessener Arbeitsleistung noch unter den Sozialhilfesätzen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes verbleibe, so sei die Lohnvereinbarung mit der Beklagten wegen Lohnwuchers unwirksam und gemäß § 612 Abs. 2 BGB durch die übliche Vergütung in tariflicher Höhe zu ersetzen. Der ihr dann zustehende Tariflohn in Lohngruppe II für die metallverarbeitende Industrie NRW belaufe sich auf einen Stundenlohn von 11,48 DM, so daß sie 2,98 DM weniger erhalten habe. Daraus errechne sich der mit der Klage geforderte Unterschiedsbetrag von 1.602,96 DM als Arbeits-, Urlaubs- bzw. Feiertagslohn für die Monate Dezember 1986 bis Februar 1987.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.602,56 DM
brutto zuzüglich 4 % Zinsen ab 27. März 1987 zu
zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hält den frei vereinbarten Stundenlohn von 8,50 DM brutto für angemessen. Die Vereinbarung sei nicht wegen Lohnwuchers nichtig, denn die Klägerin habe einfache Hilfstätigkeiten ausgeführt und habe von der Beklagten sogar einen um 1,-- DM höheren Stundenlohn als in ihrer vorhergehenden gleichartigen Beschäftigung erhalten. Die Klägerin könne keine Anhebung auf das tarifliche Lohnniveau beanspruchen, das innerhalb des Wirtschaftsraumes außerdem je nach der geforderten Arbeitsleistung unterschiedlich sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin verfolgt mit der Revision ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin fehlt eine Anspruchsgrundlage für ihr Verlangen auf Anhebung des vereinbarten Lohnes auf den Tariflohn.
I. Ein Anspruch hierauf ergibt sich nicht aus dem Tarifvertrag, denn dafür reicht eine nur einseitige Tarifbindung der Klägerin nicht aus (§ 3 Abs. 1 TVG). Die Beklagte ist unstreitig nicht Mitglied einer Tarifvertragspartei. Andere Gesichtspunkte für die Anwendung des Tarifvertragsgesetzes scheiden aus, insbesondere fehlt es an einer Allgemeinverbindlichkeit (§ 5 TVG).
II. Die Klägerin geht ersichtlich von dieser Rechtslage aus und ist der Ansicht, sie könne Lohn in angemessener Höhe gemäß § 612 Abs. 2 BGB beanspruchen. Die Voraussetzungen dafür sind aber nicht erfüllt.
1. Nach § 612 Abs. 2 BGB ist eine "übliche" Vergütung als vereinbart anzusehen, wenn ihre Höhe "nicht bestimmt" ist. Das ist hier jedoch anders, denn die Höhe der Vergütung ist unstreitig frei ausgehandelt und vereinbart, und zwar ohne Rücksicht auf tarifliche Regelungen sowie ohne Rückgriff auf bestimmte Lohngrundsätze. Nach den unstreitigen Feststellungen im Tatbestand des vorinstanzlichen Urteils pflegt die Beklagte mit allen Mitarbeitern "Vergütungsabreden frei zu treffen".
2. Neben einer Lohnvereinbarung findet § 612 Abs. 2 BGB in einem Arbeitsverhältnis nur Anwendung, soweit die Vergütungsabrede bestimmte Leistungen nicht abgilt und die Vergütung nicht den vollen Gegenwert für die verlangte Dienstleistung darstellt (BAGE 19, 126, 128 = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Leitende Angestellte sowie Senatsurteil vom 17. März 1982, BAGE 38, 194, 197 f. = AP Nr. 33 zu § 612 BGB, zu II 1 a der Gründe). Diese Gesichtspunkte finden hier keine Anwendung, weil die Lohnvereinbarung alle von der Klägerin geschuldeten Arbeitsleistungen umfaßt.
3. Die Regelung des § 612 Abs. 2 BGB reicht allein nicht aus, um eine Lohnvereinbarung auf ein angemessenes Niveau anzuheben, wie ein Vergleich mit § 10 BBiG zeigt, der diese Möglichkeit bietet.
Ein Rückgriff auf § 315 BGB ist gleichfalls nicht möglich, weil diese Vorschrift nur für einseitige Leistungsbestimmungen im Arbeitsverhältnis gilt. Eine Korrektur einzelvertraglicher Regelungen verbietet schon der Wortlaut des § 315 BGB.
III. Die Klägerin geht gleichfalls davon aus, daß § 612 BGB nur anwendbar ist, wenn es an einer Lohnvereinbarung fehlt oder wenn sie unwirksam ist. Deswegen hält sie den vereinbarten Stundenlohn nach § 138 Abs. 2 BGB für sittenwidrig, weil er in einem auffälligen Mißverhältnis zum tariflichen Lohnniveau stehe. Das Berufungsgericht habe nach ihrer Meinung zu Unrecht auf das allgemeine Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet abgestellt und den vereinbarten Stundenlohn nicht an den Tariflöhnen gemessen. Der vereinbarte Stundenlohn sei niedriger als der Sozialhilfesatz, während der Tariflohn darüber liege. Die Beklagte habe damit eine Zwangslage der Klägerin aus der vorhergehenden Arbeitslosigkeit ausgenutzt. Bei dem auffälligen Mißverhältnis zwischen dem weit untertariflichen Stundenlohn von weniger als 26 % des Tariflohnes und der von ihr geforderten Arbeitsleistung sei auf eine entsprechend verwerfliche Gesinnung der Beklagten zu schließen.
IV. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Vereinbarung zwischen den Parteien über den Lohn nicht wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) oder wegen sogenannten Lohnwuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) nichtig.
1. Während § 138 Abs. 1 BGB allgemein einen Verstoß gegen die guten Sitten verlangt, regelt § 138 Abs. 2 BGB als Sonderfall das Wuchergeschäft (§ 138 Abs. 2 BGB: "insbesondere").
Das Wuchergeschäft setzt objektiv ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung voraus und erfordert subjektiv, daß der Wucherer die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen ausbeutet.
Darauf stützt sich die Klägerin, jedoch fehlt es schon an einem auffälligen Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Dabei ist "in aller Regel auf die Arbeitsleistung als solche, auf deren Dauer und Schwierigkeitsgrad, auf die körperliche und geistige Beanspruchung, die Arbeitsbedingungen schlechthin (Hitze, Kälte, Lärm) abzustellen" (BAG Urteil vom 11. Januar 1973 - 5 AZR 322/72 - AP Nr. 30 zu § 138 BGB, zu 2 b der Gründe).
Davon ist die Vorinstanz zutreffend ausgegangen und hat ausgeführt, in der Regel dürfe nicht nur auf einen Vergleich mit den Tariflöhnen des jeweiligen Wirtschaftszweiges abgestellt werden, sondern es sei vielmehr von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen. Damit hat das Berufungsgericht den gleichen Maßstab zugrundegelegt wie auch das Bundesarbeitsgericht (BAG Urteil vom 11. Januar 1973, aa0). Die Klägerin macht sich die Kritik von Kreutz daran zueigen, der dem entgegengehalten hat, der in der jeweiligen Branche geltende Tariflohn und nicht das allgemeine Lohnniveau eines Wirtschaftsgebietes sei primär ein geeigneter Maßstab, zu dem der tatsächliche Lohn in Vergleich zu setzen sei (Anm. zum vorgenannten Urteil in SAE 1974, 36, 37, unter II 3 b). Dabei übersieht die Klägerin aber folgendes:
Das Berufungsgericht hat sich in den Entscheidungsgründen gerade mit einem Vergleich des vereinbarten Stundenlohnes mit dem Tarifwerk im Tarifgebiet der Beklagten beschäftigt. Außerdem vertritt Kreutz, aa0, den Standpunkt, daß "durchaus auch das allgemeine Lohnniveau eines Wirtschaftsgebietes Beachtung finden" könne, "wenn es sich um die Beurteilung von Hilfsarbeiten handelt".
Die Klägerin hat nur einfache Hilfstätigkeiten ausgeführt, die unstreitig keine Einarbeitungszeit erforderten. Es handelt sich um einfache Einlegearbeiten, die vom Schwierigkeitsgrad her gering waren und die Klägerin geistig nicht hoch beanspruchten. Ein besonderer körperlicher Einsatz wird von den Parteien hierfür nicht behauptet. Ebensowenig ist für besonders erschwerende Umstände (Hitze, Kälte, Lärm) überhaupt etwas vorgetragen worden.
Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht ein auffälliges Mißverhältnis zwischen diesen einfachen Arbeitsleistungen und dem vereinbarten Stundenlohn verneint hat. Ob man hierbei nun vom allgemeinen Lohnniveau oder von den tariflichen Regelungen zum Vergleich ausgeht, kann dahingestellt bleiben. Die Kritik der Klägerin geht schon deswegen fehl, weil sich das Berufungsgericht - wie sie es für richtig hält - sehr eingehend mit dem Tarifwerk der Metallindustrie NRW beschäftigt und daran die Höhe des mit der Klägerin vereinbarten Lohns gemessen hat. Diese Ausführungen hat die Revision nicht angegriffen; sie sind für das Revisionsgericht in tatsächlicher Hinsicht bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO). Danach beträgt der tarifliche Mindeststundenlohn für die Klägerin nicht von vornherein 11,48 DM brutto, sondern diesen Wert erreicht man nur, wenn zu dem Grundlohn von 9,90 DM eine Leistungszulage von 16 % hinzugerechnet wird. Nach § 9 Nr. 4 des Lohnrahmenabkommens (LRA) der Zeitlohnarbeiter ist die Leistungszulage jedoch unterschiedlich nach dem Leistungsgrad bemessen. Die Klägerin hat nichts dafür vorgetragen, daß sie Anspruch auf eine entsprechend höhere Leistungszulage gehabt hätte.
Danach fehlt es schon an einem auffälligen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Vergleich zum vereinbarten Stundenlohn. Auf die nach § 138 Abs. 2 BGB darüber hinaus erforderliche Ausnutzung einer Zwangslage und auf weitere subjektive Voraussetzungen kommt es unter diesen Umständen nicht an.
2. Fehlt es nur an den subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB, dann kann ein wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein. Dafür reicht aber alleine noch nicht ein auffallendes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, sondern im Hinblick auf die weitergehenden Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB wird für die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB ebenfalls ein subjektives Moment vorausgesetzt. Das sieht der Bundesgerichtshof als gegeben an, wenn "der begünstigte Vertragsteil die wirtschaftlich schwächere Lage des anderen Teils bewußt zu seinem Vorteil benutzt oder wenn er sich leichtfertig der Einsicht verschließt, daß sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einläßt", sowie wenn er sich "grob fahrlässig der Einsicht verschließt, daß der andere den Vertrag nur aus Mangel an Urteilsvermögen oder wegen erheblicher Willensschwäche schließt" (vgl. die Zusammenstellung bei Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, § 22 III 3, Seite 443).
Danach ist aber ebenfalls für die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zunächst Voraussetzung, daß ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen muß, an dem es hier - wie schon im Zusammenhang mit § 138 Abs. 2 BGB ausgeführt - fehlt.
Die Lohnvereinbarung kann damit weder nach der Sondervorschrift des § 138 Abs. 2 BGB noch nach den allgemeinen Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB als sittenwidrig und nichtig angesehen werden.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Pallas Dr. Frey
Fundstellen