Entscheidungsstichwort (Thema)
BAT-O. räumlicher Geltungsbereich
Normenkette
Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 § 1 Abs. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 13.10.1993; Aktenzeichen 17 Ca 16408/93) |
Tenor
1. Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Oktober 1993 – 17 Ca 16408/93 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Sprungrevision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 oder der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung findet. Die Klägerin ist Angestellte in der Senatsverwaltung für Gesundheit des beklagten Landes und Mitglied der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), die ebenso wie das beklagte Land Partei beider Tarifverträge ist.
Die Klägerin war seit dem 1. September 1983 beim Bezirkshygieneinstitut Berlin (Ost) tätig. Diese Behörde wurde mit Wirkung vom 15. Dezember 1990 auf das beklagte Land überführt. Im April 1991 teilte die Senatsverwaltung für Gesundheit der Klägerin mit, daß sie Mitarbeiterin des Landesuntersuchungsinstituts … (L.) – Invalidenstraße, 1000 Berlin 21 sei. Am 7. Mai 1992 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, nach dem die Klägerin ab 1. Januar 1991 als Verwaltungsangestellte auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt wird. Die Klägerin ist im Fachbereich II des L. im Dienstgebäude Chausseestraße im damaligen Berlin-Ost beschäftigt und wohnt im ehemaligen Berlin-Ost. Die Beklagte wendet auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin den BAT-O an.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf ihr Arbeitsverhältnis sei der BAT anzuwenden, der – unstreitig – günstigere Arbeitsbedingungen enthält als der BAT-O.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß auf das Beschäftigungsverhältnis zwischen ihr und dem beklagten Land der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) sowie die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, der BAT-O sei anzuwenden, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Beitrittsgebiet begründet sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und auf Antrag der Klägerin die Sprungrevision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision hat keinen Erfolg.
I. Das Arbeitsgericht hat angenommen, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finde der BAT-O Anwendung, weil es im Beitrittsgebiet begründet sei (§ 1 Abs. 1 Buchst a BAT-O). Das Arbeitsverhältnis sei im Beitrittsgebiet zustandegekommen, sei dort bis zur Wiedervereinigung erfüllt worden und der Arbeitsplatz der Klägerin befinde sich nach wie vor in Berlin-Ost.
Diese Ausführungen des Arbeitsgerichts halten im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
II. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BAT-O Anwendung.
Gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. a BAT-O gilt dieser Tarifvertrag für die Arbeitnehmer des Bundes, die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig sind und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (künftig: Beitrittsgebiet) begründet sind. Beide Voraussetzungen erfüllt das Arbeitsverhältnis der Klägerin.
1. Die Klägerin fällt unter den persönlichen Geltungsbereich des BAT-O. Sie wird aufgrund des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Arbeitsvertrags seit 1. Januar 1991 als Angestellte des beklagten Landes in einer angestelltenversicherungspflichtigen Tätigkeit beschäftigt.
2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch im Beitrittsgebiet begründet und unterliegt damit dem räumlichen Geltungsbereich des BAT-O, weil die Klägerin für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt worden ist und dort auf unbestimmte Zeit beschäftigt wird.
a) Die Tarifparteien haben für die Geltung des BAT-O darauf abgestellt, daß die Arbeitsverhältnisse „in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet begründet sind”. Wann dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.
aa) Der erkennende Senat hat ohne nähere Begründung und nicht tragend diese Voraussetzung für ein Arbeitsverhältnis bejaht, das vor der Deutschen Einheit zur Post der ehemaligen DDR begründet worden und gemäß Art. 13 Abs. 2 Einigungsvertrag auf die dortige Beklagte überführt worden war (BAG Urteil vom 30. Juli 1992 – 6 AZR 11/92 – AP Nr. 1 zu § 1 TV Ang Bundespost, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
Im Beitrittsgebiet begründet ist ein Arbeitsverhältnis jedoch nicht nur dann, wenn es, wie das der Klägerin, bereits vor der deutschen Einheit bestand. Dies folgt daraus, daß § 1 Abs. 1 BAT-O ausdrücklich auf das „in Art. 3 des Einigungsvertrags genannte Gebiet” und nicht etwa auf das Gebiet der ehemaligen DDR abstellt. Aber auch aus dem übrigen Tarifwortlaut („deren Arbeitsverhältnisse … begründet sind”) ist zu entnehmen, daß es nicht darauf ankommt, in welchem Zeitpunkt der Vergangenheit das Arbeitsverhältnis errichtet wurde und ob dieser vor oder nach der deutschen Einheit lag. Der Anwendung des BAT-O steht somit nicht entgegen, daß ein Arbeitsverhältnis nach dem Tag der deutschen Einheit, dem 3. Oktober 1990, geschlossen wurde. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin erfüllt beide Voraussetzungen. Es bestand bereits vor der Deutschen Einheit, außerdem schlossen die Parteien nach diesem Zeitpunkt den seit dem 1. Januar 1991 geltenden neuen Arbeitsvertrag.
bb) Unerheblich ist auch, daß der neue Arbeitsvertrag mit einer Behörde im ehemaligen Berlin-West (Senatsverwaltung für Gesundheit) abgeschlossen wurde.
Aus der zuletzt genannten Stelle des Tarifwortlauts („begründet sind”) ist zu entnehmen, daß der Akt der Errichtung des Arbeitverhältnisses nicht nur, was seinen Zeitpunkt (vgl. oben aa), sondern auch was seinen Ort anbelangt, unmaßgeblich sein soll. Der Gegenwartsbezug des Tarifmerkmals läßt vielmehr erkennen, daß es für die Geltung des BAT-O ausreicht, wenn das Arbeitsverhältnis gegenwärtig einen Bezug zum Beitrittsgebiet hat. Dafür, ob dies der Fall ist, kann es nicht auf den zufälligen Ort des Arbeitsvertragsschlusses ankommen, ebensowenig auf den Wohnsitz des Arbeitnehmers.
cc) Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist im Beitrittsgebiet begründet, weil es einen räumlichen Bezug zum Beitrittsgebiet aufweist, der gegenwärtig noch vorhanden ist.
Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet „begründet ist”, daß der Grund für etwas gelegt wird (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1980). Kommt es aber darauf an, daß das Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet seinen Grund hat, dann kommt diesem Gebiet für die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs des BAT-O schon vom Tarifwortlaut her entscheidende Bedeutung zu. Dem BAT-O unterfallende Arbeitsverhältnisse sind somit dadurch gekennzeichnet, daß sie einen räumlichen Bezug zum Beitrittsgebiet aufweisen, wobei dieser, wie sich aus der von den Tarifparteien gewählten Gegenwartsform ergibt, gegenwärtig noch fortbestehen muß. Entfallen aber, wie dargelegt, für die Beurteilung Zeitpunkt und Ort des Arbeitsvertragsschlusses als Anknüpfungspunkte, so kommt entscheidend in Betracht, ob der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet liegt und ob das Arbeitsverhältnis dort gegenwärtig durchgeführt wird, ob der Angestellte also ständig im Beitrittsgebiet beschäftigt wird. Beides trifft für das Arbeitsverhältnis der Klägerin zu.
Nach den bindenden Feststellungen des Arbeitsgerichts war die Klägerin seit dem 1. September 1983 beim Bezirkshygieneinstitut Berlin-Ost tätig. Dieses Institut ist nach den Regelungen des Einigungsvertrages mit Wirkung vom 15. Dezember 1990 auf das Land Berlin überführt worden. Damit besteht das Arbeitsverhältnis unverändert mit der Senatsverwaltung für Gesundheit weiter. Mit Schreiben vom 3. April 1991 teilte die Senatsverwaltung der Klägerin mit, daß sie nunmehr Mitarbeiterin des Landesuntersuchungsinstituts … Invalidenstraße, 1000 Berlin 21, sei. Am 7. Mai 1992 schlossen die Parteien einen Vertrag, nach dem die Klägerin ab 1. Januar 1991 als Verwaltungsangestellte im Bereich der Senatsverwaltung für Gesundheit auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt wird. Der dadurch begründete Bezug ihres Arbeitsverhältnisses zum Beitrittsgebiet ist auch gegenwärtig noch vorhanden, weil die Klägerin nach wie vor ständig im Dienstgebäude Chausseestraße arbeitet.
b) Zu Unrecht meint die Revision, auf das Arbeitsverhältnis finde der BAT Anwendung, weil sich die Dienststellenleitung des L. im Gebäude Invalidenstraße befindet.
Diese Betrachtungsweise verkennt Sinn und Zweck der Regelung des § 1 Abs. 1 BAT-O. Ausgangspunkt dieser Regelung ist, daß der BAT nur in den alten Bundesländern gilt. Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 der Anlage I zum Einigungsvertrag hat die Erstreckung tariflicher Arbeitsbedingungen auf das Beitrittsgebiet von einer ausdrücklichen – bisher für den BAT nicht getroffenen – Vereinbarung der Tarifparteien abhängig gemacht. Dadurch wurde den Tarifparteien die Möglichkeit eröffnet, durch vorübergehende unterschiedliche Tarifregelungen den unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen in den alten und den neuen Bundesländern Rechnung zu tragen. Von dieser Möglichkeit haben die Tarifparteien des BAT-O Gebrauch gemacht. Bezwecken dessen Regelungen somit, den besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen im Beitrittsgebiet bis zur vollen Übernahme der Arbeitsbedingungen des BAT Rechnung zu tragen, so kann für die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs des BAT-O nicht auf den Sitz der Dienststelle, sondern nur auf die Lage des Arbeitsplatzes als der Stelle, an der die Arbeit auf Dauer zu leisten ist, abgestellt werden. Auf unbestimmte Zeit zu leisten ist die Arbeit im Beitrittsgebiet, wenn dies – wie vorliegend unstreitig – der Inhalt des Arbeitsvertrages ist. Da der Arbeitsvertrag der Klägerin keine zeitliche Begrenzung der Tätigkeit am Ort des Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet enthält, hat die Klägerin die Arbeit auf Dauer im Beitrittsgebiet zu leisten.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Bengs, Elias
Fundstellen