Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung wegen Ungewißheit über Weitergewährung von Drittmitteln für Forschungsprojekt
Normenkette
KSchG 1969 § 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 19.10.1988; Aktenzeichen 7 Sa 201/88) |
ArbG Göttingen (Urteil vom 27.11.1987; Aktenzeichen 3 Ca 593/87) |
Tenor
Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. Oktober 1988 – 7 Sa 201/88 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der im Jahre 1941 geborene Kläger ist Arzt und Theologe. Seit 1. Oktober 1972 war er aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge in verschiedenen Funktionen als Angestellter des beklagten Landes an der …-Universität in … beschäftigt. Gemäß Arbeitsvertrag vom 7. Mai 1984 wurde er ab 1. April 1984 auf unbestimmte Zeit unter Eingruppierung in die VergGr. II a BAT weiterbeschäftigt. Die Parteien vereinbarten die Anwendung des Bundes-Angestelltentarifvertrages vom 23. Februar 1961 (BAT) in der jeweils gültigen Fassung.
§ 3 des Arbeitsvertrages enthält folgende Bestimmung:
„Es besteht Einvernehmen darüber, daß die Einstellung ausschließlich für eine Mitarbeit an dem Forschungsvorhaben/Projekt „Bibeltext (Teilprojekt A)” der Deutschen Forschungsgemeinschaft –DFG– erfolgt. Bei Beendigung oder teilweiser Beendigung des Vorhabens oder bei Kürzung oder Wegfall der Mittel für das Vorhaben kann das Arbeitsverhältnis durch fristgerechte „betriebsbedingte” Kündigung seitens des Arbeitgebers beendet werden.”
Das Forschungsvorhaben „Bibeltext (Teilprojekt A)” wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Die letzte, u.a. auch für die Vergütung des Klägers bestimmte Sachbeihilfe war auf Antrag des Projektleiters vom 15. Februar 1985 durch Bescheid der DFG vom 25. Juli 1985 für die Zeit vom 1. Februar 1986 bis 31. Januar 1988 bewilligt worden. Mit Schreiben vom 12. Juni 1987 stellte der Projektleiter bei der DFG einen Fortsetzungsantrag. Die DFG bestätigte in ihrem Schreiben vom 30. Juni 1987 den Eingang des Antrags und wies darauf hin, daß in der Regel mit einer Bearbeitungszelt von ca. drei bis fünf Monaten gerechnet werden müsse.
Das beklagte Land kündigte mit Schreiben vom 22. Juni 1987 das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31. Dezember 1987. In dem Schreiben heißt es, die Finanzierung des Forschungsvorhabens durch die DFG sei nur bis zum 31. Januar 1988 gesichert. Wegen der über diesen Termin hinaus nicht weiter bewilligten Mittel müsse daher das Forschungsvorhaben eingestellt werden, so daß gleichzeitig seine Beschäftigungsgrundlage entfalle.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 1987 hat die DFG für das Forschungsvorhaben weitere Mittel für ein Jahr zur Verfügung Bestellt.
Mit der Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt. Er hat vorgetragen, zum Zeitpunkt der Kündigung habe eine Einstellung des Forschungsvorhabens nicht festgestanden, da die DFG noch keine Entscheidung über die Weiterfinanzierung getroffen habe. Bei dem damaligen Stand des Forschungsvorhabens sei mit Sicherheit eine weitere Finanzierung zu erwarten gewesen. Die DFG habe auf Antrag des Projektleiters vom 26. Juni 1986 am 17. März 1987 für eine Konkordanz zum syrischen Neuen Testament Personalkosten für zwei studentische Hilfskräfte sowie Sachkosten für die ersten zwei Jahre (1987 und 1988) des bis 1993 konzipierten Projekts bewilligt. Es wäre unverständlich gewesen, wenn die DFG für diese weitergehende Forschung Mittel bewilligt habe, zur Fortsetzung der bisherigen Arbeit an der Konkordanz zum syrischen Alten Testament aber keine Personalkosten für wissenschaftliche Mitarbeiter mehr hätte übernehmen wollen. Da die Begutachtung durch die DFG die Gesamtkonzeption – Altes und Neues Testament – und die Zeitplanung betroffen habe, habe die erste Teilbewilligung für das bis Ende 1993 angelegte, das Neue Testament betreffende Projekt dafür gesprochen, daß die DFG das gesamte Projekt habe weiterführen wollen. Das Projekt könnte anderenfalls nicht vernünftig zu Ende geführt werden.
Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 22. Juni 1987 nicht aufgelöst worden ist.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat vorgetragen, es habe die Kündigung am 22. Juni 1987 aufgrund der von ihm getroffenen Entscheidung ausgesprochen, das Forschungsvorhaben unter Einsatz eigener Mittel nicht fortzuführen. Zum Zeitpunkt der Kündigung habe festgestanden, daß bei Versagung weiterer Drittmittel der Arbeitsplatz des Klägers wegfallen würde. Der zu erwartende Arbeitsmangel habe damals bereits greifbare Formen angenommen. Es sei nicht sicher gewesen, daß die DFG die zuletzt beantragten Mittel für das Forschungsvorhaben bewilligen werde. Es habe auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für eine solche Entscheidung bestanden. Die ausstehende Entscheidung habe sich einer Prognose mit einer graduellen Beurteilung der Wahrscheinlichkeit entzogen. Allenfalls seien die Aussichten für oder gegen eine weitere Finanzierung gleichrangig im Verhältnis 50: 50 einzuschätzen gewesen.
Die DFG nehme eine umfassende Sachprüfung vor. Sie hätte das Projekt auch in einem geringeren Umfang fördern können. Aus der vom Kläger erwähnten Bewilligung von Mitteln für zwei studentische Hilfskräfte könnten keine Schlüsse für eine weitere Mittelbewilligung auch für wissenschaftliche Mitarbeiter gezogen werden. So habe die DFG für die noch ausstehende Teilkonkordanz zu den restlichen Büchern des syrischen Alten Testaments, in deren Rahmen der Kläger eingesetzt gewesen sei, im Gegensatz zu der bisherigen Handhabung nunmehr mit den Bescheid vom 16. Dezember 1987 nur noch Mittel für ein Jahr bewilligt. Es habe somit durchaus im Rahmen des Möglichen gelegen, daß sie für diese noch erforderlichen Arbeiten lediglich Mittel für studentische Hilfskräfte bewilligt hätte. So sei sie hinsichtlich dieses Teilprojekts schon bei dem Antrag vom 26. Juni 1986 verfahren, in dem Mittel für zwei wissenschaftliche Mitarbeiter beantragt, während mit Bescheid vom 17. März 1987 nur Mittel für zwei studentische Hilfskräfte bewilligt worden seien. Es habe deshalb davon ausgegangen werden müssen, daß Mittel für wissenschaftliche Mitarbeiter nicht mehr bewilligt würden.
Da es für die soziale Rechtfertigung der Kündigung auf den Zugang der Kündigung ankomme, sei es für die rechtliche Beurteilung unerheblich, daß die DFG am 16. Dezember 1987 erneut Mittel für ein Jahr bewilligt habe. Weiterhin sei zu berücksichtigen, daß der Kläger, der in den Diensten der Universität bereits seit dem 1. Oktober 1972 in wechselnden Funktionen beschäftigt gewesen sei, nach § 19 BAT am 31. Oktober 1987 15 Beschäftigungsjahre vollendet habe und danach gemäß § 53 Abs. 3 BAT unkündbar geworden wäre.
Der Kläger hat erwidert, es sei für die DFG selbstverständlich gewesen, daß die Konkordanz zum syrischen Alten Testament nach den bisherigen Prinzipien zu Ende geführt werden müsse, wie sich aus ihrem den Bewilligungsbescheid von 16. Dezember 1987 erläuternden Schreiben vom 27. Januar 1988 ergebe. Es habe auch kein sachlicher Grund für die Annahme bestanden, daß für dieses Projekt nur noch Mittel für studentische Hilfskräfte bewilligt würden. In dem die Konkordanz zum syrischen Neuen Testament betreffenden Antrag vom 26. Juni 1986 seien nur Mittel für solche Hilfskräfte und nicht für wissenschaftliche Mitarbeiter beantragt worden. Bereits in dem Bescheid vom 25. Juli 1985 habe die DFG die letzte Teilkonkordanz zum alttestamentlichen Teil der Gesamtkonkordanz bewilligt. In dem diesem vorausgegangenen Antrag vom 15. Februar 1985 seien als voraussichtliche Gesamtdauer die Zeit vom 1. Februar 1982 bis 31. Januar 1989 angegeben und Mittel für seine, des Klägers Mitarbeit bis 31. Januar 1989 beantragt worden. Nachdem im Rahmen des genehmigten Zeitplans Ende 1984 die erste Teilkonkordanz zum Alten Testament erschienen und Ende 1986 die zweite Teilkonkordanz fertiggestellt worden sei, habe 1987 mit dem dritten Teil begonnen werden können.
Beide Vorinstanzen haben dem Feststellungsantrag entsprochen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat seine Ansicht, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei durch die Kündigung des beklagten Landes nicht aufgelöst worden, im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Parteien hätten in § 3 des Arbeitsvertrages vom 7. Mai 1984 das ordentliche Kündigungsrecht des beklagten Landes dahingehend eingeschränkt, daß bei Ausspruch der Kündigung der Kündigungsgrund der vollständigen oder teilweisen Beendigung des Forschungsvorhabens aus dem bezeichneten Grund bereits erfüllt sein müsse. Das beklagte Land habe damit das in der Ungewißheit über die Weiterbewilligung der Mittel liegende Risiko in dem Sinne übernommen, daß selbst eine zur Zeit des Kündigungsausspruchs sich bereits abzeichnende Unmöglichkeit zukünftig betriebswirtschaftlich sinnvoller Weiterbeschäftigung des Klägers eine Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nicht solle rechtfertigen können. Es sei vielmehr vertraglich gehalten gewesen, zunächst abzuwarten, ob eine vollständige oder teilweise Beendigung des Forschungsvorhabens tatsächlich eintreten würde. Der Kläger müsse sich auch nicht nach Treu und Glauben einen Wegfall der Mittel bereits zu einem Zeitpunkt als kündigungsbegründend entgegenhalten lassen, in welchem der Eintritt dieses Ereignisses allenfalls im Bereich der Möglichkeiten gelegen habe. Eine Regelungslücke liege angesichts der Eindeutigkeit der Vereinbarung nicht vor, vielmehr würde die Ausfüllung der behaupteten Lücke auf eine Vertragsänderung hinauslaufen.
II. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Würdigung zutrifft. Die Kündigung ist schon deshalb nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil das beklagte Land nicht dargelegt hat, daß im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgelegen hat.
1. Eine ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG u.a. dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen. Nach den Grundsätzen, die der Senat für den Prüfungsmaßstab des Gerichts bei der betriebsbedingten Kündigung aufgestellt hat (vgl. zuletzt Urteil vom 15. Juni 1989 – 2 AZR 600/88 – AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu II 1 a der Gründe, m.w.N.), können sich betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidung: z.B. Rationalisierungsmaßnahme, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Umstände (z.B. Auftragsmangel) ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen „dringend” sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes unvermeidbar machen. Diese weitere Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Kündigung die notwendige Folge der betrieblichen Erfordernisse ist. Ein Auftragsrückgang z.B. kann dann eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn dadurch der Arbeitsanfall so zurückgeht, daß für einen oder mehrere Arbeitnehmer das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung entfällt.
Bei einem Streit über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung hat das Gericht voll nachzuprüfen, ob die vom Arbeitgeber behaupteten Gründe für die Kündigung tatsächlich vorliegen und ob sie sich im betrieblichen Bereich dahin auswirken, daß für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers kein Bedürfnis mehr besteht. Behauptet der Arbeitgeber, bereits außerbetriebliche Gründe allein hätten ein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung entfallen lassen, bindet der Arbeitgeber sich also selbst an diese von ihm so gesehenen Sachzwänge, so hat das Gericht nachzuprüfen, ob zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs feststand, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei eine Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer nicht mehr gegeben.
2.a) Im vorliegenden Fall ist der Kläger auf einem drittmittelfinanzierten Arbeitsplatz, nämlich im Rahmen des von der DFG geförderten Projekts der Konkordanz zum syrischen Alten Testament beschäftigt worden. Das beklagten Land beruft sich darauf, die Bewilligung weiterer Mittel für dieses Projekt Ober den 31. Januar 1988 hinaus sei bei Ausspruch der Kündigung nicht sicher und die Aussichten hierfür seien auch nicht mit mehr als allenfalls 50 %iger Wahrscheinlichkeit einzuschätzen gewesen. Eine Weiterführung des Projekts mit eigenen Mitteln sei nicht in Betracht gekommen. Die Entscheidung hierüber stehe in seinem freien gerichtlich nicht nachprüfbaren unternehmerischen Ermessen. Mit diesen Ausführungen unterscheidet das beklagte Land jedoch nicht genügend zwischen den für das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses für die Kündigung von drittmittelfinanzierten Arbeitsverträgen maßgebenden Gesichtspunkten.
b) Die Kürzung oder der Wegfall von Drittmitteln stellt zwar einen außerbetrieblichen Umstand, aber für sich allein noch keinen betriebsbedingten Kündigungsgrund dar. Vielmehr muß der Drittmittelempfänger entscheiden, ob ein derart subventioniertes Projekt – z.B. mit eigenen oder anderen Mitteln – fortgeführt, eingeschränkt oder eingestellt werden soll. Führt seine Entscheidung zum Fortfall der geförderten Aufgabenbereiche, so liegt hierin für die dort beschäftigten Arbeitnehmer an sich ein Grund für eine betriebsbedingte Kündigung. Diese unternehmerische Entscheidung des Drittmittelempfängers unterliegt nur einer Mißbrauchskontrolle (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1986 – 2 AZR 212/85 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969, zu E II 2 d, bb der Gründe; BAG Urteile vom 5. September 1986 – 7 AZR 136/85 –, zu III 2 b, aa der Gründe, n.v. und vom 30. Oktober 1987 – 7 AZR 138/87 – RzK 5 c Nr. 24).
Danach sind bei einer auf den Wegfall oder die Kürzung von Drittmitteln gestützten Kündigung eines drittmittelfinanzierten Arbeitsverhältnisses zwei Umstände erheblich und zu unterscheiden: die Kürzung oder der Wegfall der Mittel als außerbetrieblicher Umstand und die dadurch ausgelöste Unternehmerentscheidung, den so geförderten Arbeitsbereich einzuschränken oder nicht mehr fortzuführen.
3. Im Streitfall geht es um die für die Entscheidung des beklagten Landes über die Einstellung des geförderten Projekts vorrangige Frage des Wegfalls der Drittmittel. Wie sich aus dem – durch die späteren Ereignisse bestätigten – Vorbringen des beklagten Landes ergibt, war es im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch nicht endgültig entschlossen, das Projekt einzustellen. Vielmehr hat es die Entscheidung hierüber davon abhängig gemacht, ob die DFG dem Fortsetzungsantrag des Projektleiters vom 12. Juni 1987 stattgeben werde oder nicht; tatsächlich hat es dann das Projekt entsprechend der Bewilligung von Drittmitteln durch die DFG im Dezember 1987 auch für ein weiteres Jahr bis 31. Januar 1989 fortgeführt. Kündigungsgrund war somit vorliegend keine unmittelbare Unternehmerentscheidung, nämlich die Einstellung des Projekts, sondern die Ungewißheit über Wegfall oder Bewilligung weiterer Drittmittel als Voraussetzung für die dann erst hinsichtlich des Projekts zu treffende unternehmerische Entscheidung.
Demgemäß kann sich das beklagte Land bei diesem Kündigungssachverhalt auch nicht auf ein freies unternehmerisches Ermessen als Kündigungsgrund berufen; es liegt vielmehr eine sog. gebundene Unternehmerentscheidung vor (vgl. dazu Senatsurteil vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung), indem das beklagte Land die Fortsetzung des Projektes von der zunächst noch ungeklärten Drittfinanzierung abhängig gemacht hat. Deswegen hat das Gericht nachzuprüfen, ob die Ungewißheit über die Bewilligung weiterer Drittmittel im Zeitpunkt der Kündigung als dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung des Klägers im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG anzusehen ist.
4. Ein solches betriebliches Erfordernis hat im Zeitpunkt der Kündigung nicht vorgelegen. Dies ergibt sich aus dem bisherigen Sach- und Streitstand in der Berufungsinstanz. Der Senat kann deshalb hierüber abschließend entscheiden.
a) Wie bereits das Arbeitsgericht im Ansatz zutreffend ausgeführt hat, war die Lage des beklagten Landes bei Ausspruch der Kündigung vergleichbar mit der eines Arbeitgebers, der noch über eine bestimmte Arbeitsmenge verfügt und neue Aufträge in Aussicht, aber noch nicht verbindlich erteilt erhalten hat. Dem Auftrag des Kunden entspricht hier die Bewilligung von Drittmitteln, sofern der Drittmittelempfänger, wie vorliegend das beklagte Land, die Durchführung des Projekts und damit die Beschäftigungsmöglichkeit für den in diesem Bereich eingesetzten Arbeitnehmer allein hiervon abhängig macht.
b) Deshalb gelten auch hier die allgemein für eine auf Arbeitsmangel gestützte Kündigung aufgestellten Grundsätze. Danach reicht Arbeitsmangel als Kündigungsgrund aus, wenn er bereits greifbare Formen angenommen hat. Dieser Grund muß somit bei Ausspruch der Kündigung nicht bereits tatsächlich eingetreten sein.
Vielmehr ist es genügend, aber auch erforderlich, wenn zu diesem Zeitpunkt eine vernünftige und betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, daß bis zum Auslaufen der dabei einzuhaltenden Kündigungsfrist das erwartete Ereignis eingetreten ist und der Arbeitnehmer entbehrt werden kann (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts; vgl. Urteile vom 8. November 1956 – 2 AZR 302/54 – AP Nr. 19 zu § 1 KSchG, zu 2 der Gründe und vom 27. Februar 1958 – 2 AZR 445/55 – AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, zu III 1 der Gründe; für die Betriebsstillegung; BAGE 47, 13, 23 f. = AP Nr. 39 zu § 613 a BGB, zu B III 3 a der Gründe; BAGE 54, 215, 229 = AP Nr. 41 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu II 3 c der Gründe). Entgegen der von dem beklagten Land in der Berufungsinstanz vertretenen Ansicht ist dieser Grundsatz nicht nur auf Kündigungen mit kurzen Fristen beschränkt worden. Der Senat hat für diese Fälle (Urteil vom 8. November 1956, a.a.O.) lediglich die Anlegung eines besonders strengen Maßstabes für die bei Ausspruch der Kündigung anzustellende Prognose gefordert, weil die kurze Kündigungsfrist hinreichend Zeit läßt, die Kündigung rechtzeitig zu dem Zeitpunkt auszusprechen, zu dem der gekündigte Arbeitnehmer bei vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtung entbehrt werden kann.
c) Im vorliegenden Fall hatte der betriebliche Grund beim Ausspruch der Kündigung noch keine ausreichenden greifbaren Formen angenommen. Nach dem unstreitigen Sachverhalt und dem tatsächlichen Vorbringen des beklagten Landes ergab bei Ausspruch der Kündigung Ende Juni 1987 eine vernünftige Betrachtungsweise noch nicht die Prognose, daß für den Einsatz des Klägers bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist am 31. Dezember 1987 kein Bedürfnis mehr bestehen werde.
aa) Sowohl die Finanzierung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch die DFG als auch seine tatsächliche Beschäftigung im Rahmen des geförderten Forschungsvorhabens waren nämlich über den Kündigungstermin hinaus zumindest bis zum 31. Januar 1988 gesichert.
Der Antrag des Projektleiters vom 12. Juni 1986 hatte die Bewilligung der Mittel für den Abschluß der Konkordanz zum syrischen Alten Testament zum Gegenstand. Das beklagte Land hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich sachliche Anhaltspunkte für die Erwartung ergeben, im Zeitpunkt der Kündigung habe mit einer Ablehnung der Mittelbewilligung für die weitere Beschäftigung des Klägers in dem beantragten Umfang auch nur mit „einiger Sicherheit” gerechnet werden können. Es handelte sich um Mittel für die Mitarbeit des Klägers an dem letzten Teil der Konkordanz zum syrischen Alten Testament. Wie sich aus dem Schreiben der DFG vom 27. Januar 1988 ergibt, stand für die DFG die Fertigstellung dieser Konkordanz nach den bisherigen Prinzipien außer Frage. Aus der Bewilligung von Mitteln für studentische Hilfskräfte für das weitere Projekt der Konkordanz zum Neuen Testament am 17. März 1987 auf einen Antrag des Projektleiters vom 26. Juni 1986 konnte das beklagte Land nicht die Befürchtung herleiten, daß auch für die Abschlußarbeiten zum Alten Testament allenfalls noch Mittel für studentische Hilfskräfte bewilligt würden. Wie sich aus dem Antrag vom 26. Juni 1986 eindeutig ergibt, waren von vornherein nur Mittel für studentische Hilfskräfte beantragt worden; die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter waren nur unter der die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe betreffenden Ziffer 3.1 als Mitarbeiter an der Konkordanz zum Alten Testament mit dem Hinweis aufgeführt worden, sie stünden für bestimmte Arbeiten – auch im Rahmen der Konkordanz zum Neuen Testament – zur Verfügung.
Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers waren schon in dem Antrag vom 15. Februar 1985 nur Mittel für seine Mitarbeit an der Konkordanz zum Alten Testament bis 31. Januar 1989 beantragt und in dem Bescheid vom 25. Juli 1985 bis 31. Januar 1988 bewilligt worden. Das beklagte Land hat keine weiteren Umstände vorgetragen, aufgrund derer Ende Juni 1987 objektive Anhaltspunkte für die Besorgnis bestanden hätten, für die Weiterbeschäftigung des Klägers würden nach Ablauf der Kündigungsfrist keine Mittel mehr zur Verfügung stehen. Im Hinblick auf den damals von dem zuständigen Gremium der DFG eingenommenen Standpunkt, daß die Konkordanz zum syrischen Alten Testament nach den bisherigen Prinzipien in jedem Fall fertiggestellt werden sollte, war eher mit der Bewilligung als mit der Ablehnung der für diese Abschlußarbeiten beantragten Mittel für die Bezahlung des Klägers zu rechnen, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei den bisherigen Arbeiten an dem Projekt eingesetzt war. Da nach dem Bestätigungsschreiben der DFG vom 30. Juni 1937 mit einer Bearbeitungszeit von drei bis fünf Monaten zu rechnen war, bestanden auch im Hinblick auf die seit Antragstellung vom 12. Juni 1987 bis zum Ausspruch der Kündigung verstrichene Zeit keine sachlichen Anhaltspunkte dafür, daß die Mittel nicht bewilligt würden.
bb) Ohne Erfolg bleibt in diesem Zusammenhang der Einwand des beklagten Landes, dem Kläger hätte bei Ausspruch der Kündigung nach dem 30. Juni 1987 im Falle der Ablehnung der beantragten Mittel erst zu einem nach dem Wegfall der bisher bewilligten Mittel am 31. Januar 1988 liegenden Termin und nach dem 31. Oktober 1987 im Hinblick auf die dann erreichte Beschäftigungszeit von 15 Jahren überhaupt nicht mehr ordentlich gekündigt werden können.
Längere Kündigungsfristen, die nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dem Alter des Arbeitnehmers gestaffelt sind (wie nach § 2 AngKSchG und § 53 BAT), wollen die berufliche Existenz der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen, in der Regel auch älteren Arbeitnehmer sichern (BVerfGE 62, 256 = AP Nr. 16 zu § 622 BGB). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn man für die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG wegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses schon jede Ungewißheit über die Erteilung der für die Fortbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer erforderlichen Aufträge oder, wie im Bereich der Drittmittelfinanzierung, der Bewilligung entsprechender Mittel, für die soziale Rechtfertigung der Kündigung ausreichen lassen würde. Maßgebend ist vielmehr allein, ob bei vernünftiger Betrachtung die Prognose gerechtfertigt ist, daß mit Ablauf der Kündigungsfrist keine weiteren, für die Beschäftigung des Arbeitnehmers erforderlichen Aufträge oder Mittel mehr zu erwarten sind und deshalb der betriebliche Kündigungsgrund bereits greifbare Formen angenommen hat.
In verstärktem Umfang gilt dies für den im Hinblick auf Alter und Beschäftigungsdauer tariflich vereinbarten Ausschluß der ordentlichen Kündigung, wie dies im Geltungsbereich des Bundes-Angestelltentarifvertrages in § 53 Abs. 3 festgelegt ist. Die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung bestimmt sich allein nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, auch wenn der gekündigte Arbeitnehmer kurz vor der „Unkündbarkeit” steht. Wird die Kündigung auf Arbeitsmangel gestützt, so ist allein zu prüfen, ob bei ihrem Ausspruch dieser Kündigungsgrund nach den dargestellten Grundsätzen bereits greifbare Formen angenommen hat. Steht dem Arbeitgeber danach (noch) kein sachlich rechtfertigender Grund zur Seite, so ist sie sozial ungerechtfertigt. Die Frage, ob der Arbeitnehmer während des Laufs der Kündigungsfrist „unkündbar” wird und deshalb später eine ordentliche Kündigung nicht mehr möglich ist, auch wenn dann ein Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vorläge, muß bei der Prüfung, ob der für die vor der „Unkündbarkeit” erklärte Kündigung geltend gemachte Kündigungsgrund bereits greifbare Formen angenommen hat, unberücksichtigt bleiben. Die hierfür anzustellende Prognose ist eine Tatfrage und damit unabhängig von dem späteren Eintritt der Voraussetzungen für den Ausschluß der ordentlichen Kündigung. Liegt danach (noch) kein die ordentliche Kündigung sozial rechtfertigender betrieblicher Grund vor, so würde eine gleichwohl ausgesprochene und mit dem sonst drohenden Eintritt der Unkündbarkeit begründete Kündigung eine funktionswidrige Umgehung der tariflichen Unkündbarkeitsregelung bedeuten.
Eine solche ordentliche Kündigung ist ebensowenig wirksam wie eine Kündigung, die vor Eintritt der Unkündbarkeit nicht zum nächstmöglichen, sondern erst zu einem späteren Termin ausgesprochen wird, wenn für eine zu dem früheren Termin erklärte (noch) kein sie sachlich rechtfertigender Grund vorläge. Dies hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts gerade für den Bereich der Drittmittelfinanzierung (Auslaufen der Drittmittel erst zu dem späteren Kündigungstermin) entschieden (BAGE 57, 1 = AP Nr. 2 zu § 53 BAT).
Unterschriften
Hillebrecht – zugleich für den durch Urlaub verhinderten Richter Dr. Ascheid, Triebfürst, Schulze, Wisskirchen.
Fundstellen