Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; KSchG §§ 1, 4, 7

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 26.05.1993; Aktenzeichen 2 Sa 285/92)

ArbG Bautzen (Urteil vom 05.11.1992; Aktenzeichen 8 Ca 56/92)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 26. Mai 1993 – 2 Sa 285/92 – aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 5. November 1992 – 8 Ca 56/92 – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.

Die im Jahre 1949 geborene Klägerin stand seit dem 1. August 1967 im Schuldienst. Bis 1979 wurde sie als Freundschaftspionierleiterin eingesetzt. In dieser Zeit war sie vom 1. September 1975 bis zum 31. Juli 1976 als hauptamtliche Mitarbeiterin bei der FDJ-Kreisleitung tätig, 1983 schloß sie ein Fernstudium zum Diplomlehrer für Hilfsschulen erfolgreich ab. Vom 1. August 1979 bis zum 31. August 1983 war sie Lehrerin an der Hilfsschule in Kamenz und vom 1. September 1983 bis zum 31. August 1990 stellvertretender Direktor an dieser Schule.

Die Klägerin besuchte 1973/74 die Kreisparteischule der SED. Von 1977 bis 1989 gehörte sie der Schulparteileitung ihrer Schule an. In dieser Zeit war sie von 1983 bis 1985 ehrenamtlicher Parteisekretär.

Nachdem der Beklagte die Klägerin am 28. Januar 1992 persönlich angehört hatte, kündigte er mit Schreiben vom 20. März 1992, das der Klägerin am 26. Mai 1992 zuging, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung der Klägerin.

Die Klägerin hat geltend gemacht, jeder Parteisekretär habe auch unter Berücksichtigung der benötigten Vorgaben der SED erheblichen Handlungsspielraum gehabt. Sie habe den Direktor ihrer Schule nicht kontrolliert und auch nicht auf Einhaltung der Parteilinie überwacht. Ebensowenig sei sie für die politische Bildung der Schüler und Lehrer verantwortlich gewesen. Als Parteisekretär habe sie nicht der Schulleitung angehört. In ihren Berichten an die SED-Kreisleitung habe sie nur allgemein über das politische Klima innerhalb der Parteigruppe berichtet. Sie habe kein Mitspracherecht bei Entscheidungen zu Besuchsreisen in die damalige Bundesrepublik Deutschland gehabt. Sie sei auch nicht für die Werbung des militärischen Nachwuchses verantwortlich gewesen. Von 1981 bis 1983 sei sie nur mit der Einziehung von Mitgliedsbeiträgen befaßt worden, 1984 habe sie ihr Amt als Parteisekretär niedergelegt und ihre Abberufung als stellvertretender Direktor für außerunterrichtliche Tätigkeit beantragt. Dies sei von der SED-Kreisleitung aber nicht akzeptiert worden. Obwohl sie sich 1985 nicht wieder in die Parteileitung habe wählen lassen wollen, habe sie dies nicht verhindern können.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 20. März 1992 nicht beendet wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

ferner – für den Fall, daß die Klägerin mit dem Feststellungsantrag obsiegt –,

den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, zu den Aufgaben der Schulparteileitung habe nach dem SED-Statut gehört, die Kampfkraft und Aktivität aller Mitglieder und Kandidaten der Partei ständig zu erhöhen, den politisch-ideologischen und organisatorischen Einfluß der Partei zur Verwirklichung ihrer führenden Rolle in allen gesellschaftlichen Bereichen zu sichern sowie die propagandistische Tätigkeit und politische Massenarbeit im Sinne der Beschlüsse und Losungen der Partei zu leiten. Als Parteisekretär sei die Klägerin Mitglied der Schulleitung gewesen und habe bei jeder politischen Entscheidung des Direktors ein Mitspracherecht gehabt. Der Parteisekretär habe den Direktor kontrolliert, damit dieser die Parteilinie an der Schule einhalte. Ferner sei der Parteisekretär verantwortlich gewesen für die politische Bildung der Kinder, Jugendlichen und Lehrer. In diesem Sinne habe er die Parteiversammlungen geleitet, in denen ständig das politische Klima an der Schule besprochen worden sei. Er sei beteiligt worden, wenn es um Anträge für Besuchsreisen in die damalige Bundesrepublik Deutschland gegangen sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückweisung der Berufung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung vom 20. März 1992 habe das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1992 aufgelöst. Die Klägerin entspreche im Sinne der Bestimmung des Einigungsvertrages nicht den Anforderungen, die an einen Lehrer zu stellen seien. Die Klägerin sei persönlich nicht geeignet. Sie sei zwölf Jahre lang bis zur Wende Mitglied der Schulparteileitung, darunter zwei Jahre als Parteisekretär tätig gewesen. Ferner sei sie rund ein Jahr lang hauptamtliche Mitarbeiterin bei der FDJ-Kreisleitung gewesen. Dieser Werdegang ergebe ein Gesamtbild, das eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat über einen längeren Zeitraum belege. Die Niederlegung der Punktion eines Parteisekretärs im Jahre 1984 und der Antrag auf Abberufung vom Amt des stellvertretenden Direktors für außerunterrichtliche Tätigkeiten könnten die Klägerin nicht entlasten weil sie nicht substantiiert die Gründe dargelegt habe, weshalb sie sich von diesen Ämtern trennen wollte.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Der Feststellungsantrag der Klägerin umfaßt allein den punktuellen Streitgegenstand der §§ 4, 7 KSchG. Die Antragsbegründung behandelt ausschließlich die Frage, ob die Kündigung vom 20. März 1992 wirksam ist. Die Auslegung des Klagantrages ergibt daher, daß die Klägerin nur eine Kündigungsschutzklage, jedoch keine weitergehende Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO erhoben hat (vgl. Senatsurteil vom 16. März 1994 – 8 AZR 97/93 – AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969).

II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom 25. März 1992 zum 30. Juni 1992 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung ist nicht nach Abs. 4 Ziff. 1 EV gerechtfertigt und demgemäß nach § 1 Abs. 1 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes unwirksam. Der Kündigungsgrund der mangelnden persönlichen Eignung liegt nicht vor.

1.a) Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I vereinbarten Regelungen. Die Klägerin unterrichtete zum Zeitpunkt des Beitritts an einer öffentlichen Schule, gehörte daher dem öffentlichen Dienst an.

b) Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Der Senat hat in seinen Entscheidungen vom 18. März 1993 und 4. November 1993 (– 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX und – 8 AZR 127/93 – AP Nr. 18, a.a.O., jeweils auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen) die Wirksamkeit der Kündigung nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung beurteilt und hierzu im einzelnen folgende Grundsätze entwickelt:

Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht.

c) Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen; denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

d) Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt (vgl. Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu B II 3 b der Gründe).

2. Die mangelnde Eignung der Klägerin wird nicht durch ihre langjährige Mitgliedschaft in der Schulparteileitung indiziert. Wie der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 20. Juni 1995 (– 8 AZR 508/93 – nicht veröffentlicht) entschieden hat, ist allein die Tätigkeit in der Schulparteileitung ungeeignet, die besondere Identifikation mit den Zielen der SED zu indizieren. Insofern bedürfte es konkreten Sachvortrags zur Amtsführung des gekündigten Arbeitnehmers, um die Nichteignung wegen Mitarbeit in der Schulparteileitung begründen zu können. Entsprechenden Sachvortrag hat der Beklagte nicht gehalten.

3. Die Tätigkeit der Klägerin als Parteisekretär begründet nicht die Annahme ihrer mangelnden Eignung für den Lehrerberuf. Die Klägerin war lediglich zwei Jahre in diesem Amt tätig und erfüllt damit nicht die von der Senatsrechtsprechung aufgestellte Voraussetzung einer wiederholten Wahrnehmung dieses Parteiamtes (vgl. hierzu nur Urteile vom 16. Dezember 1993 – 8 AZR 15/93 – nicht veröffentlicht und vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 – nicht veröffentlicht). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht eine etwaige Indizwirkung durch den von der Klägerin im Jahre 1984 gestellten Abberufungsantrag entkräftet würde.

4. Mit Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß die Tätigkeit der Klägerin als hauptamtliche Mitarbeiterin der FDJ-Kreisleitung (1. September 1975 bis 31. Juli 1976) allein nicht gegen die Eignung der Klägerin für den Lehrerberuf spricht. Gleiches hat für die vom Landesarbeitsgericht zum Nachteil der Klägerin vorgenommene Gesamtwürdigung zu gelten, denn die verschiedenen Tätigkeiten der Klägerin fügen sich nicht zu einer kontinuierlichen Parteilaufbahn zusammen.

III. Über den Weiterbeschäftigungsantrag ist in der Revisionsinstanz nicht mehr zu entscheiden.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Schömburg, Hannig

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1083568

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