Entscheidungsstichwort (Thema)
Kürzung der Betriebsrente bei flexibler Altersgrenze
Normenkette
BetrAVG § 6; BGB §§ 242, 133-134, 157; RVO § 1248; AVG § 25; BetrVG 1972 § 87 Altersversorgung
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 06.12.1982; Aktenzeichen 5 Sa 372/82) |
ArbG Elmshorn (Urteil vom 19.05.1982; Aktenzeichen 1 b Ca 2002/81) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 6. Dezember 1982 – 5 Sa 372/82 – teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 19. Mai 1982 – 1 b Ca 2002/81 – abgeändert:
Unter Abweisung der Klage im übrigen wird festgestellt, daß die Beklagte die Berechnung der betrieblichen Altersrente des Klägers unter Außerachtlassung des § 6 Nr. 1 a Abs. 2 der Pensionsordnung vom 1. Januar 1963 in der Fassung vom 11. April 1975 vorzunehmen hat.
- Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der am 4. September 1918 geborene Kläger war bei der Beklagten von 1934 bis zum 50. September 1981 beschäftigt. Am 1. Januar 1963 trat im Betrieb der Beklagten die „Pensions-Ordnung für die Belegschaftsmitglieder der R. GmbH” in Kraft, in der es u. a. heißt:
„§ 3 Anrechnungsfähige Dienstzeit
1. Als anrechnungsfähige Dienstzeit gelten die vollendeten Dienstjahre, in denen das Belegschaftsmitglied zwischen der Vollendung des 20. und des 65. Lebensjahres ununterbrochen in den Diensten der Firma verbracht hat.
§ 6 Altersrenten
1. Altersrente wird vom Ausscheiden aus der Firma nach Vollendung des 65. Lebensjahres auf Lebenszeit gewährt.
3. Die Höhe der Altersrente errechnet sich aus der Grundrente und Steigerungsrente. Die Grundrente beträgt 5 % des rentenfähigen Einkommens. Als Steigerungsrente wird 1/3 % des rentenfähigen Einkommens für jedes nach Ableistung der Wartezeit zurückgelegte anrechnungsfähige Dienstjahr gewährt; ….”
Am 11. April 1975 sollte zu § 6.1 der Pensionsordnung eine zusätzlich Regelung in Kraft treten, in der es u. a. heißt:
„§ 6.1 a Rentenberechnung bei vorgezogenem Altersruhegeld
…
Bei Inanspruchnahme des vorgezogenen Ruhegeldes wird die erreichte Pension für jeden bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres fehlenden Monat um 0,5 % gekürzt.”
An dieser Regelung hatte der Betriebsrat nicht mitgewirkt.
Seit dem 1. Oktober 1981 bezieht der Kläger das vorgezogene Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Betriebsrente. Diese berechnet die Beklagte ohne die Steigerungen, die der Kläger nach § 6.5 Satz 5 der Pensions-Ordnung erreicht hätte, wenn er bis zum 65. Lebensjahr ununterbrochen in den Diensten der Beklagten geblieben wäre. Darüber hinaus kürzt die Beklagte die Betriebsrente des Klägers um 0,5 % für jeden bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres fehlenden Monat.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Berechnung der Beklagten benachteilige ihn zu Unrecht in doppelter Hinsicht: Die Nichtberücksichtigung der Steigerungssätze bis zum 65. Lebensjahr sei nicht gerechtfertigt. Im übrigen sei der Zusatz zu § 6 der Pensions-Ordnung vom 11. April 1975 nichtig, da er ohne Zustimmung des Betriebsrats von der Geschäftsleitung der Beklagten eingeführt worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, die Berechnung der betrieblichen Altersrente des Klägers in der Weise vorzunehmen, daß die Steigerungsrate von 1/3 % pro Jahr gemäß § 6 Ziff. 3 der Pensions-Ordnung vom 1. Januar 1963 bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres hochgerechnet wird und erst von der sich hierdurch ergebenden Summe die im „Zusatz zu § 6.1” Abs. 2 vorgesehene Kürzung erfolgt,
hilfsweise,
die Berechnung der betrieblichen Altersrente des Klägers unter Außerachtlassung des „Zusatzes zu 6.1” Abs. 2 vorzunehmen.
Die Beklagte hält ihre Rentenberechnung für richtig und hat um Abweisung der Klage gebeten.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte gemäß dem Hauptantrag des Klägers verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten hin die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zum Teil begründet. Bezüglich des Hauptantrags ist die Klage abzuweisen. Hinsichtlich des Hilfsantrags hat sie hingegen Erfolg.
I. Die Beklagte war berechtigt, das Ruhegehalt des Klägers entsprechend der verminderten Dienstzeit zu kürzen.
1. Die im Betrieb der Beklagten am 1. Januar 1965 eingeführte Versorgungsordnung sieht in § 6 Nr. 1 eine Altersrente erst bei Vollendung des 65. Lebensjahres vor. Sie ist durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze für Arbeiter und Angestellte in der gesetzlichen Rentenversicherung und durch die daran anknüpfende Regelung des § 6 BetrAVG lückenhaft geworden.
Das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (BGBl I, 1965) begründet für Arbeiter und Angestellte, die das 65. bzw. das 60. Lebensjahr vollendet haben, unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf vorzeitige Gewährung von Altersruhegeld (§ 1248 Abs. 1 RVO; § 25 Abs. 1 AVG). Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl I, 5610) können Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber verlangen, daß ihnen vor Erreichen des 65. Lebensjahres Ruhegeld gezahlt wird, sofern sie von der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch machen und die übrigen Leistungsvoraussetzungen der Versorgungszusage erfüllt sind (§ 6 Satz 1 BetrAVG). Abweichende Versorgungsregelungen sind insoweit unwirksam (§ 154 BGB). Das gilt auch für § 6 Nr. 1 der Pensionsordnung der Beklagten.
2. Über die Höhe, in der der Arbeitgeber den Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erbringen muß, wenn diese von der Möglichkeit der flexiblen Altersgrenze Gebrauch machen, enthält § 6 BetrAVG keine Regelung (BAG 50, 555, 555 = AP Nr. 1 zu § 6 BetrAVG, zu I 1 der Gründe). Die Pensions-Ordnung der Beklagten aus dem Jahre 1965, die die flexible Altersgrenze noch nicht berücksichtigen konnte, regelt diese Frage ebenfalls nicht. Eine Regelung, die die Lücke ausfüllt, besteht im Betrieb der Beklagten nicht. Die Pensions-Ordnung bedarf daher der ergänzenden Vertragsauslegung.
a) Der Senat hat für die ergänzende Auslegung von Versorgungsordnungen, die durch die Einführung der flexiblen Altersgrenze lückenhaft geworden sind, Auslegungsregeln entwickelt. Er ist davon ausgegangen, daß die Vertragslücke, sofern die Parteien keine anderweitige Regelung treffen, in entsprechender Anwendung von § 2 BetrAVG zu schließen ist. Das heißt, daß wegen der kürzeren Betriebszugehörigkeit eine zeitanteilige Kürzung des Ruhegeldes in Betracht kommt (BAG 30, 333, 339 = AP Nr. 1 zu § 6 BetrAVG, zu I 3 der Gründe; Urteil vom 11. September 1980 – 3 AZR 185/80 – AP Nr. 3 zu § 6 BetrAVG, zu II der Gründe). Dieser Auslegungsgrundsatz gilt aber dann nicht, wenn sich aus der Versorgungsordnung Anhaltspunkte dafür ergeben, wie die Parteien bei redlichem Verhalten den offen gebliebenen Punkt abweichend geordnet haben würden, wenn sie ihn bedacht hätten (vgl. Urteil des Senats vom 10. Januar 1984 – 3 AZR 52/82 –, EzA § 6 BetrAVG Nr. 8, zu 2 der Gründe, m.w.N.).
b) Die auf das Ruhestandsverhältnis der Parteien anzuwendende Pensions-Ordnung ist dadurch gekennzeichnet, daß sie für jedes nach Ableistung der Wartezeit zurückgelegte anrechnungsfähige Dienstjahr einen gleichbleibenden Steigerungsbetrag vorsieht. Dieser Steigerungsbetrag hätte auch für die unmittelbar der Altersgrenze vorausgehenden Dienstjahre gegolten, die wegen Inanspruchnahme des flexiblen Altersruhegeldes nicht mehr in den Diensten der Beklagten zurückgelegt worden sind. Es liegt daher nahe, anzunehmen, daß die Betriebspartner, hätten sie im Jahre 1963 die flexible Altersgrenze bedacht, diesem Umstand in der Weise Rechnung getragen hätten, daß sie die Jahre zwischen dem Ausscheiden und dem 65. Lebensjahr als anrechnungsfähige Dienstjahre unberücksichtigt gelassen hätten. Diese Auslegung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht nach dem eigenen Vortrag der Beklagten deren Praxis. Auch der Kläger geht für den Fall, daß eine Kürzung wegen verminderter Dienstzeit überhaupt zulässig ist, von ihr aus. Dies ergibt sich daraus, daß er seinem Hilfsantrag, mit dem er den versicherungsmathematischen Abschlag bekämpft, für die Kürzung wegen verminderter Dienstzeit die Kürzungsmethode der Beklagten zugrundelegt.
II. Die Beklagte war hingegen nicht berechtigt, die Rente des Klägers um den versicherungsmathematischen Abschlag zu kürzen, den sie erst im Jahre 1975 in der Zusatzregelung zu § 6 Nr. 1 der Pensionsordnung vorgesehen hat.
1. Der Senat hat derartige versicherungsmathematische Abschläge, durch die der längeren Laufzeit der Rente Rechnung getragen werden soll, im Rahmen der Billigkeit als zulässig angesehen. Eine dahingehende Regelung bedarf jedoch nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG 38, 277, 281 = AP Nr. 4 zu § 6 BetrAVG, zu 2 a der Gründe). Daran fehlt es vorliegend. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat dies zur Folge, daß die Regelung unwirksam ist (vgl. BAG 38, 365, 369 = AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung, zu 2 der Gründe).
2. Die Beklagte kann sich auch nicht auf eine betriebliche Übung berufen, wonach versicherungsmathematische Abschläge seit 1975 vorgenommen wurden. Die betriebliche Übung wirkt als Regelung durch schlüssiges Verhalten. Sie ist genauso an die Mitwirkung des Betriebsrats gebunden wie eine gleichlautende ausdrückliche Regelung (vgl. Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz 106 mit 109). Dadurch, daß die Beklagte die Kürzung über längere Zeit praktisch handhabte, konnte der rechtliche Mangel, der in der Verletzung des betrieblichen Mitbestimmungsrechts liegt, nicht zu Lasten der Arbeitnehmer geheilt werden. Sonst wäre der kollektive Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes durch rechtswidriges Verhalten auszuschalten.
Unterschriften
Dr. Dieterich, Griebeling, Dr. Peifer, Hoechst, Dr. Kiefer
Fundstellen