Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Zuwendung - Erziehungsurlaub

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs 2 Satz 2 Buchst a, cc Zuwendungs-TV, wonach Zeiten ohne Dienstbezüge bis zu zwölf Monaten die Höhe der Zuwendung nicht beeinflussen, wenn die Nichtzahlung der Dienstbezüge auf Grund eines Erziehungsurlaubs erfolgt, gilt für jeden Erziehungsurlaub nur einmal und kommt nicht nochmals zum Tragen, wenn die Angestellte während des laufenden Erziehungsurlaubs wegen der Geburt eines weiteren Kindes erneut Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 611; BErzGG §§ 16, 15; ZuwAngTVtr § 2 Fassung 1973-10-12

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 17.09.1996; Aktenzeichen 6 Sa 882/96)

ArbG Krefeld (Entscheidung vom 13.05.1996; Aktenzeichen 4 Ca 797/96)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die Zahlung einer anteiligen tariflichen Zuwendung an die Klägerin für das Jahr 1995.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ergänzenden Tarifverträge Anwendung.

Nach der Geburt ihres ersten Kindes am 28. September 1993 nahm die Klägerin für die Zeit vom 21. November 1993 bis 28. September 1996 Erziehungsurlaub in Anspruch. Am 2. Juli 1995 gebar sie ihr zweites Kind und machte auch für dieses den vollen Erziehungsurlaub geltend.

Zunächst verlangte die Klägerin von der Beklagten für acht Monate im Jahre 1995 und für sechs Monate des Jahres 1996 die anteilige tarifliche Zuwendung gemäß dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 (im folgenden: Zuwendungs-TV).

Sie ist der Auffassung, einen Anspruch auf Zahlung der tariflichen Zuwendung zu haben, da auf Grund der Geburt ihres zweiten Kindes eine Verminderung der tariflichen Zuwendung bis zur Vollendung des 12. Lebensmonates dieses Kindes nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc Zuwendungs-TV unterbleibe. Sie habe den ihr erneut zustehenden weiteren Erziehungsurlaub in Anspruch genommen, so daß wegen der Überschneidung beider Erziehungsurlaube eine Verminderung der tariflichen Leistung ausscheide. Ansonsten würden Familien mit dicht aufeinanderfolgenden Geburten ohne ersichtlichen Grund benachteiligt.

§ 2 des Zuwendungs-TV lautet - soweit vorliegend von Interesse:

"§ 2

Höhe der Zuwendung

...

(2) Hat der Angestellte nicht während des ganzen

Kalenderjahres Bezüge von demselben Arbeitgeber

aus einem Rechtsverhältnis der in § 1 Abs. 1

Nr. 2 genannten Art erhalten, vermindert sich die

Zuwendung um ein Zwölftel für jeden Kalendermo-

nat, für den er keine Bezüge erhalten hat. Die

Verminderung unterbleibt für die Kalendermonate,

a) für die der Angestellte keine Bezüge erhalten

hat wegen der

...

cc) Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs nach

dem Bundeserziehungsgeldgesetz bis zur Vollendung

des zwölften Lebensmonats des Kindes,

..."

Die Klägerin hat vor dem Landesarbeitsgericht beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.436,00 DM

nebst 10,5 % Zinsen seit dem 1. November 1995 zu

zahlen,

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Zuwendung

in Höhe von 3.500,00 DM brutto nebst 10,5 % Zin-

sen seit dem 1. November 1995 zu zahlen sowie

936,00 DM nebst 10,5 % Zinsen seit dem 1. Novem-

ber 1995 auf ihren Bausparvertrag zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die geforderte tarifliche Zuwendung, da sie sich zur Zeit der Geburt ihres zweiten Kindes noch im Erziehungsurlaub für ihr erstes Kind befunden und damit das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes geruht habe. Diesen Erziehungsurlaub habe die Klägerin nicht einseitig beendet. Es trete auch keine "Überlagerung" des Erziehungsurlaubes auf Grund der Geburt des ersten Kindes durch denjenigen auf Grund der Geburt des zweiten Kindes ein.

Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer anteiligen Zuwendung für sechs Monate im Jahre 1995 in Höhe von 2.625,00 DM brutto nebst Zinsen verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Soweit es der Klage stattgegeben hat, hat das Landesarbeitsgericht die Revision zugelassen.

Die Beklagte verfolgt mit der Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin die Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat für das Jahr 1995 keinen Anspruch auf eine tarifliche Zuwendung nach dem Zuwendungs-TV.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner klagestattgebenden Entscheidung ausgeführt, die Klägerin könne für das Jahr 1995 eine anteilige Zuwendung beanspruchen, weil sie anläßlich der Geburt ihres zweiten Kindes die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc des Zuwendungs-TV erfülle. Sie habe wegen der Inanspruchnahme des weiteren Erziehungsurlaubes in diesem Zeitraum keine Bezüge von der Beklagten erhalten und der Zeitraum liege innerhalb der ersten zwölf Lebensmonate des zweiten Kindes. Dieses Ergebnis stehe insbesondere auch mit der tariflichen Entstehungsgeschichte im Einklang.

II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat weder im Ergebnis noch in der Begründung folgen.

1. Da die Klägerin im gesamten Jahre 1995 wegen des vom 21. November 1993 bis zum 28. September 1996 in Anspruch genommenen Erziehungsurlaubes und des daraus resultierenden Ruhens ihres Arbeitsverhältnisses keine Vergütung von der Beklagten bezogen hatte, stand ihr für 1995 kein Anspruch auf die tarifliche Zuwendung zu, weil gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Zuwendungs-TV für jeden Kalendermonat, für den der Angestellte keine Bezüge erhalten hat, die Zuwendung um ein Zwölftel vermindert wird.

2. Zugunsten der Klägerin greift die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc Zuwendungs-TV nicht ein.

Nach dieser Tarifnorm führt das Nichtbeziehen von Vergütung für diejenigen Kalendermonate nicht zur Verminderung des Zuwendungsanspruches, in denen der Angestellte Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats des Kindes in Anspruch genommen hat.

a) Da im Jahre 1995 das am 28. September 1993 geborene erste Kind der Klägerin bereits seinen 12. Lebensmonat vollendet hatte, greift die Ausnahmevorschrift auf Grund des Erziehungsurlaubes wegen dieses Kindes nicht ein.

b) Die Geburt des zweiten Kindes am 2. Juli 1995 und der deshalb von der Klägerin beantragte weitere Erziehungsurlaub führt nicht dazu, daß vom Zeitpunkt der Geburt bis zur Vollendung des 12. Lebensmonates dieses zweiten Kindes zugunsten der Klägerin erneut die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc Zuwendungs-TV eingreift.

Dies ergibt eine sachgerechte Auslegung der Tarifnorm.

Bei der Auslegung eines Tarifvertrages ist in erster Linie auf den Wortlaut abzustellen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit diese in der tariflichen Regelung ihren Niederschlag gefunden haben (BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG Urteil vom 21. Juli 1993 - 4 AZR 468/92 - BAGE 73, 364 = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, m.w.N.).

Bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc Zuwendungs-TV ergibt sich, daß die Privilegierung für Erziehungsurlaub in Anspruch nehmende Angestellte nur bis zur Vollendung des 12. Lebensmonates desjenigen Kindes gelten soll, dessentwegen der Angestellte den Erziehungsurlaub in Anspruch genommen hat. Dauert der Erziehungsurlaub wegen der Geburt dieses Kindes länger als bis zur Vollendung des 12. Lebensmonates des Kindes, so soll der Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc Zuwendungs-TV nicht eingreifen.

Obwohl die Klägerin auf Grund der Geburt ihres zweiten Kindes am 2. Juli 1995 bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres dieses Kindes gemäß § 15 Abs. 1 BErzGG erneut Erziehungsurlaub in Anspruch genommen hat, bleibt es dabei, daß ihr Arbeitsverhältnis im gesamten Jahre 1995 nur auf Grund des Erziehungsurlaubes wegen des ersten Kindes geruht und daß sie nur auf Grund dieses Erziehungsurlaubes von der Beklagten keine Bezüge erhalten hat.

Zwar hat die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis auf Grund des Erziehungsurlaubes wegen ihres ersten Kindes ruhte, während dieses Ruhenszeitraumes infolge der Geburt ihres zweiten Kindes erneut einen Anspruch auf Erziehungsurlaub erworben. Dies führt jedoch nicht dazu, daß ihr Arbeitsverhältnis nunmehr auf Grund der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubes wegen des zweiten Kindes ruht. Vielmehr bleibt es beim Ruhen des Arbeitsverhältnisses infolge des Erziehungsurlaubes wegen des ersten Kindes. Erst wenn dieser Erziehungsurlaub abgelaufen ist, schließt sich der weitere Erziehungsurlaub auf Grund des später geborenen Kindes bis längstens zur Vollendung dessen dritten Lebensjahres an.

Nur wenn die Klägerin ihren ersten Erziehungsurlaub zulässigerweise mit Zustimmung der Beklagten nach § 16 Abs. 3 Satz 1 BErzGG vorzeitig beendet hätte und sich daran ein erneuter Erziehungsurlaub auf Grund der Geburt ihres zweiten Kindes angeschlossen hätte, könnte zu ihren Gunsten die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc Zuwendungs-TV für die Zeit bis zur Vollendung des 12. Lebensmonates des zweiten Kindes eingreifen. Eine solche vorzeitige Beendigung des bis zum 28. September 1996 wegen ihres ersten Kindes beanspruchten Erziehungsurlaubes ist aber nicht erfolgt.

Entgegen der Meinung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich auch aus der tariflichen Entstehungsgeschichte nicht, daß es Wille der Tarifvertragsparteien gewesen ist zu gewährleisten, daß auch im Falle der Geburt eines weiteren Kindes während eines in Anspruch genommenen Erziehungsurlaubes eine Kürzung der tariflichen Zuwendung bis zur Vollendung des 12. Lebensmonates dieses weiteren Kindes unterbleiben solle.

Die ursprünglich in den Zuwendungs-TV eingefügten Regelungen, daß eine Verminderung der Zuwendung für die Monate unterbleibt, für die der Angestellte wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz keine Bezüge erhält, war zunächst auf den Zeitraum bis zur Vollendung des 10. Lebensmonates des Kindes beschränkt und wurde dann mit Wirkung ab dem 1. Januar 1986 auf den Zeitraum bis zur Vollendung des 12. Lebensmonates ausgedehnt.

Damit hatten die Tarifvertragsparteien den Zuwendungs-TV der jeweiligen Dauer des gesetzlichen Erziehungsurlaubes nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz angepaßt.

Der Umstand, daß die Tarifvertragsparteien den Zuwendungs-TV den später erfolgten Verlängerungen des gesetzlichen Erziehungsurlaubes bis zur Dauer von nunmehr drei Jahren nicht mehr angepaßt haben und sie nach wie vor an der Regelung festhalten, daß nur ein Erziehungsurlaub bis zur Vollendung des 12. Lebensmonates des Kindes für den Anspruch auf die tarifliche Zuwendung unschädlich ist, berechtigt nicht zu der Annahme, daß dies deshalb geschehen ist, um für Angestellte, die nach dem 12. Lebensmonat eines Kindes wegen der Geburt eines weiteren Kindes einen erneuten Anspruch auf Erziehungsurlaub erwerben und deren Erziehungsurlaub wegen des ersten Kindes zum Zeitpunkt der Geburt des zweiten Kindes noch nicht abgelaufen war, eine Verminderung des Zuwendungsanspruches zu vermeiden.

Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien die Anpassung des Ausnahmetatbestandes des § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc Zuwendungs-TV an die jeweiligen Verlängerungen des gesetzlichen Erziehungsurlaubes deshalb unterlassen haben, weil sie eine weitere finanzielle Belastung der öffentlichen Arbeitgeber auf Grund der vom Gesetzgeber vorgenommenen Verlängerungen des Erziehungsurlaubes nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz vermeiden wollten.

Eine über den Wortlaut hinausgehende, erweiternde Auslegung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, cc Zuwendungs-TV scheidet u.a. auch deshalb aus, weil es sich bei dieser Tarifnorm um einen Ausnahmetatbestand von dem in § 2 Abs. 2 Satz 1 Zuwendungs-TV enthaltenen Grundsatz handelt, daß für Monate, in denen der Angestellte keine Bezüge von seinem Arbeitgeber erhalten hat, eine anteilige Verminderung der tariflichen Zuwendung erfolgt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß tarifliche Ausnahmeregelungen grundsätzlich nicht extensiv, sondern eng auszulegen sind (BAGE 60, 219 = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 13. Januar 1981 - 6 AZR 678/78 - AP Nr. 2 zu § 46 BPersVG, m.w.N.).

Demnach steht der Klägerin für das Jahr 1995 kein Anspruch auf die geforderte tarifliche Zuwendung zu, so daß die entgegenstehende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts auch bezüglich des noch im Streit befindlichen Zahlungsanspruches zurückzuweisen war.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Matthes Dr. Jobs Böck

J. Wingefeld Thiel

 

Fundstellen

Haufe-Index 436665

BB 1997, 1592 (Leitsatz 1)

EBE/BAG Beilage 1997, Ls 181/97 (Leitsatz 1)

ARST 1997, 279-280 (Leitsatz 1 und Gründe)

FA 1997, 26 (Leitsatz 1)

NZA 1997, 1004

NZA 1997, 1004-1006 (Leitsatz 1 und Gründe)

Quelle 1997, Nr 11, 32 (Leitsatz 1)

SAE 1998, 189

ZTR 1997, 416-417 (Leitsatz 1 und Gründe)

AP § 15 BErzGG (Leitsatz 1), Nr 25

AP Nr 20 zu §§ 22, Zuwendungs-TV (Leitsatz 1 und Gründe)

AR-Blattei, ES 680 Nr 24 (Leitsatz 1 und Gründe)

ArbuR 1997, 373 (Leitsatz 1)

EzA-SD 1997, Nr 16, 21 (Leitsatz 1)

EzA § 611 BGB, Gratifikation, Prämie Nr 151 (Leitsatz 1 und Gründe)

EzBAT, TV Zuwendung Nr 36 (Leitsatz 1 und Gründe)

ZMV 1997, 253

ZMV 1997, 253-254 (Leitsatz 1, Kurzwiedergabe)

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