Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; BGB § 626; KSchG § 1; GG Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Brandenburg (Urteil vom 20.11.1992; Aktenzeichen 4 Sa 438/92) |
ArbG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 01.07.1992; Aktenzeichen 5 Ca 3268/91) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 20. November 1992 – 4 Sa 438/92 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die die Beklagte unter Berufung auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 5 Ziff. 2 EV) ausgesprochen hat.
Der im Jahre 1966 geborene Kläger absolvierte nach dem Besuch der zehnklassigen polytechnischen Oberschule eine Lehre als Maurer. Anschließend hätte er ab dem 1. Oktober 1985 den Wehrdienst bei der NVA ableisten müssen. Er erklärte sich bereit, den Wehrdienst stattdessen beim MfS abzuleisten, und verpflichtete sich auf Zeit für drei Jahre. Den sechsmonatigen Grundwehrdienst in dem zum MfS, Hauptabteilung Personenschutz, gehörenden Ausbildungsobjekt Kallinchen, einem Schieß- und Kfz-Übungsplatz, schloß er mit dem Dienstgrad eines Unteroffiziers ab. Bis Ende 1987 wurde er im Posten- und Wachdienst zur Kontrolle der in dem Ausbildungsobjekt ein- und ausgehenden Personen eingesetzt. Danach versah er Pförtnerdienst und war u.a. zuständig für die Schlüsselübergabe nach näher bezeichneten Anweisungen. Nach Ende der dreijährigen Verpflichtungszeit verblieb er ab dem 1. Oktober 1988 dort als hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter zur weiteren unbefristeten Tätigkeit. Im Oktober 1989 wurde er Oberfeldwebel.
Am 1. September 1986 hatte der Kläger ein Fernstudium an der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam-Eiche zur Erlangung des Fachschulabschlusses in der Fachrichtung Rechtswissenschaft aufgenommen. Im Dezember 1989 erwarb er die Berufsbezeichnung Fachschuljurist.
Am 1. Februar 1990 begann der Kläger eine Tätigkeit als Abfertigungsmitarbeiter bei der DDR-Zollverwaltung, seit Juli 1990 arbeitete er als Kontrolleur am Autobahngrenzkontrollpunkt Frankfurt/Oder.
Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 wurde der Kläger in die Dienste der Beklagten übernommen. Er machte noch im Oktober gegenüber der Beklagten Angaben über seine Tätigkeit für das MfS. Durch Erlaß vom 3. Januar 1991 erteilte der Bundesminister der Finanzen den Leitern der damaligen Aufbaustäbe näher bezeichnete Weisungen zur Fortsetzung bzw. Beendigung von Dienstverhältnissen mit ehemaligen Mitarbeitern des MfS/AfNS. Gemäß dem Schlußsatz des Erlasses war dieser allen Beschäftigten bekanntzugeben. Am 21. März 1991 führte der Vorsteher des Hauptzollamtes Frankfurt/Oder das vorgesehene Personalgespräch mit dem Kläger und leitete den hierüber gefertigten Vermerk an seine vorgesetzte Dienststelle. Der Kläger erhielt die Mitteilung, über die Fortsetzung seines Beschäftigungsverhältnisses werde das Ministerium entscheiden. Die Parteien schlossen dann am 4. Juni 1991 einen schriftlichen Arbeitsvertrag, wonach der Kläger vorbehaltlich der Zustimmung durch die Oberfinanzdirektion Cottbus ab dem 1. Januar 1991 auf unbestimmte Zeit beschäftigt werde und das Arbeitsverhältnis sich nach dem BAT-O bestimme. Zugleich legte der Kläger das Gelöbnis nach § 6 BAT-O ab.
Am 29. August 1991 wurde dem Kläger mündlich mitgeteilt, daß eine außerordentliche Kündigung beabsichtigt sei. Mit Schreiben vom 3. September 1991, dem Kläger am 11. September 1991 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf die Bestimmungen des Einigungsvertrages außerordentlich.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er hat vorgetragen, er habe nichts mit den operativen und konspirativen Aufgaben des MfS zu tun gehabt. Die Teilnahme an einer Fachschulausbildung habe er wahrgenommen, weil ihm dies angeboten worden sei. Mit dem Abschluß des Arbeitsvertrages am 4. Juni 1991 und der Abnahme des Gelöbnisses nach § 6 BAT-O habe die Beklagte ein etwaiges Recht zum Ausspruch einer Kündigung verwirkt.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 3. September 1991 nicht aufgelöst worden sei.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger sei als hauptamtlicher Mitarbeiter ein Teil des streng nach konspirativen Regeln arbeitenden MfS gewesen. Es sei untragbar, wenn dieser Personenkreis wieder im öffentlichen Dienst tätig werde. Gerade die Zollverwaltung repräsentiere den bundesdeutschen Staat in besonderem Maße nach außen. Der Kläger müßte mit hoheitlichen Aufgaben betraut und zudem alsbald in ein Beamtenverhältnis übernommen werden. Eine anderweitige Einsatzmöglichkeit sei nicht gegeben. Auch sei das Kündigungsrecht nicht verwirkt. Bereits der zeitliche Ablauf der maßgebenden Umstände schließe bei angemessener Würdigung der beiderseitigen Interessen eine Verwirkung aus. Für den Kläger habe angesichts der laufenden Untersuchungen kein Vertrauenstatbestand bestanden. Die Beklagte habe allein im Bereich des Hauptzollamtes Frankfurt/Oder in über 200 Fällen Einzelgespräche mit früheren MfS-Mitarbeitern führen müssen, um Entscheidungen über eine eventuelle Kündigung treffen zu können. Ein Großteil dieser Mitarbeiter sei wie der Kläger im Zuge der Auflösung des MfS in der DDR-Zollverwaltung untergebracht worden. Sollte die außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam sein, wäre sie jedenfalls als ordentliche Kündigung anzusehen und als solche rechtswirksam.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung zu Recht für wirksam erachtet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger sei bereits ab dem 1. Oktober 1985 für das frühere MfS im Sinne des Abs. 5 Ziff. 2 EV tätig gewesen. Spätestens nach Ablauf seiner Wehrdienstzeit sei er hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS geworden. Auch beim Bewachungsdienst sei er als Mitglied des „Repressionsapparates” für diesen tätig gewesen. Die Juristische Hochschule in Potsdam-Eiche habe als Ausbildungsstätte für Leitungskader des MfS gedient. Der dort erworbene Fachschulabschluß hätte dem Kläger als Voraussetzung für weitere Aufstiegsmöglichkeiten gedient.
Ein Festhalten am Arbeitsverhältnis des Klägers erscheine unzumutbar. Zwar sei zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, daß er seine Tätigkeit für das MfS relativ jung begonnen habe und zumindest anfangs weniger politische Grundüberzeugungen den Ausschlag hierfür gegeben haben dürften. Eher sei es um finanzielle Vorteile und insbesondere darum gegangen, keinen Wehrdienst in der NVA ableisten zu müssen. Auch habe sich die Tätigkeit im Bewachungs- und Pförtnerdienst der MfS-Anlage unterhalb der Offiziersränge nicht in einer herausgehobenen Position vollzogen. Möge das Maß der Verstrickung des Klägers daher nicht so hoch sein wie das von Mitarbeitern mit längerer Dienstzeit und höherem Dienstgrad, so sei diesen Umständen seine jetzige Tätigkeit, für die der Beamtenstatus vorgesehen sei, gegenüberzustellen. Der Kläger habe im Grenzzolldienst hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen und repräsentiere mit Dienstuniform und Hoheitsabzeichen den Staat. Die vordergründige Erscheinung der Verwaltung mit hoheitlichen Aufgaben sei erheblich beeinträchtigt, wenn diese Aufgaben nunmehr auch durch ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des MfS ausgeübt würden. Dessen operativ-konspiratives Ziel sei es u.a. gewesen, die Bundesrepublik zu unterminieren. Das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wäre nur erschwert zu gewinnen, wenn dieser Personenkreis nicht nur schlichtes Verwaltungshandeln innerhalb des öffentlichen Dienstes ausüben, sondern in hoheitlicher Funktion tätig würde. Der Kläger sei auch erst mit dem Beginn der Auflösung des MfS ausgeschieden.
Die Kündigung sei nicht durch eine Versetzung des Klägers auf einen Arbeitsplatz ohne hoheitliche Aufgaben zu vermeiden. Die Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, daß ein derartiger freier Arbeitsplatz nicht vorhanden sei. Der Kläger habe keine näheren Angaben darüber gemacht, wie und auf welchem freien Arbeitsplatz er sich eine weitere Tätigkeit bei der Beklagten vorstelle.
Die Kündigungsgründe seien auch nicht verwirkt. Die Oberfinanzdirektion Cottbus sei zum 1. Februar 1991 errichtet worden.
Erst danach habe neben dem Organisationsaufbau mit dem inhaltlichen Aufbau begonnen werden können. In über 200 Fällen seien Einzelgespräche zu führen gewesen. Das Vorgehen sei innerhalb des dreigliedrigen Verwaltungsaufbaus aufeinander abzustimmen gewesen. Diese Umstände seien dem Kläger bekannt gewesen. Er habe im September 1991 vom Zeitablauf her noch mit einer Kündigung rechnen müssen. Mit der schriftlichen Form des Arbeitsvertrags und der Ablegung des Gelöbnisses hätten die Parteien nur das vollzogen, was die §§ 4 und 6 des im öffentlichen Dienst üblicherweise geltenden BAT ausdrücklich vorsähen. Die Parteien hätten das ohnehin bestehende Arbeitsverhältnis damit lediglich auf eine näher bezeichnete Rechtsgrundlage gestellt. Daß dadurch bestehende Kündigungsgründe als ausgeschlossen zu betrachten seien, sei nicht ersichtlich.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
1. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Arbeitsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in der Anlage I zum Einigungsvertrag vereinbarten Kündigungsregelungen. Unstreitig hat das am 1. Februar 1990 mit der DDR-Zollverwaltung begründete Arbeitsverhältnis des Klägers beim Zugang der Kündigungserklärung mit der Beklagten fortbestanden. Das Landesarbeitsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß Art. 20 Abs. 1 EV Anwendung findet (vgl. Senatsurteile vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 274/93 – zu B 2 der Gründe und – 8 AZR 502/93 – zu II der Gründe, jeweils zur Veröffentlichung vorgesehen).
2. Die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung folgt nicht etwa daraus, daß die Beklagte bereits mehr als 2 Wochen vor der Kündigung von den maßgebenden Kündigungstatsachen Kenntnis erlangt hat. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß Abs. 5 Ziff. 2 EV auch insofern eine eigenständige Regelung darstellt, als Fristen, innerhalb derer die Kündigung auszusprechen sei, keine Anwendung finden. Das gilt für § 626 Abs. 2 BGB ebenso wie für § 54 Abs. 2 BAT-O, sofern es sich hierbei überhaupt um eine gegenüber § 626 Abs. 2 BGB eigenständige Regelung handelt (Senatsurteile vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – und – 8 AZR 474/91 – AP Nr. 1 und 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, zu A II 1 b bzw. B II 1 b der Gründe; Senatsurteile vom 22. April 1993 – 8 AZR 655/92 – und – 8 AZR 656/92 – jeweils n.v., zu II 4 der Gründe). Der Gesetzgeber hat abschließend festgelegt, was unzumutbar ist. Die Tarifvertragsparteien haben keine Möglichkeit, „günstigere” Regelungen in den Fällen zu treffen, in denen der Gesetzgeber die Frage der Unzumutbarkeit geregelt hat.
3. Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV im Ergebnis zutreffend bejaht.
a) Nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.
aa) Der Senat hat in den Urteilen vom 11. Juni 1992 (– 8 AZR 537/91 – und – 8 AZR 474/91 – AP Nr. 1 und 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) begründet, unter welchen Voraussetzungen dieser Kündigungstatbestand erfüllt ist:
Danach regelt Abs. 5 Ziff. 2 EV eigenständig und abschließend, unbeschadet von § 626 BGB, die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung im öffentlichen Dienst. Einer Ergänzung durch eine teilweise oder vollständige Anwendung des § 626 BGB bedarf es nicht. Nur eine bewußte Tätigkeit für das MfS kann die Kündigung rechtfertigen. Bei einer hauptberuflichen Mitarbeit im MfS ist diese Voraussetzung in der Regel erfüllt.
Da Abs. 5 Ziff. 2 EV die Unzumutbarkeit allein aus der früheren Tätigkeit herleitet, ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die frühere Tätigkeit ein Festhalten am (jetzigen) Arbeitsverhältnis noch zu rechtfertigen vermag. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt hierbei über die außerordentliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Der Grad der Belastung wird bei einem hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit durch seine Stellung sowie die Dauer seiner Tätigkeit bestimmt. Berücksichtigungsfähig sind weiterhin Zeitpunkt und Grund der Aufnahme und der Beendigung dieser Tätigkeit für die Staatssicherheit. Ebensowenig wie besondere Einzelakte oder Auswüchse der Tätigkeit des Beschäftigten von Abs. 5 Ziff. 2 EV als Kündigungsgrund vorausgesetzt werden, besteht Grund zu der Annahme, etwaige Begünstigungen einzelner Verfolgter der Staatssicherheit fielen besonders ins Gewicht.
Besondere Bedeutung kommt dem Merkmal „erscheint” zu. Damit hebt die Norm auf die vordergründige Erscheinung der Verwaltung mit diesem Mitarbeiter ab. Die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sollen nicht darin behindert werden, dauerhaftes Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu schaffen. Folglich korrespondiert die Notwendigkeit einer außerordentlichen Kündigung mit der Bedeutung der früheren Tätigkeit und der Stellung des Beschäftigten beim MfS. Je höher die Stellung oder je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist im Regelfall die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar.
bb) Der Frage, ob die frühere Tätigkeit ein Festhalten am jetzigen Arbeitsverhältnis noch zu rechtfertigen vermag, wohnt auch ein zeitliches Element inne. Zwar ist – wie ausgeführt – § 626 Abs. 2 BGB nicht anwendbar. Das bedeutet aber nicht, daß der Arbeitgeber die Kündigung zeitlich unbegrenzt aussprechen kann. § 626 Abs. 2 BGB stellt eine Konkretisierung des Gedankens dar, daß die Fortsetzung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses aufgrund von Zeitablauf zumutbar werden kann. Bereits im Regierungsentwurf zu § 626 Abs. 2 BGB wird in diesem Sinne ausgeführt, daß „bei einer längeren Hinauszögerung der Kündigung nach der Kenntniserlangung von dem Kündigungsgrund die für die sofortige Lösung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Unzumutbarkeit seiner Fortsetzung kaum angenommen werden kann” (BT-Drucks. V/3913, S. 11; in demselben Sinne BAGE 24, 341, 343 f. = AP Nr. 3 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, unter I 2 der Gründe; BAGE 24, 383, 393 f. = AP Nr. 4, a.a.O., zu II 2 a der Gründe; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 626 Rz 70, 81; MünchKomm – Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., § 626 Rz 163 f., 167; Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 626 Rz 85; Palandt/Putzo, BGB, 53. Aufl., § 626 Rz 30 f.). Die sofortige Lösung des Arbeitsverhältnisses nach längerer Zeit verbietet sich auch unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens. Der Kündigungsberechtigte darf einen Kündigungsgrund unabhängig von § 626 Abs. 2 BGB nicht beliebig lange zurückhalten, um davon bei ihm gut dünkender Gelegenheit Gebrauch zu machen. Diese Auslegung folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG, nach dem der Staat einen Mindestkündigungsschutz zur Verfügung stellen muß (BVerfG Beschluß vom 21. April 1994 – 1 BvR 14/93 – demnächst EzA Art. 20 Einigungsvertrag Nr. 32; BVerfGE 84, 133, 147 = AP Nr. 70 zu Art. 12 GG, zu C III 1 der Gründe). Auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 626 Abs. 2 BGB kann daher der wichtige Grund nach Abs. 5 Ziff. 2 EV durch bloßen Zeitablauf entfallen, ohne daß die weitergehenden Voraussetzungen der allgemeinen Verwirkung, wie das Vorliegen eines Umstandsmoments, erfüllt sein müßten.
Eine feste Zeitgrenze, ab wann keine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis mehr gegeben ist, besteht nicht. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist auf einmalige Vorfälle zugeschnitten und paßt wegen der besonderen Umstände der deutschen Wiedervereinigung nicht. Vielmehr bedarf es einer Prüfung, aus welchen Gründen nicht innerhalb der Zweiwochenfrist gekündigt wurde, sowie einer Abwägung des Zeitablaufs mit dem Gewicht der Kündigungsgründe. Maßgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalles. Das Erscheinungsbild der Verwaltung wird mitgeprägt von der Zeitdauer, die der frühere MfS-Mitarbeiter nach der Wiedervereinigung unbeanstandet tätig war (Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 157/93 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu II 3 a, bb der Gründe).
b) Das Landesarbeitsgericht hat diese Maßstäbe nur zum Teil zugrunde gelegt. Es hat das Zeitmoment im Rahmen des wichtigen Grundes nicht berücksichtigt. Die Ausführungen zur Verwirkung ergeben jedoch die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis auch im Hinblick auf den Zeitablauf bis zur Kündigung.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, daß der Kläger vom 1. Oktober 1985 bis Januar 1990 für das frühere MfS tätig war. Auch der bloße Wehrdienst beim MfS stellt eine Tätigkeit für das MfS dar, die freilich ein Festhalten am Arbeitsverhältnis in aller Regel nicht unzumutbar erscheinen läßt. Der Kläger hat dann seinen Maurerberuf zugunsten einer hauptberuflichen Mitarbeit beim MfS aufgegeben. Daß er bewußt für das MfS tätig war, ist zwischen den Parteien unstreitig.
bb) Die Tätigkeit des Klägers für das MfS hat zum Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens ein Festhalten am Arbeitsverhältnis für die Beklagte unzumutbar erscheinen lassen. Insoweit sind dem Landesarbeitsgericht keine Rechtsfehler unterlaufen.
Die besonderen Umstände des Falles einschließlich der für das MfS erbrachten und der im Kündigungszeitpunkt arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten werden in dem angefochtenen Urteil umfassend gewürdigt. Das Berufungsgericht hat die zugunsten des Klägers sprechenden Umstände beachtet und insbesondere zutreffend herausgestellt, der Kläger habe keine herausgehobene Position innegehabt. Jedoch war mit dem Fachschulabschluß ein weiterer Aufstieg des Klägers beim MfS bereits angelegt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dem Wach- und Pförtnerdienst „Außenwirkung” zukommt. Der Kläger hatte nicht bloß einfache technische Hilfsdienste zu verrichten, wie das bei bestimmten Handwerkern, bei Schreibkräften oder Küchenhilfen der Fall gewesen sein mag. Vielmehr war er als Wachmann und Pförtner erkennbar nach außen hin für die Sicherheit der MfS-Anlage zuständig. Dabei handelte es sich immerhin um das Ausbildungszentrum für den Personen- und Objektschutz. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, der Bewachungsdienst des MfS habe außerhalb des Repressionsapparates gestanden.
Die Unzumutbarkeit eines Festhaltens am Arbeitsverhältnis muß zwar allein aus der früheren Tätigkeit resultieren, zugleich aber im Hinblick auf die jetzige Tätigkeit bestehen. Insofern wäre eine Weiterbeschäftigung des Klägers im öffentlichen Dienst nicht generell unzumutbar (vgl. auch BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 415/92 – n.v., zu B II 3 b der Gründe). Andererseits ist seine frühere Tätigkeit geeignet, die Unzumutbarkeit zu begründen. Das Berufungsgericht hat zutreffend auf die hoheitlichen Aufgaben des Klägers im Grenzzolldienst und auf das Erscheinungsbild der Verwaltung abgestellt. Als Zöllner hätte der Kläger dem Bürger als Repräsentant der Staatsgewalt gegenüberzutreten. Die Annahme des Berufungsgerichts, das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung würde hierdurch beeinträchtigt, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Zusätzlich würde das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat leiden, wenn der generellen Unterbringung gerade von MfS-Angehörigen, die in abzuwickelnden Einrichtungen beschäftigt waren, dauerhafter Erfolg beschieden wäre.
cc) Es bedarf keiner Entscheidung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer mit Erfolg geltend machen kann, der öffentliche Arbeitgeber müsse ihn auf einem anderen (weniger sensiblen) Arbeitsplatz, etwa auch in einer anderen Einrichtung, beschäftigen. Denn der Kläger beruft sich auf eine solche Möglichkeit nicht, und ein entsprechender freier Arbeitsplatz ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unstreitig nicht vorhanden.
dd) Die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis trotz des Zeitablaufs bis zur Kündigung ergibt sich aus den vom Landesarbeitsgericht angeführten Erwägungen zur Verwirkung.
Aus der Tatsache, daß der Kläger mit Inkrafttreten des Einigungsvertrags zunächst übernommen worden ist, kann nichts zu seinen Gunsten hergeleitet werden. Bei der Vielzahl der auf eine weitere Verwendbarkeit zu überprüfenden Arbeitnehmer konnte nicht geschlossen werden, die bloße Übernahme garantiere bereits ein endgültiges Verbleiben bei der Behörde. Bis zur Kündigung verging dann nahezu ein Jahr, ein Zeitraum, der die Unzumutbarkeit durchaus entfallen lassen kann. Zu berücksichtigen sind aber die besonderen Umstände im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und dem Aufbau einer funktionierenden Verwaltung im Beitrittsgebiet. Diese Umstände waren dem Kläger nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts bekannt. Der Kläger mußte daher zunächst das vorgesehene Personalgespräch abwarten, das am 21. März 1991 und damit noch nach angemessener Zeit stattfand. Wie ihm mitgeteilt wurde, war dann die Entscheidung des Ministeriums abzuwarten. Der Kläger konnte nicht davon ausgehen, der Abschluß des Arbeitsvertrages nebst Abnahme des Gelöbnisses am 4. Juni 1991 beruhten auf einer solchen (positiven) Entscheidung. Weil nicht davon die Rede war, daß das Ministerium entschieden habe, mußte der Kläger damit rechnen, daß es nur darum ging, den Arbeitsvertrag in eine schriftliche Form zu bringen und das Arbeitsverhältnis auf die Grundlage des BAT zu stellen. Mehr enthält die Vertragsurkunde auch nicht. Die Ablegung des Gelöbnisses entspricht dem § 6 BAT-O. Die Vorgehensweise am 4. Juni 1991 war sinnvoll und notwendig, auch wenn noch nicht abschließend über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses entschieden war. Sie stellt kein widersprüchliches Verhalten dar. Das mußte auch der Kläger redlicherweise erkennen. Die Kündigungsmitteilung Ende August 1991 und die Kündigung im September 1991 erfolgten dann noch so rechtzeitig, daß der Kläger nicht darauf vertrauen durfte, die Beklagte werde sich nun trotz vorhandener Kündigungsgründe nicht mehr für eine Kündigung entscheiden. Der Beklagten ist auch bei Kenntnis des wesentlichen Sachverhalts ein angemessener Zeitraum für dessen Bewertung und die Prüfung der Akzeptanz einer Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmergruppen einzuräumen. Ihr ist zuzugestehen, in Abwägung der betroffenen Interessen das Meinungsbild in der Öffentlichkeit, das sich naturgemäß erst nach Ablauf einer gewissen Zeit bildet, mit zu berücksichtigen. Der Kläger konnte daher bis September 1991 noch kein berechtigtes Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, die Beklagte habe abschließend zu seinen Gunsten entschieden oder werde keine Entscheidung mehr treffen.
4. Das Kündigungsrecht ist nicht verwirkt. Da der Zeitablauf bis zur Kündigung nicht zur Zumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis geführt hat, liegen auch die weitergehenden Voraussetzungen der Verwirkung nicht vor.
III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Morsch, Hennecke
Fundstellen