Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilnichtigkeit eines Tarifvertrages
Leitsatz (redaktionell)
Ist eine Tarifnorm auf einen Teil des von ihr erfaßten Personenkreises wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nicht anwendbar, so beeinträchtigt dies ihre Geltung für den übrigen Personenkreis jedenfalls dann nicht, wenn anzunehmen ist, daß die Tarifvertragsparteien die Regelung auch für diesen allein gewollt hätten (im Anschluß an BAG Urteil vom 21. August 1984 - 3 AZR 565/83 - DB 1985, 815).
Orientierungssatz
Nachwirkung (des gekündigten Tarifvertrags der AOK Bonn vom 12.7.1971 über die Gewährung von Fahrkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte) für den Bereich der Tarifangestellten.
Normenkette
TVG §§ 1, 4 Abs. 5
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 02.12.1982; Aktenzeichen 10 Sa 625/82) |
ArbG Bonn (Entscheidung vom 19.05.1982; Aktenzeichen 4 Ca 832/82) |
Tatbestand
Zwischen den Parteien besteht Streit, ob die Beklagte aufgrund Tarifvertrags verpflichtet ist, über den 31. Dezember 1981 hinaus einen Fahrtkostenzuschuß von monatlich 33,-- DM an die Klägerin zu zahlen.
Die Klägerin ist als Angestellte bei der Beklagten tätig. Das Arbeitsverhältnis unterliegt kraft beiderseitiger Tarifbindung den Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages für die Ortskrankenkassen (BAT/OKK) vom 25. August 1981 und den diesen ändernden oder ergänzenden Tarifvorschriften.
Unter dem 12. Juli 1971 schlossen der Vorstand der Beklagten und die Gewerkschaft ÖTV, Kreisverwaltung Bonn, einen Tarifvertrag über die Gewährung von Fahrtkosten an die Bediensteten und Auszubildenden der Beklagten. Nach diesem Tarifvertrag hat die Beklagte ihrem Arbeitnehmer für jeden Tag, an dem er tatsächlich gearbeitet hat, einen Zuschuß zu den Kosten einer Hin- und Rückfahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstelle zu zahlen. Der Arbeitnehmer hat einen Eigenanteil in Höhe von 15,-- DM monatlich selbst zu tragen.
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen betreibt seit einigen Jahren die Anpassung der Bezüge von Bediensteten der Sozialversicherungsträger, insbesondere im Hinblick auf Fahrtkostenzuschüsse und Essenszuschüsse, an die Vergütungsregelung für Landesbedienstete im Lande Nordrhein-Westfalen. Er hat mit einem Erlaß vom 22. Mai 1981 an die Versicherungsämter des Landes unter Hinweis auf die gesetzlichen Vorschriften und die Rechtsprechung der Arbeits- und Sozialgerichte die Auffassung vertreten, daß den Angestellten und Lohnempfängern im Hinblick auf das zwingende gesetzliche Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung (SGB Teil IV § 69 Abs. 2) keine Fahrtkosten erstattet werden könnten, und zugleich die Versicherungsämter als untere Aufsichtsbehörde gebeten, entsprechende Überprüfungen durchzuführen und darüber zu berichten. Sodann hat der Minister mit Erlaß vom 15. Juli 1981 das Versicherungsamt der Stadt Bonn gebeten, die Beklagte dahingehend zu beraten, daß sie unverzüglich die tarifvertraglichen Vereinbarungen zur Fahrtkostenerstattung an BAT-Angestellte kündigen möge.
Der Vorstand der Beklagten hat mit Schreiben vom 22. September 1981 auf eine entsprechende Aufforderung des Versicherungsamtes den Tarifvertrag über die Fahrtkostenzuschüsse fristgemäß zum 31. Dezember 1981 gekündigt und allen Bediensteten mitgeteilt, daß sie diese Zahlungen mit dem 1. Januar 1982 einstellen werde. Die Beklagte hat die Fahrtkostenzuschüsse ab 1. Januar 1982 nicht mehr ausgezahlt.
Die Klägerin hat mit ihrer am 19. März 1982 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage unter Hinweis auf § 4 Abs. 5 TVG die Fortzahlung des monatlichen Fahrtkostenzuschusses geltend gemacht. Sie hat u.a. die Auffassung vertreten, der Abschluß eines Tarifvertrages über Fahrtkostenzuschüsse verstoße nicht gegen zwingendes Gesetzesrecht, so daß der gekündigte Tarifvertrag unter die Nachwirkung des § 4 Abs. 5 TVG falle. Bei der Vorschrift des § 69 Abs. 2 SGB IV handele es sich nicht um eine zwingende Gesetzesnorm, die den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kernbereich der Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien einschränken könne. Die Tarifautonomie müsse insbesondere deshalb geschützt werden, weil tarifliche Ansprüche nicht zur Disposition einer Aufsichtsbehörde bei wechselnder Wirtschaftslage gestellt werden dürften. Die Änderung der Wirtschaftslage gebe den Parteien des Tarifvertrages lediglich das Recht der Kündigung, um auf dem Verhandlungswege zu einem entsprechend angepaßten Tarifvertrag zu kommen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie den Fahrt-
kostenzuschuß in Höhe von monatlich 33,-- DM
über den 31. Dezember 1981 hinaus fortzuzahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, im Hinblick auf die gesetzlichen Grundsätze über die sparsame und wirtschaftliche Verwendung ihrer Mittel (§ 69 Abs. 2 SGB IV) sei sie aufgrund des ministeriellen Erlasses und des Hinweises des Versicherungsamtes verpflichtet, mit dem Ablauf der Kündigungsfrist des Tarifvertrages die Zahlung des Fahrtkostenzuschusses einzustellen. § 69 Abs. 2 SGB IV enthalte ein gesetzliches Verbot, Fahrtkosten zu zahlen, gegen das der Tarifvertrag vom 12. Juli 1971 verstoße; dies habe die Nichtigkeit der Tarifnorm und damit auch den Ausschluß ihrer Nachwirkung zur Folge.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat ausgeführt, der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Sinne des § 69 Abs. 2 SGB IV könne nicht als eine die Tarifautonomie einschränkende Gesetzesvorschrift verstanden werden; eine Nachwirkung der Rechtsnormen des Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG sei deshalb nicht ausgeschlossen.
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Stadt Bonn ist dem Rechtsstreit in der Berufungs- und Revisionsinstanz unter Bezugnahme auf das Vorbringen und die Anträge der Beklagten als Nebenintervenientin beigetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im wesentlichen begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Klage sei unbegründet. Die Nachwirkung des Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG sei bei zutreffender Auslegung schon durch den Tarifvertrag selbst ausgeschlossen. Jedenfalls sei der vorliegende Fall nach den unstreitigen tatsächlichen Gegebenheiten analog § 4 Abs. 5 TVG so zu beurteilen, als wäre der genannte Tarifvertrag durch eine Abmachung ersetzt, die alle aus ihm hergeleiteten Ansprüche mit dem Ablauf der Kündigungsfrist ersatzlos aufhebe.
Die zuvor angeführte Auslegung des Tarifvertrages rechtfertige sich wie folgt: Die Nachwirkung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus sei abdingbar. Die Tarifvertragsparteien könnten die Nachwirkung von vornherein oder durch einen nachträglichen Tarifvertrag ausschließen. Dies müsse nicht unbedingt ausdrücklich geschehen, vielmehr könne ein entsprechender Wille der Tarifvertragsparteien auch durch Auslegung des Tarifvertrages ermittelt werden. Eine solche Auslegung werde man um so mehr dann befürworten können, wenn für den Ausschluß der Nachwirkung sachliche Gründe vorlägen, und insbesondere dann, wenn eine sachliche Neuordnung der tariflichen Ansprüche auf Dauer ausgeschlossen sei, weil der Fortbestand einer gleichlautenden Regelung gegen höherrangiges Recht verstoße.
Der Beklagten sei es nicht gestattet, ihre Haushaltsmittel dafür zu verwenden, ihre Bediensteten besser zu vergüten als vergleichbare Beamte, Angestellte und Arbeiter des sonstigen öffentlichen Dienstes. Diese kämen seit Jahren nicht mehr in den Genuß eines vergleichbaren Fahrtkostenzuschusses. Nach einer Reihe von Rechtsstreitigkeiten sei ferner höchstrichterlich geklärt, daß den Beamten und den Dienstordnungsangestellten der Sozialversicherungsträger keine derartigen Zuschüsse gezahlt werden dürften.
Die Abschaffung der Fahrtkostenzuschüsse im öffentlichen Dienst und die entscheidende Verknappung der Haushaltsmittel seien die Gründe gewesen, mit denen für Beamte und Dienstordnungsangestellte der Sozialversicherungsträger die Abschaffung des Fahrtkostenzuschusses gerechtfertigt worden sei. Würde dieser Zuschuß nun allein wegen der Nachwirkung des Tarifvertrages nur an Angestellte weitergezahlt, läge darin eine Bevorzugung, die eine Gefahr für den Betriebsfrieden beinhalten könne. Auch wenn man grundsätzlich davon ausgehe, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz keine Gleichstellung der Arbeitsbedingungen von Dienstordnungsangestellten mit den Arbeitsbedingungen der BAT-Angestellten gebiete, müßten sich alle diejenigen ohne sachlichen Grund schlechtergestellt fühlen, denen die gleichen Leistungen mit gleichlautender Begründung durch einseitige Anordnungen längst gestrichen worden seien. Gerade dadurch, daß mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern (2. BesVNG) vom 23. Mai 1975 die genannten Anspruchskürzungen seitens der Aufsichtsbehörden auch gegen den Willen der jeweiligen Sozialversicherungsträger erfolgreich durchgesetzt worden seien, sei eine weitere einschneidende Änderung der Voraussetzungen eingetreten, unter denen der Tarifvertrag vom 12. Juli 1971 geschlossen worden sei.
Die Kündigungsklausel des Tarifvertrages sei unter diesen Umständen einschränkend und für diesen Fall ergänzend dahin auszulegen, daß nach fristgerechter Kündigung die Nachwirkung entfallen solle, wenn die Kündigung seitens des Arbeitgebers von der Aufsichtsbehörde veranlaßt worden sei, um ebenso wie bei Beamten und Dienstordnungsangestellten sowie in Übereinstimmung mit dem sonstigen öffentlichen Dienst die Zahlung der Fahrtkostenzuschüsse endgültig zu beseitigen. Diese Auslegung der Kündigungsklausel sei auch unter dem Gesichtspunkt zu rechtfertigen, daß Tarifverträge bekanntlich wie Gesetze "objektiv" auszulegen seien. Der festgestellte Wille der Tarifvertragsparteien sei in dem Tarifvertrag selbst dadurch angedeutet, daß der persönliche Geltungsbereich nicht auf die BAT-Angestellten, um die es hier gehe, beschränkt sei, sondern alle "Bediensteten" der Beklagten umfasse.
Selbst wenn man dieser Auslegung des Tarifvertrages nicht folge, sei im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß die nachwirkenden Rechtsnormen des Tarifvertrages mit dem 1. Januar 1982 durch eine Regelung ersetzt worden seien, die den eingeklagten Anspruch auf Fahrtkostenzuschuß ersatzlos beseitige. Diese Analogie sei ohne eine entsprechende Vereinbarung der Tarifvertragsparteien und ohne sonstige "Abmachungen" auf einzelvertraglicher Ebene gerechtfertigt.
Es sei rechtlich wie tatsächlich ausgeschlossen, daß eine von dieser "Null-Lösung" abweichende tarifvertragliche Regelung zustande komme, wenn die Tarifvertragsparteien über die Ansprüche aus der Zeit nach Ablauf des Tarifvertrages tatsächlich verhandelten. Die Beklagte sei durch die zwingende gesetzliche Vorschrift des § 69 Abs. 2 SGB IV zur sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung gehalten und infolge der ministeriellen Anordnungen und der "Beratung" seitens des zuständigen Versicherungsamtes gezwungen, nur dieser Lösung zuzustimmen. Eine abweichende Regelung des Tarifvertrages müßte insoweit dem vorrangigen zwingenden Gesetzesrecht weichen. Es sei nicht einzusehen, weshalb dasselbe nicht von vornherein für die lediglich nachwirkenden Rechtsnormen des Tarifvertrages vom 12. Juli 1971 gelten solle, nachdem die Aufsichtsbehörde bereits den Weg der entsprechenden "Beratung" nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV entsprechend der Weisung des Ministeriums beschritten habe. Im Interesse der Versichertengemeinschaft, um deren Belange es im Rahmen der Anwendung des § 69 Abs. 2 SGB IV gehe, dürfe es im Ergebnis keinen Unterschied machen, wenn ein Sozialversicherungsträger anders als die Beklagte dieser Beratung nicht folge und zunächst die weiteren Aufsichtsmaßnahmen und das Ergebnis einer Aufsichtsklage abwarte. Da auch die Gewerkschaften in den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherungsträger vertreten seien, dürfe man letztlich sogar entsprechend § 162 Abs. 1 BGB ihre Zustimmung zur ersatzlosen Beseitigung der Nachwirkung unterstellen. Dies sei keine Einschränkung der Tarifautonomie, sondern eine Feststellung, die durch den gesetzlichen Umfang des Selbstverwaltungsrechtes der Beklagten in Personalangelegenheiten verfassungsgemäß abzuleiten sei.
II. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann weder in der Begründung noch im Ergebnis gefolgt werden. Der Klägerin steht gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Anspruch auf monatlichen Fahrtkostenzuschuß nach Maßgabe des Tarifvertrages vom 12. Juli 1971 über den 31. Dezember 1981 hinaus zu, da dessen Rechtsnormen nach Ablauf des Tarifvertrages am 31. Dezember 1981 gemäß § 4 Abs. 5 TVG weitergelten.
1. Soweit das Landesarbeitsgericht die Auffassung vertritt, die Kündigungsklausel des Tarifvertrages sei einschränkend dahingehend auszulegen, nach fristgerechter Kündigung solle die Nachwirkung entfallen, wenn die Kündigung seitens des Arbeitgebers von der Aufsichtsbehörde veranlaßt worden sei, um die Fahrtkostenzuschüsse endgültig zu beseitigen, kann dem nicht gefolgt werden.
Zwar ist dem Landesarbeitsgericht im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, daß die Nachwirkung eines Tarifvertrages über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus abdingbar ist und die Tarifvertragsparteien die Nachwirkung von vornherein oder durch einen nachträglichen Tarifvertrag ausschließen können (vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 4 Rz 62; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band II, 1. Halbband, S. 544; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 198). Ausdrücklich ist von den Tarifvertragsparteien eine Nachwirkung des Tarifvertrages nicht ausgeschlossen worden, es fehlt an einer entsprechenden Regelung. Weil der Ausschluß der Nachwirkung im Tarifvertrag eine Ausnahme darstellt, muß gefordert werden, daß die Tarifvertragsparteien, wenn sie ihn wollen, dies klar und unmißverständlich zum Ausdruck bringen. Derartige Abreden sind nicht nur für die Tarifvertragsparteien, sondern auch für die Tarifunterworfenen im Hinblick auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung.
Soweit das Landesarbeitsgericht ausführt, die Tarifvertragsparteien könnten nach dem Sinn des Tarifvertrages nicht gewollt haben, daß der Tarifvertrag vom 12. Juli 1971 eines Tages nur noch für die BAT-Angestellten weitergelte, läßt es die Grundsätze zur Auslegung von Tarifverträgen unbeachtet.
Nach allgemeinen Grundsätzen hat sich die Tarifauslegung insbesondere am Tarifwortlaut, am tariflichen Gesamtzusammenhang und am Sinn und Zweck der Tarifnorm zu orientieren. Der Wille der Tarifvertragsparteien kann im Hinblick auf das Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG nur insoweit berücksichtigt werden, als er im Tarifvertrag erkennbar Ausdruck gefunden hat (vgl. u.a. BAG Urteil vom 22. Januar 1960 - 1 AZR 449/57 - AP Nr. 96 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 19. April 1963 - 1 AZR 160/62 - AP Nr. 3 zu § 52 BetrVG; BAG Urteil vom 2. Juni 1961 - 1 AZR 573/59 - BAG 11, 135, 137 = AP Nr. 68 zu Art. 3 GG; BAG Urteil vom 19. Februar 1965 - 1 AZR 237/64 - BAG 17, 95, 103 ff. = AP Nr. 4 zu § 8 TVG, zu IV 1 der Gründe; BAG Urteil vom 26. April 1966 - 1 AZR 242/65 - BAG 18, 278, 282 ff. = AP Nr. 117 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 9. Juli 1980 - 4 AZR 560/78 - AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seeschiffahrt; BAG 39, 321 = AP Nr. 55 zu § 616 BGB).
Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung, ein entsprechender Wille der Tarifvertragsparteien sei im Tarifvertrag selbst dadurch angedeutet, daß der persönliche Geltungsbereich nicht auf die BAT-Angestellten beschränkt sei, sondern alle "Bediensteten" der Beklagten umfasse. Aus dem verwendeten Begriff "Bedienstete" kann jedoch nicht ein derart weitgehender Schluß gezogen werden, daß die Nachwirkung des Tarifvertrages ausgeschlossen ist; weder der Wortlaut noch der systematische Zusammenhang geben für eine derartige Auslegung Anlaß. Auch weitere Auslegungskriterien wie eine entsprechende Tarifgeschichte oder eine entsprechende Tarifübung lassen vorliegend nicht den Schluß zu, die Nachwirkung des Tarifvertrages sei gemäß § 4 Abs. 5 TVG ausgeschlossen.
2. Weiterhin stützt das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung darauf, daß die nachwirkenden Rechtsnormen des Tarifvertrages mit dem 1. Januar 1982 durch eine Regelung ersetzt seien, die den eingeklagten Anspruch auf Fahrtkostenzuschuß ersatzlos beseitige. In der Beteiligung der Gewerkschaften in den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherungsträger müsse die Zustimmung zur ersatzlosen Streichung des Fahrtkostenzuschusses gesehen werden. Das Landesarbeitsgericht führt in diesem Zusammenhang aus, die Beklagte als der eine der beiden Tarifpartner sei durch die zwingende gesetzliche Vorschrift des § 69 Abs. 2 SGB IV zur sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung gehalten und deshalb gezwungen, nur dieser Lösung zuzustimmen. Damit ist das Landesarbeitsgericht im Ergebnis der Auffassung, die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IV führe zum Ausschluß der Nachwirkung.
a) Die vertragsschließenden Parteien des Tarifvertrages sind tariffähig im Sinne von § 2 Abs. 1 TVG (zur Tariffähigkeit der AOK Bonn vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, aaO, § 2 Rz 66, 67). Sie konnten daher den Tarifvertrag vom 12. Juli 1971 wirksam abschließen. Beim Tarifvertragsabschluß haben sie sich jeweils der gesetzlichen Schriftform des § 1 Abs. 2 TVG bedient. Auch sind Fahrtkostenzuschüsse einer tarifvertraglichen Regelung nach § 1 Abs. 1 TVG zugänglich.
Die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ist nicht unbeschränkt. Sie unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes, soweit es zwingenden Charakter hat. Tarifliche Normen sind daher insoweit unwirksam, als sie gegen zwingendes staatliches Recht verstoßen (BAG 31, 381, 388 = AP Nr. 49 zu § 611 BGB Dienstordnungsangestellte m.w.N.).
b) § 69 Abs. 2 SGB IV stellt jedoch kein zwingendes staatliches Gesetzesrecht dar, das der Wirksamkeit des Tarifvertrages oder seiner Nachwirkung entgegenstehen könnte (ebenso bereits BAG Urteil vom 26. September 1984 - 4 AZR 343/83 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
"Bei der Aufstellung und Ausführung des Haushalts-
plans hat der Versicherungsträger sicherzustellen,
daß er die ihm obliegenden Aufgaben unter Berück-
sichtigung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit
und Sparsamkeit erfüllen kann."
Bereits eine wörtliche Auslegung ergibt, daß die Bestimmung des § 69 Abs. 2 SGB IV ausschließlich haushaltsrechtlichen Charakter hat. Sie verpflichtet lediglich die Versicherungsträger, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes die in ihr festgelegten Grundsätze zu beachten; sie eröffnet zugleich der staatlichen Aufsichtsbehörde Maßnahmen zum Einschreiten, wenn diese haushaltsrechtlichen Grundsätze nicht beachtet werden.
Die wörtliche Auslegung wird durch eine systematische Auslegung bestätigt. Die Vorschrift ist im dritten Titel des SGB IV enthalten, in dem das "Haushalts- und Rechnungswesen" geregelt wird. § 68 Abs. 2 SGB IV bestimmt, daß durch den Haushaltsplan
"Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet
noch aufgehoben werden".
Der Haushaltsplan vermag zivilrechtliche Ansprüche weder zu begründen noch zivilrechtlich wirksam begründete Verbindlichkeiten rechtlich auszuschließen. § 69 Abs. 2 SGB IV stellt somit kein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB dar. Rechtsgeschäfte, die den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung zuwiderlaufen, sind nicht unwirksam (vgl. Soergel/Siebert/Hefermehl, BGB, 11. Aufl., § 134 Rz 2 ff.). Der Tarifvertrag ist somit wirksam begründet worden. Sein normativer Teil gilt daher gemäß § 4 Abs. 1 TVG bis zur Kündigung durch die Beklagte unmittelbar und zwingend. Die rechtliche Konsequenz der Nachwirkung folgt aus der Bestimmung des § 4 Abs. 5 TVG.
Der haushaltsrechtlichen Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IV kommt auch nicht etwa deshalb materiell-rechtliche Wirkung zu, weil Gewerkschaften in den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherungsträger beteiligt sind (vgl. § 48 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV). Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit richten sich ausschließlich an die Sozialversicherungsträger sowie an die entsprechenden staatlichen Aufsichtsbehörden; sie entfalten keinerlei "Außenwirkung" (vgl. BSGE 31, 247, 256; BSGE 47, 127, 130; BSG Urteil vom 26. August 1983 - 8 RK 29/82 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die vorgenannten haushaltsrechtlichen Grundsätze verpflichten lediglich die Sozialversicherungsträger, bei allen Maßnahmen die günstigste Relation zwischen dem verfolgten Zweck und den einzusetzenden Mitteln anzustreben (Wirtschaftlichkeit) und die einzusetzenden Mittel auf den für die Erfüllung der Aufgaben unbedingt notwendigen Umfang zu beschränken (Sparsamkeit; vgl. zum Vorstehenden Grüner/Dalichau/-Podlech/Prochnow, Sozialgesetzbuch, SGB IV. 1/3, § 69 Anm. I und III; Hauck/Haines, SGB IV, § 69 Rz 1, 2, 9, 11; Krause/von Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV, § 69 Rz 5, 6, 7). Die Rechtswirkung des § 4 Abs. 5 TVG vermögen sie nicht auszuschließen.
3. Die Revisionserwiderungen der Beklagten und der Nebenintervenientin verteidigen das angefochtene Urteil vor allem mit der Erwägung, der Tarifvertrag vom 12. Juli 1971 sei insgesamt nichtig, weil er durch den Begriff "Bedienstete" auch die Dienstordnungs-Angestellten der Beklagten in seinen Geltungsbereich einbeziehe, für diesen Personenkreis aber die Gewährung von Fahrtkostenzuschüssen in der Dienstordnung der Beklagten nicht vorgesehen und daher gemäß § 357 Abs. 3 RVO unzulässig sei. Diese Erwägung greift schon deshalb nicht durch, weil selbst eine Nichtigkeit des Tarifvertrages vom 12. Juli 1971 hinsichtlich der Dienstordnungs-Angestellten nicht zu einer Nichtigkeit des Tarifvertrags insgesamt führen würde.
Zwar ist die Regelungszuständigkeit der Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Dienstordnungs-Angestellten der Sozialversicherungsträger nach dem Urteil des Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 26. September 1984 (- 4 AZR 608/83 - zur Veröffentlichung bestimmt), dem der erkennende Senat folgt, durch die Dienstordnung beschränkt. Dabei kann dahinstehen, ob dies zur Nichtigkeit einer von der Dienstordnung abweichenden Tarifbestimmung oder lediglich zu ihrem Zurücktreten hinter die Dienstordnung als der stärkeren Rechtsquelle führt. Denn jedenfalls beeinträchtigt die Dienstordnung nur die Geltung des Tarifvertrags hinsichtlich der Dienstordnungs-Angestellten; hinsichtlich der übrigen Angestellten bleibt der Tarifvertrag selbst dann anwendbar, wenn er hinsichtlich der Dienstordnungs-Angestellten nichtig sein sollte.
a) Unabhängig davon, ob man die Frage der Auswirkungen einer Teilnichtigkeit eines Tarifvertrages auf seinen übrigen Inhalt über § 139 BGB (vgl. z.B. Herschel, Teilnichtigkeit kollektiver Regelungen, BB 1965, 791) oder über die Grundsätze der Teilnichtigkeit von Gesetzen (vgl. Wiedemann/Stumpf, aaO, § 1 Rz 110) zu lösen sucht, beeinträchtigt die Unanwendbarkeit einer Tarifnorm auf einen Teil des von ihr erfaßten Personenkreises ihre Geltung für den Rest dieses Personenkreises jedenfalls dann nicht, wenn anzunehmen ist, daß die Tarifvertragsparteien die Regelung auch für diesen restlichen Personenkreis allein gewollt hätten (ebenso für den vergleichbaren Fall einer zeitweiligen Unwirksamkeit von Tarifnormen BAG Urteil vom 21. August 1984 - 3 AZR 565/83 - zur Veröffentlichung bestimmt).
b) Für den Tarifvertrag vom 12. Juli 1971 ist anzunehmen, daß er auch für die Tarifangestellten allein geschlossen worden wäre. Zwischen der Rechtsstellung der Dienstordnungs-Angestellten und der Tarifangestellten bestehen auch in anderen Fragen erhebliche Unterschiede. Es kann daher nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien hätten für beide Gruppen nur eine einheitliche Regelung gewollt. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderungen bleibt die vorliegende Tarifregelung auch dann eindeutig, wenn sie nur für die Tarifangestellten gilt, denn diese sind von den Dienstordnungs-Angestellten klar abgrenzbar.
III. Die Klage hat allerdings nicht im Umfange des auf Zahlung gerichteten Klageantrags, sondern nur im Umfange eines Feststellungsbegehrens Erfolg.
1. Soweit die Klägerin von der Beklagten künftige Zahlung noch nicht fälliger Fahrtkostenzuschüsse verlangt, mag dahinstehen, ob die Klage überhaupt zulässig ist. Angesichts der im Tarifvertrag bestimmten Abhängigkeit des Fahrtkostenzuschusses von der tatsächlichen Arbeitsleistung liegen die Voraussetzungen der §§ 257, 258 ZPO nicht vor; wegen des damit verbundenen erst künftigen Entstehens des Anspruchs ist auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 259 ZPO zumindest zweifelhaft.
2. Jedenfalls ist die Zahlungsklage nicht schlüssig, und zwar sowohl hinsichtlich der fälligen als auch der noch nicht fälligen Zahlungsansprüche. Die Klägerin hat nicht dargelegt, in welchem Umfange sie tatsächlich gearbeitet hat bzw. künftig arbeiten werde. Diese Darlegung ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte die Höhe der Klageforderung nicht bestritten hat. Denn weil schon angesichts des jährlichen Urlaubsanspruchs der Klägerin ausgeschlossen erscheint, daß die Klägerin überhaupt keine Fehltage aufzuweisen hat, kann nicht von einer unbestritten gebliebenen Behauptung der Klägerin ausgegangen werden, sie habe jeden Tag tatsächlich gearbeitet und werde dies auch weiterhin tun.
3. In dem Zahlungsantrag der Klägerin kann jedoch als ein Weniger ein Feststellungsbegehren enthalten sein (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 13. Aufl., § 308 Anm. 1 b). Ein solches Feststellungsbegehren sieht der Senat im Streitfalle in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange als im Klageantrag enthalten an. Gegen die Zulässigkeit dieses Feststellungsbegehrens bestehen schon angesichts der Stellung der Beklagten als öffentlich-rechtliche Körperschaft keine Bedenken. Die Begründetheit des Feststellungsantrags ergibt sich aus den Ausführungen zu oben II. Weil das Zahlungsbegehren über das Feststellungsbegehren hinausgeht, war die Klage im übrigen abzuweisen.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, §§ 69, 101 Abs. 2, § 100 Abs. 1 ZPO.
Roeper Dr. Becker Dr. Steckhan
Dr. Blaeser Lappe
Fundstellen
Haufe-Index 441072 |
BB 1986, 1776-1777 (LT1) |
BG 1986, 614-615 (ST1) |
AP § 1 TVG Teilnichtigkeit (LT1), Nr 1 |
AR-Blattei, ES 1550.5 Nr 12 (LT) |
AR-Blattei, Tarifvertrag V Entsch 12 (LT) |
EzA § 1 TVG, Nr 20 (LT1) |
PersV 1991, 237-238 (K) |