Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Abfindung - Anrechnung einer individualrechtlichen Abfindung
Orientierungssatz
Auf eine Abfindung nach dem Tarifvertrag vom 6. Juli 1992 zur sozialen Absicherung (TV Soziale Absicherung) kann eine zuvor in einem Auflösungsvertrag vereinbarte auf individualrechtlicher Grundlage beruhende Abfindung nicht angerechnet werden.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag vom 6. Juli 1992 zur sozialen Absicherung (TV Soziale Absicherung).
Die Klägerin war bei der beklagten Stadt bzw. bei ihrer Rechtsvorgängerin seit dem Jahre 1960 als Krankenschwester beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der BAT-O und damit auch der TV Soziale Absicherung Anwendung. Dessen § 2 Abfindung lautet:
"(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis
gekündigt wird, weil
a) er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr
verwendbar ist oder
b) ...
erhält eine Abfindung. Das Gleiche gilt, wenn
ein Arbeitnehmer bei Vorliegen der Vor-
aussetzungen für eine Kündigung nach Satz 1
aufgrund eines Auflösungsvertrages ausschei-
det.
(2) Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr
der Beschäftigungszeit (§ 19 BAT-O ohne die
nach der Übergangsvorschrift Nr. 3 hierzu
berücksichtigten Zeiten bzw. die vergleich-
baren, für die Arbeiter geltenden Bestim-
mungen) ein Viertel der letzten Monatsver-
gütung (§ 26 BAT-O zuzüglich der allge-
meinen Zulage) bzw. des letzten Monats-
tabellenlohnes (§ 21 Abs. 3 MTArb-O, § 20
Abs. 2 BMT-G-O ggf. zuzüglich des Sozialzu-
schlags), ... Sie darf den Betrag von
10.000,-- DM nicht übersteigen; ...
(3) ...
(4) ...
Abfindungen nach tariflichen Vorschriften
und nach Sozialplänen sowie Abfindungen,
die im Rahmen eines Kündigungsschutzver-
fahrens vergleichsweise vereinbart oder
nach Auflösungsantrag durch Urteil zuge-
sprochen werden, sind auf die Abfindung
nach diesem Tarifvertrag anzurechnen.
Protokollnotiz:
Die Vorschrift gilt auch in Fällen, in denen vor
dem 15. Juni 1992 die Kündigung ausgesprochen
oder der Auflösungsvertrag abgeschlossen worden
ist, das Arbeitsverhältnis jedoch erst nach dem
14. Juni 1992 geendet hat oder endet.
Durch Aufhebungsvertrag vom 11. Juni 1992 wurde das Arbeitsverhältnis zum 28. Juni 1992 aufgelöst und der Klägerin war mit Ausscheiden eine einmalige Zahlung von 5.000,00 DM steuerfrei zu gewähren. Die Beklagte hat diese Abfindung gezahlt.
Die Zusage der Abfindung beruhte auf dem Stadtratsbeschluß vom 13. Mai 1992, der auf Initiative des Personalrats zustande gekommen war. Dem Beschluß waren längere Verhandlungen zwischen dem Magistrat und dem Personalrat zum Abschluß eines Sozialplanes vorausgegangen. Dieser war jedoch aus finanziellen Gründen gescheitert.
Nach dem rückwirkenden Inkrafttreten des TV Soziale Absicherung zum 15. Juni 1992 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß sie die ihr danach zustehende tarifliche Abfindung in Höhe von 10.000,00 DM, allerdings unter Verrechnung der bereits aufgrund des Stadtratsbeschlusses gezahlten 5.000,00 DM, erhalten werde. Diese Zahlung ist erfolgt.
Mit der Klage hat die Klägerin die Zahlung von weiteren 5.000,00 DM auf der Grundlage des TV Soziale Absicherung begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, daß nach § 2 Abs. 4 Unterabs. 2 TV Soziale Absicherung eine Anrechnung der aufgrund des Stadtratsbeschlusses erhaltenen Abfindung auf die tarifliche Abfindung nicht in Betracht komme.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.000,00 DM
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die gegenteilige Rechtsauffassung vertreten und insbesondere geltend gemacht, daß nach den zum TV Soziale Absicherung vom Bundesministerium des Innern erlassenen Durchführungshinweisen neben Abfindungen nach Sozialplänen auch Abfindungen nach "ähnlichen Regelungen" anzurechnen seien.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung von weiteren 5.000,00 DM nach § 2 Abs. 1 TV Soziale Absicherung. Nach dem Sinn und Zweck der tariflichen Anrechnungsklausel in § 2 Abs. 4 Unterabs. 2 TV Soziale Absicherung könnten auch Abfindungen angerechnet werden, die auf Initiative des Personalrats aufgrund eines Stadtratsbeschlusses zur Milderung der durch die Entlassung eingetretenen Nachteile gezahlt würden. Aus § 2 Abs. 2 TV Soziale Absicherung sei die Absicht der Tarifvertragsparteien erkennbar, daß sich die finanzielle Belastung des Arbeitgebers auf höchstens 10.000,-- DM belaufen solle. Es sei mit Sinn und Zweck dieser Höchstbetragsklausel nicht vereinbar, daß ein Arbeitnehmer zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes zunächst eine Abfindung von 5.000,-- DM und danach aufgrund eines wenige Wochen später in Kraft tretenden Tarifvertrages eine weitere Abfindung in Höhe von 10.000,-- DM erhalte.
Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
II. Der Klägerin steht über die bereits gezahlte tarifvertragliche Abfindung in Höhe von 5.000,-- DM gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 TV Soziale Absicherung ein weiterer Abfindungsbetrag in unstreitiger Höhe von 5.000,-- DM zu. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Voraussetzungen dieser Tarifnorm gegeben sind, weil die Klägerin mangels Bedarfs nicht mehr verwendbar und aufgrund eines Auflösungsvertrages ausgeschieden war.
1. Auf den tariflichen Abfindungsanspruch kann die aufgrund des Auflösungsvertrages gezahlte Abfindung nicht nach § 2 Abs. 4 Unterabs. 2 TV Soziale Absicherung angerechnet werden. Nach dieser Tarifnorm sind auf eine Abfindung nach dem TV Soziale Absicherung anzurechnen Abfindungen nach tariflichen Vorschriften und nach Sozialplänen sowie Abfindungen, die im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens vergleichsweise oder nach Auflösungsantrag durch Urteil zugesprochen werden.
Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ist damit eine Anrechnung einer aufgrund eines Auflösungsvertrages erhaltenen Abfindung nicht vorgesehen und deshalb ausgeschlossen. Der im § 2 Abs. 4 Unterabs. 2 TV Soziale Absicherung zum Ausdruck gekommene Sinn und Zweck bestätigt dieses Ergebnis. Danach kommt die Anrechnung einer Abfindung nur in Betracht, soweit die anzurechnende Abfindung auf gesetzlicher oder kollektivrechtlicher Regelung beruht, nämlich im Kündigungsschutzprozeß auf §§ 1, 9, 10 KSchG sowie auf tariflichen Vorschriften und Sozialplänen gem. § 75 Abs. 3 Nr. 13 PersVG-DDR. Abfindungen, die aufgrund eines individualrechtlichen Auflösungsvertrages gezahlt werden, sind damit nicht erfaßt. Dieses Verständnis der Tarifvertragsparteien von § 2 Abs. 4 Unterabs. 2 TV Soziale Absicherung wird darüber hinaus dadurch belegt, daß ein tariflicher Anspruch auf eine Abfindung auch im Falle eines Auflösungsvertrages gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 TV Soziale Absicherung besteht. Danach erhält ein Arbeitnehmer - bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung nach Satz 1 - eine Abfindung, wenn er aufgrund eines Auflösungsvertrages ausscheidet. Im übrigen gilt diese Vorschrift auch in Fällen, in denen vor dem 15. Juni 1992 ein Auflösungsvertrag abgeschlossen worden ist, das Arbeitsverhältnis jedoch erst nach dem 14. Juni 1992 geendet hat oder endet (vgl. Protokollnotiz zu § 2 TV Soziale Absicherung). Das Bestehen dieses tarifrechtlichen Abfindungsanspruchs nach § 2 Abs. 1 Satz 2 TV Soziale Absicherung ist somit unabhängig davon, ob aufgrund des Auflösungsvertrages bereits eine auf individualrechtlicher Grundlage beruhende Abfindung gezahlt oder nicht gezahlt wurde. Entsteht der tarifliche Abfindungsanspruch aber auch bei Bestehen eines individualrechtlichen Abfindungsanspruches aufgrund eines Auflösungsvertrages und haben die Tarifvertragsparteien in Kenntnis dieser Rechtslage gleichwohl auch keine Anrechnung einer individualrechtlich bestehenden Abfindung geregelt, so muß davon ausgegangen werden, daß sie eine solche Anrechnung auch nicht gewollt haben. Der in § 2 Abs. 1 Satz 2 TV Soziale Absicherung geregelte Mindestabfindungsanspruch schließt damit nicht aus, daß durch individualrechtliche Vereinbarung eine höhere Abfindung vereinbart wird. Dies verkennt die Beklagte.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien eine Anrechnung der Abfindung auch für den Fall geregelt haben, daß auf Initiative des Personalrats durch Stadtratsbeschluß die Grundlage für eine individualrechtliche Abfindung bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis geschaffen wurde.
a) Zwar ist die Auffassung der Beklagten zutreffend, daß nach § 73 BPersVG (ihm entspricht der hier anzuwendende § 73 des Gesetzes zur sinngemäßen Anwendung des BPersVG - PersVG-DDR vom 22. Juli 1990, GBl. I S. 1014) Dienstvereinbarungen nur zulässig sind, soweit ein Mitbestimmungsrecht besteht. Hierüber hinausgehende Regelungen einer Dienstvereinbarung erzeugen dagegen gegenüber einzelnen Arbeitnehmern keine Rechtswirkungen (vgl. BAG Urteil vom 18. Oktober 1994 - 1 AZR 503/93 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, m.w.N.). Ein solches Mitbestimmungsrecht ist nach § 75 Abs. 3 Ziff. 13 PersVG-DDR/BPersVG bei Aufstellung von Sozialplänen jedoch gegeben. Mit der Verwendung des Begriffs Sozialplan in § 2 Abs. 4 Unterabs. 2 TV Soziale Absicherung, eines Begriffs der in der Rechtsterminologie einen festen Inhalt hat, ist somit davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien diesen Begriff im Sinne des § 75 Abs. 3 Ziffer 13 PersVG-DDR/BPersVG verstanden haben (vgl. BAG Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 AZR 512/81 - BAGE 46, 61, 66 = AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; BAG Urteil vom 12. März 1986 - 4 AZR 547/84 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seeschiffahrt, m.w.N.). Ein Sozialplan ist vorliegend jedoch nicht abgeschlossen worden, sodaß die Anrechnung individualrechtlicher Abfindungen auch insoweit aus § 2 Abs. 4 Unterabs. 2 TV Soziale Absicherung nicht hergeleitet werden kann.
b) Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auch auf das Rundschreiben des Bundesministers des Innern vom 15. Juli 1992 (- D III 1 - 220 233/41 - D III 2 - 220 430/45, Teil B Abschnitt X), wonach Abfindungen nach Sozialplänen und "ähnlichen Regelungen" anzurechnen sind. Es kann aus Rechtsgründen dahingestellt bleiben, ob eine ähnliche Regelung vorliegend gegeben ist. Jedenfalls erzeugt der Inhalt des Rundschreibens gegenüber der Klägerin keine Rechtswirkungen. Rundschreiben sind, selbst wenn sie zwischen den Tarifvertragsparteien abgestimmt wurden, kein Bestandteil des Tarifvertrages und können auch nur insoweit zur Auslegung einer Tarifnorm herangezogen werden, als ihr Inhalt in der Tarifnorm zum Ausdruck kommt (BAG Urteil vom 3. Dezember 1986 - 4 AZR 19/86 - DB 1987, 1693). Im vorliegenden Fall haben die Tarifvertragsparteien aber bei der Anrechnungsvorschrift des § 2 Abs. 4 Unterabs. 2 TV Soziale Absicherung - wie oben dargelegt - eine abschließende und insoweit keiner weiteren Auslegung zugängliche Regelung geschaffen und dabei eine "ähnliche Regelung" gerade nicht in die Anrechnungsnorm aufgenommen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Dr. Jobs Dr. Armbrüster Bröhl
Matiaske Schneider
Fundstellen
Haufe-Index 440952 |
BB 1996, 58 |
NZA 1996, 150 |
AP 00, Nr 00 |