Leitsatz (amtlich)
- Wird ein Angehöriger der Werksfeuerwehr angewiesen, sich während der Bereitschaftszeit in oder in unmittelbarer Umgebung seiner Wohnung aufzuhalten, liegt keine Rufbereitschaft im Sinne von § 4 Abs. 1 Ziffer 1 LTV vor.
- Unfall-, Störungs- und Schneebereitschaft im Sinne von § 4 Abs. 1 Ziffer 2 LTV setzt voraus, daß der Bereitschaftsdienst außerhalb der Wohnung geleistet wird. Deshalb fällt der in der Wohnung oder deren näherer Umgebung zu leistende Bereitschaftsdienst weder unter § 4 Abs. 1 Ziffer 1 noch unter Ziffer 2 LTV, sondern ist gegebenenfalls nach § 612 BGB angemessen zu entlohnen.
Normenkette
BGB § 611; LTV § 4
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 09.08.1968; Aktenzeichen 6 Sa 143/68 N) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bayern vom 9. August 1968 – 6 Sa 143/68 N – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten als Arbeiter im Ausbesserungswerk N… beschäftigt und gehört der Werksfeuerwehr an. Er wohnt in einem Haus unmittelbar am Westausgang des Ausbesserungswerkes, für das der Beklagten das Belegungsrecht zusteht. Der Kläger hat regelmäßig wie die anderen Feuerwehrleute Bereitschaftsdienst zu leisten, wofür in der Weisung vom 11. Januar 1966 u. a. bestimmt ist, daß sich die Bediensteten während der Bereitschaftszeit (von Arbeitsschluß bis Dienstbeginn) in oder in unmittelbarer Umgebung ihrer Wohnung aufzuhalten haben. Am 6. September 1967 wurde diese Weisung sinngemäß wiederholt.
Die Parteien streiten darüber, ob dieser Dienst als Arbeitsbereitschaft oder als Rufbereitschaft anzusehen ist. § 4 des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn vom 1. November 1960 (LTV) bestimmt dazu:
Unfallbereitschaft, Störungsbereitschaft, Schneebereitschaft
(1) Bereitschaft zur Beseitigung oder Verhütung von Unfallfolgen, Störungen oder Betriebsbehinderungen durch Schneefall oder Kälte soll nur eingerichtet werden, wenn die dienstlichen Belange es erfordern. In diesen Fällen ist der Arbeiter nach Weisung der Dienststelle verpflichtet,
1. sich in seiner Wohnung aufzuhalten oder dort oder bei der Dienststelle zu hinterlassen, von wo er im Bedarfsfall zur sofortigen Arbeitsaufnahme herbeigerufen werden kann (Rufbereitschaft), oder
2. sich bei der Dienststelle oder einer anderen von ihr bestimmten Stelle außerhalb seiner Wohnung zur Verfügung zu halten (Unfall-, Störungs- und Schneebereitschaft bei der Dienststelle).
(2) 1. Die Rufbereitschaft beginnt an Werktagen mit der Beendigung der Arbeitsschicht und endet mit Beginn der Arbeitsschicht am folgenden Werktag und bei nachfolgendem arbeitsfreien Werktag, Sonntag oder Feiertag um 6 Uhr. Für die Bereitschaft in diesem Zeitraum wird eine Vergütung von 2 DM gewährt.
2. Die Rufbereitschaft an arbeitsfreien Werktagen, Sonn- und Feiertagen beginnt um 6 Uhr und dauert 24 Stunden bzw. bis zum Beginn der Arbeitsschicht am folgenden Werktag. Für die Bereitschaft an arbeitsfreien Werktagen und an Sonntagen wird eine Vergütung von je 3,50 DM, an Feiertagen des § 19 Abs. 3 Nr. 1 von je 4,50 DM gewährt.
3. Für eine Rufbereitschaft, die mit der Beendigung der Arbeitsschicht am Taße vor einem arbeitsfreien Werktag, Sonntag oder Feiertag beginnt, aber abweichend von Nr. 1 und 2 insgesamt auf 24 Stunden beschränkt ist, wird gewährt eine Vergütung von 3,50 DM, wenn die Rufbereitschaft an einem arbeitsfreien Werktag oder an einem Sonntag endet, oder von 4,50 DM, wenn sie an einem Feiertag des § 19 Abs. 3 Nr. 1 endet.
4. Die Zeit der Rufbereitschaft gilt nicht als Arbeitszeit.
(3) 1. Unfall-, Störungs- und Schneebereitschaft bei der Dienststelle ohne Arbeitsleistung ist bei der Lohnberechnung zur Hälfte als Arbeitszeit zu werten.
2. a) 12 Stunden oder mehr betragende Bereitschaftsschichten werden mit dem 1,2fachen Schichtlohn,
b) 6 Stunden oder mehr, jedoch weniger als 12 Stunden betragende Bereitschaftsschichten werden mit einem Schichtlohn,
c) weniger als 6 Stunden betragende Bereitschaftsschichten werden unter Beachtung der Nr. 1 mit anteiligem Schichtlohn
abgegolten.
3. Durch die Vergütung nach Nr. 2a oder 2b ist zugleich der Tabellenlohn für etwa in die Bereitschaftsschichten fallende Arbeitsleistungen mit abgegolten, und zwar im Fall der Nr. 2a für Arbeitsleistungen bis zu 8 Stunden 48 Minuten, im Fall der Nr. 2b für Arbeitsleistungen bis zu 7 Stunden 20 Minuten. 8 Stunden 48 Minuten bzw. 7 Stunden 20 Minuten überschreitende Arbeitsleistungen werden zusätzlich in der für sie maßgebenden Lohnform vergütet.
Der Kläger vertritt die Auffassung, er habe wegen der Beschränkung seines Aufenthaltes auf die Wohnung oder deren unmittelbare Nähe Arbeitsbereitschaft zu leisten, die nach § 4 Abs. 3 LTV zu entlohnen sei. Demgemäß hat der Kläger beantragt festzustellen, daß der Kläger bei der Beklagten als Angehöriger der Werksfeuerwehr im Ausbesserungswerk N… Bereitschaftsdienst im Sinne des § 4 Abs. 1 Ziffer 2 LTV leistet und daß der Kläger hierfür ab 1. November 1965 nach § 4 Abs. 3 LTV entlohnt werden muß.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie vertritt die Auffassung, daß der Kläger nur Rufbereitschaft im Sinne von § 4 Abs. 1 Ziff. 1 LTV leiste und hierfür ordnungsgemäß entlohnt sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und den Streitwert auf 6599,54 DM festgesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision war zurückzuweisen.
Nachdem der Kläger seinen Klageantrag dahingehend klargestellt hat, daß er die Feststellung begehrt, ab 1. November 1965 nach § 4 Abs. 3 LTV entlohnt zu werden, und der weitere Antrag über die Leistung von Bereitschaftsdienst im Sinne von § 4 Abs. 1 Ziff. 2 LTV nur eine Erläuterung dieses Antrages darstellen soll, bestehen gegen die Zulässigkeit des Antrages des Klägers keine Bedenken mehr. Der Kläger will im Wege der Feststellungsklage gegenüber der Beklagten den Lohnanspruch nach § 4 Abs. 3 LTV für die Zeit ab 1. Januar 1965 geltend machen und nicht gesondert daneben noch als Vorfrage dieses Anspruches die Rechtsfrage vom Antrag umfaßt wissen, ob er Bereitschaftsdienst leiste. Sein Antrag ist demgemäß dahin auszudeuten, daß der Kläger nicht die gesonderte Feststellung eines Elements seines Anspruches, sondern nur die entsprechende Vergütung begehrt.
Wenn das Landesarbeitsgericht die Klage deshalb abgewiesen hat, weil der Kläger nur Rufbereitschaft im Sinne von § 4 Abs. 1 Ziffer 1 LTV leiste, kann dem allerdings nicht beigepflichtet werden. Das Landesarbeitsgericht geht zu Unrecht davon aus, daß nach § 4 Abs. 1 Ziff. 1 LTV die Weisungsbefugnis der Dienststelle sich auch darauf beziehe, daß der Arbeiter verpflichtet werden könne, sich in der Wohnung oder deren unmittelbarer Nähe aufzuhalten. Das widerspricht schon dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 LTV, wonach in Ziff. 1 ausdrücklich die Rufbereitschaft für die Bezahlung nach diesem Tarifvertrag dahin definiert wird, daß der Arbeiter sich in der Wohnung aufzuhalten oder in dieser bzw. bei seiner Dienststelle zu hinterlassen habe, von wo er im Bedarfsfall zur sofortigen Arbeitsaufnahme herbeigerufen werden könne. Damit gehört zu dieser Rufbereitschaft im Tarifsinne auch die Möglichkeit, sich außerhalb der Wohnung aufzuhalten und nur zur sofortigen Arbeitsaufnahme erreichbar zu sein. Der Tarifvertrag beschränkt die Rufbereitschaft gerade nicht auf die Wohnung und deren nähere Umgebung, sondern gewährt die geringere Vergütung für die Rufbereitschaft u.a. auch deshalb, weil der Arbeiter in der Wahl seines Aufenthaltes verhältnismäßig frei ist. Demgemäß hat auch der 3. Senat in seiner Entscheidung vom 26. Juni 1967 (AP Nr. 1 zu § 611 BGB Arbeitsbereitschaft) zu derselben Bestimmung ausgeführt, daß sich die Störungsbereitschaft von der Rufbereitschaft gerade dadurch unterscheidet, daß ein Rufbereitschaft leistender Arbeiter in der Wahl seines Aufenthaltsortes grundsätzlich frei ist, sofern er nur erreichbar ist; soweit in einer Anordnung keine Einschränkung dieser Freizügigkeit liege, sei Rufbereitschaft anzunehmen. Im vorliegenden Fall wird aber gerade diese Freizügigkeit des Arbeiters durch die Beschränkung des Aufenthaltsortes auf die Wohnung und deren nähere Umgebung eingeengt. Demgegenüber kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht entscheidend auf die in § 4 Abs. 1 LTV vorgesehene Weisung der Dienststelle abgestellt werden, denn diese Weisung bezieht sich nicht auf eine Anordnungsmöglichkeit innerhalb der in Ziffer 1 oder 2 jeweils aufgeführten Aufenthaltsorte. Vielmehr wird in § 4 Abs. 1 Ziffer 2 LTV die Weisungsbefugnis der Dienststelle nochmals ausdrücklich angesprochen, wenn es dort heißt, daß Störungsbereitschaft auch bei “einer anderen von ihr bestimmte Stelle” geleistet werden kann. Wenn so in Ziffer 2 das Bestimmungsrecht der Dienststelle zusätzlich ausdrücklich genannt ist, muß das Fehlen einer solchen Bestimmungsmöglichkeit innerhalb der Ziffer 1 zu der Auslegung führen, daß unter Rufbereitschaft nur der Bereitschaftsdienst zu verstehen ist, bei dem der Arbeiter sich auch außerhalb der Wohnung frei bewegen kann, sofern er nur zur Arbeitsaufnahme erreichbar ist.
Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der hier tariflich festgelegten Rufbereitschaft in ihrer Abgrenzung zur Störungsbereitschaft. Jede Beschränkung auf einen bestimmten Aufenthaltsort führt zu einer zusätzlichen Leistung des Arbeitnehmers, die auch zusätzlich vergütenswert ist. Damit ist allerdings entgegen der Auffassung der Revision noch nicht schon davon auszugehen, daß deshalb nur Störungsbereitschaft im Sinne von § 4 Abs. 1 Ziff. 2 LTV vorliegen könne. Insoweit hat vielmehr das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß Störungsbereitschaft im Sinne dieser Tarifvorschrift schon deshalb nicht vorliegt, weil die erhöhte Vergütung nach § 4 Abs. 3 LTV nur für Bereitschaftsdienste außerhalb der Wohnung des Arbeiters zu zahlen ist. Dieser ausdrückliche Wortlaut des Tarifvertrages läßt sich nicht im Wege der Auslegung dahin umwandeln, daß auch Störungsbereitschaft nach § 4 Abs. 1 Ziff. 2 LTV innerhalb der Wohnung geleistet werden kann. Damit würde der klare Wortlaut der Tarifbestimmung, wie er in § 4 Abs. 1 Ziff. 2 LTV zum Ausdruck gekommen ist, geradezu ins Gegenteil verkehrt. Deshalb kommt es entgegen der Anregung des Klägers auch nicht auf eine Auskunft der Tarifvertragsparteien über deren Auffassung beim Abschluß dieses Tarifvertrages über diese Bestimmung an. Maßgeblich ist für die Normauslegung vielmehr stets nur der zum Ausdruck gekommene Wille, also der objektive Sinn des Wortlautes, der sich hier allein auf die Störungsbereitschaft außerhalb der Wohnung bezieht. Diese Auslegung entspricht weiter dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Denn es bedeutet einen erheblichen Unterschied, ob ein Arbeitnehmer Bereitschaftsdienst in seiner Wohnung leistet oder nicht. In der Wohnung ist der Arbeitnehmer nämlich sehr viel freier gestellt. Er kann sich insbesondere seiner Familie und dem Familienleben widmen und in seiner häuslichen Umgebung leben. Es ist daher sinnvoll, die erhöhte Vergütung des § 4 Abs. 3 LTV auf Störungsbereitschaften außerhalb der Wohnung zu beschränken.
Nachdem jedoch der Kläger auf ausdrückliches Befragen erklärt hat, daß er nur festgestellt wissen will, ob ihm Vergütung nach § 4 Abs. 3 LTV zustehe, kann im vorliegenden Rechtsstreit nicht entschieden werden, ob und inwieweit dem Kläger eine Vergütung für die auf die Wohnung beschränkte Bereitschaft zusteht. Wenn auch ein Fall des § 4 Abs. 1 Ziffer 1 LTV ebensowenig vorliegt wie eine Störungsbereitschaft im Sinne des § 4 Abs. 1 Ziff. 2 LTV, ist damit noch nicht jede Vergütung ausgeschlossen oder nur die Vergütung des § 4 Abs. 2 LTV zu zahlen. Vielmehr gilt insoweit der Grundsatz, daß jede zusätzliche Leistung, also auch die Beschränkung des Bereitschaftsdienstes auf die Wohnung des Klägers und deren nähere Umgebung, ggf. nach § 612 BGB angemessen zu entlohnen ist (vgl. BAG 8, 63 = AP Nr. 1 zu § 13 AZO), wobei für die Höhe der Entlohnung die tarifliche Regelung des § 4 LTV sinngemäß zu berücksichtigen wäre. Da der Kläger aber den Anspruch auf eine solche Vergütung nicht festgestellt wissen will, mußte die Revision zurückgewiesen werden. Es kommt auch nicht mehr darauf an, daß der Kläger Vergütung ab 1. November 1965 verlangt und dazu noch eine Feststellung fehlt, daß er schon vor der ersten Weisung am 11. Januar 1966 für den Bereitschaftsdienst auf die Wohnung und deren Umgebung beschränkt war. Es brauchte auch nicht mehr dazu Stellung genommen zu werden, daß die Ansprüche des Klägers für die Zeit vor Oktober 1967 grundsätzlich unter die Ausschlußfrist fallen und der Kläger demgegenüber nur vortragen kann, daß er sich auf die zutreffende Vergütung habe verlassen können. Ein solcher Einwand kann für sich allein die Anwendung der Ausschlußfrist noch nicht als unzulässige Rechtsausübung erscheinen lassen.
Die Revision war vielmehr schon danach mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Neumann, Dr. Rengier, Dr. Feller, Dr. Sohler, Gröbing
Fundstellen